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Russland, FAIR und die Frage nach dem Zahlungsausfall

Deutschland und seine internationalen Partner hatten entschieden, die Darmstädter Beschleunigeranlage trotz explodierter Kosten weiterzubauen. Doch der wichtigste FAIR-Finanzierer nach der Bundesrepublik ist ausgerechnet Russland. Die Bundestagsopposition sieht millionenschwere Risiken – und kritisiert die Informationspolitik des Bundesforschungsministeriums.

FAIR-Baustelle in Darmstadt (Oktober 2023). Foto: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung/D.Fehrenz.

DIE OPPOSITION spricht von einer "Geheimniskrämerei der Bundesforschungsministerin". Auf acht von 15 Fragen der CDU-/CSU-Bundetagsfraktion zur im Bau befindlichen Beschleunigeranlage FAIR reagierte die Bundesregierung im August mit einer Einstufung der Antwort als Verschlusssache. Diese sei "im Hinblick auf das Staatswohl erforderlich". 

 

FAIR steht für "Facility for Antiproton and Ion Research" und entsteht unter Federführung des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Seit dem Beschluss des Bundesforschungsministeriums, FAIR zu realisieren, sind allerdings schon über 20 Jahre verstrichen. Und 16, seit die Bundesrepublik Deutschland, das Bundesland Hessen und neun weitere europäische Staaten das FAIR-Communique unterzeichnet haben.

 

Ursprünglich sollten erste Experimente 2012 starten, die gesamte Anlage 2015/16 einsatzbereit sein. Doch regelmäßig gab es neue Hiobsbotschaften über immer neue Planungs- und Bauverzögerungen. Parallel explodierten die Kosten. Inzwischen geht die Bundesregierung von weiteren mindestens 518 Millionen Euro für den deutschen Steuerzahler aus, die auf die bereits bewilligten 2,15 Milliarden draufkommen sollen – und dafür gibt es nur noch die Teilfertigstellung in Form einer "First Science" genannten Ausbaustufe. Als Jahr des Starts von "First Science" wird jetzt 2028 genannt.

 

Projektaus wäre fast genauso teuer wie
der Weiterbau, befanden die Experten

 

Dass überhaupt weiter noch gebaut wird, hat zwei Gründe: Erstens bestätigten unabhängige internationale Experten wiederholt und zuletzt nach einer weiteren wissenschaftlichen Begutachtung im Herbst 2022, das FAIR weiter exzellente und weltweit einzigartige Forschung ermöglichen werde. Und zweitens, argumentierten die Experten, wären ein Projektaus und der Rückbau mittlerweile fast genauso teuer wie "First Science". 

 

Allerdings hat FAIR seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein weiteres sehr grundsätzliches Problem: Der zweitgrößte Partner beim Beschleunigerbau ist Russland mit einem beträchtlichen Anteil an der Finanzierung und der Bereitstellung an Bauteilen. Die CDU-/CSU-Opposition im Bundestag wollte deshalb nochmal genauer wissen, wie es um den Umgang mit den FAIR-Mehrkosten bestellt ist. Unterzeichnet hat die Antworten auf ihre kleine parlamentarische Anfrage der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg (FDP).

 

Doch schon auf die erste Frage der Unionsfraktion, ob die Bundesregierung die grundsätzliche Beteiligung Russlands an FAIR überhaupt noch für adäquat halte und falls ja, auf welcher Grundlage sie davon ausgehe, dass Russland seine eingegangenen Verpflichtungen einhalte und umsetzen könne, lautet die Entgegnung: Das sei Verschlusssache, da es sich um Informationen handle, "deren Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann". 

 

Das ist die für Verschlussache übliche Formulierung. Was genau für die Bundesrepublik potenziell nachteilig sein soll, dazu muss die Regierung keine öffentlichen Angaben machen und tut es auch nicht. Die Folge aber ist: Die Antwort bekommen nur die Abgeordneten zu Gesicht. 

 

Wesentliche Baukomponenten für "relevante Ausbaustufen" stammen aus Russland

 

Selbiges gilt für die Antworten des BMBF im Namen der Bundesregierung auf die Fragen, ob es nach ihrem Wissen "Ausfuhrbeschränkungen für die vertragsgemäßen russischen Lieferungen von Komponenten zur Realisierung von FAIR" gebe, welche Komponenten Russland seit Beginn des Krieges zugeliefert habe und falls nicht, wie die fehlenden Teile jetzt ersetzt werden. 

 

Noch im Oktober 2022 hatte das Bundesforschungsministerium für diesen Blog auf Anfrage gesagt, dass Russland "wesentliche Komponenten für relevante Ausbaustufen von FAIR" liefere. 

 

Ebenfalls nichts sagen, zumindest nicht öffentlich, will das BMBF jetzt auch zu den Fragen der Opposition, mit welcher Finanzierungslücke aufgrund ausfallender russischer Zahlungen in den kommenden Jahren zu rechnen sei, wie etwaige Zahlungsausfälle kompensiert werden könnten und welchen Beitrag dazu die anderen internationalen Partner außer Deutschland zu leisten bereit seien. 

 

Selbst die Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkt nach Kenntnis der Bundesregierung die Gesamtfinanzierung gesichert sei, bleibt – öffentlich – unbeantwortet, Grund: siehe oben, das deutsche Staatswohl. Im Februar 2023 hatte das BMBF in der Antwort auf eine andere Oppositionsanfrage noch zu Protokoll gegeben, "dass die Gesamtfinanzierung für die gegenwärtige Beschlusslage (…) durch die von der Expertenkommission bestätigte Mehrkostenrisiken nicht gesichert" sei. 

 

Die Passagen, die diesmal nicht als Verschlusssache deklariert wurden, enthalten teilweise bereits Bekanntes. "An Mehrkosten", heißt es da zum Beispiel, "werden die internationalen Anteilseigner grundsätzlich entsprechend ihren jeweiligen Anteilen an FAIR beteiligt."

 

Wie groß ist die Gefahr, dass Deutschland
auf den Mehrkosten sitzenbleibt?

 

Wobei das "grundsätzlich" wichtig ist: Denn: "Eine rechtliche Verpflichtung zur Übernahme von eventuellen Mehrkosten besteht laut Konvention für die FAIR-Partnerstaaten jedoch nicht." Deshalb hatte der FAIR Council als Gesellschafterversammlung, in dem alle Partner sitzen, im März 2023 beschlossen, dass Deutschland die Finanzierung der gesamten Mehrkosten von 518,2 Millionen Euro übernimmt – wobei der Bund 449 Millionen zahlt und das Land Hessen den Rest. Die Bundesrepublik gehe damit "in Vorleistung", "um die unterbrechungsfreie Realisierung von FAIR zu sichern", erläutert die BMBF-Antwort an die Unionsfraktion.

 

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sprach schon im März nach dem Beschluss von einem "Durchbruch", der die Ausbaustufe "First Science" ermögliche, bekannte Risiken berücksichtige und einen Baustopp verhindere. So weit, so bekannt.

 

Wie groß aber ist die Gefahr, dass Deutschland auf den vorgestreckten Mehrkosten sitzen bleibt? Bis August hatten den BMBF-Angaben zufolge vier der acht internationalen Partner außer Russland weitere Finanzierungszusagen für die Mehrkosten von FAIR übernommen: Rumänien, Slowenien, Finnland und Polen, wobei Polen sein Geld nur drauflegen will, wenn Teile von FAIR realisiert werden, die gar nicht Teil der beschlossenen Ausbaustufe "First Science" sind. 

 

Verwirrend wird die Antwort der Bundesregierung dann ausgerechnet an einem Punkt, wo sie ebenfalls Auskunft zu geben bereit ist. "Werden die internationalen Partnerstaaten einen Beitrag zu den jährlichen Betriebskosten leisten, und wenn ja, welchen (bitte um Darstellung je Staat)?", hatte die Unionsfraktion gefragt. 

 

Als Antwort weist das BMBF eine Tabelle aus, die den Beitrag aller acht Gesellschafterländer (plus dem assoziierten Vereinigten Königreich) außer Deutschland an den jährlichen Betriebskosten ab 2028 von geschätzten 240 Millionen Euro in Prozent angibt. An erster Stelle mit 17,36 Prozent: Russland. 

 

Sind die Russen noch
dabei oder nicht?

 

Wie das? Sind die Russen doch noch dabei? Hatte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger nicht schon kurz nach Kriegsausbruch verkündet, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland unter anderem in der Wissenschaft eingefroren werde und dass sich Russland durch seinen Angriff selbst aus der internationalen Gemeinschaft verabschiedet habe? 

 

Zudem hatte, worauf CDU/CSU hinweisen, das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung/FAIR im März 2023 mitgeteilt, dass jegliche Zusammenarbeit mit russischen staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werde.

 

Thomas Jarzombek, der forschungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, sagt: "Die Bundesregierung plant offensichtlich fest ein, dass Russland seinen jährlichen Anteil an den Betriebskosten von FAIR in Höhe von über 41 Millionen Euro leisten wird." 

 

Ist das so? Auf Nachfrage teilt das BMBF mir mit, die internationale Gesellschafterversammlung von FAIR habe beschlossen, sämtliche Forschungskooperationen mit Russland einzufrieren und die Zusammenarbeit mit russischen Instituten, die am Bau beteiligt sind, zu beenden. 

 

So weit, so klar. Doch dann wird es gedanklich komplex. "Strategische Investitionen in den Bau und Betrieb von relevanten Forschungsinfrastrukturen wie FAIR werden auch von den internationalen Partnern mit einem zeitlichen Horizont von mehreren Jahrzehnten projektiert", erläutert ein Ministeriumssprecher. "Der russische Gesellschafter der FAIR GmbH betont in den FAIR-Gremien stets, seinen Zahlungsverpflichtungen aus der völkerrechtlichen FAIR-Konvention nachzukommen. Die fortlaufende Zahlungsbereitschaft des russischen Gesellschafters kann jedoch derzeit nicht belastbar eingeschätzt werden – ein kompletter Zahlungsausfall Russlands ist Gegenstand von internen Beratungen im Kreis der Gesellschafter (ohne Russland)."

 

Was auch die anderen Helmholtz-
Zentren brennend interessiert

 

Völkerrechtlich ist Russland also weiter zum Zahlen verpflichtet, aber weil die übrigen FAIR-Partner gleichzeitig die russischen Forschungsinstitute ausgesperrt haben, hält man es für möglich (und wahrscheinlich?), dass Russland am Ende doch weitere Überweisungen für Bau- und Betriebskosten verweigert, auch wenn von offizieller russischer Seite etwas Anderes gesagt wird? Klingt nach einem ziemlich wahrscheinlichen Szenario – das aber in der Tabelle zur Verteilung der Kosten unberücksichtigt bleibt.

 

Auf die Frage der CDU/CSU-Fraktion, wie "die ggf. gestiegenen Betriebskosten zukünftig im Haushalt abgebildet" werden sollen, also "zu Lasten welches Haushaltstitels" die etwa gestiegenen Haushaltsmittel eingeplant würden, lautete die Antwort aus dem BMBF im August lediglich: Mit der Inbetriebnahme von FAIR würden die "Bedarfe zur Finanzierung der rein nationalen GSI-Forschung" abnehmen und sollten dann für den Bundesanteil zur Finanzierung des Hochlaufs von FAIR genutzt werden. 

 

Den Verantwortlichen in den übrigen Helmholtz-Zentren dürfte es an dieser Stelle in den Ohren klingen: Gilt diese Logik – Finanzierung aus dem GSI-Forschungshaushalt – auch, falls Deutschland nach einem Zahlungsausfall Russlands bei der Übernahme der zusätzlichen Betriebskosten von immerhin 41 Millionen Euro pro Jahr ebenfalls in Vorleistung gehen müsste? Und müssten die Zentren dann womöglich mit ran, wenn das GSI zusätzlich zum schon hohen deutschen Betriebskostenanteil von 145 Millionen noch mehr drauflegen müsste? Welche Vorplanungen genau hat die Bundesregierung für diesen Fall getroffen?

 

Viele Fragen, auf die man im BMBF hoffentlich bereits Antworten hat. Im öffentlichen Teil der Stellungnahme der Bundesregierung aus dem August zumindest suchte man sie vergebens.



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Kommentare: 2
  • #1

    Money makes the world go round (Freitag, 27 Oktober 2023 10:43)

    Nicht das einzige Helmholtz-Zentrum mit finanziellen Problemen.

  • #2

    Edith Riedel (Freitag, 27 Oktober 2023 13:02)

    DAS sind die wirklich eklatanten Fälle der Verschwendung von Steuergeldern im Bereich der Wissenschaft. Ich hatte das schonmal geschrieben - im Vergleich zu diesem Fall ist es wirklich irrelevant, ob ein Vorstand von Fraunhofer mal in einem teureren Hotel übernachtet hat oder nicht. Passieren wird hier natürlich gar nix...