EU-Recht verlangt, dass viele Wissenschaftskooperationen umsatzsteuerpflichtig werden. Deutschland spielt auf Zeit. Das wird nicht mehr lange gut gehen.
ES WAR EIN AUFSCHUB in letzter Sekunde. Sie freue sich mitteilen zu können, "dass die Übergangsfrist bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand bis Ende 2024 verlängert werden soll", schrieb Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kurz vor Weihnachten an die Spitzen der deutschen Hochschulen und Forschungsorganisationen. Zuvor hatte das Finanzministerium von Christian Lindner nachgegeben.
Der Kern der umstrittenen Neuregelung: Handeln öffentliche Einrichtungen wie Unternehmen, müssen sie steuerlich auch wie Unternehmen behandelt werden. Die Sorge der Wissenschaft: Hier würden Äpfel mit Birnen verglichen – mit teuren Folgen für wissenschaftliche Kooperationen. So würde etwa das Berliner Modell von Doppelberufungen zwischen Universitäten und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen wie die Dienstleistungen einer Zeitarbeitsfirma behandelt und umsatzsteuerpflichtig werden.
Entsprechend erleichtert reagierten Hochschulen, Forschungsinstitute und Wissenschaftsminister, die in den Monaten vorher lange vergeblich gegen die Umsetzung der Pläne getrommelt hatten, auf Stark-Watzingers Entwarnung.
Wiederholt sich jetzt die Geschichte? Schon mehrmals hatte die Wissenschaft auf Aufschub gedrängt, zuletzt mit Hinweis auf die Coronakrise, jedes Mal erhalten – und war dann zur Tagesordnung übergegangen. Bis die neue Deadline erneut gefährlich nahe rückte.
Was der Wissenschaftliche Dienst
des Bundestages sagt
Dass diesmal erst recht keiner vor lauter Erleichterung auf die Idee kommen sollte, "aufgeschoben" mit "aufgehoben" zu verwechseln, zeigt eine aktuelle Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages zur "Umsatzbesteuerung öffentlich finanzierter Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen".
Das Urteil der WD-Experten fällt eindeutig aus: An der Umsetzung der der Neuregelung zugrundeliegenden Europäischen Mehrwertsteuersystem-Richtlinie führt auch für Deutschland kein Weg vorbei. Die Vorgaben seien für die Mitgliedstaaten zwingend. Und: "Schon die ursprüngliche Übergangsregelung für das Jahr 2016 wurde als Hinauszögerung der überfälligen Anpassung des nationalen Rechts an die Vorgaben des Unionsrechts" angesehen. "Einen (weiteren) Spielraum hatte bzw. hat der Gesetzgeber daher eigentlich nicht."
Wobei sich schon dieser aus Sicht des Wissenschaftlichen Dienstes erschöpfte Spielraum wohlgemerkt nur auf den Aufschub, nicht auf die Umsetzung selbst bezieht. Zumal es nicht ausgeschlossen ist, dass die Europäische Kommission noch vor 2024 ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, um die aus ihrer Sicht nervige Aufschieberei ein für alle mal zu beenden. Umgekehrt wäre natürlich auch denkbar, dass Deutschland eine pragmatische Anpassung der EU-Richtlinie selbst erreicht. Aber wie wahrscheinlich ist das noch?
Dringend Zeit also für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten – und dessen Folgen abzumildern. So könnten die Länder bestimmte Tätigkeiten staatlich finanzierter Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu hoheitlichem Handeln erklären, was diese aus der Umsatzsteuerpflicht herausnehmen würde.
Juristisch sicherlich kreativ, aber nach Auffassung von Experten wohl möglich und von einzelnen Ländern bereits in Angriff genommen. Doch auch ihr gibt es Tücken: Die Länder müssten sich mit dem Bundesfinanzministerium auf einheitliche Bestimmungen einigen, sonst bräche das föderale Chaos aus.
Eine Möglichkeit unter mehreren. Die schlechteste Option wäre in jedem Fall, die Debatte dieses Jahr ruhen zu lassen, abzuwarten und, falls die EU-Kommission nicht vorher das Treiben durch eine Klage beendet, 2024 erneut mit dem aufgeregten Trommeln zu beginnen.
Dieser Kommentar erschien in einer kürzeren Fassung zuerst in meinem Newsletter.
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Noch 'ne Hanna (Donnerstag, 19 Januar 2023 12:26)
Puha. Hoffentlich lässt die EU die Umgehungsstrategie mit dem hoheitlichen Handeln nicht zu, denn so eine "Lex staatliche Wissenschaft" wäre ein problematischer Rückschritt: Wir sind uns alle einig, dass wir für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben mehr Forschung, statt weniger brauchen. Und im Jahr 2023 findet Forschung eben erfreulicherweise nicht nur in staatlichen Unis und AuFs statt, sondern auch in etablierten Unternehmen, Start-Ups, Think Tanks und NGOs. Eine Sonderregelung für die staatliche Wissenschaft ist nicht gerechtfertigt und beschränkt den Flow von Innovationen: Außeruniversitäre Akteure wissen oft besser, wofür Bedarf besteht und können dem besser entsprechen. Es braucht eher eine steuerliche Privilegierung von jeder Art von Forschung, egal, wo sie stattfindet. Letztlich ist das auch notwendig, um den privaten Hochschulen nicht die Chance zu nehmen, sich zu etablieren: Für die Akkreditierung müssen sie Forschung vorweisen, was für Einrichtungen, die sich durch zahlende Studierende finanzieren, kaum zu stemmen ist. Eine zusätzliche Besserstellung staatlicher Forschung ist vor dem Hintergrund kaum zu vertreten, zumal sie auch zu Lasten der Studierenden an staatlichen Hochschulen gehen würde, die zunehmend zum "Beiwerk" degradiert werden.
Science Fan (Freitag, 20 Januar 2023 09:09)
Eine Umsatzsteuerpflicht für die Universitäten wäre sicher nicht so problematisch, wenn dann auch Gleichstand mit den forschenden Unternehmen beschlossen würde. Dies bedeutet, dass die Universitäten auch voll vorsteuerabzugs-berechtigt gestellt werden. Dann wäre eine (unberechtigte Unwucht) behoben.
Th.K. (Freitag, 24 Februar 2023 13:45)
"Eine Umsatzsteuerpflicht für die Universitäten wäre sicher nicht so problematisch, wenn dann auch Gleichstand mit den forschenden Unternehmen beschlossen würde."
Das ist de facto schon geschehen. Das BMF hat am 27.01.2023 ein Schreiben dazu veröffentlicht. Zu befürchten ist, dass es die Hochschulen selbst sein werden, die die Möglichkeiten des Vorsteuerabzugs nicht erkennen, geschweige denn verstehen.