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Der Aufstieg der Man-Fluencer

Von "degradierten Pussys" und "ehrenhafte Typen": Wie toxische Vorstellungen von Männlichkeit über die sozialen Medien die gesamte junge Generation erreichen – und was das für Schulen, Hochschulen und die Zivilgesellschaft bedeutet. Ein Gastbeitrag zum Internationalen Frauentag von Nina Kolleck und Johanna Maria Pangritz.

Nina Kolleck ist Professorin für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Johanna Maria Pangritz ist Postdoktorandin am dortigen Arbeitsbereich. Fotos: Thomas Roese, Uni Potsdam/privat.

FEMINISMUS ERSCHEINT OMNIPRÄSENT. Influencerinnen wie Nancy Basile und Kinofilme wie "Barbie" oder "Poor things" setzen neue Standards für weibliche Figuren, brechen mit traditionellen Rollenklischees und tragen dazu bei, die Debatte über Feminismus auch in der Popkultur voranzutreiben. 

 

Doch hinter den Leinwänden florieren die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Repräsentative Studien zeigen einen Anstieg sexistischer und antifeministischer Meinungen, besonders bei jungen Menschen. So ergab die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass rund zwölf Prozent der Befragten (Frauen und Männer) glauben, Gleichberechtigung bedeute eine Machtübernahme der Frauen. Der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten, dass Frauen sich mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen sollten, stieg von 7,6 Prozent im Jahr 2020/21 auf 10,6 Prozent im Jahr 2022/23.

 

Aktuelle Forschungsarbeiten belegen zugleich, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit in Deutschland stark variieren. Eine Untersuchung des Bundesforums Männer ergab, dass mittlerweile 84 Prozent der Männer die Gleichstellung der Geschlechter als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erachten. Im Jahr 2015 waren es noch 79 Prozent. Umfragen des Survey Centers on American Life in Deutschland wiederum zeigen, dass sich die politischen Ansichten von jungen Männern und Frauen zunehmend unterscheiden. Während junge Frauen in den vergangenen Jahren liberaler wurden, halten junge Männer oft an konservativen Werten fest oder bewegen sich politisch nach rechts.

 

Die Vorstellungen von Männlichkeit schwanken zwischen modernen Ansätzen (beispielsweise fürsorgliche, sich aktiv an der Kinderbetreuung beteiligende Väter) und traditionellen, bis ins rechte Spektrum reichenden Vorstellungen, die Gleichstellung ablehnen. Auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram finden letztere viele Anhänger. Einige Kanäle propagieren die Rückkehr zu einer patriarchalen Männlichkeit, erkennen Frauen und queere Menschen nicht als gleichgestellt an. Onlinetrends wie "#TradWife" oder "#cottagecore" stellen Frauen als unterlegen dar oder betonen ihre traditionellen Aufgaben als Hausfrauen – ein Leben allein zu den Diensten des Mannes.

 

Immer wieder auf Platz 1
der Spotify Podcast Charts

 

Einige mögen denken: Solche Einflüsse betreffen nur einen kleinen Teil unserer Gesellschaft. Leider ist das falsch. Toxische Vorstellungen von Männlichkeit erreichen die gesamte junge Generation. Influencer wie die Podcaster Hoss und Hopf haben mit ausgefeilten Social-Media-Strategien das Vertrauen der jungen Generation gewonnen und verbreiten erfolgreich ihre frauenfeindlichen Botschaften. Der Podcast befand sich immer wieder auf Platz 1 der Spotify Podcast Charts.

 

Auf TikTok nutzen Hoss und Hopf eine besonders ausgefeilte Vorgehensweise: Wer ihre Video weiterverbreitet und dafür die meisten "Likes" erhält, dem versprechen die beiden Podcaster regelmäßig einen hohen Gewinn. Wahrscheinlich kennen mittlerweile alle Jugendlichen Personen im Umfeld, die durch die Verbreitung der Videos bereits Geld von Hoss und Hopf erhalten haben. Die Videos werden selbst von TikTok-Nutzer:innen geteilt, die sich sonst kritisch gegenüber Verschwörungstheorien äußern und demokratiefreundliche Ansichten vertreten. Trotz behaupteter Löschung ihrer Videos durch TikTok sind die meisten immer noch online. Das zeigt: Kanäle wie TikTok haben die Verbreitung von Falschinformationen nicht mehr im Griff.  

 

Hoss und Hopf behaupten, dass die Geschlechterrollen evolutionsbiologisch begründet und festgefahren sind. Frauen sollen demnach in Höhlen für den Nachwuchs sorgen, während Männer als Jäger draußen ihre Rolle als Versorger übernehmen. Sie vertreten die Ansicht, dass Kinder auch heute möglichst lange in dieser traditionellen Struktur verbleiben sollten, um nicht zu früh in Kita oder Schule zur Frühsexualisierung verführt zu werden. Männer, die diesen Rollen nicht entsprechen, werden von Hopf als "degradierte Pussys" bezeichnet, da sie nicht eindeutig männlich seien. Im Gegensatz dazu stehen die "ehrenhaften Typen", die den Respekt der Frauen verdienten. 

 

Ein anderer einflussreicher Influencer ist der ehemalige Kickbox-Weltmeister und heutige Unternehmer Andrew Tate. Tate bezeichnet sich selbst als "Frauenhasser" und verbreitet seine frauenverachtenden Botschaften über Plattformen wie TikTok und YouTube. Er wird von Bildungsforschenden als eine der einflussreichsten Personen in Fragen der Erziehung, Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Hoss und Hopf widmen Tate zwei Folgen ihres Podcasts und beschreiben ihn als bedeutenden Einfluss auf die heutige Jugend.

 

Tate steht derzeit in Rumänien vor Gericht wegen Vorwürfen wie Menschenhandel, der Bildung einer kriminellen Organisation und Vergewaltigung. Seine Strategie, Frauen zu verführen und sie als „Webgirls“ arbeiten zu lassen, war lange Zeit öffentlich auf seiner Homepage und in YouTube-Videos zu sehen. Viele dieser Inhalte wurden mittlerweile gelöscht, vermutlich aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens. Seine Männlichkeit, die Frauen unterwirft, ist geprägt von finanziellem Erfolg, physischer und mentaler Stärke sowie der Ansicht, dass er und seine Männlichkeit in der heutigen Gesellschaft benachteiligt sind.

 

Schulen spielen eine Schlüsselrolle im Kampf
gegen diese gesellschaftliche Spaltung

 

Obwohl Tates Kanal teils ebenfalls auf verschiedenen Plattformen gesperrt wurde, verbreiten sich seine Botschaften weiterhin. Für viele Menschen weltweit ist Tate eine Ikone und ein Orientierungspunkt im Leben. Die Diskussion über diese Person ist in Schulen, Familien, Hochschulen und der Bildungsforschung weltweit präsent und nicht mehr wegzudenken. So zeigen Studien etwa von Wissenschaftler:innen der Monash University, dass Lehrerinnen in Australien vermehrt Misogynie erfahren, da Jungen durch Tates Ideen beeinflusst und radikalisiert werden.  Ebenso konnten Wissenschaftler:innen von der University Liverpool und dem University College London den Einfluss von Tate auf männliche Jugendliche feststellen.

 

Hinter der Weltanschauung, die Tate, Hoss und Hopf und andere vertreten, liegt die Annahme, dass die westliche Männlichkeit bedroht ist und in der Krise steckt. Diese Veränderung der Geschlechterverhältnisse wird mit dem Verlust patriarchaler Männlichkeit gleichgesetzt und die wahre Männlichkeit als benachteiligt dargestellt.

 

Es ist höchste Zeit, dieser gesellschaftlichen Spaltung aktiv entgegenzutreten. Bildungspolitik, Schulen und Hochschulen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sollten den Mut haben, einen offenen Dialog über Geschlechterbilder und die Spaltungen in unserer Gesellschaft zu führen. Schulen müssen zu diesem Zweck die Medienbildung, die digitale und politische Bildung stärken, um den Schüler:innen zu helfen, Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen zu überprüfen und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Gleichzeitig müssen Schulen Medienkompetenz vermitteln, damit Schüler:innen manipulative Inhalte in sozialen Medien erkennen und für Geschlechtergleichstellung eintreten können. Dafür müssen auch die Lehrkräfte entsprechend aus- und fortgebildet werden, wichtig sind zudem gezielte Programme zur Förderung von Geschlechtergleichstellung und -diversität für Lehrkräfte sowie Schüler:innen.

 

Es braucht aber noch mehr. Wer sich für Gleichstellung und Menschenrechte einsetzt, muss deren Gegner:innen dort schlagen, wo sie besonders erfolgreich sind: in den sozialen Medien. Parteien, Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen, NGOs, Vereine und Bildungseinrichtungen müssen daher dringend ihrerseits aktiver und kreativer bei TikTok, Instagram und YouTube werden und ansprechende Videos produzieren. Es darf keine Alternative sein, diese Plattformen den Gegner:innen von Demokratie und Aufklärung zu überlassen. Der Trend zu Falschinformationen und Menschenfeindlichkeit lässt sich nicht nur mit dem Zeigefinger bekämpfen, sondern mit Rollenvorbildern, die zeigen, was wirklich cool ist: eine gerechte und inklusivere Gesellschaft.  



In eigener Sache: Es geht so nicht mehr


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Kommentare: 3
  • #1

    Oliver Janoschka (Freitag, 08 März 2024 12:07)

    Herausragend & ungemein wichtig!
    Ich möchte wirklich vorwegstellen, dass Ihnen mit der Problematisierung der Social-Media Infiltrierung der „next-male-Gen“ ein unglaublich wichtiger Debattenbeitrag gelungen ist!
    Die Sensibilisierung für die gesellschaftliche Gefahr dieses Eisbergs wird meiner Wahrnehmung nach häufig überhaupt noch nicht verstanden, geschweige denn systematisch im Bildungsbereich aufgegriffen, daher passt es perfekt am heutigen Welt-Frauentag die Aufmerksamkeit auf diese Ignoranzen zu lenken!
    Zur Verdeutlichung (auf anekdotisch/subjektiver Basis): Meinem Eindruck nach kennt nahezu jeder männliche Jugendliche zwischen 13-18 Andrew Tate (nicht zu sprechen von zahllosen weiteren/ähnlich agierenden Man-Fluencern), während gleichzeitig erstaunlich wenige Menschen mit einem Lebensalter von 40+ je von ihm gehört haben.
    Diese unheilvolle Melange erscheint mir im Übrigen im nächsten Schritt auch im Zusammenspiel mit den virulenten Fragen rund um Demokratie- und Werteerziehung bzw. angesichts steigender rechtspopulistischer Tendenzen hoch bedeutsam und erfordert -politisch- neue Strategien im Umgang mit Social-Media Einflüssen auf die nextGen - und im Bildungs- und privaten Bereich die Hinwendung zur intensiven Auseinandersetzung!
    In diesem appellativen Sinne: Auf gute kritische Gespräche heute & morgen! Es ist 5 nach 12!

  • #2

    Günter Tolkiehn (Freitag, 08 März 2024 17:33)

    Anscheinend ein gruseliger Subkultur-Tsunami! Und ja, bin Ü40 :-) und höre davon heute das erste Mal. Vielen Dank!

  • #3

    Manfred Man (Samstag, 09 März 2024 14:22)

    Vielleicht wird einfach nur ein Gegengewicht zu anderer Indoktination aufgebaut, die alles männliche als toxisch diffamiert. Es werden die gleichen Kanäle benutzt, die Aufregung ist umsonst und sinnlos. Wandel oder Umkehr vollzieht sich wenn das Kollektiv es will, nicht durch individuelle Meinungen. Indem alle, die anderer Meinung sind, beschimpft werden, stärkt man die eigenen Gegner. Schafft man es nicht mit Argumenten zu überzeugen, sollten vielleicht die Argumente oder die Radikalität des Anliegens überdacht werden.