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Das ist der Gipfel

Eine "Verständigung über ambitionierte Bildungsziele" wurde im Koalitionsvertrag versprochen, passieren sollte das auf einem "Bildungsgipfel". Diese Woche findet er statt. Und nun?

Schauplatz für einen Bildungsaufbruch? Im bcc Berlin Congress Center am Alexanderplatz steigt am Dienstag der Bildungsgipfel. Foto: Andreas Praefcke, CC BY 3.0.

DIE DISKREPANZ könnte kaum größer sein. Im Ampel-Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP mit folgenden Worten einen Bildungsgipfel angekündigt: "Wir wollen gemeinsam darauf hinwirken, dass jedes Kind die gleiche Chance auf Entwicklung und Verwirklichung hat. Dazu werden wir einen Bildungsgipfel einberufen, auf dem sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen." 

 

Und nun das, was am Dienstag auf Einladung von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) stattfindet: ein 15-minütiger Impuls durch die Ministerin, dann ein wissenschaftlicher Vortrag über Bildungsgerechtigkeit und schließlich zwei Podiumsdiskussionen, gelabelt als "bildungspolitische Spitzengespräche", mit zwei von 16 Kultusministern, Verbandsvertretern und verschiedenen Schulakteuren. Alles in allem gut drei Stunden. 

 

Dann folgt schon die Bildungsforschungstagung, ein regelmäßig stattfindender wissenschaftlicher Fachkongress, dessen Eingemeindung in den offiziell zweitägigen Bildungsgipfel sich politisch-inhaltlich nicht ohne Weiteres erschließt. Die versprochene Rettung des Bildungsföderalismus soll also in Wirklichkeit an einem Vormittag gelingen? 

 

Entsprechend stark bemüht sich das BMBF um Erwartungsmanagement. Anders als im Koalitionsvertrag heißt es auf der Website zum Bildungsgipfel, dieser könne "als Auftakt für die Erneuerung des Aufstiegsversprechens und einer neuen Kultur der Zusammenarbeit gesehen werden".

 

Hoffentlich laufen hinter der offiziellen Agenda mehr
Verhandlungen, als von außen vorab zu erahnen ist

 

Das heißt nicht, dass die Veranstaltung ein Reinfall werden muss. Vielleicht gibt es ja auch über die zwei Tage hinweg hinter dem offiziellen Programm mehr an Verhandlungen und Absprachen, als von außen vorab zu erahnen ist. Zu wünschen wäre es. Andernfalls wäre die Bezeichnung "Bildungsgipfel" für ein solches Format nämlich ähnlich übertrieben, wie es die im Koalitionsvertrag formulierten Heilserwartungen waren, an dem er sich jetzt messen lassen muss. 

 

Ein echter Bildungsgipfel – wie vor 15 Jahren in Dresden – hätte darüber hinaus eigentlich auch der Beteiligung von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten bedurft. Ohne ihre Anwesenheit ist die Behauptung einer neuen gesamtgesellschaftlichen Priorität für Bildung erst einmal nur eine Behauptung. Zumal das Ergebnis von 2008 nicht so schlecht war, wie heute oft behauptet wird. Nur dadurch, dass Bund und Länder sich damals auf quantifzierbare Ziele einigten, konnte man ihnen später überhaupt vorwerfen, sie nicht oder nur teilweise erreicht zu haben. 

 

Beispiel Schulabbrecher: Ihr Anteil wurde bis 2015 nicht halbiert, aber von acht auf sechs Prozent gedrückt. Beispiel Kita-Betreuungsquote der Unter-Dreijährigen: Rauf gehen sollte es von 20 auf 35 Prozent, es wurden knapp 33 Prozent. Während die angestrebte Weiterbildungsquote von 50 Prozent erreicht und das Ziel, 40 Prozent der jungen Leute an die Hochschule zu bringen, mit 58 Prozent sogar weit übertroffen wurde. Allerdings blieb in beiden Fällen die soziale Ungleichheit. 

 

Sogar bei den Ausgaben für Bildung und Forschung ging es bis 2015 von 8,5 auf 9,0 Prozent der Wirtschaftsleistung rauf, womit allerdings nur ein Drittel der Lücke zu den angekündigten zehn Prozent erreicht wurde – und der relative Aufwuchs noch dazu größtenteils der Forschung zugutekam. All das hat einst der Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag des DGB ausgewertet.

 

Der Dresdner Bildungsgipfel hat das Land
geprägt. Und der Berliner Bildungsgipfel?

 

Eine gemischte Bilanz, und doch: Auf die relative Dynamik in den ersten Jahren nach Dresden folgte ab spätestens 2015 bei den meisten einst gesetzten Zielmarken Stagnation – mit der größten (positiven) Ausnahme übrigens bei der Bildungs- und Forschungsfinanzierung. Weil das Aufbruchssignal des Dresdner Gipfels verhallt war? Eine Antwort, die sicherlich zu eindimensional wäre, änderten sich doch über die Jahre die politischen und sozialen Rahmenbedingungen grundsätzlich, übrigens auch die gesellschaftliche Unterstützung von Bildungsreformen, die in der Folge des Pisa-Schocks von 2001 besonders ausgeprägt war. Und doch: Der Dresdner Bildungsgipfel hat das Land geprägt.

 

Seine Schwäche bestand umgekehrt sicherlich darin, dass er null partizipativ war und dass alle seine beachtenswerten Entscheidungen in klassischen Hinter-geschlossenen-Türen-Runden fielen, bestehend aus einer mächtigen Frau und vielen mächtigen Männern, die fast alle maximal weit weg waren von der täglichen Realität in Deutschlands Bildungseinrichtungen. 

 

Genau das will und wird die Veranstaltung am Dienstag zu Recht anders – und besser – machen. Aber was bedeutet mehr Beteiligung, wenn gleichzeitig die politische Relevanz des Bildungsgipfels sogar von vielen der Beteiligten bezweifelt wird? Fest steht: Den Überambitionen des Koalitionsvertrages jetzt mit dem genauen Gegenteil zu begegnen, wäre kein Erwartungsmanagement, sondern im schlimmsten Fall Zeitverschwendung. 

 

Ministerin Stark-Watzinger wird als ein sichtbares Gipfel-Ergebnis voraussichtlich die Einrichtung der "Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen" verkünden, die SPD, Grüne und FDP ebenfalls in ihre Ampel-Übereinkunft festgelegt hatten. Der Koalitionsvertrag beschreibt sie als eine Arbeitsgruppe, die die föderale "Zusammenarbeit strukturiert und verbessert und das Erreichen der Ziele sichert".

 

Die Gründung der neuen Arbeitsgruppe
ist noch das Einfachste

 

Die AG-Gründung an sich wird allerdings noch das Einfachste sein. Gleichzeitig sollte sich der Gipfel ein Vorbild an seinem Dresdner Vorgänger nehmen und die künftigen föderalen – und messbaren – Ziele gleich mit benennen.

 

Und so gewinnbringend ein neuartiges Forum sein kann, um einmal ganz frei von bestehenden föderalen Machtstrukturen und abseits von laufenden Bund-Länder-Verhandlungen unser Bildungssystem anders denken zu können – zu ihrer Legitimierung bräuchte die neue Arbeitsgruppe die Beteiligung aller wesentlichen Akteure und die Einigung auf eine klare Aufgabenbeschreibung, die sie von allen bestehenden bildungspolitischen Gremien abhebt. Mehr noch: Sie bräuchte auch die für ihre Erfüllung nötigen Kompetenzen.

 

Schon wieder zu große Erwartungen? Vielleicht. Aber es sind genau diese Erwartungen und Fragen, denen sich ein "Bildungsgipfel" stellen sollte.

 

Dieser Beitrag erscheint in einer kürzeren Fassung auch in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


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