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Kitas, Hochschulen & CO: Warum wir jetzt eine Debatte über Gebühren brauchen und sie trotzdem um Jahre zu spät kommt

Dass kostenlos für alle nicht automatisch mehr Bildungsgerechtigkeit bedeutet, schwant gerade einigen in der SPD. Gut so. Aber was folgt jetzt daraus?

Von einer besseren Ausstattung in Kitas profitieren gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

Foto: congerdesign / pixabay.

ES WAR EIN für Sozialdemokraten mutiger Vorstoß. Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel, die sich in Berlin als Landesparteivorsitzende bewerben, stellen die gebührenfreie Kita für alle in Frage. Sie habe damals gegen den entsprechenden Beschluss gestimmt, sagte Böcker-Giannini bereits im Februar im Tagesspiegel, "weil kostenfrei oft auf Kosten der Qualität geht." Die Kostenlos-Stadt für alle sei nicht in allen Bereichen die Lösung. "Wer es sich problemlos leisten kann, muss sich auch an den Kosten der Allgemeinheit beteiligen." Und Martin Hikel, Bezirksbürgermeister in Neukölln fügte hinzu: "Wir sind für ein Solidarprinzip statt für das kostenfreie Prinzip, so kann man es auf den Punkt bringen."

 

Mutig ist der Vorstoß auch deshalb, weil die für Bildungsgebühren-Vorstöße üblichen Diskreditierungen folgten. Der amtierende SPD-Landeschef Raed Saleh, der ebenfalls wieder ins Rennen um den Vorsitz geht, warf Böcker-Giannini und Hikel vor, Menschen vor den Kopf zu stoßen, "die Angst davor haben, dass sie sich die Stadt nicht mehr leisten können". Und weiter sagte er dem Tagesspiegel: "Mich ärgert, dass man jetzt – in einer Phase, in der sich die SPD gerade sortiert – mit diesem wichtigen Fundament der Partei und der Gesellschaft spielt." 

 

Derweil verwies die Boulevardzeitung B.Z. auf eine bereits 2020 von der damals SPD-geführten Bildungsverwaltung angestellte Beispielrechnung, derzufolge eine Familie mit einem Kind allein durch Gratis-Schulessen, Gratis-Schülerticket und Umsonst-Hort im Jahr bis zu 1400 Euro hätte sparen können – unabhängig vom Einkommen der Eltern.  

 

So wünschenswert es wäre, dass sich aus dem Berliner Streit eine bundesweite Debatte über den Sinn und Unsinn der Gebührenfreiheit für alle entwickelt, und zwar über die SPD hinaus: Der Vorstoß kommt um Jahre zu spät. Und möglicherweise sogar zum falschen Zeitpunkt.

 

Eine bundesweite Debatte, die den offensichtlichen
Widerspruch der Gebührenfreiheit klar benennt

 

Wünschenswert wäre die bundesweite Debatte, weil damit endlich der seit langem offensichtliche Widerspruch klar benannt würde: Das Geld, das für das Wegsubventionieren von Gebühren für Gutverdiener benötigt wird, fehlt für die bessere Ausstattung der Kitas mit Personal und Sachmittteln. Dabei profitieren von einer besseren Ausstattung gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Mit anderen Worten: Während nach Einkommen gestaffelte Beiträge (bis hin zur völligen Beitragsfreiheit für Wenigverdiener) einen fairen Ausgleich schaffen, verschärft eine Kostenlos-Kita für alle die soziale Schieflage. Das würde nur dann nicht gelten, wenn so viel Geld in die Kitas flösse, dass es keinerlei Qualitätsproblem mehr gäbe. Das wiederum kann bundesweit wohl kaum eine öffentlich finanzierte Bildungseinrichtung von sich behaupten. 

 

Allerdings sind diese Argumente nicht neu, Erziehungswissenschaftler und Forscher für frühe Bildung wiederholen sie seit Jahren mantramäßig. Viele von ihnen haben auch mit Vehemenz davor gewarnt, als zahlreiche Bundesländer (Berlin nicht, da kosteten die Kitas schon nichts mehr) Teile der Bundesmilliarden aus dem Gute-Kita-Gesetz in die Senkung oder Abschaffung der Gebühren für alle Einkommensgruppen steckten.

 

Dass sie erst jetzt Gehör bei Teilen der Sozialdemokraten finden, hat sicherlich mit der Veränderung der Haushaltslage zu tun. Und genau das ist das Problem: Würde jetzt die Gebührenfreiheit in Berlin durch eine Staffelung ersetzt, wäre die Gefahr groß, dass das frei werdende Geld eben nicht in den Kitas ankäme, sondern im Haushalt des Finanzsenators stecken bliebe. Böcker-Giannini und Martin Hikel wollen das nicht, aber sind sie vorbereitet, den dafür nötigen Kampf auszufechten?

 

Fast noch mehr irritiert mich an der Debatte, dass ein anderer Bildungsbereich erneut komplett ausgespart wird, obwohl er, was die Gebührenfreiheit für alle angeht, der noch viel kritischere ist: die Hochschule. In die Kita sollten alle Menschen gehen. Ein Studium dagegen ist nicht für alle Menschen gleichermaßen geeignet, außerdem ist der individuelle Nutzen neben dem gesellschaftlichen so groß, dass eine Kostenbeteiligung mehr als fair wäre. Zumindest, wenn der Hochschulabschluss im späteren Leben zu einem beträchtlichen Einkommen führt. Genau eine solche soziale Staffelung wäre über ein nachgelagertes Studiengebühren-Modell möglich, dessen Grundzüge ich mehrfach ausgeführt habe. 

 

Ein trauriges
bildungspolitisches Paradoxon

 

Eine rationale Bildungspolitik würde nach Einkommen gestaffelte, nicht zu hohe Kitagebühren etablieren, gleichzeitig kräftig in die Ausstattung investieren und klare Bildungsstandards formulieren. Eine rationale Bildungspolitik würde aber mit noch größerer Selbstverständlichkeit sozial verträgliche, das heißt: nachgelagerte und zinssubventionierte, Studiengebühren einführen. Die Logik ist hier übrigens genau die gleiche: Je besser finanziert die Studienbedingungen und damit die Möglichkeiten von Mentoring und persönlicher Ansprache sind, desto mehr profitieren junge Erwachsene aus bildungsfernen Familien.  Übrigens ist auch die Gefahr in Zeiten leerer Kassen die gleiche: dass zwar nachgelagerte Gebühren eingeführt, diese aber nicht in der notwendigen Weise sozial flankiert würden. Ein vernünftig gemachtes Bezahlstudium kostet den Staat nämlich über viele Jahre zunächst sogar zusätzliches Geld. 

 

So bleibt es ein trauriges bildungspolitisches Paradoxon: Intelligent gemachte Gebührensysteme könnten die Bildungsgerechtigkeit erhöhen, doch sollte man sie aufgrund ihrer Kosten besser in budgetär guten Zeiten einführen. Weil genau dann aber der politische Druck nicht da ist, unterbleibt die Debatte. Und in wirtschaftlich schlechen Zeiten birgt die finanzielle Knappheit des Staates ein besonders hohes Risiko, dass die Haushaltspolitik sie als Sparmodell missbraucht. Wie kommt man raus aus dem Paradoxon? Nur wenn auf den Mut zur Idee auch einmal der Mut zur politischen Umsetzung folgt.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.



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Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Bitte helfen Sie mit, damit er für alle offen bleibt.


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Kommentare: 5
  • #1

    Ulrich Steinbach (Donnerstag, 11 April 2024 12:52)

    Ich finde es sehr wertvoll, über Finanzierungsfragen, bei der Bildung zu sprechen.
    Ich will aber ein Argument noch in die Debatte einbringen, das nicht unterschlagen werden sollte. Der administrative Aufwand für alle Beitrags- und Gebührenmodelle ist nicht zu unterschätzen. Wenn man das noch nach Einkommen gestaffelt haben will, wird’s wirklich schwierig.

  • #2

    Edith Riedel (Freitag, 12 April 2024 09:10)

    Der Zeitpunkt ist in der Tat nicht besonders glücklich. Verbesserungen, die durch eingenommene Gebühren umgesetzt werden, sind erst mit Verzögerung spürbar. Bis dahin sind diejenigen, die es sich leisten können, zum Studieren ins Ausland abgewandert - warum hier bleiben, wenn man für schlechte Leistung Geld bezahlen muss, und im Ausland für das Geld bessere Leistungen erhält.

  • #3

    Franka Listersen (Freitag, 12 April 2024 10:03)

    Die Steuern, aus denen Kita, Schule und Hochschule finanziert werden, sind doch schon sozial gestaffelt. Warum dann noch eine weitere soziale Staffelung über Gebühren? Oder reicht die Steuerprogression nicht? Das wäre aber eine andere Debatte.

    Etwas anders würde ich dagegen das Argument einschätzen, dass einer Leistung eine direkte (und nicht wie bei Steuern indirekte) Gegenleistung entspräche. Dann müsste man aber Bildungsleistung unabhängig vom Einkommen für alle kostenpflichtig machen, was aber keiner will.

    Daher meine Schlussfolgerung: Lasst es wie es ist und konzentriert euch lieber auf die Sicherung bzw. Erhöhung der Bedeutung von Bildung an sich - zum Beispiel über Quotenziele für Bildungsausgaben.

  • #4

    Matthias Güldner (Dienstag, 16 April 2024 10:24)

    Das mit weit über 20 Milliarden Euro verschuldete Bremen (680T Einwohner) ging beim Kita-Irrsinn voran. Bremen hatte eine extrem sozial gestaffelte Beitragstabelle ("Beitrag", da "Gebühren" kostendeckend sein müssten, was in der Kita ausgeschlossen ist). 56% aller Eltern, diejenigen ohne oder mit geringeren Einkommen, zahlten gar nichts. Die übrigen 44% sozial stark gestaffelt nach Einkommen. Der Verzicht auf die Beiträge der oberen Mittel- und Oberschicht kostete weit über 20 Millionen Euro per anno. Dieses Geld fehlt angesichts des Hauptproblems Fachkräftemangel für einer attraktivere Ausbildung mit Azubi-Gehalt statt Zahlung von Schulgeld, für Neu- und Ausbau von Kitas, für Investitionen in die so oft beschworene frühkindliche Bildung, die in Zeiten des Personalmangels so häufig nur auf dem Papier steht. Außer mir waren alle 5 Fraktionen der Bürgerschaft für die Abschaffung. Mittelschichten sind Wählerschichten. Die oft bemühte soziale Begründung für einen Verzicht auf Beiträge bei den vulnerablen Gruppen, die in Bremen gar nichts gezahlt hatten, zeigt das Ausmaß des Schindluders, das oft mit dem Topic soziale Spaltung getrieben wird. Andere Länder könnten mit der Einführung einer sozial gestaffelten Tabelle die Probleme der Benachteiligung lösen, doch auch hier wird zuerst an die nächste Wahl gedacht und Geschenke an diejenigen verteilt, die sie nicht bräuchten, aber wählen gehen.
    Matthias Güldner (1999-2019 MdBB, 2007-2015 Fraktionsvorsitzender Grüne), heute Uni Bremen

  • #5

    Eltern (Mittwoch, 17 April 2024 18:29)

    Ein paar Elterngedanken zum Thema und zur Unterstützung der Politik bei der „Kompasssuche“:

    1. Zusatzbelastung für Eltern: Kitagebühren stellen eine zusätzliche finanzielle Belastung für Eltern dar, besonders in einer finanziell anfälligen Lebensphase. In dieser Zeit sind Kinder noch sehr abhängig und können sich nicht selbst versorgen.

    2. Finanzierung der Gebühren: Diese Gebühren müssen aus dem erarbeiteten Einkommen der Eltern gezahlt werden, was besonders belastend ist, da die Eltern oft noch nicht in ihrer vollständigen Erwerbskapazität arbeiten können.

    3.Vergleich mit anderen Bildungsgebühren: Im Gegensatz zu Schul- oder Hochschulgebühren, bei denen ältere Kinder und Jugendliche teilweise durch eigene Erwerbstätigkeit zur Finanzierung beitragen können, fallen Kitagebühren in einem Lebensabschnitt an, in dem solche Beiträge der Kinder nicht möglich sind.

    4.Befreiung bestimmter Einkommensgruppen: Personen, die von Vermögen leben (zum Beispiel durch Dividenden), das nicht durch reguläre Erwerbstätigkeit erzielt wird, sind oft von Kitagebühren befreit, da diese hauptsächlich auf Basis des Einkommens aus unselbstständiger Arbeit berechnet werden. Selbstständige haben oft Möglichkeiten zur Optimierung ihrer Steuerlast.

    5. Bildung als gesellschaftliche Aufgabe: Bildung sollte als gesamtgesellschaftliche Verantwortung angesehen werden, zu der auch vermögende und kinderlose Personen beitragen sollten. Von einer gut ausgebildeten Bevölkerung profitieren alle, beispielsweise durch qualifiziertes medizinisches Personal.

    6. Inkonsistenz bei Gebühren: Abschließend wird die Frage, warum z.B. für Luxusautos wie Lamborghinis keine höheren Parkplatzgebühren im Vergleich zu einfacheren Autos wie einem Dacia verlangt werden. Bei Kitagebühren scheut man keinen bürokratischen Aufwand, während bei anderen Gebühren eine solche Differenzierung fehlt.