Die Universität Münster will nicht mehr den Namen Wilhelms II. tragen. Für eine Institution, die der Aufklärung verpflichtet ist, ist es die einzige richtige Entscheidung – und hat rein gar nichts mit Ausradierung zu tun.
Hauptgebäude der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Foto: Kevin Hackert.
DIE WESTFÄLISCHE WILHELMS-UNIVERSITÄT MÜNSTER (WWU) heißt vom 1. Oktober an nur noch "Universität Münster". 20 von 23 Senatsmitgliedern votierten für die Namensänderung, eines dagegen, zwei fehlten bei der Abstimmung. Eine klare Sache also.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte 2018 eine Initiative der Studierenden im Senat, woraufhin sich die Universität über mehrere Jahre hinweg mit ihrem Namensgeber, Kaiser Wilhelm II, beschäftigt hatte, inklusive Historiker-Arbeitsgruppe, Podiumsdiskussionen und einer Ausstellung.
Das wenig überraschende Ergebnis der historischen Auseinandersetzung kann man im kürzlich erschienen Abschlussbericht nachlesen: Wilhelm habe ein "neoabsolutistisches Herrschaftsverständnis" gehabt, das mit jeglicher Form parlamentarischer Mitbestimmung unvereinbar gewesen sei. Er sei Imperialist, Nationalist, Antisemit und Antislawist gewesen und habe in späteren Jahren mit den Nationalsozialisten angebandelt.
Denkt man darüber nach, sollte das eigentlich Überraschende daran sein, dass es überhaupt bis zum Jahr 2023 gedauert hat, bevor die Universität Münster konsequent genug war, den Namen einer solchen Person abzulegen.
Die Universität Greifswald hieß bis 2017 nach einem Mann,
der Ostjuden als "unreine Flut vom Osten her" bezeichnete
Tatsächlich aber wundert das wenig in der realen deutschen Welt, die es zum Beispiel noch 2010 ermöglichte, dass der Senat der damaligen Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald die Ablegung ihres Namens ablehnte, obwohl Historiker Arndt als Vordenker von Nationalismus und Antisemitismus einordnen, der Begriffe wie "Blutreinheit" verwendet und etwa die Ostjuden als "unreine Flut von Osten her" bezeichnete habe. Und als die Uni 2017 doch die Ablegung beschloss, gab es eine Welle – der Empörung, nicht etwa der Zustimmung in der Stadt.
An der Eberhard-Karls-Universität Tübingen wiederum ist es den Gegnern einer Umbenennung bis heute gelungen, den Namen ihrer Hochschule zu schützen, obwohl Uni-Gründer Graf Eberhard im Bart ebenfalls Antisemit gewesen sein soll und Herzog Karl absolutistischer Herrscher war.
Offenbar hilft als Argument, dass die beiden schon gut 500 bzw. 230 Jahre tot sind und eine engere Verbindung zwischen Namensgebern und Universität besteht als in Münster. Demgegenüber betont die WWU, es gebe "keine Hinweise, dass Wilhelm II. sich finanziell oder ideell um die Universität Münster so verdient gemacht hätte, dass sich eine Ehrung heute noch begründen ließe". Was leider ein bisschen so klingt, als hätte man andernfalls über seine Ansichten und seine historische Bedeutung doch hinwegsehen können.
Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus gehe
auch ohne Hitler-Straßen, sagt die Historikerin Richter
Die FAZ zitiert den Tübinger Juraprofessor Jens-Hinrich Binder mit dem Satz, man mache die Geschichte nicht besser, indem man versuche, "sie auszuradieren". Namensgeber seien immer auch von den Maßstäben ihrer Zeit geprägt, "die nicht unsere sind".
Letzteres stimmt ohne Zweifel. Ersteres dagegen geht von der impliziten Vorstellung aus, Gesellschaften, in denen öffentliche Institutionen weiter die Namen von Antidemokraten oder Rassisten aller Epochen tragen, seien Vorreiter einer kritisch-aufklärerischen Erinnerungskultur. Für diese These gibt es keinerlei Belege, für die Vermutung des Gegenteils dagegen reichlich Indizien. Die Historikerin Hedwig Richter kommentierte auf Twitter: "Wir beschäftigen uns mit dem Nationalsozialismus auch ohne Hitler-Straßen und mit Antisemitismus auch nach Abschaffung antisemitischer Wahrzeichen."
Ein reichlich zugespitztes Argument. Aber die Formel kann einfach nicht aufgehen: Wenn es nur lange genug her ist, dass jemand unsere heutigen Werte mit Füßen getreten hat, dann ist dieses Verhalten nur noch "historisch", dann drohen ihm keine Konsequenzen mehr. Nein, die Werte der Aufklärung sind universelle Werte gerade akademische Einrichtungen sind ihnen verpflichtet und sollten, auch durch ihre Namen, für sie stehen. Aufklärung ist das Gegenteil von Geschichtsvergessenheit. In jeder Beziehung.
Dieser Kommentar erschien heute in kürzerer Fassung auch im ZEIT-Newsletter Wissen3.
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Franka Listersen (Montag, 17 April 2023 09:17)
Dann werden Sie aber nicht viele historische Persönlichkeiten finden, die noch als Namensgeber taugen, von Aristoteles (Frauenbild!) angefangen. Dann numerieren wir doch einfach Universitäten, Straßen und Denkmäler durch, das ist dann die "aufklärerischste" Vorgehensweise... Es kann m.E. kein Korrektheitsfuror herrschen, sondern es geht um unzweifelhafte Extremisten, wie Adolf Hitler.
Was die WWU angeht, halte ich persönlich tatsächlich die Argumentation mit den fehlenden Meriten Wilhelms II. in der Universitätsförderung für am überzeugendsten.
Django (Montag, 17 April 2023 16:07)
Es geht nicht um einen "Korrektheitsfuror". Es geht darum, über den eklatanten Antisemitismus eines Ernst Moritz Arndt, Heinrich von Treitschke oder Martin Luther nicht mehr länger achselzuckend hinwegzugehen. In Berlin-Dahlem sind Straßen nach Kriegsschiffen benannt, die im Rahmen der sog. "Kanonenbootpolitik" des Kaiserreichs in Ostasien im Einsatz waren.
Es geht darum, ein bisschen nachzudenken, in welche Tradition man sich stellt, wenn man diese Namen beibehalten möchte.
Charlotte (Mittwoch, 19 April 2023 13:46)
Wenn man aufhört, jemanden zu ehren, ist das keine Korrektheit, sondern die Beendigung einer Inkorrektheit. Das Argument mit dem Korrektheitsfuror ist eine Hyperbel, eine rhetorische Figur, die ein Katastrophenszenario an die Wand malt. Kritik an der Massentierhaltung? Dann darf man ja gar nichts mehr essen! Kritik an sexualisierter Gewalt? Dann steht man bei jedem Flirt mit einem Bein im Gefängnis! Kritik an Rassismus? Dann darf man ja gar nichts mehr sagen! Etc.
hahadi (Mittwoch, 19 April 2023 16:00)
Die Namen von Extremisten oder Kanonenbooten sind zwar der öffentlichen geschichtlichen Beschäftigung wert, jedoch nicht erinnernswert. Der Versuch, bei der Definition von Extremisten extreme Maßstäbe anzulegen, kann nur scheitern. Um Hitler als Extremisten oder Ernst-Moritz Arndt als kruden Ideologen zu erkennen, bedarf es weder extremer Maßstäbe noch erinnerungspolitscher Haarspaltereien. Bei einem Martin Luther oder einem Graf Eberhard im Bart liegt die Sache jedoch ohne jede Haarspalterei eindeutig anders: Sie haben sich der eigenen und den Folgegenerationen als (zunächst) mutiger Reformator und bzw. als bildungsoffener Reformer eingeprägt. Ihre zeitgeistige antisemitische Mitläuferei läuft bei beiden tatsächlich nur mit, wenn auch graduell unterschiedlich. Den ersten Stein werfe also bitte, wer für sich beweisen kann, er sei noch nie irgendwo zeitgeist- oder bewusstseinsbeschränkt falsch mitgelaufen. Eine gute Lösung bei Namensehrungen sind auch aufklärende Hinweise an derselben Stelle