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Der weite Weg zu den 3,5 Prozent

Deutschland investiert so viel wie nie in Forschung und Entwicklung. Kann das Ampel-Ziel, bis 2025 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für F&E auszugeben, erreicht werden?

Grafik: publicdomainvectors.org, CCO.

MEHR ALS 127 MILLIARDEN EURO hat Deutschland 2021 in Forschung und Entwicklung investiert, das entsprach 3,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Bundesrepublik habe damit zum fünften Mal in Folge das in der EU-Wachstumsstrategie "Europa 2020" festgelegte 3,0-Prozent-Ziel übertroffen, berichtete das Statistische Bundesamt am Mittwoch.

 

Eine mehr als beachtliche Zahl inmitten aller – berechtigter – Debatten um die deutsche Innovationskrise von Industrie und Gesellschaft. Denn, auch das muss man immer wieder betonen, zwei Drittel der F&E-Ausgaben tätigt die Wirtschaft. Dass viele kleine Unternehmen bei den Zukunftsausgaben hinterherhinken, dass die Statistik unter Herausrechnen der Automobilindustrie ganz anders aussähe und insofern ein beträchtlicher Teil der Mittel immer noch etwa in die Weiterentwicklung konventioneller Antriebe geflossen sein dürfte, sei dahingestellt. Für Deutschlands Zukunft als Wissensnation kann einem die Meldung aus Wiesbaden in jedem Fall Mut machen.

 

Zugleich zeigt sie auf, wie weit der Weg zu dem im Ampel-Koalitionsvertrag bekräftigten Ziel ist, bis 2025 auf einen F&E-Anteil von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kommen. Schon ohne die Geldentwertung zu berücksichtigen, müsste Deutschland dafür innerhalb von vier Jahren knapp 15 Milliarden Euro zusätzlich lockermachen. Davon entfallen auf den Staat rund 4,9 Milliarden Euro. Plus Inflation dürften es rund sechs Milliarden sein.

 

Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Der Pakt für Forschung und Innovation (PFI), über den Bund und Länder die großen Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft jedes Jahr mit einem Budgetplus von drei Prozent ausstatten, wird in der Zeit bis 2025 lediglich Zusatzausgaben von knapp 900 Millionen Euro bringen. Nicht einmal ein Fünftel des nötigen Zuwachses, und schon die Weiterführung des PFI gilt unter Finanzpolitikern angesichts der enormen Belastung der öffentlichen Haushalte durch Corona, Ukrainekrieg, Energieknappheit & Co als große Leistung zugunsten der Wissenschaft.

 

Kommt es darauf an, können Staat und Gesellschaft
ihre Ausgaben schlagartig steigern

Gleichzeitig sind 2021 die F&E-Ausgaben der Hochschulen, für die größtenteils die Länder zuständig sind, wieder einmal nur unterdurchschnittlich gestiegen – mit 3,3 Prozent im Vergleich zu den gesamtstaatlichen 5,6 Prozent. Dabei müsste, weil sie den größten Brocken der öffentlichen Investitionen ausmachen, genau das Gegenteil der Fall sein.

 

Das soll nicht bedeuten, dass die 3,5 Prozent unmöglich sind. So zeigen die neuen Daten des Statistischen Bundesamtes zum Beispiel auch, dass Staat und Gesellschaft in der Lage sind, wenn es darauf ankommt, ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung schlagartig hochzufahren. Beispiel Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften: Hier sprangen die Ausgaben zwischen 2020 und 2021 um 26,8 Prozent nach oben. Ein Plus von mehr als einer Drittelmilliarde. Die Pandemie lässt grüßen.

 

Vielleicht können ja die gegenwärtigen Krisen genau jene rasante Entwicklung bei den Zukunftsausgaben freisetzen, die für das Erreichen der 3,5 Prozent jetzt nötig wären. Womit allerdings echte Forschungs- und Entwicklungsausgaben gemeint wären und nicht etwa Energie-Krisenhilfen für die Forschung, die Statistiker ebenfalls als solche verbuchen. Im Augenblick allerdings sieht es nicht danach aus.

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.


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