Die Koordinatorinnen der beiden Parteilager, Karin Prien und Stefanie Hubig, stellen das Jahrzehnte alte Einstimmigkeitsprinzip in Frage – und wollen womöglich schon diese Woche eine Debatte im Präsidium des Ministerclubs starten. Bereits beschlussfertig ist der Fahrplan zur großen KMK-Strukturreform. Was drinsteht.
ES GILT als eine der Haupthürden hin zu einem schlagkräftigeren Bildungsföderalismus. Trotzdem wurde es bei den bisherigen Plänen zur Reform der Kultusministerkonferenz ausgespart: das Einstimmigkeitsprinzip. Laut KMK-Geschäftsordnung, deren erste Fassung von 1955 stammt, gilt es für alle Beschlüsse, die finanzwirksam sind, der notwendigen Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungssystem dienen oder die Kultusministerkonferenz selbst betreffen. Also bei so ziemlich allem, was Bedeutung hat. Was dazu führt, dass eines oder wenige Länder ihnen unangenehme Vorhaben blockieren können – mit der Folge, dass ambitionierte Vorhaben meist gar erst in Angriff genommen werden. Wer also nach Gründen sucht für die Langsamkeit und Unentschiedenheit vieler KMK-Beschlüsse bei gleichzeitig extremer Abstimmungsdichte: Hier findet er den wahrscheinlich besten.
Umso mehr lässt aufmerken, was möglicherweise schon an diesem Donnerstag im KMK-Präsidium besprochen werden soll: das Einstimmigkeitsprinzip – und Wege zu seiner möglichen Abschaffung. Offenbar in enger Abstimmung wollen die neuen Koordinatorinnen der beiden Parteilager in der KMK, Karin Prien (CDU) und Stefanie Hubig (SPD) das Thema vorantreiben, und sie verlieren keine Zeit damit. Vor nicht einmal zwei Monaten haben beide ihre Funktion von ihren langjährigen Vorgängern übernommen.
Auf Anfrage bestätigt Hubig, Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz: "Angesichts der KMK-Strukturreform, die wir zügig umsetzen wollen, müssen wir in diesem Zusammenhang auch über die Frage der Abstimmungsmodalitäten nachdenken, damit die KMK effektiver und schneller werden kann."
Während manche in der Kultusministerkonferenz die Bedeutung des Themas erst erkannt haben konfrontiert mit der Aussicht, dass in ostdeutschen Ländern demnächst die AfD mitregieren (und dann im Bildungsföderalismus fast beliebig blockieren) könnte, sieht Hubig die Bedeutung einer solchen Reform also noch weitaus grundsätzlicher: Wenn man sich schon die Mühe macht, die KMK samt Verwaltung, Gremien und Verfahrensweisen neu aufzustellen, dann wäre es geradezu fahrlässig, sie nicht auch abstimmungsmäßig von der Leine zu lassen.
Weg von der Einstimmigkeit,
was würde das eigentlich bedeuten?
Was auch klar ist: Weder wird es ein schnelles noch einfaches Unterfangen. Wie lassen sich Länder wie Bayern oder Sachsen in Boot holen, die besonders auf ihren eigenen (und in der Vergangenheit oft erfolgreichen) Weg in Bildungsfragen pochen, wenn sie künftig der Gefahr ausgesetzt wären, überstimmt zu werden? Was wären überhaupt sinnvolle Quoren, um auch bei Mehrheitsvoten die nötige Akzeptanz zu sichern? Zwei Drittel? Drei Viertel? Die KMK-Geschäftsordnung kennt derzeit eine einfache Mehrheit bei Verfahrensbeschlüssen und für alle übrigen, die nicht der Einstimmigkeit unterliegen, mindestens 13 von 16 Stimmen. Könnte letzteres als Inspiration dienen? Und selbst all diese Fragen sind noch die einfacheren, eine noch gewichtigere lautet: Lässt die Verfassung in ihrer jetzigen Fassung überhaupt zu, dass ein Bundesland durch KMK-Beschlüsse zu irgendetwas formal verpflichtet wird?
Ein dickes Brett also, das wusste auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, als sie schon 2022, am Ende ihrer KMK-Präsidentschaft laut über eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip nachdachte, von einem "steinigen Weg" sprach und gar eine Grundgesetzänderung ins Spiel brachte. "Wir denken meist, über das Grundgesetz ließe sich nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ändern", sagte sie im Interview hier im Blog. "Aber natürlich könnte man über eine Reform auch das Verhältnis der Länder untereinander in der Bildungspolitik anders gestalten. Dann bräuchten Sie auch keinen Staatsvertrag mehr, wenn es um Fragen von Mehrheit, Entscheidungsabläufen oder Zuständigkeiten der KMK geht."
Jetzt sagt Prien, angefragt in ihrer neuen Funktion als Koordinatorin der Unions-Kultusminister: "Ich halte es für richtig, über die Frage der zukünftigen Handlungsfähigkeit der KMK jetzt eine Debatte zu führen."
Einen Schritt weiter ist die Ministerrunde bei der von Hubig angesprochenen Strukturreform. Bei der KMK-Sitzung am Donnerstag wird die zu diesem Zweck eingesetzte sogenannte Strukturkommission II die weitere Umsetzungsplanung bis Jahresende vorstellen, anschließend werden die Minister über sie abstimmen. Entstanden ist die Umsetzungsplanung in Begleitung des Beratungsunternehmens Prognos, das vergangenes Jahr bereits mit seiner schonungslosen Bestandsaufnahme der vielen Dysfunktionalitäten der KMK für Debatten gesorgt hatte.
Vier Arbeitspakete,
sechs Empfehlungen
Die sechs Empfehlungen der Strukturkommission, die von den Ministern bereits im Dezember abgesegnet wurden, sollen laut KMK-Vorlage in den nächsten vier Monaten in vier Arbeitspaketen und dafür zuständigen Arbeitsgruppen parallel abgearbeitet werden.
Dem Arbeitspaket 1, der "Strukturierung der Bereiche und Governance", ist die Empfehlung zwei von Januar zugeordnet: die KMK-Bereiche "funktional und ihrer Eigenständigkeit stärken". Es ist das am weitesten fortgeschrittene Arbeitspaket, betrifft es doch im Wesentlichen die Neugründung einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz, deren Grundzüge die Wissenschaftsminister erst neulich beschlossen haben. Die Arbeitsgruppe 1 soll ihre Arbeit entsprechend bis Mitte Mai abschließen, die neue WissenschaftsMK dann im Juli offiziell starten.
Das Arbeitspaket 2, "Aufgabenkritik und Gremien", bezieht sich auf die Umsetzung der Empfehlung eins ("Fokus auf das Wesentliche durch Klärung der Aufgaben") und fünf ("Steuerbarkeit durch Gremienverschlankung erhöhen"). Hier wird es angesichts der von Prognos attestierten 177 Gremien, fast 600 Sitzungen und 1300 beteiligten Einzelpersonen besonders spannend. Beschlussreif sollen die Ergebnisse von Arbeitsgruppe zwei bis zur KMK Anfang Oktober sein.
"Jahresplanung und Monitoring" sind Gegenstand von Arbeitspaket 3, behandelt werden die Empfehlung drei von Januar ("Strategiefähigkeit durch strategische Arbeitsplanung erhöhen") und die Empfehlung vier ("Ergebnisse über Beschlussmonitoring in den Blick nehmen"). Bislang gab es eigentlich nur ein von der jeweiligen KMK-Präsidentschaft gesetztes Jahresmotto, das unterschiedlich konsequent verfolgt wurde, und jede Menge KMK-Beschlüsse, deren Existenz so sehr in Vergessenheit geriet, dass ihr Wiederhervorholen durchs KMK-Sekretariat in Vorbereitung der 2020 abgeschlossenen neuen KMK-Ländervereinbarung große Aha-Effekte verursachte.
Bis Jahresende unwiderruflich
aufs Gleis setzen
Auch wenn in Berichten über die KMK das Sprachbild vom "dicken Brett", siehe oben, häufiger strapaziert wird, mit Blick auf das Arbeitspaket 4, "Sekretariat und Organisation" gilt es in jedem Fall. Soll doch, siehe Empfehlung Nummer sechs von Januar, "Rollenklarheit" für die KMK-Verwaltung geschaffen werden – inklusive Ableitungen für ihre Organisation, ihre personelle Ausstattung und ihre Führung. Dabei dürfte zum Beispiel aufs Tapet kommen, ob der Generalsekretär weiter auf unbestimmte Zeit berufen wird. Und auch, ob man künftig eher eine Art mehrköpfigen Vorstand braucht, wenn es dann die weitgehend eigenständigen Konferenzen für Schule, Wissenschaft und Kultur gibt.
Über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen 3 und 4 sollen die Kultusminister bei ihrer Sitzung im Dezember 2024 entscheiden – und damit, bleibt es beim Vorschlag der Strukturkommission, den Reformprozess der KMK vor Ablauf dieses Jahres komplett und unwiderruflich aufs Gleis gesetzt haben.
Womöglich steht dann auch schon fest, dass die Ministerrunde neue Abstimmungsmodalitäten bekommt. Konsequent wäre es. Denn dann wäre es wirklich nicht mehr der Bildungsföderalismus, wie wir ihn kennen. Ein Bildungsföderalismus, dem in Umfragen regelmäßig eine Mehrheit der Deutschen die Abschaffung wünscht. Einen Schritt Richtung neue KMK könnte das Präsidium schon diesen Donnerstag gehen.
In eigener Sache: Es geht so nicht mehr
Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Doch wirtschaftlich steht die Idee seiner freien Zugänglichkeit vor dem Scheitern.
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Klaus Glaser (Mittwoch, 13 März 2024 10:46)
Bei der Diskussion sollte man jedoch nicht vergessen. dass das Prinzip der Einstimmigkeit letztlich auch die Stärke der der KMK war. Dadurch stieg der Druck auf die Länder, gemeinsame Beschlüsse auch umzusetzen. Bei einem Mehrheitsprinzip könnte anschließend jedes Land ohne schlechtes Gewissen entscheiden, dass von der eigenen Verfassung gedeckte andere Entscheidungen viel wichtiger sind als Beschlüsse der KMK. Dann wäre die KMK etwa so irrelevant wie die ASMK oder die GFMK.
Dieter Hölterhoff (Mittwoch, 13 März 2024 13:07)
Die Einstimmigkeit hatte auch Blockaden zur Folge. Leider gibt es immer noch keine kritische Aufarbeitung der KMK-Beschlüsse und deren Folgen.