Endlich fällt die Entscheidung über die Zukunft Großbritanniens
als Teil des Forschungsstandorts Europa. Ein Gastbeitrag von
Jan Wöpking und Yannick Bauer.
Willkommen zurück? Auch die Universität Oxford würde durch die Assoziierung wieder näher an Europa rücken. Foto: George Hodan, CCO.
EIN GROßER WISSENSCHAFTSPOLITISCHER KRIMI nähert sich seinem Finale. Am heutigen Dienstag verhandeln EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premier Rishi Sunak darüber, ob Großbritannien dem Forschungsflaggschiff "Horizon Europe" assoziiert wird – oder nicht.
Damit rückt auch die Beantwortung der Frage näher, ob eine der weltweit stärksten Forschungsnationen weiter zum Forschungsstandort Europa gehört. Auf dem Spiel steht eine Menge: Unter den weltweit führenden 200 Universitäten finden sich allein 28 britische, darunter Schwergewichte wie Cambridge und das University College London.
So wegweisend die Entscheidung sein wird, so abenteuerlich war der Weg zu ihr. Erinnern wir uns kurz: Referendum, 51,89 Prozent für Leave, "Get Brexit Done". Dann, am Heiligen Abend 2020, tritt Boris Johnson vor die Kameras und verkündet den Abschluss des Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU. Das Abkommen, sagte der damalige britische Premier, bedeute auch Sicherheit für die Forschung: "Because although we want the UK to be a science superpower, we also want to be a collaborative science superpower." Es schien, dass Großbritannien zwar "Erasmus+" und damit den Rahmen für innereuropäischen Studierendenaustausch verlassen, aber Forschungspartner in Horizon Europe bleiben würde. Ein Aufatmen ging durch die Wissenschaftscommunity. Zweieinhalb Jahre später muss man feststellen, dass es voreilig war.
Dabei ist der wissenschaftliche Case pro Assoziierung völlig unstrittig. Er ist in Hunderten Stellungnahmen, Artikeln, offenen Briefen und Kampagnen von quasi allen Akteuren in Wissenschaft und Wirtschaft von Athen bis Aberdeen vorgebracht worden. Mehr Einigkeit in der Sache geht nicht. Das Vereinigte Königreich ist einer unserer engsten, vertrauensvollsten und wissenschaftlich stärksten Partner. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte EU. Für ein souveränes Europa, für die Gestaltung von Klimawandel und KI, für geopolitisches "De-risking" sollten Oxford, Imperial und Edinburgh Schlüsselpartner sein. Und unsere Partner in der britischen Wissenschaft betonen ihrerseits, wie unersetzlich die Zugehörigkeit zur europäischen Forschungscommunity für sie ist. Sie tun das übrigens auch, obwohl sie dadurch riskieren, die Brexit-Linie so mancher ihrer bisherigen Regierungen in Frage zu stellen.
Es ging bei der Frage der Assoziierung lange
um vieles, nur nicht um Wissenschaft
Wenn also die inhaltlichen Argumente für die Assoziierung so klar sind, warum hat die Entscheidung dann so lange gebraucht? Die Assoziierungsfrage ist in maximal komplizierte politische Gewässer geraten, die von den Fischereiquoten bis zur Nordirland-Frage reichten. Es ging bei der Frage der Assoziierung lange um vieles, nur nicht um Wissenschaft.
Währenddessen mussten die Forscherinnen und Forscher auf beiden Seiten warten. Und je länger dieses Warten andauert, desto höher wird der Preis, den die Wissenschaft dafür zahlt. Der Studierendenaustausch zwischen Großbritannien und der EU ist rapide gesunken. Auch die gemeinsame Forschung droht inzwischen, Schaden zu nehmen. Hier bestätigt sich eine alte Erfahrung: Unsicherheit ist ein wirksames Gift für Kooperationen.
Die Gefahr, die darin liegt, zeigt der Vergleich mit der Wirtschaft. Im vergangenen Jahr zählte Großbritannien erstmals in diesem Jahrtausend nicht mehr zu den zehn wichtigsten Handelspartnern der Bundesrepublik. Dieser dramatische Fall darf sich in der Wissenschaft nicht wiederholen. Dafür brauchen wir die Assoziierung. Keine Alternative kann sie ersetzen.
Zum Glück gilt: Die Chancen für eine Assoziierung stehen gut, nur um Beträge und Kompensationen wird noch gestritten. Dass sich Großbritannien und Europa wieder angenähert haben – nicht zuletzt durch die gemeinsame Solidarität für die Ukraine – hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Assoziierung wieder in Reichweite gerückt ist. Ebenso wichtig war, dass die Forschungscommunity in ihrem Werben pro Assoziierung bis heute nicht nachgelassen hat – trotz aller Rückschläge, trotz aller Zähigkeit des Prozesses.
Wir sind in einigen Fällen sogar näher gerückt. So ist aus einem regelmäßigen Austausch zwischen der britischen Russell Group und German U15 in den vergangenen Jahren eine enge strategische Partnerschaft geworden. Auch die Bundesregierung ist engagiert geblieben. Erst Anfang Mai hat der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg, den britischen Forschungsminister George Freeman in London besucht. Aus all dem ist ein kostbares "window of opportunity" entstanden, das jetzt die Chance für Realpolitik im besten Sinne bietet. Eine Assoziierung wäre ein Gewinn für die Forschung in Großbritannien, Deutschland und Europa, wissenschaftlich genauso wie geopolitisch.
Noch ist nichts verkündet. Aber die Assoziierung scheint endlich greifbar. Hoffen wir, dass wir bald wieder noch enger mit den Forscherinnen und Forschern zusammen arbeiten können, die zu den besten der Welt gehören und die nur 28 Kilometer Ärmelkanal entfernt sind.
Jan Wöpking ist Geschäftsführer des Universitätsverbunds German U15, Yannick Bauer dort politischer Referent.
Update am 16. Juli:
Das mit Spannung erwartete Treffen der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und des britischen Premierminister, Rishi Sunak, am Rande des NATO-Gipfels in Vilnius hat am
Dienstag noch keinen Durchbruch in den Verhandlungen um die Assoziierung gebracht. Obwohl es im Vorfeld so aussah, als sei eine Einigung zum Greifen nahe, wurde der Entwurf einer Vereinbarung
über den Wiedereintritt des Vereinigten Königreichs in das EU-Forschungsrahmenprogramm von den Staats- und Regierungschefs beider Seiten nicht angenommen. Aus britischen Regierungskreisen
verlautet, dass die Gespräche fortgesetzt werden sollen und die Assoziierung weiter erste Präferenz sei. Noch scheint das Fenster für eine Einigung offen zu sein.
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Dietrich Nelle (Dienstag, 11 Juli 2023 09:04)
Wie schön, dass es hier einmal Raum für eine enorm wichtige, sehr positive Nachricht gibt, die in den allgemeinen Medien bisher weitgehend übersehen wurde, obwohl es für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland und ganz Europa einen großen Unterschied macht.
Norbert Esser (Mittwoch, 12 Juli 2023 06:51)
Halten wir aber fest, dass Maggie Thatcher die britische Forschungsförderung zusammengestrichen hat und die UK-Universitäten deshalb nach Brüssel mussten (!). Assoziation bedeutet, dass auch Großbritannien Geld in den Topf werfen muss. Vielleicht hapert es ja daran?
Jan Tobiassen (Mittwoch, 12 Juli 2023 13:49)
Horizon ist für den wissenschaftlichen Austausch natürlich wichtig und eine Fortsetzung der Kooperationen zwischen EU)-Europa und dem UK hoffentlich mit dem "window of opportunity" möglich, aber gerade die Rückkehr von Erasmus+ wäre ebenfalls wünschenswert. Die Chance für deutsche Studierende, mit diesem Programm in UK zu studieren, war n der Vergangenheit von unschätzbarem Wert. Hoffentlich lässt sich auch dies Fenster irgendwann wieder öffnen.
Harald Töpfer (Mittwoch, 12 Juli 2023 14:59)
Das Attribut Happy kann man gerne weglassen. Zunächst bedeutet es einen Erfolg für UK, das die aufwändige Zwischenfinanzierung beenden kann und seinen Forschenden wieder einen geregelten Zugang in die EU eröffnet.
BefristeteVielfalt (Freitag, 28 Juli 2023 09:13)
" Das Vereinigte Königreich ist einer unserer engsten, vertrauensvollsten und wissenschaftlich stärksten Partner."
Auch im Bereich der Forschung und Bildung ist das UK in den letzten Jahren nicht unbedingt als "vertrauensvoller" Partner anzusehen.
PS: Das Update dürfte vom 16. Juli, nicht 16. August sein.
Jan-Martin Wiarda (Samstag, 29 Juli 2023 10:16)
Vielen Dank für den Hinweis! In der Tat war es Juli, ist korrigiert.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda