Das BMBF wollte in diesem Winter seinen Vorschlag zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes präsentieren. Klappt das noch? Die SPD-Bundestagsfraktion macht jetzt Druck mit einem eigenen Positionspapier – weitreichende Forderungen inklusive.
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WANN GENAU ENDET im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) der Winter? Diese nur auf den ersten Blick unsinnig wirkende Frage besitzt für Millionen Studierende und hunderttausende Wissenschaftler zurzeit eine hohe persönliche Relevanz.
Zunächst hatte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) versichert, die im September 2022 vom Ampel-Koalitionsausschuss als "Soforthilfe" versprochene 200-Euro-Energiepauschale für Studierende und Fachschüler "Anfang Januar" auszuzahlen. Später hieß es dann: "noch in diesem Winter". Jetzt soll, wenn alles glatt geht, die bundesweite Beantragung überhaupt erst am 15. März starten.
Mit großer Spannung warten derweil wissenschaftliche Mitarbeiter ohne Dauerstelle auf einen Gesetzentwurf, der vom BMBF ebenfalls für "diesen Winter" angekündigt war. Es geht um die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, kurz "WissZeitVG". Hinter dem sperrigen Wort verbirgt sich ein besonderes Arbeitsrecht für die Wissenschaft.
Bis zu zwölf Jahre mit befristeten Arbeitsverträgen sind in der Regel möglich, solange sie offiziell der Qualifikation dienen: sechs davon bis zur Promotion und weitere sechs danach. Wissenschaftler, deren Stellen nicht aus dem normalen Hochschulhaushalt finanziert werden, sondern aus extra eingeworbenen Projektgeldern (=Drittmittel), können sogar immer weiter befristet werden.
62 versus
elf Prozent
Das hat Folgen: Rechnet man die Professoren raus, waren laut einer vom BMBF selbst beauftragten WissZeitVG-Evaluation im Jahr 2020 an den Universitäten 84 Prozent aller hauptamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet angestellt, und selbst unter den Promovierten und Habilitierten waren es noch 62 Prozent – im Vergleich zu einer Akademiker-Befristungsquote im deutschen Arbeitsmarkt von gut elf Prozent.
Einen "Skandal" nennt das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Damit sei eine erste, 2016 in Kraft getretene Novelle des Gesetzes gescheitert, weil sie die hohen Befristungsquoten kaum habe senken können. Nach einer zwischenzeitlichen Verbesserung sank der Evaluation zufolge auch die durchschnittliche Dauer von Doktoranden-Arbeitsverträgen wieder auf unter anderthalb Jahre.
Die Hochschulrektoren räumen zwar Probleme ein, pochen jedoch mehrheitlich weiter auf eine besondere Flexibilität im Wissenschaftsbetrieb – unter anderem, weil bei zu vielen Dauerstellen die nächste Wissenschaftlergeneration weniger Chancen auf Qualifizierung habe und zu wenig Bewegung der Qualität des Wissenschaftssystems schade.
So richtig Fahrt nahm die Debatte auf, seit sich vor gut zwei Jahren die Initiative "#IchbinHanna" formierte und, ausgehend von den sozialen Medien, immer mehr Wissenschaftler zum öffentlichen Protest gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft mobilisiert hat.
Der Koalitionsvertrag verspricht
"Dauerstellen für Daueraufgaben"
Eine komplexe Gemengelange also mit großen Erwartungen auf allen Seiten, in der die Ampelkoalition ihr unter dem Eindruck von "#IchbinHanna" im Koalitionsvertrag enthaltenes Versprechen einlösen muss: das WissZeitVG zu reformieren hin zu mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für Wissenschaftlerkarrieren, sogar den GEW-Slogan "Dauerstellen für Daueraufgaben" zitierten die Koalitionäre.
Um Zeit zu gewinnen, begann das BMBF erst einmal mit sogenannten "Stakeholder"-Gesprächen, in denen Verbände, Hochschulen und Gewerkschaften ihre Positionen absteckten und parallel Papiere mit Forderungen produzierten.
Inzwischen lädt das Ministerium die zuständigen Fachpolitiker der Regierungsfraktionen regelmäßig ein, um eine gemeinsame Linie zu finden. Diese "Berichterstattergespräche" verliefen "sehr konstruktiv", sagt der parlamentarische BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP), "aber es sind noch einige Punkte zu klären." Mehr will er nicht sagen. Andere berichten aus den Verhandlungsrunden, mit etwas Glück könnten bis Mitte März erste Eckpunkte stehen – doch ob die schon so konkret sind, dass sie sich unmittelbar in einen Gesetzentwurf gießen lassen?
Währenddessen tickt die Uhr. Tun sich SPD, Grüne und FDP so schwer, weil sie nicht nur von den Rektoren Gegenwind bekommen, sondern auch aus den Länder-Wissenschaftsministerien? Weil die womöglich mitten in der Ausschreibung für die nächste Exzellenzstrategie-Runde keine Unruhe in ihren Hochschulen wollen und außerdem fürchten, auf den Kosten für zusätzliche Stellen sitzen zu bleiben?
Näher an der GEW
als an der HRK
Die SPD-Fraktion erhöht jetzt den Erwartungsdruck mit einem Positionspapier, das sie am Dienstag beschließen will. Aus dem WissZeitVG solle "ein Rechtsrahmen für gute Arbeit und verlässliche Karrierewege" werden, heißt es darin. Generell bleibe ein Sonderarbeitsrecht in der Wissenschaft nötig, doch müsse es feste Mindestvertragslaufzeiten und Mindeststellenanteile für die Qualifikation geben, und eine Drittmittel-Befristung dürfe erst erlaubt sein, wenn die Höchstbefristungsdauer für Promotion und Postdoc ausgeschöpft sei. Für deren künftigen Umfang im Fraktionspapier jedoch keine konkreten Zahlen genannt werden – obwohl genau diese zu den Knackpunkten in den Berichterstattergesprächen zählen.
Eine noch größere Veränderung soll es laut SPD nach der Promotion geben: Wer danach Daueraufgaben in Lehre und Forschung übernimmt, für den soll sofort das normale Arbeitsrecht gelten. Und wer sich weiter auf den Weg zur Professur machen will, könnte dies nur noch auf einer sogenannten Tenure-Track-Stelle. Die, wenn die vereinbarten Leistungen erbracht werden, automatisch in eine Professur mündet.
Insgesamt erinnert das von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Modell deutlich stärker an die Vorstellungen der GEW, die diese im September in ihrem "Dresdner Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz" formuliert hatte, als an die Vorschläge der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – die bislang aber in den Berichterstattergesprächen eine große Rolle gespielt haben sollen.
Zwar hatten auch die Rektoren eine Mindestvertragslaufzeit (drei Jahre) für den Erstvertrag von Promovierenden vorgeschlagen und zusätzlich eine Senkung der maximalen Befristungszeit von zwölf auf zehn Jahre. Womit aber nach der Promotion weiter jahrelange Befristungen möglich wären.
SPD plädiert für das
Ende der Tarifsperre
"Mehr Zuverlässigkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs und neue Instrumente zur Förderung von Gleichstellung und Diversität" seien nötig, sagt demgegenüber die SPD-Wissenschaftsexpertin Carolin Wagner, "um auch in Zukunft die besten Köpfe im Wissenschaftssystem halten zu können. Damit dreht sie das Argument, eine zu weitreichende Reform und deutlich weniger Flexibilität bei den Befristungen könnten der Attraktivität der deutschen Wissenschaft schaden, in sein Gegenteil um.
Wobei die Sozialdemokraten alle ihre Ideen vorsorglich mit dem Disclaimer versehen, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz könne "nur die Grundlage" für bessere Arbeitsbedingungen liefern – und damit die Hauptverantwortung den für die Hochschulen zuständigen Ländern zuschieben. Mit denen gemeinsam, schreibt die SPD-Bundestagsfraktion, "wollen wir dafür eintreten, dass sich an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen Good Governance-Strukturen etablieren sowie Personalentwicklungspläne, neue Stellenprofile im Mittelbau und flexiblerer Berufungskriterien geschaffen werden."
In der drittletzten Zeile des Positionspapiers folgt dann fast schon eine wissenschaftspolitische Revolution: Die SPD will wie von der GEW gefordert die Tarifsperre in der Wissenschaft aufheben, die bisher Arbeitgeber und Gewerkschaften an der Vereinbarung eigener, vom Gesetz abweichender Regelungen hinderte. Die Tarifsperre sei schon lange nicht mehr zeitgemäß, sagt der bildungs- und forschungspolitischer Fraktionssprecher, Oliver Kaczmarek. "Die besten Arbeitsbedingungen gibt es dort, wo Tarifverträge bestehen und das muss auch in der Wissenschaft gelten."
Ob das Grüne und FDP ähnlich sehen? Die Grünen haben sich, siehe Kasten, auch bereits positioniert. Welche der Vorschläge es dann in die Eckpunkte schaffen? Die Antwort gibt es in zwei Wochen – vielleicht.
Auch die Grünen haben sich positioniert
Ein weiteres Positionspapier kommt von den Grünen. Beschlossen hat es vergangene Woche die "Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule Technologiepolitik", als Titel trägt es die Forderung: "Faire Arbeitsverträge in der Wissenschaft!".
Die Befristung nicht-promovierter Hochschulabsolventen soll demzufolge grundsätzlich nur erlaubt sein, wenn diese promovieren. Die Promotion soll als "eine einzige Qualifizierungsphase (ein Vertrag) mit einer Laufzeit von mindestens vier Jahren und grundsätzlich mindestens 50 Prozent Stundenumfang gestaltet" werden. Weniger als 50 Prozent sollen nur zulässig sein, wenn der Arbeitsvertrag zusätzlich zu einem Stipendium geschlossen wird.
Die Postdoc-Phase sei dagegen keine Qualifikationsphase, betonen die Grünen. Eine befristete Anstellung solle daher nach der Promotion nur einmalig möglich sein und müsse mit einer "verbindlichen Anschlussoption auf eine entfristete Beschäftigung" versehen werden. Wie genau die Anschlussoption ausgestaltet wird, sollen die Länder über ihre Hochschulgesetze regeln, der Bund soll seine Forschungsförderprogramme entsprechend
anpassen. "Perspektivisch" wollen die Grünen zudem, dass "attraktive Stellen für Post-Docs jenseits einer Professur unbefristet" ausgeschrieben werden. Unter "perspektivisch" verstehen sie, dass bis dahin nötige Übergangsregelungen vier Jahre dauern dürfen.
Auch Drittmittelforschungen seien "grundsätzlich Daueraufgaben", für befristet finanzierte Projekte sollten Mischfinanzierungen von Stellen aus Dritt- und Haushaltsmitteln und Drittmittelpools explizit erlaubt sein und unterstützt werden. Es solle statistisch erfasst werden, an welchen Hochschulen wie und in welchem Umfang davon Gebrauch gemacht werde. Nicht unters WissZeitVG fallen sollen laut Grünen Mitarbeitende, die überwiegend mit Aufgaben in der Lehre oder dem Wissenschaftsmanagement beschäftigt sind.
Eine Obergrenze für Befristungen im Sinne einer maximalen Befristungsdauer soll es nicht mehr geben, fordern die Grünen und wollen im Übrigen wie die SPD die Tarifsperre aufheben: "Die Tarifpartner müssen die Möglichkeit haben, selbst über konkrete Ausgestaltungen zu entscheiden." Und schließlich soll alle zwei Jahre über den Umsetzungsstand der WissZeitVG-Novelle berichtet werden.
In eigener Sache: Klinge ich wie eine kaputte Schallplatte?
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David J. Green (Freitag, 03 März 2023 14:21)
Lieber Herr Wiarda,
Gerade weil ich Ihren Blog so schätze, hoffe ich, dass ich ausnahmsweise zwei leicht kritische Anmerkungen zu diesem Artikel machen darf.
1) Dass umstritten ist, ob beim Ermitteln der Befristungsquote die Promovierenden zu berücksichtigen sind und oder nicht, ist mir bekannt: aber ich habe kein Verständnis dafür, die Profs auszurechen. Zumal Sie dann einen Vergleich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt vornehmen, ohne dort z.B. die außertariflich Beschäftigten herauszurechnen.
2) “Um Zeit zu gewinnen, begann das BMBF …”: Ich bin kein Fürsprecher der aktuellen oder der alten BMBF-Leitung: erst recht bezüglich der FhG-Affäre sowie der Untätigkeit angesichts der EFI-Berichte. Aber es gehört nun mal zu den Besonderheiten unserer Regierungsform, dass immer wieder neue Leute ohne viel Vorwarnung auf verantwortungsvollen Posten eingesetzt werden und sich erst nach Amtsantritt ein eigenes Bild auch über die dringendsten Problemen machen können, dafür ist eine Verzögerungsabsicht nicht einmal nötig: Nach meinem Verständnis aber legt Ihre Formulierung eine solche Absicht nahe, ohne diese zu begründen. Ich muss gestehen, dass ich an dieser Stelle flugs nachgeschaut habe, ob es sich wirklich um einen Beitrag von Ihnen und nicht um einen Gastbeitrag handelte.
Ansonsten aber vielen Dank für Ihre wertvollen und recht hilfreichen Artikeln! David Green
Jan-Martin Wiarda (Freitag, 03 März 2023 14:49)
Lieber Herr Green,
vielen Dank für das große – grundsätzliche – Kompliment zu meiner Arbeit und zur Kritik an diesem Text.
Zuerst zu Kritik 2: Sie haben völlig Recht, den Halbsatz hätte ich mir sparen können, weil er tatsächlich ohne weiteren Kontext unfair klingt. Was nicht meine Absicht war.
Bei Kritik 1 kann ich Ihnen hingegen nicht ganz folgen, weil ich es schon wichtig finde, beide Zahlen zu nennen und dazu die Vergleichszahl des Arbeitsmarktes – welche Schlussfolgerungen jemand daraus zieht, bleibt ihm oder ihr selbst überlassen.
Beste Grüße und gute Wünsche
Ihr Jan-Martin Wiarda