Intel baut in Magdeburg eine Fabrik mit zehn Milliarden Steuergeld. Während Bund und Länder um eine einzige Bildungsmilliarde pro Jahr streiten. Darf man beides gegenüberstellen? Ein Essay zum Sommertreffen der Kultusministerkonferenz.
9,9 MILLIARDEN EURO staatliche Subventionen soll der US-Konzern Intel nach übereinstimmenden Medienberichten für den Bau einer Chipfabrik in Magdeburg erhalten. Eigentlich sollte es 6,8 Millliarden geben, doch Intel machte – offenbar erfolgreich – gestiegene Kosten geltend. Dafür, verspricht Intel, wolle man inklusive der Hilfen rund 30 Milliarden investieren, in vier bis fünf Jahren soll die Produktion beginnen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) haben den Deal parteiübergreifend klargemacht.
Zehn Milliarden Steuergelder für eine Fabrik, da wurde selbst manchen Wirtschaftsexperten mulmig. In jedem Fall ist das ein Statement. Eine – nur eine! – zusätzliche Bildungsmilliarde im Bundeshaushalt von 2024 an ist ebenfalls ein Statement. Auch wenn mancher eine solche Gegenüberstellung unfair und unreflektiert finden mag, von wegen unterschiedliche Töpfe, Laufzeiten, Zuständigkeiten und so weiter.
Dabei muss man gar nicht erst mit Bildungsgerechtigkeit und solchen Dingen kommen, eigentlich sollte schon der Hinweis auf die exorbitant hohen gesamtwirtschaftlichen Renditen von Bildungsinvestitionen reichen, die jene einer Chipfabrik (bei allem Respekt vor dem Potenzial von Halbleitern) in jedem Fall bei weitem übersteigen dürften.
Den Bildungsministern in Bund und Ländern muss man die Bedeutung guter Bildung nicht erklären. Doch welche Unterstützung finden sie? Warum aber werde ich, ganz unabhängig von Magdeburg, den Eindruck nicht los, dass mancher Regierungschef und Spitzenpolitiker mehr Begeisterung empfindet und mehr Energie aufbringt für die Vergoldung der Industriepolitik als für die angemessene Ausstattung der Schulen?
Das Gefühl der großen Dringlichkeit
Mindestens 89 Organisationen und Verbände – so viele Unterzeichner hat der im März veröffentliche Appell "#NeustartBildungJetzt" inzwischen – scheinen einen ähnlichen Eindruck zu haben. Ende der Woche treffen sich die Kultusminister zu ihrer Sommersitzung und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu einem vertraulichen Kamingespräch. Im Vorfeld hat das vergrößerte Neustart-Bündnis seine Forderung an die Regierungschefs von Bund und Ländern erneuert, einen Nationalen Bildungsgipfel einzuberufen. Die Lösung der massiven Probleme im deutschen Bildungssystem duldeten keinen Aufschub mehr.
Nicht zu verwechseln ist "#NeustartBildungJetzt" mit dem nach dem IQB-Bildungstrend Anfang Juni entstandenen Papier "Bildungswende JETZT". Auch wenn sich die Unterstützerkreise und Forderungen beider Initiativen teilweise überschneiden, so gibt es doch interessante Unterschiede nicht nur in Details (die mich im Falle von "Bildungswende JETZT" zu einer Kritik veranlasst haben). Gemeinsam ist beiden Appellen das Gefühl der großen Dringlichkeit.
Letztere ist inzwischen auch bei BMBF und Kultusministerkonferenz zumindest in Hinblick auf das geplante Startchancen-Programm angekommen, weshalb die Aussichten gut stehen, dass beide Seiten diesen Freitag eine Grundsatz-Einigung bei zentralen Fragen verkünden könnten. Womit die eine zusätzliche Bildungsmilliarde ab 2024 dann bereits verfrühstückt wäre.
Was Stark-Watzinger bieten kann zurzeit
Das ist vermutlich auch ein Grund, warum besonders CDU-Bildungsminister trotz deutlicher Fortschritte zuletzt allergisch auf die Formulierung eines möglichen "Durchbruchs" in Zusammenhang mit den Startchancen-Verhandlungen reagierten: Sie fürchten angesichts des sich abzeichnenden Sparpakets auf Bundesebene um die Realisierung des aus ihrer Sicht so dringend benötigten Digitalpakts 2.0. "Ohne die Klarheit über eine Finanzierung des Digitalpakts 2.0 durch den Bund kann es keine Verständigung zum Startchancen-Paket geben", sagte etwa Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU).
Wobei die geforderte Klarheit wohl auf sich warten lassen wird: Die Digitalpakt-Finanzierung ab 2025 ist bislang nicht im Bundeshaushalt hinterlegt. Alles, was Stark-Watzinger den Ländern hier bieten kann zurzeit, ist das Versprechen, energisch für das nötige Geld zu kämpfen – und in der Zwischenzeit die "Startchancen" durchzuziehen.
Fast zeitgleich hat übrigens Israel mit Intel einen Vertrag über den Bau einer Chipfabrik unter Dach und Fach gebracht – und offenbar besser verhandelt als die Bundesrepublik: Zu den geplanten 25 Milliarden US-Dollar Investitionen steuert der israelische Staat nur 3,2 Milliarden bei.
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