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Die 200-Euro-Blaupause

Staatliche Energiehilfe für Studierende und Fachschüler: Die Umsetzung war von Verzögerungen und Kontroversen begleitet, die Online-Antragsplattform wurde dann aber zu einem erfolgreichen Stück Verwaltungsmodernisierung. Was passiert jetzt mit den Restmillionen, wenn nächste Woche die Antragsfrist endet?

Screenshot der Antrags-Website "Einmalzahlung200.de".

WER HÄTTE GEDACHT, dass aus der 200-Euro-Einmalzahlung am Ende noch eine Erfolgsgeschichte werden würde. "Schnell und unbürokratisch" solle die Energiehilfe an Studierende und Fachschüler ausgezahlt werden, hatte der Ampel-Koalitionsschuss Anfang September 2022 beschlossen, doch dann folgten ein wochenlanger Streit zwischen Bund und Ländern über die Modalitäten, gegenseitige Vorwürfe und eine monatelange Hängepartie. Zwischenzeitlich drohten die Landeswissenschaftsminister gar, den Vermittlungsausschuss anzurufen, erst kurz vor Weihnachten verzichten sie darauf. Die 200 Euro sahen zu dem Zeitpunkt ziemlich langsam aus.

 

Währenddessen hatte das Digitalministerium von Sachsen-Anhalt bereits begonnen, im Auftrag des Bundes die nötige Online-Plattform umzusetzen. Und auch wenn es bis zum bundesweiten Antragsstart am 15. März noch reichlich Ärger und Kritik gab: Danach wurde es schnell still. Denn die Plattform lief. Und wie. Innerhalb von sechs Tagen wurde die 1-Million-Marke bei den bewilligten Anträgen erreicht. Meist dauerte die rein digitale Antragstellung kürzer als eine halbe Stunde. Und in vielen Fällen vergingen zwischen Antrag und Bewilligung nur wenige Minuten. 

 

Am 2. Oktober ist nun Schluss, die Antragsfrist abgelaufen. Bis zum Dienstagmorgen waren gut 2,791 Millionen Anträge bewilligt und 558 Millionen Euro ausgezahlt. Das entspricht rund 79,7 Prozent der ursprünglich avisierten 3,5 Millionen Antragsberechtigten, wobei die bundesweite Zahl der Fachschüler geschätzt werden musste und sich offenbar als gut 50.000 höher herausstellte. Das wiederum würde die tatsächliche Quote der Antragsteller auf etwa 78,5 Prozent absenken. 

 

Die Sache mit
der "BundID"

 

Natürlich klappte nicht alles reibungslos. So brach am 15. März nach wenigen Stunden die Antrags-Website der "BundID" zusammen – die allerdings in der Verantwortung des Bundesinnenministeriums liegt und nicht in der des BMBF. Die eigentliche Antrags-Plattform lief dagegen fast durchgehend rund. Überhaupt die Sache mit der BundID: Vor allem Studierendenverbände kritisierten, dass man sich für die Beantragung der 200 Euro in den meisten Fällen zunächst diesen – bis dato wenig erfolgreiche – Identitätsnachweis besorgen musste. Um das System zu pushen? Allerdings ging die BundID-Beantragung in den meisten Fällen in weniger als einer Viertelstunde. 

 

Ohne die vielen Irrungen und Wirrungen auf dem Weg zu vergessen: In der Gesamtschau ist dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von Bettina Stark-Watzinger unter kräftiger Mithilfe ihrer FDP-Kollegin Lydia Maria Hüskens, Digitalministerin von Sachsen-Anhalt, ein bislang seltener Erfolg in der bundesdeutschen Verwaltungs-Digitalisierung gelungen (eine Erklärung der Funktionsweise finden Sie hier). Und das inmitten einer von Bund und Ländern an vielen Stellen verstolperten Umsetzung des Online-Zugangsgesetz (OZG), demzufolge schon bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen auch elektronisch anzubieten waren.

 

Eine Blaupause für
weitere OZG-Leistungen

 

Nicht nur ist mit der Plattform "Einmalzahlung200" eine Blaupause für weitere staatliche OZG-Leistungen entstanden, bei denen möglichst einfach die Berechtigung nachgewiesen werden und die Bewilligung weitgehend automatisiert ablaufen soll. Auch kann die Technik jederzeit reaktiviert werden, falls, aus welchen Gründen auch immer, wieder einmal eine Nothilfe erforderlich wird. 

 

Derweil kritisierte die CDU-CSU-Opposition in einer parlamentarischen Anfrage, das vor einem Jahr von der Ampel gegebene Versprechen, dass alle Studierenden und Fachschüler eine Einmalzahlung erhalten würde, werde "aller Voraussicht nach gebrochen werden".

 

Kann man das so sagen, weil, siehe oben, gut 20 Prozent der Berechtigten keinen Antrag gestellt haben? Dies würde ja implizieren, dass sie es getan hätten – aber nicht von der Möglichkeit wussten oder die Beantragung für sie eine zu große Hürde war.

 

Warum 80 Prozent
Antragsquote viel ist

 

Plausibel erscheint das freilich kaum. So zeigt der Vergleich mit anderen staatlichen Leistungen, dass knapp 80 Prozent (oder, je nach Zahl der tatsächlich Antragsberechtigten, gut 78 Prozent) in Wirklichkeit eine sehr hohe Quote sind. Laut Deutschen Jugendinstitut (DJI) erreichte das Arbeitslosengeld II nur zwischen 44 und 63 Prozent der Berechtigten, die Grundsicherung im Alter laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sogar nur rund 40 Prozent.

 

Denkbar ist, dass es einen bestimmten Anteil Studierender gibt, denen es gut genug geht, um nicht dringend auf die 200 Euro angewiesen zu ein. Weswegen sie die Antragstellung nicht ernstgenommen oder aufgeschoben haben, bis es zu spät war. Einige weitere haben sich womöglich sogar bewusst gegen einen Antrag entschieden, weil sie bereits berufstätig sind und als Angestellte bereits staatliche Hilfen erhalten haben. 

 

Darauf deutet hin, dass ausgerechnet in Thüringen, wie der MDR berichtete, bis August 31,7 Prozent der Studierenden noch kein Geld angefordert hatten. Ausgerechnet Thüringen, weil dort die bundesweit operierende IU Internationalen Hochschule mit ihren rund 100.000 Studierenden ansässig ist, die zu einem Großteil in Online- und Fernstudiengänge eingeschrieben sind, oft nebenher zu ihrem Hauptjob. Von allen IU-Studierenden hatten bis August rekordverdächtige 62 Prozent noch kein Geld beantragt. 

 

Bleibt die Frage: Was passiert jetzt mit dem nicht ausgegebenen Geld? 700 Millionen Euro hatte die Ampel für die Energiepauschale eingeplant, etwa 140 Millionen dürften übrigbleiben. 

 

Studierendenwerk: Auch den Rest des
Geldes für junge Menschen einsetzen

 

Kurz vor Ablauf der Antragsfrist meldet sich nun die Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Beate Schücking, zu Wort: Das Geld müsse unbedingt im System bleiben, weiter Studierenden und Fachschülern zugute kommen und konkret dafür eingesetzt werden, " jene Gruppen von Studierenden mittelbar oder unmittelbar zu unterstützen, die durch die multiplen Krisen unserer Zeit in materieller oder immaterieller Not sind. Dafür ist das Geld gedacht, dafür sollte es auch eingesetzt werden – und nicht zurück in den allgemeinen Haushalt fließen." Schücking fügte hinzu: "Das schulden wir den jungen Menschen."

 

Sie denke vor allem an die vielen Studierenden, die sich wegen psychischer Probleme und Krisen an die psychosozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke wendeten und wegen der immens hohen Nachfrage oft sehr lange auf einen Termin warten müssten. "Ein Teil unseres akademischen Nachwuchses steckt in einer Mental-Health-Krise. Schon mit einem niedrigen zweistelligen Millionen-Betrag könnten die Studierendenwerke ihre psychosoziale Beratung über die kommenden Jahre ausbauen und diesen Studierenden helfen." Die dann noch verbleibenden Mittel sollten grundsätzlich materielle Härten abfedern und für Studierende in finanzieller Notlage bereitstehen. "Wir wissen aus der 22. Sozialerhebung, dass 37 Prozent der Studierenden weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung haben, das BAföG aber nur elf Prozent der Studierenden erreicht."

 

Bislang haben BMBF und Bundesfinanzministerium keine Angaben zur weiteren Verwendung der Restgelder gemacht.



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