Was Stimmen aus Bund und Ländern zu den Startchancen-Eckpunkten sagen.
DIE EINLADUNG zur Pressekonferenz kam knapp eine Stunde, bevor es losgehen sollte. Was einen Eindruck davon gab, wie hinter den Kulissen bis zuletzt gerungen wurde. So hatten zwölf der 16 Länder erst am Morgen das Ergebnis der Startchancen-Verhandlungsgruppe erfahren, die aus vier Landes-Staatssekretär:innen und deren BMBF-Kollegin bestand.
Wer die Einladung genau las, fand dort denn auch keinen Hinweis auf eine Einigung aller 16 Bundesländer mit dem Bund, sondern nur die Aussage, dass die gemeinsame Verhandlungsgruppe aus BMBF und Ländern sich nach intensiven Verhandlungen über das Startchancen-Programm auf entscheidende Eckpunkte geeinigt habe. Und den Nachsatz: "Auf dieser Grundlage werden in den nächsten Wochen die letzten Details ausgestaltet."
War das denn nun der Durchbruch oder nicht? Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die am Nachmittag als erstes im BMBF-Pressezentrum das Wort ergriff, gab sich in jedem Fall hoch erfreut. "Wir haben lange verhandelt, wir haben an unserem Ambitionen immer festgehalten und gemeinsam um die besten Lösungen für die Kinder in unserem Land gerungen", sagte sie. "Ich bin überzeugt, das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn in diesem Programm liegt sehr viel Potenzial zu einem leistungsfähigen Bildungswesen und dazu, dass der Bildungserfolg nicht mehr so stark von der sozialen Herkunft abhängt." Sie freue sich jetzt auf die konkrete Vorbereitung und Umsetzung des Startchancen-Programms.
Deutlich zurückhaltender klang das Wording von Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), die zurzeit auch als Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) amtiert, deren Verwaltung jedoch nicht zur "4+1"-Verhandlungsgruppe gehörte: Sie freue sich sehr, dass es der KMK-Verhandlungsgruppe in den entscheidenden Punkten gelungen sei, "weitestgehend zu einer Einigung zu kommen". Und Günther-Wünsch fügte hinzu: "Wir sind jetzt an dem Punkt, wo es um die Ausgestaltung des Programms geht, daran zu arbeiten, wie die Details aussehen werden." Was angesichts der Detailtiefe des 13-Seiten-Eckpunktepapiers inklusive Entwurf einer Positivliste doch eine auffällige Formulierung ist. Die Ausarbeitung müsse bis Ende des Jahres gelingen, betonte die KMK-Präsidentin und fügte hinzu: Die Länder seien sich einig, "dass wir auch beim Digitalpakt 2.0 endlich einen Durchbruch brauchen. Der Bund darf die Länder bei der zentralen Aufgabe der Digitalisierung der Schulen nicht allein lassen."
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der die SPD-geführten Bildungsministerien koordiniert und dessen Behörde mitverhandelt hat, setzte den Akzent anders. "Dass wir noch Details klären müssen, ist völlig richtig, aber ich bin da sehr zuversichtlich", sagte er. Für ihn sei die Eckpunkte-Einigung das Zeichen: "Bund und Länder kriegen was hin zusammen". In der parallel von seiner Behörde versendeten Pressemitteilung stand in der Überschrift dann auch in optimistischer Interpretation der Sachlage: "Bund und Länder verständigen sich auf Eckpunkte für das neue Startchancenprogramm". Das Programm sei ein wichtiger Schritt, weil es erstmals schulische Fördermaßnahmen auf sozial benachteiligte Kinder konzentriere. "Das macht Mut für eine gelingende Zusammenarbeit von Bund und Ländern."
Sein CDU-Pendant, Hessens Kultusminister Alexander Lorz, sagte, natürlich müsse die Einigung jetzt noch kleingearbeitet werden, doch sei man substantiell vorangekommen, ein "Durchbruch" sei erreicht. Er wies darauf hin, dass zwölf Ministerien erst heute Morgen von der grundsätzlichen Einigung erfahren hätten (auch Hessen war an den Verhandlungen nicht direkt beteiligt). "Nachdem wir aber die grundsätzliche Verständigung haben, wird uns auch das Kleinarbeiten gelingen." Lorz betonte zudem, dass es kein Junktim zwischen Digitalpakt und Startchancen-Programm gebe, aber es müsse jetzt auch für den Digitalpakt unbedingt eine Fortsetzung gefunden werden.
Geführt wurden die Verhandlungen auf Länderseite von den Staatssekretärinnen und Staatssekretären aus Hamburg, Rheinland-Pfalz (SPD-Seite), Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (CDU-Seite). Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, die als derzeit profilierteste CDU-Bildungspolitikerin gilt, sagte, sie freue sich darüber, "dass wir mit Hilfe Schleswig-Holsteins wesentliche Verhandlungsschritte gehen konnten und nun eine konkrete Bund-Länder-Vereinbarung verhandelt werden kann". Es sei ein gutes Signal, dass Bund und Länder handlungsfähig seien und zu guten Ergebnissen kommen könnten. "Mit dem Startchancenprogramm von Bund und Ländern werden wir das bundesweit anerkannte Perspektivschulprogramm in Schleswig-Holstein weiter ausbauen können." Ziel sei es, zum Schuljahr 2024/25 mit der Umsetzung beginnen zu können, "dafür muss die Vereinbarung bis zum Jahresende stehen." Damit die Länder aber am Ende einer Bund-Länder-Vereinbarung zustimmen können, betonte Prien, müsse der Bund "eine verbindliche Zusage für den Digitalpakt 2.0 machen".
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Gyde Jensen, stellte bei ihrem Kommentar die große Zahl in den Vordergrund: 20 Milliarden Euro würden Bund und Länder über die nächsten zehn Jahre gemeinsam in die Bildungs- und Startchancen von Kindern investieren. "Mit diesem Verhandlungsergebnis der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lösen wir Freie Demokraten ein zentrales Versprechen ein, mit dem wir in diese Koalition eingetreten sind."
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, sagte: "Für uns ist es essentiell, dass wir bei der Förderung weg von der Gießkanne kommen und zielgerichtet dort helfen, wo die Not am größten ist." Die Abkehr vom sogenannten Königsteiner-Schlüssel sei "ein echter Durchbruch bei den Bund-Länder-Beziehungen". Dass sich die Länder und der Bund nun auf einen anderen Verteilmechanismus und erste Eckpunkte hätten verständigen können, sei daher in doppelter Hinsicht eine gute Nachricht.
Nina Stahr, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sprach vom "größten je da gewesenen Pakt zwischen Bund und Ländern, um die Bildungsgerechtigkeit in diesem Land gemeinsam zu verbessern". Der besondere Fokus des Programms auf Grundschulen sei ein wichtiger bündnisgrüner Verhandlungserfolg, denn angesichts abnehmender Basiskompetenzen bei Grundschulkindern müsse genau hier angesetzt werden. Dass zumindest in der Invesitionssäule "die Abkehr vom dysfunktionalen Königsteiner Schlüssel und der Einstieg in eine evidenzbasierte Mittelverteilung gelungen ist, ist wegweisend – auch für künftige Bund-Länder-Projekte".
Grundsätzlich begrüßt wurde die Eckpunkte-Einigung auch von der CDU/CSU-Opposition im Bundestag. Deren bildungspolitischer Sprecher Thomas Jarzombek sagte, sei sei gut, dass Schulen in sozialen Brennpunkten mit Investitionen in multiprofessionelle Teams und bedarfsgerechte Lösungen unterstützt würden. "Das Programm kommt jedoch zu spät, es erreicht nur zehn Prozent der Schulen und setzt die falschen Schwerpunkte." Wenig Verständnis habe er für den Fokus von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger auf bauliche Maßnahmen. "Ich befürchte, dass ein Großteil der Gelder für langwierige Baumaßnahmen gar nicht erst abfließen wird. Damit ist keinem Kind geholfen."
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