Bundesfinanzminister Christian Lindner will deutlich mehr in die Bildung investieren, sagt er. Aber was genau hat er eigentlich auf dem FDP-Dreikönigstreffen in Aussicht gestellt? Eine in Teilen ernüchternde Analyse.
Christian Lindner. Foto: Michael Lucan, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons.
"EINE ZUSÄTZLICHE BILDUNGSMILLIARDE" in jedem der nächsten Jahre hat Christian Lindner beim FDP-Dreikönigstreffen in Stuttgart für notwendig erklärt – "die wir in die Bildungschancen der jungen Generation investieren". Aber was war das eigentlich? Die Forderung eines Parteichefs? Oder die Ankündigung eines Finanzministers? Denn so erfreut Lindners Plädoyer aufgenommen wurde, so stellen sich doch einige Fragen. Zu allererst die nach der Größenordnung.
Eine Milliarde pro Jahr mehr für Bildung, das klingt viel. Aber ist es das auch? Zur Einordnung: Die internen Berechnungen der Ampelkoalition gingen am Ende der Koalitionsverhandlungen von jährlich weit über fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Bildung aus, sollten alle Vorhaben wie angekündigt und vollständig umgesetzt werden. Allein das geplante Startchancen-Programm für Schulen in herausfordernden Lagen würde dann mit mehr als zwei Milliarden pro Jahr zu Buche schlagen, die Aufstockung des Digitalpakts mit einer weiteren guten Milliarde, für das Bafög nochmal zwei Milliarden Euro. Von den vielen anderen, teils kleineren Vorhaben ganz zu schweigen.
Ist die so großzügig klingende Ankündigung
in Wirklichkeit eine Sparansage?
Nun wird sich Christian Lindner auf solche Zahlen nicht festnageln lassen müssen, denn die Koalition hat sie wohlweislich nie öffentlich gemacht, zudem kursieren voneinander abweichende interne Kostenaufstellungen. Auch lässt Lindners Formulierung von einer zusätzlichen Bildungsmilliarde natürlich offen, von welchem Ausgangs- bzw. Vergleichswert er ausgeht. Zählt es zum Beispiel für Lindner schon als frisches Geld, wenn der bislang 2024 auslaufende Digitalpakt danach anstatt auf zwei Bundesmilliarden pro Jahr erhöht, lediglich in seiner jetzigen Höhe fortgesetzt würde? Schließlich war da ja bislang budgetär gar nicht vorgesehen. Bildungspolitisch aber schon. Dann aber wäre die zusätzliche Bildungsmilliarde pro Jahr bereits verfrühstückt, und nichts wäre gewonnen.
So kann und wird Lindner das sicherlich nicht gemeint haben. Doch wer sich die Personal- und Finanznot des deutschen Bildungssystems vor Augen hält und sie abgleicht mit den Ambitionen der Ampel, der kann nur konstatieren: Wenn eine "zusätzliche Bildungsmilliarde" pro Jahr wirklich das Ziel Christian Lindners sein sollte, ist die so großzügig klingende Ankündigung in Wahrheit eine Sparansage. Das präventive Angebot eines Finanzministers, garniert mit Bildungspolitik-First-Rhetorik, um alle weitergehenden Begehrlichkeiten auszubremsen.
Wozu das führt, konnte man am Freitag in ersten Reaktionen bereits erleben: Es droht ein Gegeneinanderausspielen der unterschiedlichen Bildungsbereiche. So reklamierte der Generalsekretär des Deutschen Studierendenwerkes (DSW), Matthias Anbuhl, Teile der Bildungsmilliarde gleich einmal für die Studierenden. Wenn der Finanzminister sie wirklich bereitstelle, "steht einer kräftigen Erhöhung der BAföG-Sätze und einer echten BAföG-Strukturreform nichts im Wege. Wir nehmen den Bundesfinanzminister beim Wort." Nur wie Moritz Baumann, Redaktionsleiter des Bildung.Table, auf Twitter bemerkte: "Ich dachte, das sollte in die Startchancen fließen, Moment... in den Digitalpakt II. Ach und bitte die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung nicht vergessen."
Ein verwegenes Verständnis
von Linders Plädoyer
"Die Haushaltsspielräume sind eng, ich will Sie da gar nicht mit Kummer behelligen", fügte Lindner beim Dreikönigstreffen hinzu (Minute 47 hier). "Und wir werden auch konsolidieren müssen. Nicht alles, was wünschenswert ist, wird sofort bezahlbar sein. Aber ein Versprechen müssen wir uns als Gesellschaft gegenseitig geben: An allem kann gespart, überall kann konsolidiert werden, aber dieses Land sollte niemals sparen an den Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen."
Eine wichtige, eine richtige Erkenntnis – auch wenn die Politik der Ampel, und zwar parteiübergreifend, in ihrem ersten Jahr teilweise in die Gegenrichtung lief. So wird das Sprachkitas-Programm (250 Millionen Eur) pro Jahr) entgegen den Koalitionsvertrags-Versprechen gestrichen. Es ist nicht überliefert, dass sich Lindner gegenüber Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hier für einen Erhalt eingesetzt hätte. Und das Startchancen-Programm, dessen Vollbetrieb in den Verhandlungen bereits für 2023 angestrebt wurde, soll jetzt erst im zweiten Halbjahr 2024 starten – und beim jährlichen Kostenrahmen hält sich die Bundesregierung bedeckt. Ebenfalls auf die lange Bank geschoben hat das BMBF das im Koalitionsvertrag angekündigte Digitalisierungsprogramm für die Hochschulen.
Nun böte sich noch ein ganz anderes – verwegeneres? – Verständnis der sehr interpretierfähigen Ansage Lindners an. Vielleicht, und das wäre dann wirklich eine gute Nachricht, meinte er ja auch einen jährlich neuen Aufwuchs um eine zusätzliche Milliarde. Also im ersten Jahr eine, im zweiten Jahr zwei, im dritten Jahr drei und so weiter. Sprachlich deutet eher weniger darauf hin, aber womöglich sollten alle, die sich für Bildung und Bildungsgerechtigkeit einsetzen, sich bewusst vornehmen, den Finanzminister so und nur so zu verstehen. Dann käme seine Ansage nämlich tatsächlich langsam in die von der Ampel einst geplante Größenordnung. Dann aber wäre es auch nur angemessen, dass Lindner der Bundesregierung sehr bald einen Vorschlag vorlegt, wie genau er den Wachstumspfad der Bildungsausgaben in den nächsten Jahren gestalten will, angefangen mit der ersten zusätzlichen Bildungsmilliarde schon in diesem Jahr.
Andernfalls nämlich wäre sein Plädoyer wohl doch nur eines gewesen: eine Parteirede beim Dreikönigstreffen.
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Franka Listersen (Samstag, 07 Januar 2023 21:33)
Vorweg: Für Schule und Kita sind die Länder zuständig, und ihren Bürgern gegenüber verantwortlich.
Die im Schlussabschnitt angesprochene Dynamisierung wäre sicherlich ein Fortschritt, das hat im Forschungsbereich (und jetzt auch bei der Hochschulfinanzierung) ganz gut geklappt.
Gab es da nicht ein Prozentziel der "Bildungsrepublik Deutschland", lange her?