Kommt der Ein-Fach-Lehrer? Die Berliner Universitäten wollen das schon bald anbieten – und auch sonst das Lehramtsstudium verändern, um es attraktiver zu machen.
Foto: Katerina Holmes, Pexels, CCO.
ES FEHLEN bundesweit 68.000 Lehrkräfte in den kommenden zehn Jahren: Davon geht die Kultusministerkonferenz (KMK) aus. In Berlin reichen inzwischen selbst tausende Quer- und Seiteneinsteiger nicht mehr aus. Helfen soll eine Reform des Lehramtsstudiums, hofft die KMK – um den Mangel an Fachkräften zu mindern und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung zu erhöhen. In Berlin macht jetzt Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) Tempo. Sie will zusammen mit den Hochschulen in den ersten sechs Monaten des neuen Jahres Eckpunkte fertigstellen, die das Studium erneuern sollen.
Schon vor einem Jahr hatten die Kultusminister ein Gremium von Wissenschaftlern, die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), beauftragt, ein Gutachten mit Reform-Empfehlungen auszuarbeiten. Anfang Dezember hat die SWK geliefert – zwei Tage, nachdem die jüngste Pisastudie den deutschen Neuntklässlern die schlechtesten Leistungen seit zwei Jahrzehnten bescheinigt hatte.
Wie gut sind die vier Berliner Universitäten, die künftige Lehrer ausbilden, nun auf tiefgreifende Veränderungen vorbereitet? Und wie finden sie, was die SWK-Experten vorschlagen? Die Rückmeldungen fallen überraschend einheitlich und selbstbewusst aus. "Das Gutachten zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagt der für die Lehrerbildung zuständige Vizepräsident der Technischen Universität (TU), Christian Schröder. Sein Kollege von der Freien Universität (FU), Sven Chojnacki, findet, die meisten SWK-Vorschläge stünden "im Einklang, was wir als Hochschulleitung seit langem verfolgen, nämlich ein qualitativ hochwertiges System wissenschaftlicher, forschungsbasierter Qualifizierung der Lehrerbildung zu schaffen". Der Direktor der Professional School of Education an der Humboldt-Universität (HU), Stephan Breidbach, kommentiert, die Kommission lege den Finger "an den richtigen Stellen in die Wunde". Rebekka Hüttmann, Vizepräsidentin der Universität der Künste, sieht viele Reformforderungen an der UdK bereits erfüllt.
Berliner Universitäten
als Positiv-Beispiele
Verschiedene Reformen, die auch die SWK vorschlägt, stehen dabei aktuell im Mittelpunkt, vor allem diese: die Einführung eines Studiums für sogenannte Ein-Fach-Lehrer.
Die Idee: Nach einem Fach-Bachelor oder Fach-Master wechseln Studierende in einen Master of Education und bekommen dort das pädagogische und fachdidaktische Rüstzeug für den Lehrerberuf. Das geht auch mit einem älteren Diplom oder Magister. Anschließend gehen sie voll ausgebildet ins Referendariat und an die Schulen – aber eben mit einem Fach. Die Lehrerbildung würde so flexibler, offener auch für Spätentschlossene und bliebe trotzdem komplett wissenschaftsbasiert.
Lehrkräftemangel
Die Kultusministerkonferenz (KMK) erwartet laut ihrer jüngsten Prognose 68.000 fehlende Lehrkräfte bundesweit bis 2035, Bildungsforscher wie der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm
taxieren die Lücke gar auf 85.000 Pädagogen. Schon in den kommenden Jahren fehlen Zehntausende. Allein in Berliner Schulen waren im Herbst über 700 Vollzeit-Stellen unbesetzt.
"Vor allem für Quereinsteiger kann das ein spannendes Modell sein", sagt Stephan Breidbach von der HU. Dort gibt es schon einen – ähnlich gestrickten – Quereinstiegs-Master (Q-Master) für Grundschulen, die FU hat das Pendant für die weiterführenden Schulen, die TU für die beruflichen Schulen. Allerdings laufen sie alle noch auf zwei, in der Grundschule auf drei Fächer hinaus. Anders an der UdK: Da haben sie schon einen Ein-Fach-Master in den Fächern Kunst und Musik. "Bislang nur für den Quereinstieg", sagt Vizepräsidentin Hüttmann. "Aber das könnte man auch grundständig denken" – also für Studienanfänger, die von Anfang nur Lehrer für ein Fach werden wollen.
"Der Ein-Fach-Lehrer wäre für uns in Berlin die große Revolution", sagt Ina Czyborra. Und während die SWK solche Modelle vor allem für Mangelfächer wie Mathematik oder Informatik empfiehlt und auch an den Berliner Universitäten die Präferenz besteht, zumindest mit denen anzufangen, hält die Wissenschaftssenatorin derartige Studiengänge für alle Schulfächer denkbar. "Wenn jemand nur für Geografie oder Geschichte brennt, warum denn nicht?" Etwas zurückhaltender klingt es aus der Senatsverwaltung für Bildung. Es heißt dort zwar, dass auch Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) den Ein-Fach-Lehrer "möglichst bald" einführen wolle. Allerdings beschränkt auf Mangelfächer.
Warnungen, dass Schulen nur mit Zwei-Fach-Lehrern ihre komplexen Stundenpläne organisiert bekämen oder Ein-Fach-Lehrer schneller ausbrennen könnten, kontern einige Lehrerbildungs-Reformer mit dem Hinweis, dass die Lehrerbildung in großen Teilen der Welt immer schon nur auf ein Fach abhebe. Weshalb Christian Schröder von der TU gerade auch für internationale Bewerber, die mit nur einem Fach kämen, nach Einführung größere Chancen sieht. "Wenn wir grünes Licht bekommen, wollen wir schon zum Wintersemester 2025/26 loslegen."
Weitgehend Einigkeit mit der SWK herrscht auch bei der Ablehnung eines dualen Studiums vom ersten Semester an. Dabei würden Studierende von Anfang an unterrichten und parallel zur Uni gehen. "Für die HU kann ich sagen, dass so etwas indiskutabel wäre", sagt Stephan Breidbach. Allerdings, fügt er hinzu, sei man sich mit der SWK ebenfalls einig, dass Praxis und Theorie im Studium durch Beratung und Reflexionsangebote noch besser verzahnt werden müssten.
Auch der "Flex-Master"
soll kommen
Das Zauberwort, das sie deshalb zwischen den Berliner Universitäten und der Politik diskutieren, lautet "Flex-Master". Die Initiative dafür, sagt Sven Chojnacki, sei von der FU ausgegangen. Alle Universitäten hätten sich bereits dazu bereit erklärt, "wir entwickeln das jetzt in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe weiter".
Der Flex-Master soll ermöglichen, dass Studierende im Master of Education selbst über ihr Studienmodell entscheiden. Sie könnten dann entweder wie bisher ein volles Praxissemester an einer Schule verbringen, mit vier Tagen Unterrichtspraxis und einem Tag an der Uni zur Begleitung. Oder sie könnten mehrere Semester hindurch unterrichten, inklusive universitärer Betreuung, und dabei parallel studieren.
Das wäre zugleich eine Anerkennung der Realität, wie sie ist, sagt Senatorin Czyborra: "die Realität der sogenannten PKB-Kräfte", wobei die Abkürzung für "Personalkostenbudget" steht. "Wir wissen, dass sehr viele Studierende bereits vertretungsweise an Schulen unterrichten. Damit müssen wir umgehen." Ohne Praxisanleitung sei das aber nicht mehr als Lückenstopfen auf Kosten der Studierenden, "und das geht auf Dauer gar nicht".
Die Unis wollen genauer wissen,
wer das Studium abbricht
Ein weiterer Vorteil laut TU-Vize Schröder: Statt erstmal für wenige Studierende einen aufwändigen Modellversuch zu starten, könnte man hier gleich alle Studierende einbeziehen, ohne große Verwerfungen und aufbauend auf dem, was schon da sei. "Das wäre sicher sinnvoller als ein duales Studium komplett neu parallel aufzubauen."
Und sonst? Wollen die Berliner Universitäten wie von der SWK gefordert ihre Datenlage verbessern. Genauer wissen, wer wo und warum den Studiengang wechselt oder abbricht. Alle klappern sie längst mit Werbevideos, Flyern und Social-Media-Kampagnen, um zusätzliche Studienbewerber anzulocken. Die UdK zum Beispiel schickt Scouts in die Schulen, die FU will ihr Einführungsstudium EinS@FU fürs Lehramt öffnen, die Senatsverwaltung für Bildung lobt unterdessen Extra-Stipendien aus.
Alles in allem mit bislang mäßigem Erfolg. Derzeit schafften alle Universitäten zusammen etwa die Hälfte der laut neuen Hochschulverträgen geforderten 2500 Absolventen pro Jahr, sagt Christian Schröder, "in den MINT-Fächern bisher leider sogar noch ein paar weniger" – weshalb die TU jetzt den direkten Zugang für Techniker und Meister für ihren Q-Master erlaubt bekommen möchte. Sven Chojnacki sagt, es werde schwierig, eine solche Kopfzahl zu erreichen. "Alle lehrerbildenden Hochschulen haben schon viel getan, um die Lehrerbildung in den Mittelpunkt zu stellen, aber wir wissen auch, es gibt weiteren Nachholbedarf."
Die SWK fordert deshalb, die Schools of Education "wirkmächtiger" zu machen – aber wie? Sollten sie am Ende, was die SWK so nicht ausbuchstabiert, wie die medizinischen Fakultäten ihre Studiengänge überwiegend selbst bespielen? Mit weitreichenden Folgen für die Mittelverteilung in den Universitäten? Eine Frage, bei der die sonst so gesprächigen Vertreter der Berliner Universitäten wortkarg werden. Dieses Brett wäre wohl sogar ihnen noch zu dick.
Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.
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