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Holger Hanselka zum Fraunhofer-Präsidenten gewählt

Amtsinhaber Reimund Neugebauer erklärte "einvernehmlich" seinen sofortigen Rückzug. Bis zu Hanselkas Amtsantritt soll es eine Interimslösung geben.

Holger Hanselka. Foto: KIT

SEIT TAGEN HATTEN SICH die Gerüchte verdichtet, jetzt steht es offiziell fest: Der Senat der Fraunhofer-Gesellschaft hat Holger Hanselka am Donnerstagnachmittag einstimmig zum neuen Präsidenten der Forschungsgesellschaft gewählt. Und noch bemerkenswerter: Schon am heutigen Tag wird der bisherige Spitzenmann Reimund Neugebauer sein Amt niederlegen – "einvernehmlich", wie der Tagesspiegel, der zuerst über den Führungswechsel berichtete, die Fraunhofer-Gesellschaft zitierte. 

 

Hanselka solle möglichst schnell sein Amt antreten, teilte die Fraunhofer-Gesellschaft wenig später in ihrer Pressemitteilung mit, derzeit liefen dazu "Gespräche mit allen Beteiligten". Bis es soweit ist, soll Finanzvorständin Sandra Krey als Interimschefin fungieren.

 

Eigentlich lief Neugebauers – bereits abgekürzte – Amtszeit noch bis Ende September. Dass man ihm die letzten Monate nicht mehr zugesteht, ist das lange überfällige Signal zum Bruch mit dem mutmaßlichen Hauptverantwortlichen am Spesenskandal. Zu lange hatte der Senat zuvor die Forderungen zur sofortigen Ablösung Neugebauers unter anderem von Bundesforschungsministern Bettina Stark-Watzinger (FDP) ignoriert. Ein Handling des Skandals, das Fraunhofer immer tiefer in die Vertrauenskrise abrutschen ließ. Vor der für heute angesetzten Wahl hatte die Politik deshalb den öffentlichen Druck auf den Senat, jetzt unmittelbar Tatsachen zu schaffen, noch einmal erhöht. "Wir lassen uns nicht länger auf der Nase herumtanzen", sagte der Vorsitzende des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne), heute im Spiegel. 

 

Neugebauers Rückzug als doppelte
Gesichtswahrung und Voraussetzung

 

Den vermeintlich freiwilligen Rückzug kann man insofern als doppelte Gesichtswahrung deuten: vor allem für Neugebauer, aber auch für den Senat selbst. Und den Abtritt Neugebauers auch als Voraussetzung, dass Hanselka überhaupt zur Amtsübernahme bereit war. "Holger Hanselka ist für Fraunhofer die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Amt", sagt die Senatsvorsitzende Hildegard Müller im Anschluss an die Wahl. Die Fraunhofer-Gesellschaft trifft sich zurzeit in Dresden zu ihrer Mitgliederversammlung.

 

Hanselka steht seit 2013 an der Spitze des zu Helmholtz gehörenden Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Doch ist es für den 61 Jahre alten Maschinenbauingenieur zugleich eine Rückkehr: Zwischen 2011 und 2013 war er Leiter des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Zuverlässigkeit LBF, ab 2006 dann auch Mitglied des Fraunhofer-Präsidiums. Interessanterweise verließ er Fraunhofer nur ein Jahr, nachdem Neugebauer im Oktober 2012 Präsident geworden war. Kein Zufall, wie Insider bestätigen: Hanselka habe schon damals den Hut in den Ring geworfen für einen Vorstandposten bei Fraunhofer, sei dann aber von Neugebauer und seinen Netzwerken herausmanövriert worden. Was ihn jetzt wiederum zur glaubhaften Verkörperung des notwendigen Neuanfangs macht. 

 

Diese ist Hanselka aber auch in anderer Hinsicht, gilt er doch als persönlich integer und integrierend: Das aus Universität und Forschungszentrum fusionierte KIT litt bei seiner Amtsübernahme unter massiven Spannungen – und befand sich, nachdem es zuvor seinen Titel als Exzellenzuniversität eingebüßt hatte, in einem Stimmungstief. Hanselka leistete hier nach Meinung vieler Beobachter erfolgreich Wiederaufbauarbeit.

 

Verwalter? Visionär? 
Vertrauenszurückgewinner?

 

Allerdings, sagen einige Leute, die ihn kennen, sei er eher Verwalter "und kein Visionär". Was am KIT, das er 2019 erneut zum Exzellenztitel führte, viele indes anders sehen würden. Wie auch immer: Hanselkas unbestrittene Expertise in Verwaltungsfragen ist, wenn man an die dringend nötige Aufarbeitung bei Fraunhofer denkt, auf jeden Fall ein weiteres Argument für ihn. Denn je länger Neugebauer in den vergangenen Monaten mit seiner Aussitzen-Taktik Erfolg hatte und sein Führungszirkel intakt schien, desto stärker stellte sich die Frage, wie erfolgreich sein Nachfolger würde aufräumen können. Zumal es dabei um viel mehr geht als nur um den Austausch einiger Personen. Es geht um die grundlegende Neustrukturierung wichtiger Entscheidungswege und Kontrollinstanzen bei Fraunhofer. Und um das Zurückgewinnen von Vertrauen.

 

So muss sich auch der Senat trotz der heutigen positiven Entwicklungen fragen lassen, warum er Neugebauer zuvor über Monate im Amt belassen hat – und warum selbst vielen Senatsmitgliedern die seit längerem unvermeidliche Trennung von Neugebauer offensichtlich so schwer gefallen ist. Noch in der heutigen Pressemitteilung lobte Müller Neugebauer dafür, dass er als Präsident "mehr als ein Jahrzehnt den Hightech-Standort Deutschland geprägt und die Fraunhofer-Gesellschaft mit heute über 30 000 Mitarbeitenden zur weltweit führenden Institution für anwendungsorientierte Forschung ausgebaut" habe. Zur tiefen Krise, in die Neugebauer und weitere Vorstände die Gesellschaft stürzten: kein Wort.

 

Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger kommentierte auf Twitter, sie freue sich über Hanselkas Wahl. "Als hoch anerkannter Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager bringt er alles mit, um Fraunhofer erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dieser Neustart ist gut für die Fraunhofer-Gesellschaft."

 

 

Hanselka: "Fraunhofer braucht
einen Kulturwandel"

 

Hanselka äußerte sich nach seiner Wahl auf Anfrage hier im Blog. "Ich werde mich nicht zu meinem Vorgänger äußern. Das habe ich auch bislang nie getan", sagte er. "Eines sage ich aber ganz deutlich: Fraunhofer braucht einen Kulturwandel. Hin zu einer modernen Corporate Governance, einer funktionierenden Compliance und Mitarbeitern, die in die Strukturen vertrauen."

 

Wann genau er bei Fraunhofer starte, könne er noch nicht sagen. "So schnell wie möglich – ja. Aber das heißt, ich bleibe auch noch so lange am KIT, wie nötig, um dort einen guten Übergang zu gewährleisten." Auch könne und werde er "heute noch keine Strategie für die Zukunft von Fraunhofer formulieren. Ich habe mir vorgenommen, bis zu meinem Dienstantritt viele Gespräche zu führen, genau in die Gesellschaft hineinzuhorchen und den Menschen zuzuhören. Und dann zu sagen: Wo geht die Reise hin."

 

Der Neuanfang bei Fraunhofer beginnt mit einem neuen Sound.


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Kommentare: 3
  • #1

    A. Freund (Donnerstag, 25 Mai 2023 18:56)

    Die heutige Pressemitteilung der Fraunhofer Gesellschaft:

    https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2023/mai-2023/prof-dr-ing-holger-hanselka-neuer-praesident-der-fraunhofer-gesellschaft.html

    findet nur lobende Worte für den ehemaligen Präsidenten Neugebauer.

    Es ist offensichtlich, dass sie versuchen, eine Politik des "Augen zu und durch" zu betreiben. Durch ihr monatelanges Nichtstun sind die Verantwortlichen der Gesellschaft auch für den Skandal um Neugebauer mitverantwortlich. Wer wird sie zur Rechenschaft ziehen? Ich wette, niemand.

    Ich hoffe, dass der neu gewählte Präsident Hanselka auch einige der internen Ungereimtheiten, die bei Fraunhofer entstanden sind, beseitigen kann. Wir können ihm viel Kraft und Glück wünschen.

  • #2

    Wulf Meier (Freitag, 26 Mai 2023 07:11)

    Das Problem bei Fraunhofer ist ja klar nur die alleroberste Etage gewesen. Da allerdings Neugebauer nicht alleine. Von daher ist die Aufgabe mit dem Aufräumen und neue Führungskultur nicht so schwer wie nach außen hin getan wird.

    Der Neue muss jemand sein, der da aufräumen will+kann.

    Der Neue muss ferner sich sehr gut mit den relevanten Akteuren austauschen können und dann auch die Handy-Nummer der Bildungsministerin bekommen....

  • #3

    Roman Held (Samstag, 27 Mai 2023 16:57)

    Endlich! Allerdings ist Hr Neugebauer so einvernehmlich sicher nicht gegangen, wie uns Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit glaubhaft gemacht werden soll.
    Das wird sehr klar aus den Abschlussworten von Hr Neugebauer a die Mitarbeitenden vom 25.5. Dort heißt es von ihm : “ … neigt sich meine Amtszeit als Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft zum Ende...”. Das klingt nicht wirklich danach, als hätte er begriffen, das HEUTE sein letzter Tag ist! So hat es Hr. Neugebauer aber selber mit unliebsamen Personen oft gehandhabt. Insofern sollte er dieses Prozedere ja bestens selber kennen!!
    Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht, weiß aber um die hohe Qualität von Prof Hanselka und bin daher sehr zuversichtlich. Und ja, danke an Hr Hanselka, dass er sich mit voller Kraft dieser nicht leichten Aufgabe annimmt.