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Wer bewegt sich hier?

Bund und Länder streiten sich öffentlich über das Startchancen-Programm. Hinter den Kulissen aber gehen die Gespräche offenbar voran. Dafür gibt es anderswo neuen Ärger.

Illustration: Gerd Altmann / Pixabay.

TIES RABE WILL, dass das Medienspektakel endlich aufhört. "Konzeptpapiere bespricht man am besten zuerst am Verhandlungstisch", sagt Hamburgs SPD-Bildungssenator, "und anstatt sich über die Medien gegenseitig Vorhaltungen zu machen und Forderungen zu stellen, tun wir alle gut daran, direkt miteinander zu kommunizieren".  

 

Seit die BMBF-Eckpunkte zum Startchancen-Programm zur Förderung von Brennpunktschulen zuerst in einer überregionalen Tageszeitung auftauchten, bevor sie den Kultusministern der Länder vorlagen, war die Aufregung groß. "Wie ein Elefant im Porzellanladen" habe sich das BMBF verhalten, zitierte Bildung.Table den Sprecher von Sachsens Ressortchef Christian Piwarz (CDU), mit der Vorlage habe der Bund ohne Vorankündigung den gemeinsamen Verhandlungsweg verlassen. Und Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (ebenfalls CDU) sagte den Kieler Nachrichten: "Es wird wieder einmal klar: Der Bund hat keine Fachkompetenz in Sachen Bildung, sonst käme nicht so ein vermurkster Vorschlag heraus."

 

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wiederum bestritt im Interview mit T-Online, dass es überhaupt Streit mit den Ländern in Sachen "Startchancen" gebe, fügte dann aber mahnend hinzu, die Milliarden dürften nicht mit der Gießkanne verteilt werden. "Hier erwarte ich von den Ländern Bewegung. So wie Deutschland in der Bildung dasteht, kann es nicht bleiben."

 

FDP fordert von den Ländern
"konstruktiven Arbeitsmodus"

 

Was für viele ihrer Länderkollegen wieder wie der Versuch klang, sie öffentlich vorzuführen. Zumal Stark-Watzingers Parteikollegin Ria Schröder nach Veröffentlichung der mauen IGLU-Ergebnisse am Dienstag nachlegte. Wenn die Länder bei den Startchancen nicht "in einen konstruktiven Arbeitsmodus schalten, gefährden sie die Zukunft unserer Kinder", holzte die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.

 

Dabei, sagen zumindest die Kultusminister, sei Stark-Watzingers Ministerium bei der Präsentation der Eckpunkte selbst die Berechnung schuldig geblieben, wie sich die neuen Verteilungskriterien auf den Gesamtanteil der einzelnen Bundesländer am "Startchancen"-Geld auswirken würden. 

 

Das Programm soll drei Säulen haben. Erstens ein "Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und ansprechende Lernumgebung“, für das der Bund 50 Prozent der Startchancen-Mittel ansetzt; zweitens sollen die bundesweit 4.000 geförderten Schulen ein "Chancenbudget für bedarfsgerechte Lösungen" erhalten (Umfang laut Bund: 30 Prozent). Drittens sollen zusätzliche Schulsozialarbeiter finanziert werden (20 Prozent). Die Länder fordern dagegen eine gleichmäßige Aufteilung der Gelder auf die drei Säulen – also vor allem einen deutlich geringeren Anteil für die Bauinvestitionen und mehr Geld für die Sozialarbeiter.

 

Vor allem aber will der Bund das Geld teilweise anders als die Länder  verteilen, das ausgegebene Ziel: noch weniger Gießkanne, mehr Geld dahin, wo es am meisten gebraucht wird. Für Säule I schlägt er einen völlig neuen Schlüssel vor, der zu 40 Prozent den Anteil der unter 18- Jährigen mit nicht-deutscher Familiensprache, zu 40 Prozent die Armutsgefährdungsquote und zu 20 Prozent das "negative BIP" zu Grunde legt. 

 

Das Kriterium der nichtdeutschen Familiensprache gilt aber unter Experten als problematisch, weil hierzu gar keine ländergenauen Zahlen vorliegen. Das negative BIP wiederum würde die ostdeutschen Länder besserstellen, da sie im Gegensatz zu den Stadtstaaten eine niedrigere Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung haben, aber vergleichsweise wenig Einwanderer und Familien in Armut. Was genau also würde aus diesem Schlüssel für die Mittelverteilung folgen? Keiner weiß es bislang.

 

Bewegung vor und 
hinter
 den Kulissen

 

Immerhin gibt es hinter den Kulissen jetzt Bewegung. Für Mitte Juni haben die Länder dem Bund angeboten, in einer dreitägigen Klausur der bestehenden Staatssekretärs-AG die Grundlagen für die nötige Einigung zu legen, zusammen mit den in den Ministerien fürs "Startchancen-Programm" zuständigen Fachleuten. Stark-Watzinger hat zugesagt, bereits Ende Mai die fehlende Berechnung zur vorgeschlagenen Mittelverteilung nachzureichen. Und bis August, sagt Bildungssenator Rabe, der die Politik der SPD-Kultusminister koordiniert, wolle man dann die Eckpunkte zwischen Bund und Ländern ausverhandelt haben. "Das ist auch wichtig, weil die Zeit sonst zu knapp wird, um selbst 2024 noch mit allen drei Säulen zu starten." 

 

In den BMBF-Eckpunkten ist nämlich nur der Start der Sozialarbeiter-Säule schon 2024 vorgesehen und statt einer vollen Jahrestranche soll es dafür auch nur die Hälfte, 100 Millionen Euro, geben.

 

"Dem widersprechen die Länder klar", sagt Rabe. "Unsere Erwartung ist, dass das Programm zum zweiten Halbjahr komplett startet und der Bund entsprechen 500 Millionen Euro für 2024 bereitstellt."

 

Nach einer Sonder-Videoschaltkonferenz des Präsidiums der Kultusministerkonferenz am Mittwoch sagte die neue KMK-Präsidentin und Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) der Nachrichtenagentur dpa, sie werde nächste Woche mit Stark-Watzinger das weitere Vorgehen besprechen. Angesichts der Veröffentlichung der IGLU-Studie am Dienstag hatte Günther-Wünsch die erneute Verschlechterung der Lesekompetenz unter deutschen Grundschülern als "ernüchternd" bezeichnet. BMBF-Chefin Stark-Watzinger sagte, es sei "alarmierend, wenn ein Viertel unserer Viertklässlerinnen und Viertklässler beim Lesen als leistungsschwach gilt". Und sie verwies auf das Startchancen-Programm, bei dem man einen"Fokus auf Grundschulen und die Stärkung der Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legen" wolle. Bund und Länder könnten so gemeinsam für mehr Chancengerechtigkeit sorgen.

 

Derweil zeichnet sich schon der nächste Streit zwischen Bund und Ländern ab. Die damalige KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse hatte Anfang März in einem Schreiben an Stark-Watzinger für die Fortsetzung "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" plädiert, die dieses Jahr ausläuft. 500 Millionen Euro hat der Bund hierfür seit 2015 ausgegeben und damit allein seit 2020 91 Hochschul-Projekte finanziert für neue Wege in der Lehrerbildung. 

 

CDU-Ministerin Prien: "Stark-Watzinger
lehnt sich zurück"

 

Doch Stark-Watzinger lehnte ab. Das Programm komme "vereinbarungsgemäß zum Abschluss", schrieb sie Busse zurück. Es sei die "besondere Verantwortung der Länder", die mit der Qualitätsoffensive erreichte strukturelle Stärkung der Lehrerbildung zu sichern.

 

"Das ist für mich nicht nachvollziehbar", sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien. Ständig erkläre Stark-Watzinger, dass sich das Schulsystem in Deutschland ändern müsse und betone die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung. "Doch da, wo sie einen konkreten Hebel hätte, und die notwendige Innovation fördern könnte, erteilt sie den Ländern eine Absage und lehnt sich zurück. Und das in einer Zeit", fügt Prien hinzu, "in der Wissenschaftsrat und die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK voraussichtlich eine Reform der Lehrerbildung empfehlen werden, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht hatten".

 

Stark-Watzinger betont in ihrem Schreiben indes, es sei dem BMBF "gerade auch angesichts des eklatanten Lehrkräftemangels überaus wichtig, die Länder bei ihren Bemühungen zur Verbesserung der Lehrkräftebildung zu unterstützen". Sichtbarster Ausdruck hierfür seien die jetzt anlaufenden "Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung" und die dazu gehörende Vernetzungs- und Transferstelle, die bereits ihre Arbeit aufgenommen habe. "Sie werden vollständig vom BMBF getragen, obwohl dies eine Aufgabe der Länder ist."

 

Wobei es sich in Wirklichkeit gar nicht um Bundes-, sondern um EU-Mittel aus der "Aufbau- und Resilienzfazilität" handelt, mit denen der Bund die Kompetenzzentren finanziert – woraus sich auch die extrem kurze Laufzeit für die Zentren von zweieinhalb Jahren ergibt. "Das Programm ist viel zu spät gestartet. Da muss man schon sehr kreativ sein, um ein Zentrum mit einem Thema auszustatten, das sich in einem solchen Zeitrahmen sinnvoll bearbeiten lässt", sagt der Bildungsforscher Olaf Köller, der zugleich Vorsitzender der SWK ist. 

 

Ihr Haus prüfe derzeit, "welche Möglichkeiten für ein zusätzliches Engagement des Bundes bestehen", schloss Stark-Watzinger ihr Schreiben an Busse. "Ich bitte Sie deshalb noch um etwas Geduld, bevor ich mit einem Vorschlag für ein Gespräch auf Sie zukomme." Das Angebot der Länder, am 30. Juni bei einer außerordentlichen Ministerrunde in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GKW) von Bund und Ländern zu diskutieren, hat Stark-Watzinger jedenfalls aus Termingründen abgelehnt.  


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