Stützen die Länder sich in der Bildungsfinanzierung immer stärker auf den Bund? Bleibt an ihren klebrigen Händen jede Menge Bundesgeld hängen, während sie ihre eigenen Taschen dicht halten? Inmitten der föderalen Debatte um Startchancen, Digitalpakt & Co zeigt der Blick in den Bildungsfinanzbericht: Die Realität sieht anders aus.
So viele Milliarden Euro geben Bund, Länder und Gemeinden pro Jahr für Bildung aus.
Grafik: Bundesfinanzbericht des Statistischen Bundesamts.
JEDES JAHR im Dezember veröffentlicht das Statistische Bundesamt den Bildungsfinanzbericht, er ist Teil des sogenannten Bildungsmonitorings von Bund und Ländern, die ihn auch gemeinsam in Auftrag geben und finanzieren. Die aktuelle Ausgabe ist zwar schon acht Monate alt, doch im Moment lohnt sich der Blick in die 145 Seiten wieder einmal besonders.
Das hat in dem Fall nichts zu tun mit der Vielzahl spannender Detailinformationen und Statistiken von den Gehältern im Bildungsbereich (bei den Lehrern im internationalen Vergleich mit am höchsten) über die öffentlichen Mittel für Jugendarbeit (mit insgesamt rund drei Milliarden Euro jährlich erstaunlich niedrig) bis hin zu den Ausgaben der einzelnen Länder für ihre Schulen und Hochschulen.
Was die Lektüre in diesen Sommermonaten so aufschlussreich macht, ist der Hintergrund einer teils hitzigen Debatte über die künftige Bildungsfinanzierung durch die Bundesregierung. Man könnte, wenn man der vor allem aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gestreuten Kommunikation folgt, zu der Ansicht kommen, dass die Länder mit ihren klebrigen Fingern immer mehr Bildungs-Transferzahlungen vom Bund verlangen und im gleichen Zug die eigene finanzielle (Kern-)Verantwortung für die Bildung vernachlässigen.
Passend dazu verwies Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (ebenfalls FDP) erst neulich auf den Beschluss des Bundeskabinetts, "dass künftig bei neuen Maßnahmen, bei denen der Bund die Länder unterstützt, der Finanzierungsanteil des Bundes maximal 50 Prozent betragen darf". Ihr Statement fiel im Rahmen eines Schlagabtauschs mit den Kultusministern um das im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Digitalpakt-Nachfolgeprogramm, vor dessen Totalausfall die Länder immer lauter warnen. Doch Stark-Watzinger spielte die Klebrige-Hände-Karte: Sie erwarte von den Ländern, "dass sie die gleiche Kraftanstrengung auf sich nehmen" wie der Bund bei der Finanzierung des Digitalpakts 2.0.
Wie großzügig ist
der Bund wirklich?
Apropos Anstrengung: Lindner und Stark-Watzinger lassen keine Chance aus, die Großzügigkeit des Bundes zu betonen, der künftig jedes Jahr eine zusätzliche Bildungsmilliarde zu geben bereit sei (wobei es im ersten Jahr, 2024, womöglich nur eine halbe wird). Sie soll die Bundesfinanzierung des Startchancen-Programms für benachteiligte Schüler und Schulen werden, wobei die Länder, siehe oben, natürlich wieder mindestens 50 Prozent drauflegen sollen. Geht der Bund also bis ans Äußerste? Haben die Länder in den vergangenen Jahren gar den Bogen überspannt, indem sie immer mehr Finanzierungsaufgaben in der Bildung abgewälzt haben – so dass es jetzt langsam mal Zeit zum Gegensteuern ist?
Nun zu den aufschlussreichen Zahlen des Bildungsfinanzberichts. Darin findet sich auf Seite 31eine Übersicht über die Entwicklung der öffentlichen Bildungsausgaben seit 2010 aufgeteilt nach Bund, Ländern und Gemeinden. Betrugen sie insgesamt 2010 noch gut 106 Milliarden Euro, stiegen sie bis 2021 (Ist) auf mehr als 169 Milliarden Euro an. So weit, so gut. Hat der Bund nun einen überdurchschnittlich hohen Anteil an diesem Wachstum zu verantworten, hat er es gar getrieben?
Die klare Antwort: nein. 2010 finanzierte er 7,3 Prozent der öffentlichen Bildungsausgaben, 2016 stieg sein Anteil auf 10,0 Prozent, fiel zwischenzeitlich auf unter sieben Prozent, erreichte in der Corona-Zeit mit all seinen Sonderprogrammen ein erneutes Zwischenhoch von 8,7 Prozent – und sank 2021 wieder auf 7,0 Prozent. Also sogar unter das Niveau von 2010. Und 2022 sollte der Bundesanteil den Haushaltsplanungen zufolge sogar weiter zurückgehen: auf 6,3 Prozent.
Bei der Transparenz haben
die Länder Nachholbedarf
Währenddessen belief sich der Finanzierungsanteil der Länder im Jahr 2010 auf 70,6 Prozent, ging bis 2016 auf 68,3 Prozent zurück und stieg bis 2021 wieder leicht auf 68,5 Prozent. 2022 sollten es 68,9 Prozent werden. Die Länder haben sich also finanziell durchgehend verlässlicher engagiert als der Bund, und sie haben im Vergleich zu 2010 ihre Ausgaben relativ gesehen stabiler gehalten. Absolut gesehen haben sie Bildungsfinanzierung zudem deutlich stärker gesteigert als der Bund: Die 116,0 Milliarden (Ist) von 2021 entsprachen einer Steigerung um 64 Prozent gegenüber 2010, während die 11,9 Milliarden des Bundes einen Zuwachs um 53 Prozent bedeuteten.
Wenn die Länder also in Sachen Bildungsfinanzierung besonders klebrige Hände entwickelt haben sollten, während ihre eigenen Taschen geschlossen blieben, konnte an diesen Händen zumindest nicht exorbitant viel mehr Geld vom Bund hängen bleiben. Das heißt übrigens nicht, dass die Länder das Geld des Bundes nicht dem Zweck entsprechend und transparent ausgeben müssen und dass es hier einen teilweise großen Nachholbedarf gibt. Allerdings wäre es eine Legende zu behaupten, dass der Bund jeden Euro nachvollziehbar weitsichtig oder rechnungshoftauglich investiert und deshalb automatisch als Überwacher der Länder geeignet wäre.
Klar ist in jedem Fall: Der Bund ist in den vergangenen zehn Jahren nicht an sein Äußerstes gegangen in Sachen Bildungsfinanzierung, es hat keine grundsätzliche Verschiebung zwischen Bund und Ländern gegeben, und wenn überhaupt, dann liefert der Bundesfinanzbericht Anhaltspunkte dafür, dass der Bund deutlich mehr als zur Zeit tun müsste, um sein finanzielles Engagement in der Bildung auch nur auf dem Niveau des vergangenen Jahrzehnts zu halten.
Die Kommunen sind die einzigen,
die ihren Anteil gesteigert haben
Bleibt eine Frage: Wenn im Vergleich zu 2010 sowohl Bund als auch Länder ihren Anteil an der Bildungsfinanzierung nicht gehalten haben, wer hat dann für die Kompensation gesorgt? Auch hier schafft der Bundesfinanzbericht Klarheit: Es waren die Gemeinden und Zweckverbände. Sie waren die einzige Ebene des Staates, die fast kontinuierlich von Jahr zu Jahr ihren Anteil an der Bildungsfinanzierung gesteigert hat. Von 22,0 Prozent 2010 bis rauf auf 24,5 Prozent 2021. 2022 sollten es dann sogar 24,8 Prozent werden. In absoluten Zahlen: Die 41,4 Milliarden Ausgaben 2021 lagen um satte 77 Prozent über 2010, was zweifelsohne zu einem guten Stück mit dem (immer noch unzureichenden) Kita-Ausbau zu tun hat. Hat die Öffentlichkeit es wahrgenommen und gewürdigt?
Vielleicht ist es ein Zufall, dass gleichzeitig die Kommunen 2022 den mit Abstand stärksten Anstieg der Verschuldung hatten: um 5,1 Prozent auf absolut gesehen allerdings immer noch vergleichsweise niedrige 140,8 Milliarden Euro. Kein Zufall ist es freilich, dass es die Kommunen sind, die regelmäßig eine stärkere Beteiligung an föderalen Bildungsentscheidungen einfordern – dann aber regelmäßig ausgebremst werden, vor allem von den Ländern, während der Bund sie gern als Verbündete hätte.
Ein letzter Blick in den Bildungsfinanzbericht schafft nun die nötige Gesamteinordnung des bildungspolitischen Commitments von Bund und Ländern. Und da zeigt sich Ernüchterndes. Im Vergleich zu 2010 gaben beide 2021 nicht mehr, sondern sogar etwas weniger von ihrem Geld für Bildung aus (Bund: unter 5 Prozent, Länder: 34,7 Prozent). Einen deutlich höheren Anteil an ihren Haushalten vermeldeten nur – und jetzt wenig überraschend – die Kommunen. Insgesamt aber gilt: Das Reden von der politischen Priorität für Bildung ist zumindest langfristig betrachtet dann leider doch nur Reden.
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