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Am Kern vorbei

Die Debatte über die Handynutzung an Schulen gibt vielleicht eine gute BILD-Schlagzeile her, ansonsten lenkt sie von den Digitalisierungs-Themen ab, die wirklich wichtig sind in der Bildungspolitik.

DAS BMBF STARTET auf "X" eine Umfrage über ein Handyverbot an Schulen und verweist dazu auf einen BILD-Artikel. In dem sagt Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), sie "halte nichts davon, Handys in den Schulen zu verteufeln oder generell zu verbieten". Was laut BILD angeblich von "Experten" so gefordert wird. Es ist eine seltsam plakative Debatte, die derart am Kern vorbeigeht, dass man sich fragt, warum ein Bundesministerium sie auch noch befeuert.

 

Keiner, aber wirklich keiner, der sich auskennt, verteufelt die Nutzung von Smartphones im Unterricht, insofern sie aus didaktischen Gründen vom Lehrer oder der Lehrerin erlaubt wird. Je mehr ausreichend Tablets und andere Endgeräte in den Schulen vorhanden sind, desto überflüssiger wird der Einsatz von Handys allerdings. Es geht also mehr um die grundsätzliche Rolle, die digitale Medien im Unterricht spielen sollten und in welcher Form ab welcher Klassenstufe. Insofern ist mit einem einzigen Satz der CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, ebenfalls zitiert im BILD-Artikel, eigentlich schon alles gesagt: "Dabei ist die private Handy-Nutzung im Unterricht zu untersagen (Hervorhebung durch JMW)."

 

Umgekehrt existieren an den meisten Schulen sehr genaue Regeln, wie Schüler mit ihren Handys auf dem Schulgelände umzugehen haben: Sie bleiben in den Taschen und Schulranzen, es sei denn, die Lehrkräfte sagen ausdrücklich etwas Anders. Ansonsten werden die Geräte im Zweifel für den Rest des Tages einkassiert, im Wiederholungsfall wird es ernster. 

 

Was soll also diese Debatte? Sie ist ähnlich schief wie der derzeit häufig zu hörende Verweis auf skandinavische Schulen, die angeblich die Digitalisierung an den Schulen wieder rückgängig machten. Tun sie nicht. Sie greifen nur wieder häufiger aufs gedruckte Buch zurück.  Und das Weniger, was dort an digitalen Medien eingesetzt werden soll, wäre immer noch ein Mehr im Vergleich zu dem, was an den meisten Schulen in Deutschland Alltag ist.

 

Bis Mitte Mai wollen Bund und Länder endlich über die Digitalpakt-Fortsetzung fertig verhandeln. Hier gibt es genug Raum für eine die Kultusminister und erst recht eine Bundesbildungsministerin, noch dazu im Rahmen ihrer politischen Gestaltungsmacht, sich bildungspolitisch auszutoben. Etwa über die Frage, wie eine Vertiefung der digitalen Spaltung verhindert werden kann. Schon jetzt nutzen Kinder aus finanziell bessergestellten Elternhäusern private Lern-Apps und Tutoring, das ihren Lernvorsprung noch vergrößert – und ihre digitale Kompetenz dazu. 

 

Nicht weniger drängend: Was bedeutet der Siegeszug von ChatGPT & Co für den Unterricht und für Hausaufgaben vor allem in den weiterführenden Klassen? Welche Prüfungs- und Bewertungsformate erweisen sich als zukunftsfähig? Wie kann eine kohärente politische Strategie die Entwicklung digitaler Bildungsmedien fördern, die von den Schulen wirklich gebraucht werden, und welche Rolle spielen dabei digitale Startups und klassische Verlage?    

 

Und schließlich: Das Lehramtsstudium muss endlich flächendeckend so modernisiert werden, dass kein Absolvent und keine Absolventin mehr ins Referendariat einsteigt, ohne sich ausführlich mit den Grenzen, vor allem aber auch den praktischen Möglichkeiten der Digitalisierung der Bildung auseinandergesetzt zu haben. Weil das nicht reicht, viel zu spät kommt und die technische Weiterentwicklung ohnehin nie stehen bleibt, braucht es regelmäßige verpflichtende Fortbildungen für alle Lehrkräfte, und das "verpflichtend" bezieht sich vorrangig auf die Kultusministerien, diese dann auch in ausreichender Zahl und Qualität anzubieten.

 

Ein paar Beispiele für bildungspolitisch wertvolle Debatten, die wir führen sollten, bei denen mehr öffentlicher Erwartungsdruck tatsächlich heilsam wäre. Auch wenn BILD ihnen vermutlich keinen Platz einräumen würde. 

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.



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Kommentare: 2
  • #1

    Beat Rüedi (Donnerstag, 22 Februar 2024 15:47)

    Müssten / dürften die Lehramtsstudierenden während des Studiums, während des Ref und ... eine webbasierte, wo und wann und mit wem immer zu unterhaltende PLE produzieren, bräuchte es all die Forderungen nach Systemänderung, Modernisierung, ... nicht.

  • #2

    Anonym (Donnerstag, 22 Februar 2024 17:40)

    Ehrlich gesagt wirft auch das Vorgehen an sich - neben den erwähnten inhaltlichen Punkten - Fragen auf:

    - das Bundesministerium für Bildung und Forschung startet eine nicht forschungs-geleitete Umfrage
    - auf X (!)
    - und verlinkt dabei auf einen Artikel auf den man nur mit pur-Abo oder unter Akzeptieren der Tracking und Cookie Knebel zugreifen kann

    Welches Bundesministerium ist noch gleich zuständig für Themen wie "Kompetenzentwicklung in einer digitalen Welt" oder "Gemeinsame Basis für Datenschutz, Souveränität, Integrität und Qualität von Daten schaffen"?