Welche Bedeutung Lindners scheidender Haushalts-Staatssekretär für die Wissenschaft hatte.
Bild: Bundesministerium der Finanzen / Photothek.
ES IST SICHER keine weltbewegende Nachricht, dass FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner seinen Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Zum Ende des Jahres bereits, nach (mit einer kurzen Unterbrechung) 18 Jahren im Amt. Und doch ist es wert, die Folgen von Gatzers Abberufung auch für die Wissenschaft zu würdigen.
Der gerade 65 Jahre alte gewordene Sozialdemokrat hat den Bundeshaushalt über vier Finanzministern mitbestimmt: unter Peer Steinbrück (SPD), der ihn ernannte, unter Wolfgang Schäuble (CDU), der Gatzer, obwohl SPD-Mann, behielt, was äußerst ungewöhnlich war, aber für dessen enorme Expertise sprach. Als nach der Bundestagswahl 2017 kurzzeitig unklar war, wer künftig Finanzminister werden würde, verließ Gatzer sein Amt, wurde aber schon drei Monate später von Olaf Scholz (SPD) zurückgeholt. Und auch als Lindner Ende 2021 die Hausleitung übernahm, blieb er zunächst auf seinem Posten. Bis jetzt.
Die Bundeshaushalte seit 2005 haben sich durch mindestens zwei durchgehende Schwerpunkte ausgezeichnet: erstens durch das Bemühen um eine Senkung der Neuverschuldung und, seit ihrer Einführung 2011, um das Einhalten der Schuldenbremse mit einer Nettokreditaufnahme nahe oder unter null. Bis die Corona-Krise kam. Zweitens durch eine Priorisierung der Ausgaben für Wissenschaft und Forschung. Exemplarisch festzumachen ist das am Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). 2005 umfasste der 8,5 Milliarden Euro. 2023 waren es 20,6 Milliarden. Eine Steigerung um 142 Prozent. Wer sagt, der Bund habe Deutschland wegen der Schuldenbremse kaputtgespart, kann damit zumindest nicht die Wissenschaft gemeint haben.
Dass die Bundeshaushalte zunehmend die Handschrift Werner Gatzers trugen, kann man auch daran ablesen, dass bei Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um kleine und große Wissenschaftspakte am Ende nicht die Entscheidung der jeweiligen Bundesforschungsministerin den Ausschlag gab (wobei deren je nach Amtinhaberin unterschiedlich ausgeprägte Visionsfähigkeit und Vernetzung nach ganz oben schon sehr wichtig waren), sondern der erhobene Daumen Werner Gatzers.
Besonders deutlich wurde das im Mai 2019, als die – wahrscheinlich für lange Zeit beispiellose – Finanzarchitektur für das Wissenschaftssystem der 2020er Jahre vereinbart wurde. "Planungssicherheit bis 2030", titelte ich damals hier im Blog, und genau das machte die Übereinkunft so einmalig: ein langfristiges Commitment, teilweise mit deutlichen Steigerungsraten über ein ganzes Jahrzehnt hinweg. "Gelobt wurde speziell der Staatssekretär von Bundesfinanzminister Scholz, Werner Gatzer, der sich sehr offen und konstruktiv gezeigt habe", schrieb ich damals. Was tatsächlich noch untertrieben war: Denn nur dadurch, dass Gatzer den Budgetdeckel für Anja Karliczek (nach deren unermüdlichem Drängen) überraschend anhob, wurde die Einigung auf der Bundesseite möglich.
"Da muss ich erst den Gatzer fragen", war bis zuletzt ein geflügeltes Wort in Bund-Länder-Verhandlungen, auch und gerade in der Wissenschaft. Heute könnte sein Wort nochmal wichtig sein, denn die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern trifft sich, um in letzter Minute noch den Kompromiss um die Zukunft des HAW-Forschungsprogramms hinzubekommen.
Vielleicht klappte jetzt die Chemie einfach nicht (mehr) zwischen Lindner und seinem selbstbewussten Staatssekretär. Vielleicht brauchte es einen Kopf, der rollen musste nach dem Verfassungsgerichts-Debakel. Auf jeden Fall aber markiert Gatzers 18-jährige Amtszeit für die Wissenschaft eine haushaltspolitische Sonderkonjunktur. Sein Nachfolger Wolf Reuter, bislang Leiter der Grundsatzabteilung im Bundesfinanzministerium, tritt in große Fußstapfen – auch bei der Finanzierung von Bildung und Forschung.
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