Wann kommt der Masterplan Lehramtsstudium?
Jedes Bundesland geht seinen eigenen Weg, die Hochschulen stricken munter Studienmodelle – und wo bleibt die Koordination? Was für Ärzte möglich ist, sollte auch bei künftigen Lehrern
funktionieren –
erschienen im WIARDA-BLOG am 10. April 2017.
Sharon Hinchliffe: "teacher", CC BY-NC-ND 2.0
ZUGEGEBEN, AM ENDE der Verhandlungen hatte der Masterplan, der das Medizinstudium revolutionieren sollte, ein bisschen an Glanz eingebüßt. Schuld war ein ärgerlicher Streit zwischen Wissenschafts- und Gesundheitsministern über die ungesicherte Finanzierung des Großprojekts. Ärgerlich insofern, weil jede gute Idee nur so viel wert ist wie ihre Umsetzung, und die wird im Falle des "Masterplan Medizinstudium 2020" nach ersten internen Schätzungen mit rund 250 Millionen Euro jährlich zu Buche schlagen.
Trotzdem war die Begeisterung über das Erreichte, die besonders Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bei der Präsentation Ende März zur Schau trug, mehr als die Selbstinszenierung von Politikern im Vorwahlkampfmodus. Wer weiß, wie vielfältig, wie unterschiedlich und häufig genug konträr die Interessen im Gesundheitssektor sind, der kann erst so recht einzuschätzen, was es bedeutet, das Ziel und die Inhalte der gesamten Ärzteausbildung von Grund auf neu zu formulieren (die Details finden Sie hier). Aber es ist möglich.
Warum redet
keiner drüber?
Warum diese Erkenntnis so wichtig ist: Es gibt einen zweiten Sektor öffentlichen Gemeinwohls, dessen Ausbildungsgrundlagen einer dringenden und nicht weniger grundlegenden Überholung bedürfen. "Wann wird es einen Masterplan Lehramtsstudium geben?", fragte vorvergangene Woche jemand auf Twitter. Auf den ersten Blick mag man darüber schmunzeln. Und auf den zweiten fragen: Ja, wann eigentlich? Und warum redet keiner drüber? >>>
Seit 25 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der 21. Teil einer Serie. Einen Überblick über die gesamte Serie "Blick zurück" finden Sie hier.
>>> Von der zielgenaueren (Selbst-)Auswahl künftiger Lehrer über ihre Beratung vor Studienbeginn und die Orientierung in den ersten Semestern bis hin zur richtigen Verknüpfung frühzeitiger Unterrichtspraxis mit den fachlichen Inhalten, den Fachdidaktiken und der allgemeinen Pädagogik: Jedes Bundesland geht seinen eigenen Weg. Und es mangelt an mutigen Ideen, die das Lehramtsstudium endlich ins 21. Jahrhundert (vielleicht sogar gleich ins Jahr 2020?) katapultieren. Ein Jahrhundert, in dem die Vielfalt der Schüler immer weiter wächst und die soziale Zusammensetzung der Elternhäuser genauso im Wandel begriffen ist wie die Gesellschaft, deren aktive Mitgestalter die Schulabgänger werden wollen.
Es ist schon ein frappierender Gegensatz: Während Bildungsstandards für eine stärkere Vergleichbarkeit des im Unterricht Gelernten sorgen sollen, und zwar über ganz Deutschland hinweg, während landauf, landab über die zentrale Bedeutung des Lehrerberufs für die Zukunft unseres Landes schwadroniert wird, listet der "Monitor Lehrerbildung" nach eigenen Angaben „mehr als 8000 relevante Daten und Fakten“ auf, um das Lehramtsstudium in Deutschland auch nur halbwegs erfassen zu können.
Wie viele weitere Daten wären wohl nötig, um auch die zweite Phase der Lehrerbildung (Referendariat) und danach die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte deutschlandweit beschreiben zu können?
Zu wenig, zu zerfasert,
zu allgemein
Worauf sich die Kultusminister in den vergangenen 15 Jahren geeinigt haben, sind elf mit so genannten "Standards" gekoppelte Kernkompetenzen für die Bildungswissenschaften, deren Verbindlichkeitsgrad schon aus den Formulierungen deutlich wird. Beispiel Kompetenz 1: "Lehrerinnen und Lehrer planen Unterricht unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und Entwicklungsprozesse fach- und sachgerecht und führen ihn sachlich und fachlich korrekt durch." Oder Kompetenz 10: "Lehrerinnen und Lehrer verstehen ihren Beruf als ständige Lernaufgabe."
Auf die einzelnen Fächer heruntergebrochen gibt es die "ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung", aber die stammen schon von 2008. Darüber hinaus existiert lediglich eine Reihe kurzer Empfehlungen zur Inklusion oder zur "Eignungsabklärung" von Studienanfängern.
Bei den Vorgaben zum Referendariat (Vorbereitungsdienst) und dem Staatsexamen wird es noch dünner, die diesbezüglichen "Ländergemeinsamen Anforderungen" sind inklusive Titelblatt gerade mal vier Seiten lang, und in Bezug auf die Fort- und Weiterbildung findet sich auf der Website der Kultusministerkonferenz (KMK) nur ein Link zu den zuständigen Landesinstituten.
Zu wenig, zu zerfasert, zu allgemein: So lassen sich die bisherigen Anstrengungen der Kultusminister zusammenfassen, die Lehrerbildung, diese ewige, aber nie richtig umgegrabene Reformbaustelle, strategisch abzustimmen und auf die Zukunft auszurichten. Und selbst das Bisschen, was sie machen, wird mitunter von den Hochschulen konterkarriert, die sich dank ihrer (an sich sinnvollen) Autonomie jeweils ganz eigene Versionen des Lehramtsstudiums stricken können.
Groß denken
lohnt sich
Immerhin: Angestoßen ausgerechnet von der eigentlich gar nicht zuständigen Bundesregierung, fördern Bund und Länder in der zeitlich befristeten "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" neue Studienmodelle. Ertrag: offen. Und sonst? Müssen Studenten, Lehrer und Schulen sich also hilflos seufzend dem Schicksal beugen, das der Föderalismus ihnen zugedacht hat? Werden die Kultusminister auch künftig entschuldigend mit den Händen ringen, wann immer die Rede auf die immer noch ausstehende grundsätzliche Reform des Lehramtsstudiums kommt?
Der "Masterplan Medizinstudium 2020" sagt: Nein. Groß denken lohnt sich. Die Entgegnung, dass sich dafür nicht nur die Wissenschafts-, sondern auch die Schulminister aus allen 16 Ländern einig werden müssten, überzeugt nicht wirklich. Denn auch wenn beim Masterplan am Ende vor allem über den Streit berichtet wurde, gehört zur Bilanz, dass sich über die inhaltliche Neuausrichtung des Medizinstudiums nicht nur 16 Wissenschaftsminister und 16 Gesundheitsminister, sondern sogar Bund und Länder einig geworden sind. Und beim Lehramt hat der Bund noch nicht einmal etwas zu sagen.
Ein Masterplan Lehramtsstudium wäre mehr als ein Zusammenfassen verstreuter Einzelempfehlungen. Er wäre mehr als das Sammeln zukunftweisender Ideen aus Pädagogik und Bildungsforschung als Reaktion auf Inklusion, Digitalisierung und die Etablierung neuer Schulformen. Ein Masterplan Lehramtsstudium wäre ein Symbol, ein Signal der Bildungspolitik: Wir wollen nicht nur immer ein besseres Lehramtsstudium. Wir gehen es an. Und zwar gemeinsam.
siehe auch:
Gastbeitrag: "Nehmen wir die Medizin als Ansporn!"
Das Lehramtsstudium braucht auch einen Masterplan, fordert Manfred Prenzel. (04. Mai 2017) >>>
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