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Abschied von der Akzeptanzwelt

#MeToo in der Wissenschaft? Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen wird in Deutschland meist totgeschwiegen. Das müssen wir ändern. Ein Gastbeitrag von Rena K. Nieswind*.

*Der Name der Autorin wurde geändert. Bild: chenspec / Pixabay.

EINE ABENDLICHE INSTITUTSFEIER irgendwo in Deutschland: Ein Arbeitsgruppenleiter, der perspektivisch auf eine Juniorprofessur berufen werden soll, bändelt mit einer Doktorandin der Gruppe an. Im Nachgang vermittelt sie ihm, dass sie keine nähere Beziehung zu ihm haben möchte. Einige Mitglieder der Gruppe, darunter diese beiden, nehmen wenig später an einer Konferenz im Ausland teil, wofür eine Unterkunft in einem "Bed & Breakfast" gebucht wurde. An einem der Abende, die Doktorandin schläft bereits in ihrem Zimmer, klopft der Arbeitsgruppenleiter im volltrunkenen Zustand an ihre Tür und fordert sie zu sexuellen Handlungen auf. Die Doktorandin ist paralysiert und lässt den sexuellen Übergriff über sich ergehen. Danach vertraut sie sich der Gleichstellungsbeauftragten der Universität an, die Mitglieder der Hochschulleitung kontaktiert und um Unterstützung und Aufklärung bittet. In der Folge passiert: nichts. Weil die Betroffene irgendwie doch selber schuld ist?

 

Machtmissbrauch, systematische Benachteiligung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen machen seit einiger Zeit verstärkt Schlagzeilen. Viel ist dabei von Vorfällen in der Politik, in den Medien oder der Wirtschaft die Rede – und kaum einmal von den Zuständen an Universitäten im In- und Ausland. Und wenn, dann handelt es sich um abstoßende Einzelfälle. Die noch dazu oft nur geahndet werden, wenn der mediale Druck doch einmal zu groß wird.

 

Manchmal schwappt etwas von der Debatte über strukturelle Diskriminierung "über den Teich", aber das wird meist schnell abgetan, das sei halt in den USA so, während es hierzulande "anders zugehe". Leben die Mitglieder deutscher Universitäten, Hochschulen und anderer Wissenschaftsinstitutionen tatsächlich in einer weitgehend geschützten Blase, umgeben von gegenseitiger Wertschätzung und respektvollem Umgang miteinander? 

 

Diskriminierung auf allen Ebenen 

des akademischen Betriebs

 

Leider nein, wohl eher in einer aus karrierepolitischen Gründen schweigenden Akzeptanzwelt. Erschreckende Vorfälle gibt es auch in Deutschland auf allen Ebenen des akademischen Betriebs, die Erfahrungen reichen von der Studentin bis zur Professorin – wobei der Anteil an Frauen durch die Qualifizierungsstufen signifikant absinkt, bis auf dem Level der Professur eine deutliche Unterrepräsentanz an Frauen erreicht ist. 

 

Der Anteil an Professorinnen liegt aktuell bei etwa einem Drittel, und das trotz zahlreicher Bemühungen der vergangenen Jahre, hier Veränderungen herbeizuführen. Professorinnen sind im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen besonders stark von strukturellen Defiziten, etwa einer fehlenden Unterstützung durch Personal- und Beschwerdemanagement-Systeme, betroffen und werden im Bedarfsfall oft allein gelassen.

 

Wie die Professorin, die ein Forschungsprojekt in einem Verbund betreut, in dem der Frauenanteil kleiner als 20 Prozent ist, und beabsichtigt, die wissenschaftlichen Ergebnisse in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Sie benennt alle an der Studie beteiligten Wissenschaftler*innen und sendet den Entwurf an die Koautor*innen zur finalen Überarbeitung. Daraufhin erhält sie eine Rückmeldung von einem männlichen Koautor, der sie auffordert, den Institutsdirektor (männlich) auf die Veröffentlichung mit aufzunehmen. Ihre Argumentation, dass dieser nicht zur wissenschaftlichen Arbeit beigetragen habe, wird ignoriert und auf die Mitnutzung von Infrastruktur des kooperierenden Instituts hingewiesen. Die kaum verhohlene Drohung: Diese Mitnutzung lässt sich jederzeit beenden.

 

Da ist die Juniorprofessorin, die im Rahmen ihrer befristeten Professur schwanger wird und Angst hat, es dem Lehrstuhlinhaber/Institutsleiter mitzuteilen; die Professorin, die in männlich dominierten Gremien keine Stimme erhält oder nicht ernst genommen wird. Oder die vielfach belegte Tatsache, dass Berufungszusagen oder Leistungszulagen im Falle von Professorinnen bei gleicher Leistung geringer ausfallen als bei ihren männlichen Kollegen. Und das sind nur einige Beispiele für die strukturelle Diskriminierung von Frauen im deutschen Wissenschaftssystem. 

 

Nur wenige haben den Mut, 

sich aufzulehnen

 

Hinzu kommen verbale Attacken: "Frau" sei nicht so leistungsfähig, weil sie sich neben dem harten Job einer Professur noch auf die Familie konzentrieren müsse; warum "sie" sich das überhaupt antue und nicht ihrem Mann die Finanzierung der Familie überlasse, wenn sie durch eine Schwangerschaft bzw. bereits vorhandene Kinder forschungstechnisch eh nicht mehr auf internationalem Niveau mithalten könne. Äußerungen, die fast jeder Professorin irgendwann einmal begegnen. Diskriminierungen aus religiösen, kulturellen oder sprachlichen Gründen gibt es noch obenauf.

 

Nur wenige haben den Mut, sich dagegen aufzulehnen, solche Situationen bekannt zu machen oder auch nur, sich jemandem anzuvertrauen. Denn immer noch verhindern Abhängigkeiten in Qualifikations- oder Berufungsverfahren oder bei der Ressourcenzuteilung die ehrliche und transparente Auseinandersetzung mit diesen Themen. 

 

Sicher: Die jüngste Initiative der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, mit einer gemeinsamen Selbstverpflichtungserklärung gegen Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vorzugehen, ist löblich. Es stellt sich allerdings die Frage, was genau wo und wie umgesetzt wird – wenn doch die Strukturen für ein adäquates Meldewesen, für ein entsprechend organisiertes Beschwerdeverfahrensmanagement und die dafür nötigen Kontrollsysteme gegenwärtig weitgehend fehlen und ihre Etablierung auch dadurch behindert wird, dass solche Ämter und Tätigkeiten an Hochschulen leider oft unprofessionell begleitet werden – erst recht in einer weitgehend nach ständischen Regeln funktionierenden Organisation wie der deutschen Wissenschaft.

 

Das Warten auf die Entfristung oder die Berufung auf eine Lebenszeitprofessur, die Integration in bestehende Netzwerke, die Begutachtungen von Veröffentlichungen jeglicher Art oder von Projektanträgen durch (vorwiegend) männliche Kollegen, die Etablierung und Aufrechterhaltung von notwendigen Kooperationen: Das sind nur einige der wesentlichen Umstände, die über Erfolg und Status im akademischen System entscheiden und viele Frauen zum Schweigen bringen. 

 

Sie verzichten lieber auf eine als vermeintlich konfrontativ empfundene Vorgehensweise zur Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen, um – das ist das größte Paradox – genau diese nicht zu gefährden. Wie lange noch?



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Kommentare: 6
  • #1

    Realität (Dienstag, 24 Oktober 2023 12:30)

    Das ist leider die bittere Realität an deutschen Hochschulen. Professor*innen halten zusammen, wenn es um sexuelle Belästigung und sexuelle Nötigung geht. Ombudsstellen werden mit Kandidat*innen besetzt, bei denen man sich sicher sein kann, dass sie Vorfälle unter den Teppich kehren, oder generell nicht durchsetzungsfähig sind. Personalräte schauen weg. Rektorate wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Frauen dürfen mitspielen, wenn sie sich wie Männer verhalten, ansonsten werden sie belästigt oder kaltgestellt. Es ist schauderhaft.

  • #2

    Money makes the world go round (Mittwoch, 25 Oktober 2023 01:36)

    Auch wenn Frau versucht, das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen zu fordern, wird sie systematisch verkohlt. Frau kann hinterher herausfinden, dass Frau weniger verdient, trotz eines deutlichen Mehr an relevanter Erfahrung.
    Macht Frau den Mund auf, wird sie kaltgestellt, wie oben so schön gezeigt.
    Wieviel Frauen arbeiten in Führungspositionen in MINT an dt. Unis? Zu wenige. Keine Rollenvorbilder, keine Nachfolgerinnen.
    Aktueller Artikel aus Nature: https://www.nature.com/articles/d41586-023-03251-8
    Die deutsche Wissenschaft ist ein Verein, der von alten, weissen Männern dominiert werden will, die nicht teilen können. Die ihre Inkompetenz verstecken, indem sie Minderheiten niedermachen. Ansonsten müssten sie irgendwann mit Machtverlust und Gesichtsverlust rechnen. Durchweg mangelt es an gutem Management.
    Aber die Männer von morgen sind die Väter der Töchter von übermorgen. Wollen diese, dass die eigene Tochter in der kaputten Wissenschaft arbeitet?

  • #3

    Heinz G. Fehrenbach (Netzwerk MaWi) (Mittwoch, 25 Oktober 2023 11:15)

    Leider beschränkt sich diese unerträgliche Situation nicht auf das akademische System Deutschlands, wie u.a. die Berichte des EU Konsortiums UniSAFE deutlich machen (https://zenodo.org/records/7540229#.Y8493nbMJPb).
    Die gute Nachricht jedoch ist, daß das Thema Machtmissbrauch in der Wissenschaft mehr und mehr in die Öffentlichkeit getragen wird, insbesondere durch Betroffene, wie die Autorin dieses leider mehr als treffenden Gastbeitrages oder der kürzlich ins Leben gerufenen Initiative #metoohistory (https://www.hsozkult.de/podcast). Je mehr Machtmissbrauch in der Wissenschaft öffentlich diskutiert wird, um so größer wird n.m.E. die Chance, etwas zu verändern. "Wo Macht Thema wird, beginnt ihr Zerfall" (Beck).

  • #4

    Das Schweigen brechen (Donnerstag, 26 Oktober 2023 13:28)

    Die Vielfalt der Auswüchse von Machtmissbrauch sollte inzwischen jedem bekannt sein und doch ist man über jeden Fall (der kommuniziert wird) schockiert und frustriert. Offensichtlich reichen aber die bisherigen Berichte nicht aus, um etwas (merklich) zu verändern, denn das Thema kursiert unterschwellig seit Jahren in der Öffentlichkeit und die Personen in verantwortlichen Positionen, die etwas ändern könnten, haben diese sich verändert? Eher nicht.

  • #5

    wie oft geht ein Krug zum Brunnen? (Freitag, 27 Oktober 2023 08:08)

    Danke Rena! Sie sprechen mir aus dem Herzen!
    Ja, es sind zum einen die strukturellen Probleme, z.B. bzgl. Gehaltsverhandlungen, Besetzung von Ombudsstellen, die alte-Herren-Netzwerke, etc. die Frauen aus der Wissenschaft vertreiben:
    - Gleichstellungsbeauftragte, die gerade beim Vorstellungsgespräch der einzig gelisteten Frau nicht da sind;
    - Die Notwendigkeit, mindestens eine Frau auf der Liste zu haben, obwohl allen Beteiligten von vorn herein klar ist, dass sie nicht in Betracht genommen wird. Die wenigen Frauen, die sich in den technischen Fachgebieten auf eine Professur bewerben, tingeln durch Deutschland, bereiten x Vorträge und Lehrproben vor, alles auf Kosten wertvoller Forschungszeit.
    - Der Ombud, der der Nachwuchswissenschaftlerin erklärt, dass die Autorenschaft des Institutsleiters auf jeder Publikation normal ist.

    Aber auch die dauernden, kleinen Übergriffe, jeder einzelne als unbedeutender Fehler des Doktorvaters, Institutsleiters, Kollegen etc. prinzipiel entschuldigbar. Aber weder werden diese je von den Verursachern ersthaft wahrgenommen, noch um Entschuldigung gebeten. Beispiele hierfür:
    - Die regelmäßige Unterbrechung von Redebeiträgen von Frauen in Kremien;
    - die Vergabe von Haushaltsstellen an männliche, weniger qualifizierte Habilitanden, während die Kollegin ihre eigene Stelle einwerben muss;
    - die unabgesprochene Streichung von Autorinnen (in diesem Falle Habilitandinnen) von Anträgen und Publikationen durch die Herren Professoren;
    - die Zuweisung von ungeeigneten Laboren an junge Wissenschaftlerinnen, während die Kollegen in den Neubauten unterkommen;
    - die Annahme, dass Frauen für die Organisation sämtlicher sozialer Aspekte im Institut verantwortlich sind (Gruppenseminare, Konfliktmanagement mit Studenten etc.). „Frau Dr. XXX, sie machen dann den Kaffee und besorgen die Brötchen.“

    Allein die emotionale Arbeit zur Verarbeitung dieser Benachteiligungen und Frechheiten ist beträctlich.
    Denk ich an Deutschland in der Nacht... Leider ist es im Ausland auch nicht wesentlich besser!

  • #6

    Traurig, aber war! (Freitag, 27 Oktober 2023 23:25)

    Warum können Universitäten zu Zeiten von Me Too und Gleichberechtigung schalten und walten, wie sie wollen? Warum kontrolliert keine übergeordnete Instanz die Universitäten? Zwar existieren Ansprechpartner für Betroffene an den Uni, jedoch eher pro forma und mit geringen Befugnissen. Als Universität möchte man kein schlechtes Image haben und kehrt die Vorgänge unter den Tisch anstatt sich ihnen entgegenzustellen und den Betroffenen zu helfen. Traurig, aber wahr! Noch trauriger ist, dass es die übergeordneten Stellen nicht kümmert!!!