Sollten Bachelorabsolventen dauerhaft an Schulen unterrichten? In einer gemeinsamen Protestnote fordern die Verbände von der neuen KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse, solchen Plänen eine Absage zu erteilen – am Tag ihrer Amtseinführung.
Astrid-Sabine Busse ist seit Dezember 2021 Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie und seit Januar 2023 Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Foto: Sandro Halank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.
DER ZEITPUNKT ist geschickt gewählt. Heute Nachmittag wird Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse offiziell in ihr Amt als Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) eingeführt, und nur ein paar Stunden vorher wollen Philologenverband und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) eine gemeinsame Protestnote veröffentlichen, die es in sich hat.
Der Text der Pressemitteilung lag mir vor vorab vor. Von einem drohenden "Wettbewerb nach unten" zwischen den Bundesländern ist darin die Rede, von einer "Niveauabsenkung für die Lehrkräftebildung" und einer "Entwertung" von Masterabschluss und Zweifächerstudium. Die KMK dürfe die von ihr selbst festgelegten Mindestanforderungen nicht aufgeben, fordern Philologenverband und HRK, die neue KMK-Präsidentin müsse anders gerichteten Überlegungen "klar eine Absage zu erteilen".
Dass der dramatische bundesweite Lehrermangel das Thema von Busses turnusmäßiger Präsidentschaft sein würde, stand schon lange fest. So erwartet etwa das Institut der deutschen Wirtschaft (IW)für 2030 bundesweit rund 68.000 fehlende Lehrkräfte. Anfang dieses Schuljahres sprach Heinz-Peter-Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes von 30.000 bis 40.000 unbesetzten Stellen – was Bildungsexperten indes für hochgegriffen halten. Entsprechend geschäftig suchen die Kultusminister nach Lösungen.
Brandenburgs Pläne
als Auslöser
Dank des ungewöhnlichen Protest-Schulterschlusses von Philologenverband und HRK dürfte der Gesprächsstoff bei dem Festakt im Bundesratsgebäude an der Leipziger Straße heute Nachmittag jetzt erst recht garantiert sein. Worum es bei ihren Warnungen geht: Brandenburgs Landesregierung will, um mehr Lehrerstellen besetzen zu können, den Plänen von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) zufolge Bachelorabsolventen, auch wenn sie kein Schulfach studiert haben, bis zu ihrer Pensionierung als verbeamtete "Bildungsamtsfrauen- und männer" (Besoldungsstufe A11) an Schulen unterrichten lassen. Dafür müssen sie lediglich ein sogenannte "Zertifikatsqualifizierung" nachmachen. Wer zumindest für ein Schulfach einen Bachelorabschluss mitbringt, darf nach der Zertifikatsqualifizierung verbeamtete "Bildungsamtsrat- oder rätin" (A12) werden – ohne dass ein Masterstuduum später vorgesehen oder Pflicht wäre.
Obgleich Philologenverband und HRK weder Brandenburg noch Ministerin Ernst namentlich erwähnen, ist offensichtlich, dass die dortigen Pläne sie zu ihrem Protest veranlasst haben. Denn vergangene Woche erst hatte Astrid-Sabine Busse vor Journalisten den Brandenburger Weg als eine Möglichkeit im Kampf gegen den bundesweiten Lehrermangel genannt. Allerdings eher allgemein und ohne eindeutig positive Wertung.
Sie wolle mehr Einigkeit der Länder im Kampf gegen den bundesweiten Lehrkräftemangel erreichen, sagte die SPD-Politikerin laut taz, und der Tagesspiegel zitierte sie mit dem Satz: "Not schweißt zusammen" – und dem Appell, es dürfe bei der gemeinsamen Suche "keine Denkverbote geben".
Philologenverband und HRK sehen bereits einen Trend. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme warnen sie, es würden "in mehreren Bundesländern" derzeit Gesetzentwürfe vorbereitet, die für Seiten- und Quereinsteiger lediglich einen Bachelorabschluss als akademische Endqualifikation für Lehrkräfte an Schulen vorsähen – statt wie bisher Master oder Staatsexamen.
Welche Bundesländer das sein sollen, lassen die Verbände zwar offen, üben dafür aber umso heftiger Kritik. "Wer als Lehrkraft das Abitur abnimmt, braucht einen Masterabschluss bzw. das Staatsexamen als akademische Voraussetzung", sagt die Philologenverbands-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing. "Bei Seiten- und Quereinsteigern in den Schuldienst die gebotenen Qualitätsansprüche zu verringern, schadet Schülerinnen und Schülern!"
Auch gegen seit Jahren immer wieder diskutierte Vorschläge unter anderem von Bildungswissenschaftlern, einen Ein-Fach-Lehrer als Regellaufbahn zuzulassen, wenden sich Philologenverband und HRK. Also Lehrkräfte, die zwar einen Master, aber diesen in nur einem schulrelevanten Fach vorweisen können und das zweite Fach auch nicht mehr nachstudieren müssten.
"In einer Zeit, in der zudem Interdisziplinarität und der Umgang mit unterschiedlichen Fachkulturen im Studium zum Alltag geworden sind, ist der Rückfall von einem Zwei-Fach- auf ein
Ein-Fachstudium für das Lehramt ein Rückschritt", wird HRK-Präsident Peter-André Alt zitiert. Eine qualitätsgesicherte, akademische Lehrkräftebildung mit hohem wissenschaftlichem Anspruch
für alle Lehrkräfte sei für die Herausforderungen des schulischen Bildungsauftrags unerlässlich – "unabhängig davon, welcher Einstieg in die Profession des Lehrers oder der Lehrerin jeweils
gewählt wird".
Wie Busse auf den
Mahnungen reagiert
Wie brisant die Debatte vor allem um die Bachelor-Lehrer für die Kultusminister werden könnte, ist den Verantwortlichen durchaus bewusst. So hatte Busse vergangene Woche laut taz bereits beschwichtigt: "Natürlich müssen wir aufpassen, dass die Qualität der Lehrerausbildung nicht leidet." KMK-Generalsekretär Udo Michallik sagte, die Mitteilung über die Brandenburger Pläne sei bei der KMK angekommen, doch eine Befassung zwecks einer möglichen Anerkennung auf Bundesebene habe es dazu noch nicht gegeben. Ohne diese Anerkennung wäre für die Brandenburger Bachelor-Lehrer unter anderem ein Wechsel in andere Bundesländer nicht möglich.
Mit dem Mahnbrief von Philologenverband und HRK konfrontiert, bekräftigte Astrid-Sabine Busse nun noch einmal auf Anfrage, die "hohen Qualitätsstandards für die grundständige Lehrerbildung und für das sich anschließende Referendariat seien "auch in Zeiten des Lehrkräftemangels unbestritten". So hätten die Länder in den vergangenen Jahren ihre Studien- und Referendariatsplätze deutlich ausgeweitet und Maßnahmen zur Verringerung der Abbrecherquoten ergriffen. Und bereits 2013 hätten die Länder "vergleichbare, hohe Qualitätsstandards" für die Ausbildung von Seiteneinsteigern vereinbart. Doch bei allen unternommenen Anstrengungen müsse man "mit Blick auf die Gesamtlage" realistisch sein: "Aktuell gibt es in den Ländern bezogen auf bestimmte Fächer und Schularten unabweisbare Lehrkräftebedarfe, die über die bisherigen Ausbildungswege weder kurz- noch mittelfristig gedeckt werden können." Hier seien Quer- bzw. Seiteneinsteiger "eine wichtige Resource".
Was man als Sympathiebekundung für den Vorstoß ihrer Kollegin Britta Ernst interpretieren kann. Aber auch als Vorbereitung einer neuen Linie für die Gesamt-KMK? Eher nicht. Denn direkt danach folgt in Busses Statement der aus Sicht von Philologenverband und HRK vermutlich entscheidende Satz: "Der Qualitätsanspruch, der sich aus den ländergemeinsamen Rahmenvorgaben für die Ausbildung von Lehrkräften ergibt, und das Ziel, Lehrkräften eine länderübergreifende Mobilität zu ermöglichen, bilden die Grundlage für diesen Austausch im Rahmen der Kultusministerkonferenz, aber auch für regelmäßig stattfindende Gespräche mit den Lehrkräfteverbänden und der Hochschulrektorenkonferenz."
Ob das die klare Absage ist, die die Verbände verlangt haben, kann man heute bei Busses Amtseinführung diskutieren. Fest steht: Repräsentiert werden die Lehrkräfte neben dem Philologenverband auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die das Brandenburger Bachelor-Modell unterstützt. Fest steht aber auch: Zumindest eine Abweichung der KMK als Ganzes von den bestehenden ländergemeinsamen Rahmenvorgaben, die die bundesweite Anerkennung des Brandenburger Modells erfordern würde, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Denn dafür müssten alle Länder zustimmen.
Brandenburgs Bildungsministerin Ernst hat jedenfalls schon klargestellt, dass sie die Einführung der neuen Lehrerlaufbahn nicht von der KMK-Anerkennung abhängig machen will. Es habe "schon immer" landeseigene Qualifizierungen gegeben, die in anderen Bundesländern keine Anerkennung gefunden hätten, teilte ihre Sprecherin dem Tagesspiegel mit.
Derweil verwies die neue KMK-Präsidentin Busse auf die gleich zwei Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung, die die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK dieses Jahr präsentieren wird – das erste Kurz-Gutachten bereits in wenigen Tagen. Angesichts der Debatte um "Bildungsamtsfrauen- und männer", Ein-Fach-Lehrer und der Proteste von Philologenverband und HRK ist der Erwartungsdruck auch auf die Forscher jetzt noch einmal gestiegen.
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Edith Riedel (Mittwoch, 18 Januar 2023 08:48)
Die HRK hat schon ihre Gründe, warum sie keine BA-Absolvent*innen im Lehramt will. Es gibt gerade in den Geisteswissenschaften mehrere Fächer, die den Großteil ihrer Studierenden aus den Lehramtsstudiengängen beziehen. Sollten Karrierewege im Lehramt auch mit einem BA-Abschluss möglich werden, müsste da so mancher Masterstudiengang komplett geschlossen werden. Daran hat natürlich niemand Interesse, da weniger Studierende = weniger Geld.
Friedhelm Junggesell (Mittwoch, 18 Januar 2023 13:11)
Eine solche Diskussion war mit dem Start von Bologna absehbar. Ziel war u. a., den Bachelor als berufsqualifizierenden Abschluss zu gestalten. Letztlich kann das auch für den Beruf des Lehrers gelten. Die Protestnote von Philologenverband und HRK heißt also auch: der Bachelor ist nichts wert.
Edith Riedel (Donnerstag, 26 Januar 2023 13:53)
@Friedhelm Junggesell: ja, der Bachelor ist in den Augen der Hochschulen nichts wert, im übertragenen Sinne (fachlich) und im wörtlichen, finanziellen Sinne: BA-Studierende bringen "nur" für 3 Jahre Geld.