Wir brauchen endlich eine zielgerichtete Debatte, wie die Politik die Wissenschaft in Deutschland vor einer schädlichen Interpretation europäischen Rechts bewahren kann. Ein Gastbeitrag von Markus Hinsenkamp.
Markus Hinsenkamp ist Kanzler der Hochschule Bochum und Sprecher der der Kanzlerinnen und Kanzler der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften NRW. Foto: privat.
NACH DER GLÜCKLICHERWEISE erneut erfolgten Verlängerung der Übergangsfrist bei der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand bis 2024 ging ein Aufatmen durch die deutsche Hochschullandschaft. Einige Hochschulen waren auf die zusätzlichen Belastungen durch die erwartete Einführung der Umsatzsteuerpflicht gut eingestellt, andere weniger. Einig waren sich fast alle, dass die geplante Umsetzung der Umsatzbesteuerung der Wissenschaft nicht akzeptabel ist – weder aus politischen noch aus rechtlichen Gründen.
In mancher Hinsicht erlebten wir ein Déjà-vu, denn die Verlängerung der Übergangsregelung nach Paragraph 27 des Umsatzsteuergesetzes war schon im Jahr 2019 bis Ende 2022 angesetzt worden. In dieser Zeit haben sich die Hochschulen auf den Umgang mit einer Regelung vorbereitet, deren Sinnhaftigkeit sich mit zunehmender Beschäftigung nicht mehr, sondern immer weniger erschließt. Diese Sichtweise haben auch die Kultusministerinnen und Kultusminister geteilt, die sich dem Bundesfinanzministerium gegenüber so positioniert haben, dass am Ende auch dort die Dringlichkeit einer weiteren Verlängerung deutlich geworden sein muss. Dies ist sehr begrüßenswert.
Ein weiteres Déjà-vu vermeiden
Doch um ein weiteres Déjà-vu zu vermeiden, muss jetzt gehandelt werden. Eine nachhaltige und für alle Seiten tragbare Lösung ist gefordert. Die deutsche Interpretation der europarechtlichen Vorgaben stellt eine Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen dar.
Diese wird nicht nur dadurch deutlich, dass außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Universitäten und HAW sich unisono kritisch zu Wort melden – sondern auch dadurch, dass es einen anderen Weg gäbe: Unser direkter Nachbar, die Republik Österreich, hat unter Beachtung derselben europarechtlichen Vorgaben eine Lösung gefunden, die etwa Austauschbeziehungen zwischen öffentlichen Einrichtungen nur bei Betrieben gewerblicher Art der Umsatzsteuer unterwirft.
Zugestanden: Das deutsche Recht benötigt aufgrund seiner Spezifika eine maßgeschneiderte Lösung, aber diese wurde mit der bisher angedachten Umsetzung auch nicht erreicht. Im Ergebnis würden Kooperationen jeglicher Art teurer beziehungsweise weniger attraktiv. Das kann alle hochschulübergreifenden Formen der Zusammenarbeit betreffen, auch wenn sie sich im nicht-wirtschaftlichen Bereich der Hochschulen befinden.
Gerade an dieser Stelle entwickelt sich die Hochschullandschaft zunehmend weiter. So wären etwa mit Blick auf die vom Bundeskabinett beschlossene "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation", die als eine von vielen Zielvorgaben ein ganzheitliches Innovationsverständnis postuliert, zusätzliche Hürden für innovative Hochschulen kontraproduktiv. Hochschulübergreifende Kooperationen dürfen nicht durch eine Umsatzbesteuerung gehemmt werden. Es bedarf entsprechender Ausnahmeregelungen.
Die besten Ideen, nicht schlecht gemachte Gesetze
Das BMBF und die Kultusministerkonferenz haben sich für die Hochschulen eingesetzt, um eine Verlängerung der Übergangfrist zu erreichen, und dafür sind die Hochschulen dankbar. Anders als beim letzten Mal sind jetzt aber neue Initiativen gefragt, welche die notwendigen Anpassungen der geplanten deutschen Interpretation des Europarechts bringen. Vor allem aber brauchen wir zunächst eine so offene wie zielgerichtete Debatte darüber, wie genau der Charakter der notwendigen Ausnahmeregelungen aussehen sollte.
Gerade die Bundesministerin hat die aus ihrer Sicht zentrale Innovationskraft der deutschen Wissenschaft betont und will hier Fortschritte erzielen. Ein wichtiger Ansatzpunkt wäre es, gleiche Wettbewerbsbindungen in Europa zu garantieren, damit sich in Zukunft die besten Ideen durchsetzen, nicht schlecht gemachte Gesetze.
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