Welche Auswirkungen hat das Verfassungsgerichtsurteil zum 2021er Nachtragshaushaushalt auf die künftige Finanzierung von Bildung und Forschung? Eine erste Einordnung am Tag der Bereinigungssitzung für den Bundeshaushalt 2024.
AUCH WENN das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum für grundgesetzwidrig erklärten Nachtragshaushalt 2021 seit Mittwochmorgen viel Aufregung verursacht hat: Die Koalition zieht die lange geplante Bereinigungssitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses an diesem Donnerstag durch. Seit 13 Uhr sitzt man zusammen. Trotz des Widerstands der Unionsopposition und deren Ankündigung, aus Protest keine eigenen Änderungsanträge einzubringen. Die Argumentation der Ampel-Haushälter: Die praktischen Folgen des Urteils ergeben sich erst in den Folgejahren. Stimmt vermutlich – dann allerdings, siehe unten, umso heftiger.
Zwar stimmten SPD, Grüne und FDP zu, den 2024er Haushalt anders als üblich nicht schon mit der Bereinigungssitzung endgültig zuzumachen, sondern noch die Anhörung zweier Sachverständiger zum Urteil und dem direkt betroffenen Klima- und Transformationsfonds (KTF) nächste Woche abzuwarten. Doch werde das für die meisten Haushaltsbereiche keine unmittelbaren Konsequenzen mehr haben – auch nicht für den Haushaltsplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), wie es aus dem Haushaltsausschuss heißt. Der BMBF-Einzelplan ist erst irgendwann in der Nacht zu Freitag an der Reihe, die dann getroffenen Beschlüsse sollen aber final sein.
Und inhaltlich? Geht da noch etwas? Werden die Ampel-Haushaltspolitiker vielleicht doch schon erste Gelder für einen Digitalpakt 2.0 in den Bundeshaushalt 2024 einstellen, die dort bislang komplett fehlen? Was ist mit einem Nachschlag beim BAföG, den zuletzt heute der Vorstandsvorsitzende des Studierendenwerks, Matthias Anbuhl, hier im Blog zur "Nagelprobe" erklärt hatte? Werden die Haushälter durch zusätzliche Mittel ein Zeichen gegen den Antisemitismus setzen? Und abgesehen vom BMBF-Haushalt: Wird die drohende 20-Millionen-Kürzung für die Bundeszentrale für politische Bildung jetzt auch formal rückgängig gemacht, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Anfang November angekündigt hatte? Und was ist mit den bislang geplanten empfindlichen Einsparungen beim Goethe-Institut, ist noch Spielraum bei den Grundetats von Alexander-von-Humboldt-Stiftung und Deutschem Akademischen Austauschdienst, allesamt im Einzelplan des Auswärtigen Amts (AA) verortet?
Der AA-Einzelplan sollte schon am Donnerstagnachmittag dran sein, fürs BMBF aber wird es eine lange Nacht, die womöglich noch die eine oder andere gute Nachricht bringen könnte. Wobei es das mit den guten Nachrichten auch für Bildung und Forschung danach erst einmal gewesen sein dürfte. Denn klar ist: Klimaschutz und Transformation werden jetzt nicht einfach gestrichen. Woraus folgt: Die 60 Milliarden Euro aus dem KTF, die nach dem Verfassungsgerichtsurteil jetzt mittelfristig fehlen, werden die Haushälter in den nächsten Jahren größtenteils anderswo einsammeln müssen. Vielleicht über zusätzliche Steuern oder zusätzliche Schulden, etwa in Form eines neuen Sondervermögens, insofern das nach dem Urteil noch möglich ist. Wahrscheinlich aber auch über Einsparungen quer über alle Politikfelder hinweg. Und dann dürften, so ist zu befürchten, auch Bildung und Forschung keine Ausnahmen darstellen. Das – und nicht der Haushalt 2024 – ist das eigentliche Problem, vor dem jetzt die Fachpolitiker stehen.
Was darüber hinaus seit gestern vielfach übersehen wurde: Mehrere, auch CDU-geführte Landesregierungen bekommen die Folgen des auf eine Unionsklage zurückgehenden Urteils möglicherweise ebenfalls zu spüren. Fünf Länder haben, wie das Handelsblatt heute auflistet, zu ähnlichen Haushaltstricks gegriffen wie die Bundesregierung und zum Beispiel Mittel aus Notkrediten umgewidmet: Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Schleswig-Holstein. In den Länderhaushalten gehören die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft stets zu den größten Posten. Und je nach Konstruktion könnte das Verfassungsgerichtsurteil bedeuten, dass die betroffenen Länder teilweise und anders als der Bund schon direkt heute mit akuten Haushaltslöchern konfrontiert werden.
In den zuständigen Landesregierungen versucht man genau das derzeit zu ermitteln. So wollten die beiden Regierungsfraktionen CDU und Grüne in Schleswig-Holstein zur Sicherheit bereits eine Haushaltsnotlage feststellen, berichtete der NDR am Donnerstag.
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