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Traut euch!

2007 forderte die HRK vergeblich, die deutschen Semesterzeiten an den internationalen Standard anzupassen. 16 Jahre später startet die SPD in Nordrhein-Westfalen einen neuen Anlauf. Es wäre eine Reform mit vielen Gewinnern.

Do it like Mannheim: Die Universität Mannheim richtete sich als erste deutsche Universität schon 2006 nach dem internationalen akademischen Kalender. Foto: Ralf ΚλενγελCC BY-NC 2.0.

ES IST 16 Jahre her, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz hieß Margit Wintermantel, da fasste die HRK einen Beschluss. Es sei "auf Dauer nicht hinnehmbar, dass die Vorlesungs- und Prüfungszeiten des deutschen Wintersemesters im Februar/März mit fast allen Frühjahr-/Sommersemesterzeiten im Ausland kollidieren", stellten die Mitgliedshochschulen im Mai 2007 fest. "Denn dies behindert die weiterhin zu fördernde internationale Mobilität der Studierenden." 

 

Daher die Forderung: Von 2010 an sollten die deutschen Vorlesungszeiten dem "in Europa und den USA vorherrschenden Muster" angepasst und verlegt werden. Mit einem Herbstsemester, dessen Kernzeit Anfang September beginnt und bis Weihnachten, spätestens aber bis Mitte/Ende Januar dauert. Und einem Frühlingssemester, in dem die Vorlesungen Anfang März starten und spätestens Ende Juni enden. Dass das auch in Deutschland funktionieren würde, bewies die Universität Mannheim, die ihre Semesterzeiten im Alleingang schon 2006 internationalisiert hatte. 

 

Dennoch war sich die HRK nur allzu bewusst, dass sie dabei war, ein dickes Brett anzubohren. Es war ja auch damals nicht ihr erster diesbezüglicher Anlauf, sondern ein Thema, das seit den 70ern immer wieder einmal aufkam. Entsprechen war in ihrem Beschluss von 2007 von "gängigen Gepflogenheiten" und "rechtlichen Vorgaben" die Rede, weshalb die Voraussetzungen für die Umsetzung des Vorschlages "nicht in jedem Fall schnell erfüllt werden könnten". So kamen die Hochschulrektoren ja überhaupt erst auf die aus damaliger Sicht großzügig angesetzte Frist von drei Jahren bis 2010. 

 

Doch ihr im damaligen Beschluss enthaltener Appell an die Länder, "sich dieser Aufgabe nicht zu verschließen", verhallte. Wieder einmal. 2023 geht Deutschland als einer von wenigen Staaten weiter unbeirrt seinen Semester-Sonderweg.

 

Das gleiche Ziel, aber
mit einer neuen Begründung

 

Umso mehr lässt die Nachricht aufhorchen, dass die SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen jetzt einen Beschlussantrag eingebracht hat, eine "Umstellung des Rhythmus von Sommer- und Wintersemester auf Frühjahr- und Herbstsemester" vorzunehmen. Mit explizitem Bezug auf die HRK-Forderung von einst. Aber, und das ist der Unterschied zu allen Initiativen zuvor, mit einer anderen primären Begründung: zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die, wie die SPD-Opposition argumentiert, ja "ein wichtiges wissenschaftspolitisches Ziel der Landesregierung" sei – die aus CDU und Grünen besteht. "Die stärkere Harmonisierung von vorlesungsfreien Zeiten und Schulferien kann dazu einen bedeutsamen Beitrag leisten."

 

In diesem Sommersemester, sagt der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bastian Hartmann, sei die familienpolitische Schieflage besonders auffällig: "Die Vorlesungen beginnen ausgerechnet am ersten Tag der Osterferien." Das führe zu Konflikten für Wissenschaftler_innen und Studierende, die schulpflichtige Kinder haben.

 

Tatsächlich läuft unter dem Hashtag "#SemesterUnvereinbar" in den sozialen Medien bereits eine Debatte zu den Vorlesungszeiten, an der sich auch Initiatoren von "#IchbinHanna" beteiligen. Ziel: die Schwierigkeiten aufzeigen, die Familien mit den gegenwärtigen Semesterzeiten haben. 

 

2007 hat an solche Probleme von den Hochschulrektoren noch keiner gedacht. Doch könnte nun ausgerechnet die familienpolitische Begründung ihrem alten Plan zum Durchbruch verhelfen. Oder zumindest zu einer ernsthaften Diskussion in der Wissenschaftspolitik. Denn "#IchbinHanna" ist zu einer mächtigen Bewegung geworden an den Hochschulen.

 

Dass, wie einst von der HRK argumentiert, von einer Verschiebung der Semesterzeiten auch und gerade die grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden und Forschenden profitieren würde, hat die SPD-Landtagsfraktion freilich mit ihrem Vorstoß ebenfalls im Blick, zusätzlich erwähnt sie einen "klimaschützenden Beitrag zur Energieeinsparung", weil dann im Januar und Februar die Hörsäle größtenteils nicht geheizt werden müssten – noch ein Argument, das 2007 noch keine Rolle in Hochschuldebatten gespielt hat, aber heute eine große Bedeutung besitzt.

 

Ein vergleichsweise kostengünstiges Signal
wissenschaftspolitischer Veränderungsbereitschaft

 

Derweil ziehen die alten Gründe für die Veränderung noch genauso: Neben der Studierendenmobilität würden zum Beispiel auch die Gastaufenthalte internationaler Forscher einfacher, Bewerbungs- und Zulassungsfristen würden nicht mehr verpasst, wissenschaftliche Kongresse im Ausland könnten leichter besucht und im Inland zu anderen Zeiten organisiert werden.

 

Im April soll es zu dem Antrag im Düsseldorfer Landtag eine Anhörung geben. Genug, um die Debatte über NRW hinaus mit neuem Leben zu füllen – getrieben nicht nur von einer Oppositionsfraktion, die nicht für die rechtliche Umsetzung verantwortlich ist? 

 

In Deutschland wird immerzu verlangt, die Wissenschaft attraktiver zu machen. Mit besseren Arbeitsbedingungen für junge Wissenschaftler. Mit Hochschulen, die international wettbewerbsfähig und kompatibel sind. Hier ist eine alte Idee, die nicht alles revolutionieren, die aber zu alldem einen Beitrag leisten könnte. Die ein so dringend nötiges Signal wissenschaftspolitischer Veränderungsbereitschaft senden und noch dazu vergleichsweise wenig kosten würde. Welch Gelegenheit für eine Reform im xten Anlauf.



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Kommentare: 15
  • #1

    na ja (Montag, 06 März 2023 10:30)

    Wenn die Semesterzeiten in D ein echtes Problem wären, im internationalen Vergleich, hätten längst mehr Universitäten in D dieselben Zeiten wie Mannheim. Über Mannheim lachen aber die meisten Kollegen in D. Mannheim selbst würde mittlerweile vermutlich sicher gerne wieder zu den in D üblichen Semesterzeiten zurückkehren, wenn das nur ohne Gesichtsverlust ginge.

  • #2

    Django (Montag, 06 März 2023 13:50)

    Jetzt wäre ich noch interessiert zu erfahren, warum genau die angeblich meisten Kollegen in D über Mannheim lachen.

  • #3

    na ja (Montag, 06 März 2023 20:15)

    @Django: na, wegen der völlig querliegenden Semesterzeiten. Das Präsidium im Mannheim könnte ja mal eine anonyme Umfrage unter dem wiss. Personal durchführen mit der simplen Ja/Nin-Frage: Sollen die Semesterzeiten wieder so sein wie an allen anderen Unis in Baden-Württemberg?

  • #4

    Arndt (Montag, 06 März 2023 20:59)

    Und über die Semesterzeiten in Deutschland lachen die meisten KollegInnen in der Welt...

  • #5

    na ja (Dienstag, 07 März 2023 00:12)

    @Arndt: ja, bestimmt.

  • #6

    Martin Lommel (Dienstag, 07 März 2023 08:05)

    Ich finde, das ist eine serh gute Initiative. Vielleicht mag sich die HRK ihres Beschlusses angesichts dieses Vorstoßes wieder erinnern... alle genannten Argumente (insbesondere Vereinbarkeit mit Care-Verantwortung UND Internationalisierung) sind auch an vielen anderen Hochschulen relevant. Und deutschlandweit einheitliche Semesterzeiten würden dann auch das Argument, die nationalen Konferenzen lägen dafür unpassend, entkräften. Vielleicht dauert es ja keine weiteren 16 Jahre, bis diese Idee flächendeckend umgesetzt wird. Höchste Zeit wäre es, gerade wenn wir landauf landab von den europäischen Universitätsverbünden und (wie oben geschrieben) der Attraktivität in der Wissenschaft sprechen.

  • #7

    na ja (Dienstag, 07 März 2023 08:12)

    das Ganze scheint mir eher ein Thema von Hochschulleitungen und Journalisten zu sein. Hauptsache, die Präsidien haben eine weitere Sau, die durchs Dorf getrieben werden kann. Ich kenne keinen einzigen Kollegen, den das interessiert, geschweige, der das für nötig halten würde.

  • #8

    aber ja (Dienstag, 07 März 2023 08:59)

    Dafür kenne ich zahlreiche Kolleg*innen, die das interessiert und die das ausdrücklich begrüßen würden. So unterschiedlich scheinen die Kreise der Kolleg*innen zu sein ...

  • #9

    Jörg Härterich (Dienstag, 07 März 2023 13:20)

    @na ja
    Auch wenn Sie persönlich vielleicht keinen einzigen Kollegen kennen, den das interessiert: 2.343 Kolleg:innen haben die Petition zu familienfreundlichen Vorlesungszeiten (www.openpetition.de/petition/online/familienfreundliche-vorlesungszeiten) unterzeichnet.
    Diese Petition hat wohl auch die NRW-SPD erst auf die Idee gebracht hat, einen Vorschlag zur Verlegung der Vorlesungszeiten einzubringen.

  • #10

    Hanna (Mittwoch, 08 März 2023 10:54)

    Die bisherigen Kommentare zeigen eindrucksvoll die Mächtigkeit des Brettes, dass einige bohren wollen.

  • #11

    na ja (Mittwoch, 08 März 2023 14:56)

    @Jörg Härterich: bei der von Ihnen genannten Petition geht es nicht um Angleichung der Semesterzeiten an internationale Semesterzeiten (was immer das genau bedeuten mag), sondern um die Harmonisierung von Vorlesungszeiten und Schulferien in NRW. Das ist ein bisschen was anderes, oder?

  • #12

    EmCe² (Donnerstag, 09 März 2023 14:34)

    In meinen Augen ein völlig wiederprüchliches Anliegen...
    In der Petition ist die Rede von: "Dass große Teile der Schulferien in den Semesterzeiten liegen, erschwert zudem unnötig die Kinderbetreuung." - genau das steht aber in großem Interesse für alle Mitarbeitenden, die eben nicht(!) in der Wissenschaft / als Prüfer etc. tätig sind. Da geht es eben um u.a. für Mitarbeitende in Technik und Verwaltung, dass - auch auch Gründen der Familienfreundlichkeit - sich völlig absichtlich Semester- und Schulferien überschneiden. Also mit welchem Argument hilft man welcher Interessengruppe einer Hochschule?!

    Um mal neben den Baustellen "international üblich" und "familien(un)freundlich" noch einen Tropfen Öl in die Diskussion zu geben, der Fakt: Angleichung der Zeiten von Unis & FHs.

    Zumindest hier in NRW ist absehbar, dass sich die Entwicklung der letzten Semester weiter fortsetzt, dass zwar noch keine gleichen Zeiten gelten, aber - wenn man dem Entwurf glaubt - die Start-Zeitpunkte der FHs weiter merklich nach hinten rutschen (WS-Start teils 28.9.) und die der Unis nach vorne (WS-Start teils sogar am 6.10.). Dauert also nicht mehr lang, dann haben wir ganz andere Diskussionen um Semesterstart / Vorlesungsstart / Semesterticketstart / Terminierung Vorkurse / etc.

    Meine Wette gilt, vor 2030 tut sich da gar nichts. ...und zwar an allen 3 Baustellen nicht - HRK-Wunsch oder Petitionen hin oder her. Wer hält dagegen?

  • #13

    Jakob Wassink (Donnerstag, 09 März 2023 16:45)

    Lieber Herr Wiarda,
    leider handelt es sich bei dem SPD-Antrag um einen allzu durchsichtigen typischen Versuch der Opposition einer Interessengruppe etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das wird an dieser Stelle leider mehr zum Problem, als ein Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Wissenschaftsbetrieb oder (internationaler) Mobilität.

    Natürlich wäre es schön, wenn die Vorlesungszeiten im internationalen Vergleich stärker harmonisiert werden würden. Aber welchen Mehrwert bringt das? Eine Mobilität ins Ausland ist insbesondere zu einem Herbst- oder Wintersemester problemlos möglich; die späteren Vorlesungszeiten in D eröffnen überdies den Rückehrern die Möglichkeit zusätzlich die ein oder andere Modulprüfung nach Rückkehr abzulegen.
    Im Antrag findet sich leider kein Hinweis auf die Fristen und Verfahren im Bereich der Hochschulzulassung. Es ist bereits jetzt schon so, dass zum Vorlesungsbeginn im Oktober die Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen und alle zugelassenen Studierenden eingeschrieben sind. Wie soll das gelingen, wenn die Hochschulen und die Stiftung für Hochschulzulassung hierfür einen Monat weniger Zeit haben? Die Mehrarbeit müsste ja dann von Mitarbeiter*innen, die vielleicht ebenfalls Careaufgaben haben, in den Sommerferien erledigt werden.
    Unerwähnt bleibt leider auch der stetig steigende Aufgabenzuwachs für Wissenschaftler*innen in der vorlesungsfreien Zeit. Wo bleibt hier der Aufruf zur Aufgabenkritik?

    Alleingänge einzelner Hochschulen oder Bundesländer sind hier schon aufgrund des Beispiels mit den Zulassungsverfahren nicht zielführend, da das akademische Jahr auch so eng getaktet ist. Alleingänge wären wegen der bundesweit einheitlichen Fristen eher mobilitätsschädigend.

    Fazit: Wenn die SPD-Fraktion in NRW jenseits aller Oppositionslyrik ein Hauch von Ernsthaftigkeit verfolgen würde, müsste es eigentlich eine bundesweite Initiative insbesondere auch der Länder mit SPD-Beteiligung in der Landesregierung oder gar einem Wissenschaftsministerium in SDP-Verantwortung geben!

  • #14

    Ingrid (Freitag, 17 März 2023 16:08)

    Ich kann aus Mannheim berichten, dass es sehr schön ist, die Prüfungen vor Weihnachten abzulegen und frei zu haben, wenn die Familie sich trifft. Gerade auch für Studierende mit Kindern ist es ein Riesenplus.

    Schön, dass NRW sich da politisch Gedanken macht. Jeder kleine Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung und besser als zu sagen, wenn es nicht auf einmal flächendeckend klappt, dann brauchen wir es gar nicht erst anzugehen.

  • #15

    Antje (Dienstag, 18 April 2023 17:29)

    Seltsamerweise stellen die internationalen Universitäten gerade auf unser System um: Diese angedachte Umstellung in NRW soll dazu dienen, die Semesterferien zu verkürzen. Ich kenne niemanden an der Uni, der dafür ist, Mannheim nachzueifern. Mehr Forschungszeit wäre wünschenswert und weniger Verwaltung, dann könnten alle Ferien machen, auch die Mitarbeiter an den Unis.