Die Lehrerbildung befindet sich inmitten des größten Umbruchs seit vielen Jahren. Aber schaffen es die Kultusminister, ihren Reformen eine stimmige und gemeinsame Richtung zu geben? Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK präsentiert dazu ihr lange erwartetes Gutachten.
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LANGE GEPLANT kommt das Gutachten jetzt mit einer Aktualität, die man sich gar nicht hat wünschen können: Drei Tage nach Bekanntgabe der historisch schlechten deutschen PISA-Ergebnisse veröffentlichte das wichtigste wissenschaftliche Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz (KMK) am Freitagmittag seine Empfehlungen "zur Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht". Zuvor hatten die 16 Experten der Ständigen Wissenschaftlichen hin Kommission (SWK) ihr Gutachten in vertraulicher Runde den Kultusministern vorgestellt.
Die Vorschläge der SWK kommen auf den ersten Blick teilweise wenig radikal daher, doch würde ihre Umsetzung die Schulen in Deutschland nachhaltig verändern – und die KMK gleich mit.
Insgesamt elf Empfehlungen umfasst das Gutachten, sortiert nach vier Kapiteln. Mit die wichtigste Forderung: Es muss endlich eine vernünftige Datenbasis her. Denn bislang ist die KMK noch jedesmal von der Entwicklung der bundesweiten Schülerzahlen überrascht worden, auch hat sie die Änderungen der bildungspolitischen Rahmenbedingungen (etwa den Ausbau von Inklusion oder Ganztagsschule) nie ausreichend in ihren Modellierungen abgebildet. Im Gegensatz etwa zu den Prognosen, die der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat und die fast immer näher an den tatsächlichen Lehrerbedarf herankamen.
"Sonst kommen wir nie zu
einer verlässlichen Prognose"
Warum? Lange hatte die KMK ihrer Modellrechnungen zu selten aktualisiert, das immerhin hat sie inzwischen abgestellt und sammelt die Rückmeldungen der Bundesländer in jährlichem Abstand (allerdings ist aktuelle Veröffentlichung weit überfällig). Doch ändert dies laut Olaf Köller, dem Ko-Vorsitzenden der SWK, nichts daran, dass die Grundlage der KMK-Berechnungen, die Länderzumeldungen, nicht so recht zusammenpassen. "Es fehlt die Transparenz über in die Annahmen, die die Länder jeweils ihren Prognosen zugrundelegen", sagt Köller, im Hauptberuf Direktor des IPN Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und der Mathematik. "Darum müssen die Daten künftig systematisch und vergleichbar in allen Ländern erhoben werden, unter Berücksichtigung des tatsächlichen Bedarfs, und alle Länder müssen etwaige Datenlücken schließen, sonst kommen wir nie zu einer verlässlichen Prognose."
Eine solche Systematik würde freilich eine andere KMK voraussetzen: eine, die in der Lage ist, die für eine Vergleichbarkeit nötigen Datendefinitionen herzustellen und, in Form ihrer
Verwaltung, des KMK-Sekretariats, dann selbstbewusst von den Ländern die nötige Datenqualität einzufordern. Was, nebenbei gesagt, nur beschleunigen würde, was die Kultusminister
bei ihrem Treffen in Berlin ohnehin, je nach Bundesland und Perspektive mehr oder weniger begeistert, diskutiert haben: die überfällige grundlegende Reform der KMK, ihrer Prozesse und Verfasstheit.
Zweites großes Thema des SWK-Gutachtens: den Ausbildungserfolg der Lehramtsstudierenden erhöhen. Auch hier, das zeigte zuletzt eine Analyse des Stifterverbandes eindrucksvoll, handelt es sich zu einem guten Teil um ein Datenproblem. Viele lehrerbildende Universitäten können nämlich gar nicht sagen, wie viele ihrer Lehramt-Studienanfänger bis zum Abschluss kommen – geschweige denn, warum sie zu welchem Zeitpunkt entscheiden, doch nicht Lehrer zu werden. Von einer "großen Forschungs- und Datenlücke", die es zu füllen gelte, sprach im Sommer der Stifterverband, "denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern."
Genau diese Datenlücke will die SWK schließen und fordert, die Studierbarkeit der Lehramtsstudiengänge müsse "datengestützt" verbessert werden, zudem müsse die soziale und akademische Integration in die Hochschulen gestärkt werden. Das entscheidende Mittel für beides: ein funktionierendes Qualitätsmanagement und verlässliche Abstimmungsstrukturen, die auch die erste Phase der Lehrerbildung, das Studium, mit der zweiten, dem Vorbereitungsdienst, verbinden. Beide Phasen laufen bislang oft nebeneinander, umso mehr gilt das für die dritte, die Fort- und Weiterbildung der bereits berufstätigen Lehrer.
Hoffnung
Ein-Fach-Lehrer
Womit die SWK beim Kern ihrer Empfehlungen angekommen ist, der künftigen Gestaltung der Studiengänge, man könnte auch sagen: ihrer zumindest teilweisen Neugestaltung. Denn die Experten empfehlen, neben dem klassischen grundständigen Studium einen "wissenschaftsbasierten, qualifizierten zweiten Weg in den Lehrkraftberuf" zu eröffnen. Oder weniger verklausuliert formuliert: den seit einer Weile viel diskutierten Ein-Fach-Lehrer einzuführen. Genaus das hatte der Wissenschaftsrat im Sommer bereits im Sommer vorgeschlagen, allerdings nur bezogen aufs Mathematikstudium.
Das Modell der SWK ist schnell erklärt: Bewerber haben einen fachlichen Bachelor oder Master, beispielsweise in Germanistik. Dann starten sie in einen viersemestrigen Master of Education, der ihnen das gesamte pädagogische Rüstzeug mitgibt, um Lehrer zu werden: die Fachdidaktik, die Bildungswissenschaften, dazu die Praktika und einen Spezialisierungsbereich wie Digitalisierung, Inklusion, Sprachbildung oder Berufsorientierung. Nach diesem Master folgt der Übergang in ein reguläres Referendariat und anschließend die volle Lehrbefähigung – allerdings nur für ein Fach.
Berufsbegleitend soll es dann die Option geben, ein zweites Fach hinzuzustudieren – aber nicht verpflichtend. "Hier setzen wir auf die Motivation der Lehrkräfte", sagt die Berliner Professorin für Schulpädagogik, Felicitas Thiel, neben Köller Vorsitzende der SWK. Hier dürfte das Gutachten der Kommission größere Diskussionen auslösen: Andere Erziehungswissenschaftler warnen nämlich davor, dass Ein-Fach-Lehrer in den Schulen zu einseitig belastet würden, den Unterrichtsbedarf nicht ausreichend abbilden und die Stundenplanorganisation verkomplizieren könnten. Weshalb ihre Ausbildung, wenn man sie zulasse, mit der Verpflichtung einhergehen müsse, ein zweites Fach nachzuholen. Doch schon der Wissenschaftsrat hatte diese Gründe nicht als plausibel genug für eine verpflichtende Zweit-Fach-Weiterbildung erachtet.
In jedem Fall aber ist diese SWK-Empfehlung für die Schulwirklichkeit wohl die weitreichendste. Denn auch wenn es hier und da bereits gut funktionierende wissenschaftliche Aufbau-Masterprogramme gibt: Vielerorts besteht derzeit nur die Wahl zwischen dem traditionellen Lehramtsstudium und aus der Not geborenen Seiteneinsteiger-Programmen, die zwar flexibel sind, denen jedoch vielfach, wie nicht nur die SWK klagt, die Wissenschaftsbasierung fehlt. Würde es der KMK gelingen, einen Ein-Fach-Lehramt nach einheitlichen Maßstäben zu etablieren, wäre der Zugang zum Lehramtsstudium dauerhaft flexibler – auch über den aktuellen dramatischen Lehrkräfte-Mangel hinaus.
Absage an ein
duales Lehramtsstudium
Für die Debatten unter den Kultusministern schon bei der Vorstellung des SWK-Gutachtens dürfte unterdessen gesorgt haben, dass die Experten einem anderen bei Bildungspolitik und lehrerbildenden Hochschulen in Mode gekommenen Reformvorhaben eine Absage erteilen: dem dualen Lehramtsstudium. "Wir können nicht verstehen, wo da eigentlich die Euphorie herkommt", sagt Felicitas Thiel. Schon außerhalb des Lehramts gelinge in dualen Studiengängen die Verschränkung von Theorie und Praxis nicht wirklich gut, hinzu komme: "Wer soll, wenn wir an manchen Schule nur noch zehn Prozent grundständig ausgebildete Lehrkräfte haben, noch nebenbei die aufwändige Begleitung dual Studierender übernehmen?"
Anders sieht das unter anderem der Wissenschaftsrat, der, schwer kritisiert unter anderem vom Deutschen Philologenverband, im Sommer seine Empfehlungen zur Zukunft des Matheunterrichts vorgelegt hatte, inklusive einem Plädoyer zur Entwicklung des dualen Studiums.
Ebenfalls keine Unterstützung von der SWK erhalten Überlegungen, komplette Lehramtsstudiengänge zumindest für die beruflichen Schulen auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften laufen zu lassen. "Es gibt bereits 34 Universitätsstandorte, die in der Lehrerbildung mit HAWs kooperieren", sagt SWK-Mitglied Isabell van Ackeren, Professorin für Bildungssystem- und Schulentwicklungsforschung an der Universität Duisburg-Essen, die an der Ausarbeitung des Gutachtens maßgeblich beteiligt war. Um ausreichend wissenschaftsbasiert und berufsfeldbezogen zu sein, sagt sie, würde die Abwicklung eines kompletten Lehramtsstudiums aber erhebliche zusätzliche personelle Ressourcen und organisationale Strukturen an den HAWs erfordern. "Das halten wir nicht für zielführend, weitere Kooperationen hingegen schon."
Wofür die SWK sich indes ausspricht: die Einführung sogenannter Assistenz-Lehrkräfte, die auf der Grundlage eines Bachelorabschlusses und einer Weiterqualifizierung an die Schulen kommen könnten. Ohne Berechtigung zum eigenständigen Unterricht, aber in Anbindung und zur Unterstützung an eine voll qualifizierte Lehrkraft. Eine Idee, die so ähnlich schon vor zwei Jahrzehnten mit der Einführung der Bologna-Studiengänge im Lehramt diskutiert wurde, sich aber nie hat durchsetzen können.
Zweite Chance für die
Assistenz-Lehrkraft?
"Anders als damals gibt es jetzt aber ein funktionierendes Vorbild aus der Medizin, den Physician Assistent als zusätzliche Karriereoption für Pflegekräfte", sagte Felicitas Thiel. "Das hat macht uns optimistisch, dass wir es jetzt auch in der Lehrerbildung schaffen, in einem vielfältigeren System von Karrierewegen zu denken, mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten in der Schule, aber immer auf Augenhöhe." Eine Debatte darüber, so Thiel, sei überfällig – auch um klare Kriterien und Kompetenzen festzulegen.
Apropos klare Kriterien: Länder wie Brandenburg etablieren bereits neue, stark umtstrittene Lehrer-Laufbahnen auf Bachelorebene – allerdings dann mit vollständiger Lehrbefähigung. "Genau das wollen wir nicht", betont Thiel – wohl ahnend, dass die SWK-Vorschläge genau mit solchen Modellen in einen Topf geworfen werden könnten, etwa von den Lehrergewerkschaften.
Und sonst? Schlagen die SWK-Experten vor, den Vorbereitungsdienst einheitlich auf zwölf Monate zu verkürzen, allerdings nur unter Voraussetzung eines Gesamtkonzepts, das wie gefordert erste und zweite Phase und Berufseinstieg sowie Theorie und Praxis besser verknüpft, vor allem in Form eines über die Phasen hinweg kohärenten Curriculums, das außerdem Mentoren und Fachseminarleiter wissenschaftsbasiert qualifiziert und die Unterrichtsverpflichtung während Referendariat und Berufseinstieg möglichst gering hält.
Außerdem fordert die Kommission einen ländergemeinsamen Qualitätsrahmen für ein in sich stimmiges, qualitätsgesichertes Forbildungssystem, von dem die SWK das Bildungssystem trotz einer (theoretischen) Fortbildungsverpflichtung in allen Ländern weit entfernt sieht. Stichworte sind hier zertifizierte Module der wissenschaftlichen Weiterbildung etwa für ein weiteres Unterrichtsfach in Mangelfächern, für andere Unterrichtsbereiche, für eine sonderpädagogische Fachrichtung oder zur Nachqualifizierung für eine andere Schulform, außerdem der Ausbau von Master- und Promotionsstudiengänge etwa für Leitungspositionen und Koordinationsfunktionen.
Dicke Bretter,
klare Ansagen
Dicke Bretter und klare Ansagen – in dem, was die SWK gut heißt, genauso aber, wovon sie abrät. Jetzt ist es an der Bildungspolitik. Im März wollen die Kultusminister ihren eigenen Aufschlag zur Zukunft der Lehrerbildung beschließen, auf der Grundlage des SWK-Gutachtens und weiteren Papieren wie den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum Mathestudium. Auch der Stifterverband hatte vor wenigen Wochen einen ambitionierten Reformkatalog vorgelegt.
Vieles von dem Vorgeschlagenen, werden die Kultusminister argumentieren, gebe es schon. Stimmt. Allerdings, und das ist der entscheidende Punkt der SWK-Experten, fehlt derzeit zweierlei in der deutschen Lehreraus- und weiterbildung: Stimmigkeit und Systematik. Beides will das neue Gutachten erreichen. Ob die KMK ihm folgen kann, selbst wenn die Kultusminister es wollten? So, wie sie im Augenblick ist, an vielen Stellen vermutlich nicht. Ein Grund mehr, sie zu reformieren.
Nachtrag am 08. Dezember, 12.45 Uhr:
Was die Kultusminister zum SWK-Gutachten sagen
Von einer "klaren Positionierung für hohe Qualitätsstandards in der Lehrkräftebildung", sprach KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU), im Hauptberuf Berliner Bildungssenatorin. "Die Kultusministerkonferenz wird sich eingehend mit den vorgeschlagenen Empfehlungen auseinandersetzen und entsprechende Maßnahmen formulieren." Zur Absage der SWK an ein duales Lehramtsstudium sagte Günther-Wünsch, der Begriff der Dualität sei ungünstig gewählt. Nichts desto trotz gebe es Debatten in den Bundesländern über die Verkürzung der Studiendauer und Verknüpfung der Praxisanteile, und man werde darüber nun mit der SWK weiterdiskutieren, vielleicht dann unter einer anderen Überschrift als "duales Studium".
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der die SPD-Bildungspolitik in den Ländern koordiniert, sagte: "Die Idee, neben dem klassischen Lehramtsstudium einen zweiten Weg mit einem neuen Studiengang in den Lehrberuf zu eröffnen, erschließt ganz neue Chancen für Studierende." Die Verkürzung des Referendariats durch eine bessere Verzahnung von Studium und Praxis sollte sorgfältig geprüft werden.
Rabes Gegenüber auf CDU-Seite, Hessens Kultusminister Alexander Lorz, sagte, er begrüße insbesondere die Ansätze, "neue Personengruppen für den Beruf als Lehrkraft zu erschließen, ohne dabei den Qualitätsanspruch aus dem Blick zu verlieren". Die etablierte und qualitätsgesicherte grundständige Ausbildung unserer zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer durch alternative Formen zu gefährden, lehnt die SWK ab. "Dem schließe ich mich an."
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Hanna (Montag, 11 Dezember 2023 09:35)
Die Vorschläge der KMK enthalten in vielerlei Hinsicht wichtige und richtige Schritte zur Verbesserung der Lehrerbildung.
Die Absage an ein duales Studium halte ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Lehramtsausbildung aber für falsch. Etwa ein Drittel unserer Studierenden arbeitet zusätzlich zum Studium bereits in der Schule. Es wäre motivierend, den Studierenden bereits von Studienjahr eins an Kontakt mit dem Beruf zu ermöglichen. Auch aus lerntheoretischer Sicht ist es förderlich, Bezüge zwischen Studienwissen und Berufspraxis unmittelbar herstellen können. Das häufige Monieren der Praxisferne des Studiums besteht ausdrücklich nicht in der fehlenden Anwendungsorientierung der Lehre sondern im Fehlen durchgängiger berufspraktischer Studienanteile. Dänemark geht hier z.B. andere Wege.
Das Auge auf dem die KMK blind zu sein scheint, sind die Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen. Auch in der Lehramtsausbildung gilt das WissZVG. Die Lehre wird hauptsächlich von Wiss. Mitarbeitenden abgedeckt und diese sind meist befristet angestellt ohne Aussicht auf Entfristung nach 6+6 Jahren. D.h. in diesem Personalkarussell übernehmen einen Großteil der Lehramtsausbildung junge Doktorand:innen und Postdocs, die eher wenig hochschulische/schulische Lehrerfahrung aufweisen und nach spätestens 12 Jahren durch neue unerfahrene Berufsanfänger:innen ersetzt werden. Das Gutachten müsste dringend dazu raten, eine Datenbasis über das Personal in der Lehramtsausbildung aufzubauen (Berufserfahrung, Verweildauer etc). Ohne gute Arbeitsbedingungen keine gute Hochschullehre. Auf diesem Auge scheinen, die professoralen Gutachtenden, die ja selbst für die Arbeitsbedingungen an den Universitäten mitverantwortlich sind, blind zu sein.
Auch für die Strukturen der KMK wäre es wichtig die Perspektive des Mittelbaus künftig stärker einzubeziehen!