Deutschland befindet sich in einer Innovationskrise. Doch BMBF-Chefin Stark-Watzinger leistete sich drei Monate lang eine kopflose Innovationsabteilung. Liefert sie jetzt endlich die versprochene "inhaltliche und personelle Neuaufstellung"?
Gibt es heute Neuigkeiten? Berliner Dienstsitz des BMBF. Foto: Fridolin freudenfett, CC BY-SA 4.0.
VOR EIN PAAR TAGEN ERST war es der neue Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka, der hier im Blog warnte: In wesentlichen Zukunftstechnologien von der Künstlichen Intelligenz über die Robotik bis zur Energiespeicherung befänden sich "sämtliche Schlüsselspieler außerhalb von Deutschland und, in den meisten Fällen, Europas".
Deutschlands Technologierückstand wird größer, die Innovationskrise drückt das Wachstumspotenzial der Wirtschaft. Die einzige Lösung: mehr angewandte Forschung, mehr Innovation. Und die Zeit drängt. Umso irritierender ist, dass die Führung der diesbezüglichen Schlüsselabteilung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit bald drei Monaten unbesetzt ist. Wer im BMBF-Organigramm unter Abteilung 5, "Forschung für technologische Souveränität und Innovationen" nachschaut, fand dort noch am Montagmorgen die Buchstaben "N.N.", verbunden mit dem Hinweis auf eine kommissarische Leitung.
Noch mehr zum Augenreiben ist, dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger die bisherige Abteilungsleiterin, die Informatikerin Ina Schieferdecker, Anfang Juni von einem Tag auf den anderen abberufen hatte, ohne eine Nachfolge in der Hinterhand zu haben. In einem an alle BMBF-Mitarbeiter verschickten Schreiben teilte Stark-Watzinger mit, dass sie die Absicht habe, "die Abteilung inhaltlich und personell neu aufzustellen", verbunden mit einem eigenartig vagen Hinweis auf das "zweite Jahr der Zeitenwende".
Was nach strategischer Weitsicht klingen sollte, wirkte in Kommunikation und Umsetzung so erratisch, dass Stark-Watzinger durch ihren Verzicht auf einen geordneten Übergang nicht nur eine Rufschädigung der als untadelig geltenden Schieferdecker in Kauf nahm. Zusätzlich brachte sie neue Unruhe in ein Ministerium, das sich nach reichlich Ruckelei gerade an die neue FDP-Hausleitung zu gewöhnen schien.
Aktionismus im BMBF
Als Stark-Watzinger im Dezember 2022 zwei andere Abteilungsleiter-Posten neu besetzte, standen die Nachfolger immerhin schon fest. Wenn auch Überraschung verursachte, dass Stefan Müller zum Leiter der Nachhaltigkeitsforschungs-Abteilung ernannt wurde, zu dem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion in Hessen, wo Stark-Watzinger Partei-Landesvorsitzende ist und dieses Jahr gewählt wird. Müllers Landtagsthemen bis dahin: Innenpolitik, Sport und Verwaltungsreform.
Manche vermuteten, für die Wissenschaftlerin Schierdecker werde zeitnah der nächste Parteifreund Stark-Watzingers folgen. Doch deutet die fortdauernde Vakanz darauf hin, dass bei der Abberufung vor zwölf Wochen in der BMBF-Chefetage weniger Planung im Vordergrund stand als Aktionismus. Und der wachsende Frust einer Ministerin, die sich in der deutschen Erneuerungskrise als Innovatorin inszenieren wollte, während sich zentrale Ministeriumsprojekte wie die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) immer weiter verzögerten.
Anstatt durch strategisch-konzeptionelle Akzente aufzufallen, hatte Stark-Watzinger im ersten Jahr ihrer Amtszeit mit Vorwürfen zu kämpfen, sie wolle im Gegenzug für die DATI-Ausgaben bei den Geistes- und Sozialwissenschaften einsparen. Und dann waren da schräge Statements wie ihre später deutlich relativierte Prognose, in gut zehn Jahren werde es das erste deutsche Fusionskraftwerk geben, was nicht nur bei Fusionsexperten Kopfschütteln auslöste.
Immerhin: Zuletzt zeigt Stark-Watzinger sich tatsächlich geschickter darin, Akzente zu setzen in öffentlichen Debatten zu neuen Züchtungstechniken, zu grünem Wasserstoff oder zur KI. Und den Start von zwei DATI-Pilotmodulen konnte sie auch verkünden.
Neuigkeiten bei der Personalversammlung?
Doch wo bleibt die versprochene Neuausrichtung der Abteilung 5? Wo bleibt die neue Person, die diese verkörpern soll? Deren Namen ebenso wenig bekannt ist wie der Zeitpunkt, zu dem sie endlich einsteigt. Weiß zumindest die Ministerin die Antworten?
Wenn ja, so behält sie dieses Wissen weiter für sich und spielt kommunikativ auf Zeit. Man könne "zu einzelnen Personalien aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben" machen, hieß es zunächst aus der BMBF-Pressestelle. Erst auf Nachfrage teilte eine Sprecherin dann mit: "Die Nachbesetzung ist derzeit in Vorbereitung und soll in Kürze erfolgen."
Unterdessen hat die Ministerin für diesen Montagmorgen zu einer hybriden Personalversammlung eingeladen, Überschrift "BMBF direkt: Ausblick 23". Zum Ende der parlamentarischen Sommerpause soll es um einen "Blick auf unsere Arbeitsschwerpunkte in der zweiten Jahreshälfte sowie im nächsten Jahr" gehen. Es wäre verwunderlich, wenn dann nicht endlich auch die Zukunft der Zukunftsabteilung 5 zur Sprache käme.
Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Nachtrag am 21. August, 15.30 Uhr:
Das gesamte BMBF-Führungsteam war am Montagmorgen mit dabei in Bonn, als Bettina Stark-Watzinger das Wort ergriff. Ein starker Auftritt sei das gewesen, sagen Anwesende – doch Neuigkeiten zur Zukunft der Abteilung 5 hatte die Ministerin nicht dabei. Stattdessen bediente sie sich verschiedener Baumetaphern, sprach vom "Richtfest" dieser Legislaturperiode, das man jetzt feiern könne mit vielen Projekten, die sich nach der Grundsteinlegung nun der Fertigstellung näherten. Als nächstes stehe dann die Einweihungsparty an, sagte die Ministerin mit Blick auf die verbleibende Zeit bis zur nächsten Wahl.
Die Stichworte, die sie nannte, waren die bekannten, viele davon mit Innovationsbezug: SPRIND, DATI, Innovationsregionen, Transferbrücken. Außerdem die Bildungsmilliarde, die Stark-Watzinger inzwischen nur noch als "Startchancen"-Milliarde bezeichnet, und der Digitalpakt 2.0, der ihr sehr wichtig sei, wie sie betonte. Außerdem kündigte sie ein Programm zu "Sozialen Innovationen" an und verwies auf ihren heute erschienenen FAZ-Beitrag, in der sie, siehe China, strategisches Denken in Sicherheitsfragen auch in der Wissenschaft als zwingend darstellt.
Anschließend ging es zum Hoffest am Bonner Dienstsitz, ein launiger Abschluss des als "BMBF direkt" angekündigten Ausblicks. Doch die Leerstelle im Ministerium bleibt.
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A. Freund (Dienstag, 22 August 2023 00:08)
Dies zeigt, dass die Kompetenz der Ministerin zunehmend in Frage gestellt werden muss.
Ist ihr die Parteizugehörigkeit einer Person wichtiger als ihre Fähigkeiten? Oder ist es wichtiger, die Öffentlichkeit zu blenden und fragwürdige Interviews zu geben oder Statements auf X (Twitter) zu schreiben, als objektiv zu handeln?
Es ist nicht nötig, hier alle Misserfolge und Peinlichkeiten während ihrer bisherigen Amtszeit aufzuzählen: Herr Wiarda hat uns hier in seinem Blog immer wieder über die traurigen Geschehnisse informiert.
Wir können hoffen, dass vielleicht auch diese Ministerin bald abgelöst wird und das BMBF, das ja ein Schlüsselministerium für die Zukunft des Landes ist, wieder effizient, objektiv und zielgerecht geführt wird. Wir können auch hoffen, dass alle vakanten Stellen mit Personen besetzt werden, die über die notwendigen intellektuellen, wissenschaftlichen, pädagogischen und ethischen Fähigkeiten verfügen, die ihr Amt von ihnen verlangt. Parteibuch hin oder her.