Die Kluft ist groß wie nie: Während 79 Prozent der Hochgebildeten der Wissenschaft vertrauen, tun dies nur 31 Prozent der Menschen mit wenig formaler Bildung. Ein Auftrag für die Wissenschaft.
Vertrauen in Wissenschaft und Forschung nach Bildungsniveaus. Angaben in Prozent. Quelle: Wissenschaftsbarometer 2023, Wissenschaft im Dialog, S. 13.
DER VORSITZENDE des Forschungsausschusses im Bundestag spricht von einem bedenklichen Vertrauensverlust. Kai Gehring (Grüne) spielt damit auf das Wissenschaftsbarometer an, ein Projekt von "Wissenschaft im Dialog", das seit 2014 regelmäßig Einstellungen der Bevölkerung zur Wissenschaft in Deutschland abfragt. Auf den ersten Blick erscheint Gehrings Einschätzung alarmistisch, denn noch immer gibt mit 56 Prozent weit mehr als die Hälfte der Befragten an, voll und ganz oder eher Wissenschaft und Forschung zu vertrauen. Zwar ein Stück weniger als in und unmittelbar nach der Corona-Pandemie, als Werte von 60 Prozent und mehr erreicht wurden. Aber traumhaft hoch im Vergleich zu den 46 Prozent, die 2019 in der repräsentativen Umfrage herauskamen.
Und doch hat Gehring einen Punkt. Denn in der Bevölkerung läuft etwas auseinander. Nur noch 31 Prozent der Menschen mit niedriger Bildung vertrauen der Wissenschaft, satte 13 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Im Vergleich zu 79 Prozent mit hoher Bildung (sogar nochmal drei Prozent mehr als 2022). Diese Wissenschaftsskepsis in Teilen der Öffentlichkeit bietet den Nährboden für Populismus.
Wie gefährlich das werden kann, sieht man in den USA, wo in einer Umfrage des Pew Research Centers statt 86 Prozent (2019) noch 73 Prozent der Wissenschaft sehr oder etwas vertrauen. Klingt trotzdem viel im Vergleich zu Deutschland, doch sind die Umfragen von den absoluten Werten her nicht gut vergleichbar. Von den Trends aber schon. Welchen Schaden der Trumpismus verursacht hat, wird noch deutlicher, wenn man die Vertrauenswerte von demokratischen und republikanischen Wählern vergleicht. 2020 lagen sie dicht beeinander (Republikaner: 85, Demokraten 91 Prozent). Im Herbst 2023 kamen die Demokraten auf weiter starke 86 Prozent, die Republikaner sind auf 61 Prozent runtergerauscht.
Eine Demokratie stützt sich auf ihre Institutionen, zu denen die Arbeit der freien Forschung gehört. Erodiert das gesellschaftliche Vertrauen in diese Institutionen, ist die Demokratie gefährdet. So weit sind wir noch nicht, aber die Polarisierung wächst auch in Deutschland: Inzwischen haben 45 Prozent der Menschen mit niedriger Bildung das Gefühl, die Forschenden informieren die Öffentlichkeit nicht genügend über ihre Arbeit, 14 Prozentpunkte mehr als bei den Hochgebildeten.
Gehring spricht von einem "Bildungsauftrag, die Arbeitsweise von Wissenschaft in allen sozialen Schichten besser zu vermitteln". Denn: "Wissenschaft sorgt für gesicherte Erkenntnisse und verlässliche Fakten und ist damit das wirksamste Mittel gegen Fake-News, Desinformationen und Verschwörungsnarrative."
Apropos Desinformation: Zwar finden es die Hälfte der im Wissenschaftsbarometer Befragten positiv, dass sich mit Programmen wie ChatGPT komplexe Sachverhalte aus Wissenschaft und Forschung stark vereinfacht erklären lassen können. Doch sehen gleichzeitig 60 Prozent die Gefahr von Falschinformationen und deren zunehmende Verbreitung durch ChatGPT & Co – eine erfreulich differenzierte Sichtweise.
Dieser Kommentar erschien zuerst in Wiarda-Newsletter.
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Torsten Bernhard (Donnerstag, 07 Dezember 2023 14:57)
Nährboden für Populismus? Sie führen die Debatte falsch und nicht ehrlich. Eine Kluft zwischen Bevölkerung und politisch-medialer Elite ist doch offenkundig. Es handelt sich um Parallelgesellschaften, die sich soziologisch erklären lassen. Würde man sich hier ehrlich machen, würde man nicht von Populismus reden, um Ansichten zu diskreditieren, sondern fragen, warum die gegebenen Narrative immer weniger Menschen überzeugen. Dazu gehört auch ein Versagen der Politik hinsichtlich grundsätzlicher Strukturprobleme der Gesellschaft (Verkehr, Klimawandel, Gesundheit, Rente), eine stetig zunehmende Unglaubwürdigkeit und Usurpation des Amtes (Festhalten an Posten, Vetternwirtschaft, Korruption, revolving doors zwischen Politik und Verbänden und Medienanstalten). Kurzum, es ist doch ein erfreuliches Ergebnis für die wirkliche Demokratie, wenn die offensichtliche Kluft im Meinungsmanagement auch empirisch nachvollzogen wird. Die Reaktionen darauf wären denn auch nicht "Populismus", sondern demokratische Wahlentscheidungen. Dies zu loben, sollte Aufgabe jede:r Kulturvermittler sein (oder man liest mal wieder seinen Böckenförde).