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Ein bisschen Staub aufwirbeln

Die Debatte um "#IchbinHanna" ist in den Hintergrund gerückt, die WissZeitVG-Novelle lässt auf sich warten. Könnte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages neuen Stoff geben?

Screenshot des WissZeitVG-Erklärvideos von YouTube.

ES WAREN SCHON bessere Zeiten für die "#IchbinHanna"-Initiative. Hohe Befristungsquoten und unsichere Karriereaussichten sind schon länger nicht mehr das große wissenschaftspolitische Debattenthema. Das hat mit den internationalen Krisen zu tun, vor allem aber auch viel mit dem Spardruck, unter dem die Haushalte von Bund und Ländern stehen. Die Kosten der Corona-Krise und der Energie-Notpakete schlagen zu Buche, die schlechte Konjunktur tat auf der Einnahmeseite ihr Übriges, und jetzt wirft das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 die Budgetplanungen von Bund und – oft übersehen, aber teilweise noch heftiger – Ländern über den Haufen. Da kann man es schnell als Luxus-Diskussion abtun, wenn junge (und nicht mehr so junge) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. 

 

Das wäre indes ein grundlegender Irrtum. Denn auch wenn die Rhetorik vieler Wissenschaftslenker immer noch impliziert, es handle sich bei "#IchbinHanna" um eine sozialpolitische Diskussion oder, negativer formuliert, vorrangig um den eigennützigen Lobbyismus der Betroffenen (der, nur nebenbei gesagt, zu den meisten demokratischen Aushandlungsprozessen gehört), so ist die Wahrheit doch komplexer: Die Wirtschaftskrise ändert nichts am Fachkräftemangel, umgekehrt aber macht der Fachkräftemangel die Wirtschaftskrise noch schlimmer. Und je stärker die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften in der Wirtschaft zunimmt, desto größer wird der Wettbewerbsnachteil der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wenn sie ihren Beschäftigten nicht mehr zu bieten haben. Dann kehren ausgerechnet die Motiviertesten, die Talentiertesten und Agilsten der Wissenschaft den Rücken. Attraktive Jobs "unterhalb" oder "neben" der Professur nützen also nicht nur denen, die sie sich aufgrund ihrer Leistung verdienen, sondern vor allem profitiert die Wissenschaft selbst, weil sie wettbewerbsfähiger wird. 

 

Wie stark die Debatte aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, der allgemeinen sowieso, aber auch der wissenschaftspolitischen, ist freilich auch daran zu erkennen, dass das BMBF der Unions-Opposition neulich mitgeteilt hat, dass es zum weiteren Vorgehen beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) möglicherweise erst Mitte 2024 Auskunft geben will. Weder scheint man im Ministerium noch Zeitdruck zu spüren, noch einen (prompt ausgebliebenen) Aufschrei der Szene zu befürchten. Auch der von den Gewerkschaften ausgerufene Hochschulaktionstag am 20. November inklusive Warnstreiks blieb außerhalb der Szene weitgehend ohne Widerhall.  

 

Hebel zur Debatten-Wiederbelebung

 

Womöglich hat der Wissenschaftliche Dienst (WD) des Bundestages den Befürwortern einer grundlegenden Reform nun einen neuen Hebel zur Debatten-Wiederbelebung gegeben. In einem bereits Ende September verfassten, aber erst jetzt in der Breite bekannt gewordenen Gutachten bescheinigt der WD, dass eine Befristungshöchstquote wohl verfassungskonform wäre, sowohl formell als auch materiell. Eine solche Forderung war in der Debatte ums WissZeitVG immer wieder aufgetaucht, hatte aber in die vom Ministerium vorgelegten Eckpunkte keinen Eingang gefunden. Kein Wunder: Die Hochschulen und Forschungsinstitute lehnen sie (fast) geschlossen als dirigistisch ab.

 

Doch der WD führt auf einem guten Dutzend Seiten überzeugend aus: Nicht nur hätte der Bund die hochschul- und arbeitsrechtliche Kompetenz für eine solche Regelung. Zugleich würde sie zwar tatsächlich Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und Autonomie der Wissenschaftseinrichtungen, ihre Ressourcenallokation und personalpolitische Selbstbestimmung bedeuten, genauso in die Wissenschaftsfreiheit (Teilhabechancen) künftiger Wissenschaftlergenerationen. Doch wären solche Eingriffe – in bestimmten Grenzen – gerechtfertigt, um die Berufsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit und die Karrierechancen der gegenwärtigen Postdocs zu schützen. Wie eine solche Befristungshöchstquote praktisch ausgestaltet werden könnte und auf welcher Ebene sie angesiedelt sein sollte, damit sie funktioniert und die unterschiedlichen Interessen zum Ausgleich bringt, müsste man diskutieren. Einen Vorschlag hatte zum Beispiel Tobias Rosefeldt bereits im März 2023 hier im Blog formuliert.

 

Keiner behauptet, dass der Umbau einfach wird. Geht es doch nicht nur um einen grundlegenden Umbau der Karrieresysteme, um die Etablierung transparenter und verlässlicher Kriterien auf dem Weg zur Dauerstelle, es geht genauso um die Bereitschaft der Professoren, auf die bisherigen Abhängigkeitsstrukturen zu verzichten. Zugleich braucht es die Akzeptanz auf Seiten der jungen Wissenschaftler, dass mehr Tenure Track und mehr Dauerstellen zwangsläufig mit anderen Evaluationen als bislang einhergehen. Evaluationen, in denen das Nichtweiterkommen genauso die Regel sein wird wie der Einstieg in die Entfristung. Sonst wird ein solches System nicht funktionieren, und die Skepsis der wissenschaftlichen Arbeitgeber wären nur zu berechtigt. 

 

Fest steht: Zwar ergibt eine Debatte über eine Befristungshöchstquote unabhängig von einer WissZeitVG-Novelle Sinn. Gelänge es jedoch tatsächlich, eine ernsthafte Diskussion über das Für und Wider anzuzetteln, könnte es sogar noch zur Gelegenheit werden, dass der Gesetzbeschluss zum WissZeitVG auf sich warten lässt. Wenn, ja wenn, die Ampelfraktionen im Bundestag bereit sind, noch einmal ein bisschen Staub aufzuwirbeln. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Nicht mehr mit mir (Mittwoch, 22 November 2023 13:04)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,
    die Arbeitsbedingungen für befristete Wissenschaftler in Deutschland sind einfach nur bescheiden. Man wird unter dem kaputten WissZeitVG ausgenutzt bis zum geht nicht mehr. Der Qualifikationsbegriff ist mit Absicht komplett schwammig gehalten. Politiker der FDP weigern sich, diesen zu konkretisieren. Die Karriere ist maximal unsicher, weil man in vielen Drittmittelprojekten als Zuarbeiter für den PI arbeitet, ohne Recht auf eigene Forschung. Also schlecht für die Karriere nach heutigen Anreizen, Bewertungen für eine Professur. Alte weisse Männer lehnen sich bequem zurück, zumindest im STEM-Bereich sind die PIs in der Mehrheit Angehöriger dieser Gruppe. Komisch, genauso wie diese Politiker.
    Aber ich sage ganz deutlich: Nicht mehr mit mir. Ich lasse das nicht mehr auf meinem Rücken austragen.
    Egal wo ich hinblicke, die jüngeren Leute ohne Dauerstellen wenden sich ab. Sie haben einfach keine Lust mehr, in so einem kaputten System zu arbeiten. Aber denken Sie nicht, diese werden Lehrer. Sie gehen einfach oder verlassen gleich das Land.

    Was haben Forschungsfreiheit, personalpolitisches Selbstbestimmungsrecht gebracht? Machtmissbrauch, ein Schneeballsystem, in dem nur wenige profitieren, die den richtigen Habitus haben. Wie gut ist die Qualität der deutschen Forschung? Jedenfalls nicht mehr Weltspitze, obwohl sich dies immer viele gerne einreden. Das BMBF lässt sich von Professoren und AUF zu leicht täuschen, wie Geld verwendet werden. Am Ende wird alles schön geschrieben, aber erst die Volkswagenstiftung wird in Zukunft darauf Wert legen, wie die Karriereentwicklung von befristeten Wissenschaftlern verlaufen wird.
    Teilhabechancen? Ich bitte Sie. Die gibt es in diesem System nur für wenige, schon gar nicht für Minderheiten. Dabei wäre es dringend notwendig, sich mehr für Diversität einzusetzen, um wirklich besser zu werden.
    Drittmittel werden benutzt, um eigentliche Standardaufgaben zu machen, weil Organisationen es mit Hausmitteln nicht hinbekommen, da die Managementstrukturen total kaputt sind.

    In diesem Sinne an die alten weissen Männer: Viel Spass, macht das bitte ohne uns. Ausländer sollten gewarnt sein, bevor sich nach Deutschland kommen. Hier gibt es nichts zu holen, wenn man nicht deutsch, weiss, männlich ist.