Deutschland soll ein nationales Dateninstitut erhalten. Jetzt liegen erste Experten-Empfehlungen zur Umsetzung vor. Leider lesen sich die darin enthaltenen Ziele weniger wissenschaftlich als politisch. Ein Gastbeitrag von Said D. Werner.
Said D. Werner ist Global Merit Scholar an der University of St Andrews und Junior Fellow am Leadership Excellence Institute Zeppelin. Foto: privat.
EINGANGS HILFT EIN BLICK auf das große Ganze. Bei weltweit 64 Milliarden Terabyte generierter Daten allein in 2020 kann der nicht groß genug ausfallen. Zum Vergleich: Das ist 128 Millionen mal so viel, wie man benötigen würde, um alle jemals verfassten Bücher zu speichern. Das nationale Dateninstitut, das SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben, soll und wird seinen Fokus natürlich nur auf einen winzigen Ausschnitt dieser Datenmenge legen. So wie es das britische Open Data Institute bereits heute tut. Es geht also um Open Data, den möglichst unbeschränkten Zugang zu Statistiken, Datenbanken, Karten, Bilder oder Videos, die möglichst zu jedem Zweck und möglichst überall frei nutzbar, teilbar und weiterzuverarbeiten sein sollen.
Ein nationales Dateninstitut soll diese Daten maschinenlesbar verwalten und der Gesellschaft und ihren Akteuren mit offenen Lizenzen zur Verfügung stellen. Ende 2022 hat eine von Bundesinnen- und Wirtschaftsministerium eingesetzte Expertenkommission erste Empfehlungen zur Gründung vorgelegt. Denn klar ist: Die breite Palette der Anwendung offener Daten unterstreicht ihre politische Relevanz.
In der Verwaltung erhöhen sie Transparenz und Tempo der Entscheidungsfindung. Bei Behörden fördern sie horizontale und vertikale Kooperationen, zum Beispiel um Energiepauschalen für Studierende auszuzahlen. Im Gesundheitswesen eröffnen sie Innovationen im Umgang mit Patientenakten oder neuen Behandlungen. Deren Bedeutung verdeutlicht der nicht Schönwetters wegen erfolgte Umzug BioNTechs nach London.
Auch zur Bewältigung von Umweltproblemen sind offene Daten nützlich, etwa bei der Entwaldung, Katastrophenfrüherkennung oder dem Bevölkerungsschutz. Im Verkehrswesen gelten sie als Königsweg zu mehr Nachhaltigkeit und Effizienz im öffentlichen Nahverkehr, etwa dem digitalen 49-Euro-Ticket. Im Finanzwesen verbessern offene Daten die Risikobewertung. In der Bildung demonstrierte jüngst Chat GPT, wie neben einem intuitiveren Wissenszugang der Paradigmenwechsel zu individuelleren Lern- und Lehrformen vollzogen werden könnte. In der Justiz erleichtert die Analyse offener Daten die Dokumentation krimineller Aktivitäten, die positive Effekte für die öffentliche Sicherheit hat.
Was die Empfehlungen
nicht berücksichtigen
Insbesondere jedoch die deutsche Wirtschaft können offene Dateninfrastrukturen stärken, indem sie Prozesse und Geschäftsmodelle optimieren. Laut dem Digital-Branchenverband Bitkom wollte 2022 jedes siebte befragte Unternehmen sein Kerngeschäft in Zukunft auf Daten aufbauen. Die Hälfte der Unternehmen sah Deutschland bei datengetriebenen Geschäftsmodellen im internationalen Vergleich entweder abgeschlagen (29 Prozent) oder unter den Nachzüglern (20 Prozent). Gerade Startups, deren Geschäftsmodell auf Technologien der Künstlichen Intelligenz beruht, wünschten sich laut KI-Bundesverband bereits 2021 bessere Zugänge zu Unternehmensdaten. Dass die Gründungsrate von KI-Startups in Großbritannien deutlich vorm schwächelnden Innovationsstandort Deutschlands liegt, verwundert nicht.
Das deutsche Dateninstitut könnte hier Abhilfe schaffen. Laut der eingesetzten Expertenkommission soll es als Treuhänder fungieren und langfristig offene Daten für Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bereitstellen.
Dabei berücksichtigen die Empfehlungen allerdings noch nicht, dass man bei der Datenverwaltung auch im deutschsprachigen Raum mindestens mit einigen Millionen Terabyte rechnen muss, die technische Infrastrukturen benötigen. Dass die Förderung möglicher Anwendungsfälle unter Vorbehalt verfügbarer Mittel gestellt wird, die im Bundeshaushalt gesperrt sind, irritiert deshalb. Unabhängig davon müsste ein Dateninstitut aber ohnehin nicht bloß als Treuhänder, sondern auch als Broker auftreten. Das bedeutet, Daten nicht nur zentral zu verwalten, sondern eine Plattform einzurichten, die Nutzer auch zum Teilen eigener Daten untereinander verwenden können. Anders ließe sich ein sekundärer Markt für Forschungsdaten, wie es Volker Meyer-Guckel in diesem Blog forderte, nicht realisieren.
Ebenfalls unklar ist, wieso erste Pilotprojekte des Dateninstitutes genauso wie auch all seine später kommenden Aufgabenfelder laut Kommission eine "politische und/oder gesellschaftliche Relevanz" aufweisen müssen.
Der erste Pilot soll sich auf die Entwicklung einer öffentlichen Plattform konzentrieren, um "klimafreundliche Mobilitätsalternativen zum eigenen PKW zu fördern". Das Ziel, Erfahrungswerte zur Aufbereitung, Verknüpfung und Bereitstellung offener Daten in Zusammenarbeit mit Kommunen zu gewinnen, ist sicherlich nobel, angesichts bereits vorhandener freier Dienste wie Google Maps allerdings fragwürdig.
Der zweite Pilot begutachtet die Entscheidungsfindung zur Umsetzung der Gaspreisbremse. Konkret geht es darum, die Effizienz der eigenen Politik evidenzbasiert zu evaluieren. Bei der Gaspreis-Soforthilfe wurde jedoch bereits nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Fakt ist, dass das Bundesbauministerium die Förderung von Sanierungsmaßnahmen für effiziente Gebäude gerade erst zurückgefahren hat und damit öffentlich auf die Nase gefallen ist. Nun auf einen mehrmonatig angesetzten Piloten des Dateninstitutes zu verweisen, zwingt den Verdacht auf, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Der dritte Pilot soll das freiwillige Datenteilen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft bei der Long-Covid-Forschung fördern. Oberflächlich bedient er am ehesten die Forderung des Generalsekretärs des Stifterverbandes, einen Sekundärmarkt für Forschungsdaten zu schaffen. Allerdings darf man sich nicht versehen, denn im Vordergrund steht lediglich die Rechtsberatung. Eine tatsächliche Umsetzung wird durch die Expertenkommission selbst als unrealistisch eingeschätzt. Die bestehenden Probleme seien zu komplex, als dass das Projekt "in der Anfangsphase des Dateninstituts realisiert werden könnte".
Obwohl sich alle Pilotprojekte für Rechtsfragen im Umgang mit offenen Daten qualifizieren, sind ihre Ziele politisch erwählt. Dabei sollte ein Dateninstitut eigentlich unabhängige Beratungsleistungen in Fragen des Datenschutzes, offener Standards sowie Zertifizierungen in Data Governance anbieten. Dadurch ließe sich die Akzeptanz der Datennutzung insgesamt fördern, die gerade in der deutschen Zivilgesellschaft nach wie vor auf Skepsis trifft. Das bräuchte keinen Experimentierkasten, sondern ein breites Angebot an Leistungen. Genau an der Stelle liegt jedoch das Problem der Empfehlung der Expertenkommission: Anstatt das fragmentierte deutsche Datenökosystem durch das neue Institut zusammenzuführen, werden transaktionale Förderlogiken bemüht, die eher das Gedankengut eines unternehmerischen Staates à la Mariana Mazzucato bedienen.
Wo ist der Blick für das,
was schon da ist?
Ein echter "Think & Do Tank", wie die Expertenkommission ihn postuliert, sollte Ressourcen bündeln. Eigentlich das kleine Einmaleins intelligenter Politikberatung. Dafür müsste man wissen, welche subsidiären Leistungen Akteure der Dateninfrastruktur bereits erbringen. Der Rat für Informationsinfrastrukturen (RfI) etwa berät Bund und Länder im Auftrag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz in Fragen der Datenverwaltung, stellt aber keine Daten bereit. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) akkreditiert die bundesweiten Forschungsdatenzentren und berichtet dem BMBF. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) vertritt als eingetragener Verein mitsamt ihrer Konsortien die Interessen dieser Zentren, die selbst sensible und offene Daten verwalten. Das Statistische Bundesamt und die Statistischen Landesämter erheben offene Daten nach Maßgabe des Bundesstatistikgesetzes auf Beschluss des Deutschen Bundestages und berichten ans Bundesinnenministerium. Sind sie auch zuständig für die methodisch-technische Qualitätssicherung offener Daten.
Die Fähigkeiten dieser Akteure werden durch die Expertenkommission zum Dateninstitut vernachlässigt. Auch die Wirtschaftsförderung spielt keinerlei Rolle. Man muss sich wundern, dass die Empfehlungen der Kommission durch Ressorts zweier Parteien abgesegnet wurden. Mehr noch, dass das BMBF trotz früherer Interessenbekundung keine Rolle im Verhandlungsprozess spielte. Die Ohren spitzen sollte man spätestens bei der Angabe der Kommission, dass mehr als drei Projekte pro Jahr nicht zu realisieren wären, wobei vor allem solche geeignet seien, die aus derselben Domäne kämen wie bereits Umgesetzte. Daraus folgt, dass sich zukünftige Anwendungen des Dateninstituts dann wohl allein an umwelt-, energie- und gesundheitspolitischen Fragen orientieren sollen. Das wäre jedoch schon aufgrund des sich aufdrängenden parteipolitischen Kalküls problematisch.
Zwar ist die Wahl der Governance noch nicht in Stein gemeißelt. Unter den derzeitigen Bedingungen wäre das BMBF aber schlecht beraten, einer interministerialen Bezuschussung zuzustimmen. Staunen müsste man, wenn es am Ende der Forschungsministerin obläge, dem Dateninstitut die scheinbare Legitimation von Wissenschaftlichkeit zu geben. In der Empfehlung heißt es, die Form des Dateninstitutes solle seinen Funktionen folgen. Wenn diese jedoch politische Ziele verfolgen, greift das auf die Form über. Politik ist Architektur und Architektur ist Politik. Diesen Satz prägte einst der Second Life-Aufsichtsrat Mitch Kapor. Der von BMWK und BMI beauftragten Kommission muss man ihn für ihre zweite Empfehlung in Erinnerung rufen.
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Caro H. (Donnerstag, 16 Februar 2023 15:01)
Mit "Umzug BioNTechs nach London" wird der Anschein erweckt, das Unternehmen zieht sich aus Deutschland zurück. Dies ist aber nicht der Fall. In England soll ein Forschungszentrum zur Krebsforschung mit ca. 70 Stellen entstehen. Der Standort in Mainz soll aber auch erheblich ausgebaut werden - war zumindest zu lesen! Eine wichtige Ergänzung, wie ich finde.
HG Döbereiner (Donnerstag, 16 Februar 2023 15:14)
Das Dateninstitut benötigt einen parteipolitisch neutralen Blick auf Daten. In der Tat vermengt die Gründungsommission aber Politik mit Wissenschaft wie der Author sehr zutreffend bemerkt. Erstaunt stellt man auch fest, dass das Dateninstitut offenbar Aufgaben des Deutschen Instituts für Normung (DIN) übernehmen soll. Es fehlt hingegen an Sorge um die infrastrukturelle Basis für einen interoperablen Datenraum und an Anschluss an internationale Datennökonomie.