Nach mutmaßlich antisemitischen Äußerungen eines Wissenschaftlers geriet die Max-Planck-Gesellschaft seit dem Wochenende unter Druck, klar Stellung zu beziehen. Der Forscher selbst betonte, er sei kein Antisemit. Jetzt reagiert die Forschungsorganisation.
"MAX-PLANCK-INSTITUT beschäftigt Israel-Hasser", titelte am Montag die Jüdische Allgemeine. Tatsächlich lesen sich etliche der Posts und Blogeinträge des australischen Gastwissenschaftler Ghassan Hage wie die Verherrlichung der Gräueltaten vom 07. Oktober. Ein Gedicht mit 17 Versen, das Hage laut Zeitstempel noch am Tag des Hamas-Überfall auf Israel verfasste, kulminierte in der Feststellung: "Die Palästinenser, wie alle kolonisierten Völker, beweisen noch immer, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand endlos ist. Sie graben nicht nur Tunnel. Sie können über Mauern fliegen."
Israels Reaktion bezeichnete der Ethnologe auf der Online-Plattform "X" als "Genozid", sie ähnele der antisemitischen Nazi-Gewalt "mit ihrer zerstörerischen Kraft und ihrem Wunsch zu demütigen", "auch in ihrer Vulgarität". Zuerst hatte die WELT am Sonntag über Hages Äußerungen berichtet und darauf hingewiesen, dass Hage seit Jahren die Israel-Boykottbewegung BDS unterstütze. Lange, bevor er als 2023 ans Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung nach Halle an der Saale ging.
Entsprechend unter Druck war seit dem Wochenende die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die in der Angelegenheit über Monate zumindest nach außen untätig geblieben war – obwohl sich ihre Stellungnahme kurz nach dem Angriff als das komplette Gegenteil zu Hages Äußerungen las. "Wir stehen solidarisch an der Seite des Staates Israel", hieß es darin. "Wir gedenken der Israelis und der Menschen aus aller Welt, die dem Terror der Hamas zum Opfer gefallen sind." MPG-Präsident Patrick Cramer hatte die englischsprachige Version damals umgehend auf "X" gepostet. Musste er jetzt in Sachen Hage genauso eindeutig Haltung zeigen, und wenn ja, was bedeutete das?
Hage, der 1957 in Beirut im Libanon geboren wurde, gilt in seinem Feld als herausragender Wissenschaftler, der viel beachtete Forschungsarbeiten zu Rassismus, Nationalismus und Multikulturalismus geleistet hat. Die Nachricht, dass er für zwei Jahre Gastprofessor in Halle wurde, würdigte das Max-Planck-Institut mit einem – inzwischen nicht mehr online abrufbaren – Interview und der Schlagzeile "Willkommen am MPI, Ghassan Hage!"
"Wilde Bestien
des Westens"
Dessen anti-israelische Rhetorik sich nach dem 7. Oktober in Frequenz und Schärfe spürbar verstärkt hatte. Doch obgleich er Israel seitdem als "sich überlegen fühlender Schläger" bezeichnete, dessen Ende als jüdischer Staat prognostizierte und laut WELT am Sonntag in einem inzwischen gelöschten Post schrieb, "die Zionisten mit ihrer Siedlergewalt" würden zu "den wilden Bestien des Westens", sieht Hage sich selbst nicht als Antisemit. Im Gegenteil betonte er auf "X": Die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält."
Auf Presseanfragen reagiert Hage nicht. Seinen Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Halle habe er beendet, weil dieses es vorgezogen habe, "ihn zu verhören, statt ihn zu verteidigen". So kann man es in der Petition nachlesen, die ein Pariser Professor gestartet hat – zur Unterstützung gegen die "bösartige Schmierenkampagne" durch "bestimmte Journalisten und pro-israelische Aktivisten". "Machen Sie mit und stehen Sie auf für die Meinungsfreiheit und unterschreiben Sie heute die Petition!" Bis Mittwochabend waren 1325 Menschen dem Aufruf gefolgt, viele davon offenbar aus englischsprachigen Ländern, darunter nach eigenen Angaben auch Juden und sogar Verwandte von Holocaust-Überlebenden.
Was kein Zufall ist, wie die Politikwissenschaftlerin Katrin Kinzelbach von der Universität Erlangen-Nürnberg Mitte Januar im Tagesspiegel und hier im Blog in Bezug auf die USA ausführte. Das Verständnis von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dort sei ein unbedingteres" sei als "bei uns", erklärte Kinzelbach. Es gebe hier "fast keine Grenzen". Kinzelbach äußerte sich zum Rücktritt der Harvard-Präsidentin Claudine Gay, nachdem diese und zwei Kolleginnen bei einer Anhörung im US-Kongress sich nicht hatten festlegen wollen, ob der Aufruf zum Völkermord an den Juden gegen universitäre Richtlinien zu Mobbing und Belästigung verstoße. Kinzelbach kommentierte, die Überzeugung auch der meisten Wissenschaftler in den USA laute: "Absolute Redefreiheit ist die Voraussetzung von Demokratie."
MPG: Missbrauch von
Freiheitsrechten
Während in Deutschland die Öffentlichkeit auf Kritik an Israel und erst recht auf die Gleichstellung von Israels Politik mit den Verbrechen der Nationalsozialismus extrem empfindlich reagiert. Doch so schwer erträglich einige von Hages Äußerungen sind, bedeutet das auch, dass sie gegen deutsche Gesetze verstoßen?
Genau das war das Spannungsfeld, in dem sich MPG-Präsident Cramer als Präsident einer weltweit agierenden Forschungsorganisation bewegte. Und sich mit dem Hinweis auf die Prüfung des Sachverhalts mit seiner offizielle Reaktion Zeit ließ.
Am Mittwochabend um 18.30 Uhr war es dann soweit, die Max-Planck-Gesellschaft veröffentlichte ihre offizielle Stellungnahme: Unter den von Ghassan Hage in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten seien viele mit den Grundwerten der MPG unvereinbar. "Die Max-Planck-Gesellschaft hat sich daher im Einvernehmen mit dem Institut von ihm getrennt." Offenbar hatte Hage zuvor, siehe die Formulierung "im Einvernehmen", mit seinem selbstverkündeten Abschied zumindest die arbeitsrechtliche Problematik entschärft.
Max Planck nimmt Stellung,
Hage reagiert
Die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte seien für die MPG ein unschätzbar hohes Gut, schrieb die MPG weiter. "Sie gehen mit großer Verantwortung einher. Forschende missbrauchen Freiheitsrechte, wenn sie mit öffentlich verbreiteten Verlautbarungen die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft untergraben und damit das Ansehen und Vertrauen in die sie tragenden Institutionen beschädigen." Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit finde seine Grenze in den wechselseitigen Pflichten zur Rücksichtnahme sowie Loyalität im Arbeitsverhältnis. "Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Diskriminierung, Hass und Hetze haben in der Max-Planck-Gesellschaft keinen Platz."
Am Ende hat sich die MPG also im Spannungsfeld eindeutig verortet. Doch eben erst nach der Presseberichterstattung.
Hage reagierte seinerseits noch in der Nacht und kündigte an, bald ein eigenes Statement zu veröffentlichen. Mit dem ersten Teil der MPG-Erklärung zur Unvereinbarkeit zwischen seinen Ansichten und den Grundwerten von Max Planck hätte er leben können, schrieb Hage auf "X". "Aber die Aussage am Schluss, es sei in der MPG kein Platz für Rassismus, "was impliziert, ich sei ein Rassist, kann ich nicht akzeptieren."
Dies ist die aktualisierte Version eines Beitrags, der zuerst im Tagesspiegel erschien.
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Peter Faethe (Samstag, 10 Februar 2024 06:47)
Die Meinungsfreiheit in Israel ist viel weiter gefasst und deshalb gesünder.
In der d Wikipedia gibt es keinen Eintrag "Gh. Hage", in US-Wiki kann man seine eindrucksvolle Liste akademischer Ehrungen nachlesen. Ich halte Prof. Hages Entlassung für eine falsche symbolische Entscheidung.
na ja (Samstag, 10 Februar 2024 23:28)
Die Entscheidung des MPI war gut. Hage ist ein unerträglicher Hetzer gegen Israel, siehe seinen twitter account (von dem er allerdings inzwischen einiges gelöscht hat). Was los ist in D mit Antisemitismus von links kann man derzeit ja ganz gut beobachten. Ist schon ein wenig irre, was sich da in den letzten Jahren so entwickelt hat und jetzt zum Vorschein kommt.
Peter Faethe (Dienstag, 13 Februar 2024 15:19)
Es gibt von Gh. Hage eine Stellungnahme, zu finden in "junge welt", deren Teilung ich hier empfehle, obwohl/weil sie den Hetz-Vorwurf nicht bestätigt. Spaßig, dass ausgerechnet die Staaten, die von sehr Rechten/Linken maximal begeifert werden, m.E. mit einer vorbildlichen Meinungsfreiheit zurechtkommen - USA und Israel.
Konstantin Sträter (Mittwoch, 14 Februar 2024 14:24)
Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das in Deutschland wesentlich besser geschützt wird als anderswo. Mit Blick auf die Tätigkeit und Äußerungen von Personen, die für staatliche Einrichtung arbeiten, gilt seit jeher ein Mäßigungsgebot (Rücksichtnahme). Aber auch in anderen Arbeitsverhältnissen ist das sinnvoll.
Das bedeutet, wenn ich nicht wissenschaftlich tätig bin, sondern Meinungsbildung betreiben will, was total legitim ist, das tun zu wollen, muss man sich entscheiden. Zum Beispiel gehe ich dann in die Politik oder werde Journalist oder Autor.