Das WissZeitVG ist zurück in der "Montagehalle". Doch auch der zweite Anlauf muss in einem für alle Seiten unbefriedigenden Kompromiss enden. Es sei denn, Bund und Länder wagen jetzt den echten Paradigmenwechsel. Ein Gastbeitrag von Tobias Rosefeldt.
Tobias Rosefeldt ist Professor für klassische deutsche Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Foto: privat.
DIE EMPÖRTE REAKTION auf das Eckpunktepapier zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) zeigt Wirkung. Das BMBF will besonders die Regelung zur Befristungsdauer nach der Promotion noch einmal diskutieren und zeigt Bereitschaft, dabei nicht nur einen ein kleines bisschen weniger faulen Kompromiss zu suchen, sondern noch einmal ganz neu über das Problem nachzudenken. Das ist gut so. Es ist nämlich fragwürdig, ob sich mit den gegenwärtig im WissZeitVG genutzten Mitteln überhaupt der Konflikt zwischen den beiden folgenden gut begründeten Zielen auflösen lässt.
Das erste Ziel ist es, befristete Beschäftigung in einer – wenn auch kürzeren – Postdoc-Phase nicht ganz zu verbieten. Dieses Ziel ist legitim. Eine kurze befristete Postdoc-Phase ist international üblich. Manche frisch Promovierte brauchen sie, um sich durch Publikationen wissenschaftlich zu konsolidieren oder um auf eine freiwerdende Dauerstelle zu warten. Und die Hochschulen benötigen sie unter Umständen, um einschätzen zu können, wer die besten Kandidat:innen für eine Stelle sind, die sie langfristig besetzen. An Befristung in einer kurzen Postdoc-Phase wäre wenig auszusetzen, wenn ihre rechtliche Möglichkeit verbunden mit ökonomischem Druck und dem Wunsch der akademischen Arbeitgeber nach maximaler Flexibilität nicht zum gegenwärtigen System der Massenbefristung promovierter Wissenschaftler:innen führen würde.
Das zweite, ebenfalls legitime Ziel besteht deswegen darin, durch das WissZeitVG anders als bisher echten Druck auf Länder und Hochschulen auszuüben, Stellenstrukturen zu schaffen, die dieses unhaltbare System überwinden.
Ein sinnvoller Kompromiss allein in der
Logik des Gesetzes kann nicht gelingen
Klar ist: Mit dem bisher im WissZeitVG genutzten Mittel der Begrenzung individueller Befristungsdauer lassen sich diese beiden Ziele nicht miteinander in Einklang bringen. Wenn man, wie im jetzigen Ampel-Eckpunktepapier vorgesehen, die Befristungsdauer nach der Promotion auf drei Jahre begrenzt, schließt nichts aus, dass die Hochschulen in Zukunft einfach nach drei statt wie bisher nach sechs Jahren ihr promoviertes Personal austauschen.
Es ist zudem völlig unklar, wie ein besserer Kompromiss aussehen könnte. Verkürzt man die zulässige individuelle Befristungsdauer weiter, mag das zwar den Druck auf die Hochschulen und Länder erhöhen, an ihren Personalstrukturen zu arbeiten. Solange aber nicht garantiert ist, dass sie das wirklich tun, muss ein solcher Vorschlag noch zynischer klingen als der vorliegende. Verlängert man die Befristungsdauer, nimmt der Druck für Reformen weiter ab und es droht alles so zu bleiben, wie es ist. Es ist deswegen in der Tat an der Zeit, einen Paradigmenwechsel zu wagen.
Hier ist ein Vorschlag dazu: Befristung nach der Promotion sollte in Zukunft gar nicht mehr dadurch reglementiert werden, dass man einzelnen promovierten Wissenschaftler:innen gesetzlich vorschreibt, wie lange sie sich befristet beschäftigen lassen dürfen. Vielmehr sollte die Politik Universitäten und akademischen Forschungseinrichtungen Vorgaben dazu machen, unter welchen institutionellen Bedingungen sie promovierte Wissenschaftler:innen befristet anstellen dürfen. Konkret sollten sie es nur doch dürfen, wenn sie es im Rahmen einer nachhaltigen Personalstruktur tun. Eine Personalstruktur kann dabei nur dann als nachhaltig gelten kann, wenn der Anteil von Postdocs auf befristeten Stellen (ohne Tenure Track) einen bestimmten – sinnvollen – Prozentsatz aller mit promovierten Wissenschaftler:innen besetzten Stellen (inklusive der Professuren) nicht übersteigt.
Wieviel Befristung sollte
künftig noch zulässig sein?
Welcher Prozentsatz befristeter Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion zulässig – das heißt: sinnvoll – ist, sollte sich nach dem idealtypischen Verlauf einer wissenschaftlichen Karriere richten und danach, welche Abbruchquoten man in welchen Karrierephasen für sinnvoll hält.
Geht man etwa von der gegenwärtigen Durchschnittsdauer einer erfolgreichen akademischen Karriere nach der Promotion von etwa 35 Jahren aus und wünscht sich eine befristete Postdoc-Phase von maximal drei bis vier Jahren, würde daraus folgen, dass der Anteil von befristeten Beschäftigungsverhältnissen ohne Tenure Track im Rahmen einer nachhaltigen Stellenstruktur auf zehn Prozent zu beschränken ist. Auf das Gesamtsystem umgerechnet würden dann für alle Wissenschaftler:innen genau die richtige Menge von Stellen in den verschiedenen Karrierephasen von der Promotion bis zum Ruhestand zur Verfügung stehen.
Diese Berechnung setzt allerdings voraus, dass alle Postdocs ihre wissenschaftliche Karriere fortsetzen. Wenn man meint, dass nach Ende der Postdoc-Phase zum Beispiel bloß 50 Prozent der wissenschaftlichen Karrieren fortgesetzt werden sollten, ergäbe sich ein Prozentsatz zulässiger befristeter Beschäftigungsverhältnisse von 20 Prozent. Selbst dieser Prozentsatz läge noch deutlich unter dem derzeitigen Anteil befristeter Beschäftigung nach der Promotion.
Bei der Berechnung des zulässigen Prozentsatzes ist ferner zu berücksichtigten, ob drittmittelfinanzierte Stellen in die Berechnung aufgenommen werden oder ob im künftigen WissZeitVG die Drittmittelfinanzierung weiter als ein eigener Befristungsgrund zugelassen wird. Wenn sich die Regelung nur auf Haushaltsstellen bezieht, spricht viel dafür, den Prozentsatz bei zehn Prozent zu belassen, weil in Drittmittelprojekten ohnehin sehr viele befristete Postdoc-Stellen zur Verfügung stehen, was den Konkurrenzdruck nach Ende der Postdoc-Phase hochhält.
Eine solche Regelung würde befristete Beschäftigung nach der Promotion in sinnvollem Umfang erlauben. Sie würde aber zugleich starken Druck auf Länder und Hochschulen erzeugen, ihre Ressourcen endlich zur Schaffung von mehr Tenure-Track Professuren und Dauerstellen im Mittelbau einzusetzen.
Ohne die Länder
wird es nicht gehen
Aus Gründen der Generationsgerechtigkeit sollten diese Stellen nicht alle zugleich entstehen und besetzt werden. Dies könnte man durch Übergangsregelungen garantieren, die es erlauben, den Prozentsatz befristeter Beschäftigung an einer Hochschule über einen längeren Zeitraum schrittweise abzubauen.
Die vorgeschlagene Regelung wäre kein fauler, sondern ein echter Kompromiss. Leider lässt sie sich nicht einfach ins WissZeitVG schreiben. Das schließt die durch die Verfassung festgelegte Beschränkung der Kompetenzen des Bundes aus. Aber sie könnte Teil einer gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern sein. Der Bund könnte im WissZeitVG befristete Beschäftigung nach der Promotion weiter erlauben. Im Gegenzug könnte er mit den Ländern vereinbaren, dass sie eine prozentuale Beschränkung befristeter Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion gesetzlich festschreiben. Wenn der Bund sich an dieser Stelle nicht mit bloßen Absichtserklärungen der Länder abspeisen lässt, könnte sich auf diese Weise wirklich etwas bewegen.
Der Bund ist hier in einer guten Verhandlungsposition. Denn wenn sich die Länder weigern, bei der Reform mitzumachen, könnte man im WissZeitVG befristete Beschäftigung nach der Promotion ohne Anschlussperspektive ja immer noch ganz verbieten.
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Josef König (Mittwoch, 22 März 2023 15:44)
Natürlich muss ein Gesetz das Problem "technisch" lösen, indem es bestimmte Vorschriften und Möglichkeiten definiert. Erstaunlich finde ich aber, dass ein Professor der Philosophie das Problem rein "technisch" diskutiert, und nicht die Ziele hinter der "Technik" hinterfragt.
Ich bin zwar schon eine Zeitlang aus der Universität raus und verfolge die Diskussion eher nebenbei; vielleicht klingen deshalb meine Worte naiv und aus der Zeit gefallen, dennoch sehe ich das Manko des Problems eher im "Menschlichen" als im "Technischen".
Da sind einerseits viele vielversprechende junge Menschen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, andererseits Institutionen, die nur begrenzt dazu Stellen haben und Länder, die nicht bereit oder in der Lage sind, zusätzliche Stellen in "ausreichender Zahl", wie immer man sie definiert, zusätzlich zu schaffen. Hinzu kommt - schlimmer -noch - Verantwortliche in den Institutionen, die nicht bereit sind, mit offenen Karten zu spielen bzw. anderen reinen Wein einzuschenken, entweder, weil ihnen der Mut dazu fehlt oder weil sie ein Interesse haben, die Arbeitskraft abhängig Beschäftigter noch eine Weile - neutral ausgedrückt - zu nutzen.
Diese wiederum verharren in der Institution, weil sie eine Hoffnung hegen und pflegen, sie könnten dennoch die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, obwohl das ihnen nicht klar signalisiert wird, und versäumen damit, im vermuteten negativen Fall selbst eine rechtzeitige Entscheidung zu treffen, außerhalb der Institution die Karriere fortzusetzen.
Dass zudem die Strukturen der Wissenschaft in Deutschland solche Verhältnisse begünstigen, ist wohl jedem klar, nur hat nicht eben jeder das Interesse, diese zu ändern. Aber eine Änderung ist längst überfällig. Diese Änderung kann aber nur erfolgen über einen Kompromiss der Ziele, die nicht zuletzt auch menschliche Schwächen einhegen müssen.
Dr. Andreas Brink (Donnerstag, 23 März 2023 12:26)
„Der Bund könnte im WissZeitVG befristete Beschäftigung nach der Promotion weiter erlauben. Im Gegenzug könnte er mit den Ländern vereinbaren, dass sie eine prozentuale Beschränkung befristeter Beschäftigungsverhältnisse nach der Promotion gesetzlich festschreiben.“[Beitrag von T. Rosefeldt].
Das scheint mir der entscheidende Gedanke des Beitrags von Prof. Rosefeldt zu sein. Ich befürchte, dass die eigentliche Problematik des wissenschaftlichen Mittelbaus damit nicht behoben wird. Die befristete Beschäftigung nach der Promotion würde zeitlich runterreguliert (3- 4 Jahre), die Anzahl beschränkt und es bleibt, jedenfalls in dem Konzept nicht erkennbar, kein Platz für unbefristete Post-doc-Beschäftigungs-verhältnisse vor einer Professur.
Man sollte den Blick eher weiten. Die Stellenstruktur im Mittelbau müsste in den Mittelpunkt rücken. Sie wird durch das WissZeitVG erfasst und beeinflusst. Hier entwickeln sich ggf. prekäre Arbeitsplatz-optionen, oder aber Perspektive und Familienfreundlichkeit. Eine neue Vision von wissenschaftlicher Arbeit, die die Staatssekretärin Döring – wie ich meine zu Recht – hat durchscheinen lassen, sollte dies als unumgängliche Grundlage der Betrachtungen begreifen.
Qualifikationsstellen in der Wissenschaft dienen eben nicht nur dem eigenen wissenschaftlichen Vermögen, das dann ggf. zu höheren Aufgaben befähigt, sondern dienen dem Fortgang der Forschung und, nicht zu vergessen, der Lehre und Studierendenbetreuung. Dies sind Aufgaben für die Gesellschaft und eines öffentlichen Dienstes, die auch Auswirkungen auf zukünftige wirtschaftliche Möglichkeiten des Landes haben. Diese Aufgaben werden von Beschäftigten in Arbeitsverhältnissen erbracht.
In wie weit kann man diese Arbeitsverhältnisse befristen? Wie weit reicht eine Qualifikationsnotwendigkeit als Befristungsbegründung?
Dass Qualifikationsstellen bis zur Promotion, nach der Beschäftigte dann auch aus dem akademischen Betrieb aussteigen können und sollen, immer wieder frei werden müssen, um Nachfolgern und Nachfolgerinnen Platz zu machen, scheint offensichtlich. Aber auch hier bitte unter Bedingungen, die dem Wert der Wissenschaft entsprechen. Qualifikationsbegriff schärfen und mit ausreichenden und nicht künstlich gekürzten Vertragslaufzeiten.
Warum daneben nicht eine vernünftige Anzahl von unbefristeten Mittelbaustellen? Und zwar im Zuge des ZSL-Prozesses deutlich mehr als heute. Hier werden die zuvor genannten Dienstleistungen in Forschung und Lehre professionell erbracht. In den Hochschulen sind Sachbearbeiter- und Sekretärinnenstellen in der Regel unbefristet. Wann sollte man in der Wissenschaft eine ausreichende Qualifikation erreicht haben, um jenseits von Funktionsstellen in den Dekanaten tatsächlich wertgeschätzt und unbefristet Wissenschaft betreiben zu können? Vielleicht kann man sich auch da weiter qualifizieren.
Auch für diese Stellen könnte man Rechnungen bezgl. Lebensarbeitszeitdauern und freiwerdenden Positionen aufmachen, die einem Gesamtsystem genügen. Hier wäre die Bühne für weitergehende Bund-Länder-Vereinbarungen.
Daneben, und eben nicht vordergründig, kann es befristete post-doc-Stellen für z.B. einige Jahre für die weitere akademische Laufbahn mit sicheren tenure-track Vereinbarungen geben.