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Wir brauchen ein positives Narrativ, um Schule (wieder) attraktiv zu machen

Solange das Bild des Lehrkräfteberufs in der Gesellschaft vor allem eines von Zweifeln und Überlastung ist, muss die Lehrer*innenbildung selbst den Optimismus liefern. Was Hochschulen tun können und welche Maßnahmen sie bereits ergreifen. Ein Gastbeitrag von Antje Kampert und Jan Springob.

Jan Springob  ist Gymnasial- und Gesamtschullehrer für Englisch und Geschichte und leitet das Team Schulnetzwerk und Internationales am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität zu Köln. Antje Kampert hat Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert, ist Supervisorin und systemische Familientherapeutin und leitet am Zentrum das Team Beratung. Foto: Lili Beckers/Andrea Schönwandt. 

MILA, 19 JAHRE ALT, treffen wir auf unserer Einführungsveranstaltung für neue Lehramtsstudierende, den sogenannten "Ersti-Tagen", und kommen ins Gespräch. Die Studentin ist hochmotiviert, offen und zugewandt; sie freut sich auf das Studium für ihren Traumberuf. Doch schon nach wenigen Minuten äußert Mila folgendes: "Obwohl ich schon immer Lehrerin werden wollte, junge Menschen gerne auf ihrem jeweiligen Weg unterstütze, und weiß, wie wichtig genau dieser Beruf ist, habe ich dennoch Angst, dass ich das nicht schaffe, psychisch und physisch. Man liest so viele Horrorgeschichten. Wieso sollte gerade ich gesund bleiben in diesem Beruf?"

 

Bülent, 24 Jahre alt, absolviert sein Praxissemester an einer Realschule. "Ich bin echt verzweifelt, aber so habe ich mir das nicht vorgestellt", sagt er. "Jeden Abend bin ich total fertig vom Tag und will nur noch schlafen, aber ich kann überhaupt nicht abschalten. Ich weiß nicht, wie ich mit all den Anforderungen umgehen soll. Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich noch Lehrer werden möchte."

 

Gibt es gar keine positiven
Geschichten aus der Schule mehr?

 

Äußerungen und Geschichten wie die von Mila und Bülent sind bekannt und medial verbreitet (zum Beispiel im Spiegel). Eher selten werden Geschichten rund um Schule in einem optimistischen, positiven oder lösungsorientierten Tenor geäußert. Gibt es diese etwa gar nicht (mehr)? 

 

Fest steht: Die Herausforderungen für Lehrkräfte in einer hoch komplexen, sich permanent im Wandel befindenden Welt sind immens, erst recht angesichts  der Größe und Diversität vieler Schulklassen und der schlechten Ausstattung vieler Schulen. Der Lehrkräftemangel ist sicht- wie spürbarer Alltag in zahlreichen Schulen in ganz Deutschland, und die Zahlen rund um Lehrer*innengesundheit sind alarmierend. Ein veränderter Blick der Öffentlichkeit auf den Berufsalltag von Lehrer*innen, ein anderes, konstruktiv-positives Narrativ (wovon?) sind aus unserer Sicht zwei Bausteine, um die Attraktivität des Berufs (wieder) zu erhöhen. Allerdings sind es nur zwei Bausteinen von vielen.

 

Mindestens ebenso wichtig und zentrale gesellschaftliche Aufgabe der Lehrer*innenbildung selbst ist es, motivierte, fachlich sehr gut ausgebildete, emphatische und resiliente Lehrer*innenpersönlichkeiten für ein Lehramtsstudium zu begeistern, auszubilden und zu begleiten. Dafür müssen Bau- wie Schwachstellen des Systems ehrlich benannt und parallel dazu konkrete Lösungen und Strategien angeboten werden. Dazu gehört, den Fokus neben aller Fachlichkeit auf Gesundheit und Wertschätzung zu legen, in allen Phasen der Lehrkräftebildung. Es gibt einen dringenden Handlungsbedarf und zwar jetzt. Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstwirksamkeits-Erleben sind Grundvoraussetzungen dafür, eine Lehrkraft zu werden und zu bleiben, die ihren Beruf mit Engagement ausübt, ohne dabei auf der Strecke zu bleiben. 

 

Gesundheit als ein Querschnittsthema
aller Phasen der Lehrer*innenbildung

 

Das Thema "Gesunderhaltung" gehört als Querschnittsthema in alle Phasen der Lehrer*innenbildung, muss von Beginn des Studiums an thematisiert und in verschiedenen Settings erlernt und reflektiert werden; es muss in greifbare Angebote übersetzt werden, um erlebbar, um im Alltag abruf- und nutzbar zu sein. Die wahrgenommene Wertschätzung des Lehrberufs als wichtige Ressource für das berufliche Wohlbefinden wurde bereits identifiziert. Evaluationen aus Coachings, Supervisionen und Peer-Mentoring Programmen am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität zu Köln legen offen, dass Studierenden ein positives Narrativ häufig fehlt und sie diesem eine hohe Relevanz für ihr Wohlbefinden zuschreiben. "Wenn so motivierend und positiv vom Lehrerberuf gesprochen wird, dann weiß ich wieder, warum ich LehrerIn werden wollte und freue mich darauf", so stellvertretend die Teilnehmerin einer Supervisionsgruppe. 

 

Solange in der Gesellschaft das positive Narrativ fehlt, muss die Lehrer*innenbildung es ums dringender selbst liefern. Ein erstes greifbares Angebot ist das konsequente Onboarding im Lehramtsstudium in Form von Ersti-Tagen oder einer Welcome Week, um Studierende an der Universität und vor allem auch im Lehramtsstudium, nicht nur in den Fächern, willkommen zu heißen, ihnen frühzeitig Unterstützungsangebote vorzustellen und von Beginn an Aufgaben, Chancen und Herausforderungen des Lehrberufs ehrlich und konstruktiv zu benennen.

 

Hierzu zählt dann , nicht nur, aber auch, die Sensibilisierung für die Themen Gesundheit und Wohlbefinden in der Ausbildung und im Schulalltag – als gemeinschaftliche Aufgabe aller am schulischen Leben Beteiligten, weg vom Einzelkämpfertum hin zu einem sozialen Miteinander. Es geht darum, Reflexionsräume zu schaffen, kollaboratives Arbeiten zu ermöglichen, eine gute Kollegialität und ein wertschätzendes Führungsverhalten. Diese Faktoren kennenzulernen, zu erproben und anzuwenden, die nachweislich zu einer gesünderen Arbeitshaltung führen können, erscheint uns eine Aufgabe in allen Phasen der Lehrer*innenbildung. 

 

Damit Mila und Bülent
handlungsfähig werden

 

Genau deshalb gibt es auch von Beginn des Studiums an in Köln konkrete Beratungs-, Coaching- oder Supervisionsangebote. Es gibt Themenworkshops zum Beispiel vor Prüfungsphasen zum Zeit- und Stressmanagement, und Lernmodule zu zentralen Querschnittsanliegen und -themen ermöglichen eine asynchrone Bearbeitung in eigenem Tempo. Die Aus- und Weiterbildung gilt es für das Thema Lehrer*innengesundheit ebenso in den Bick zu nehmen, die unübersehbaren Leerstellen gilt es anzupacken, seien es die Personal- und Organisationsentwicklung in Schule und eine gelingende Elternarbeit mittels lösungsorientierter Kommunikation oder phasenübergreifende Mentoring-Programme zur gegenseitigen Unterstützung.

 

Angebote wie diese sind es, die am Ende dafür sorgen werden, dass Mila, Bülent und ihren Kommiliton*innen, handlungsfähig werden und bleiben.



In eigener Sache

Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Bitte helfen Sie mit, damit er für alle offen bleibt.


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Kommentare: 5
  • #1

    Manfred Pulm (Dienstag, 23 April 2024 15:13)

    Danke für diesen sehr interessanten Beitrag. Ihre Problemanalyse teile ich. Dass Sie dem Thema Gesundheit eine große Bedeutung zuschreiben, kann ich sehr gut nachvollziehen. Hier wird im Schulsystem deutlich zu wenig getan. Aus der Fülle weiterer wichtiger Aspekte hier nur drei, denen ich im Laufe meines Berufslebens immer wieder begegnet bin:
    - Stress, psychische und somatische Probleme habe ich sehr oft bei Kolleginnen und Kollegen beobachtet, die fachlich, pädagogisch und didaktisch unsicher waren. Eine Frage der Aus- und Fortbildung.
    - Als ungeheuer wichtig habe ich das Thema "Erfahrung von Selbstwirksamkeit" erlebt. Als Lehrerin oder Lehrer zu sehen, wie aufgrund des eigenen pädagogischen Einsatzes und Geschicks ein Schüler eine Phase der Lernunlust und des Leistungsabfalls überwindet, hat eine mehr als wohltuende Wirkung auf das Selbstbild.
    - Und schließlich: Nicht immer lassen Schulleitungen und Schulaufsicht eine hinreichende Rückendeckung für Lehrkräfte erkennen. Natürlich dürfen sie in den systemisch unvermeidlichen Konflikten in der Schule nicht bedingungslos und blind die Position einer Kollegin oder eines Kollegen übernehmen. Aber sehr sorgfältig abzuwägen und ggfs. Anwürfe gegen eine Lehrkraft deutlich zurückzuweisen, ist m.E. eine unverzichtbare Leitungskompetenz und -tugend. In der Schulleitungsqualifizierung SLQ und auch in Fortbildungen und Supervisionen für Kolleginnen und Kollegen in Leitungs- und Aufsichtsfunktionen sollte sie eine wichtige Rolle spielen.

  • #2

    Lehrerkind (Dienstag, 23 April 2024 17:32)

    Noch viel nötiger als ein positives Narrativ sind strukturelle Änderungen! Auch das schönste Narrativ kann über strukturelle Missstände nicht hinwegtäuschen. Sonst kommen vom schönen Narrativ angelockte Kandidat*innen sehr sehr unsanft auf dem Boden der Tatsachen auf. Resilienztrainings udn eine positive Einstellung mögen eine Weile lang helfen, aber wenn sich an den Grundstrukturen nichts ändert, sind sie reine Symptombehandlung.

  • #3

    McFischer (Mittwoch, 24 April 2024 13:26)

    Danke für den inspirierenden Beitrag. Es ist sicher nur eine - hier positive - Perspektive auf den Lehrer*innenberuf, aber eine die wirklich stärker betont werden könnte.
    Wichtig scheint mir, dass dieser Beruf eine so hohe Wertschätzung bekommt, wie notwendig ist - nämlich als äußert anspruchsvolle, herausfordernde, aber auch wirkungsstarke Tätigkeit.
    Ich habe selbst einige Lehramtsstudierende erlebt, die (immer noch) mit einem viel zu romantischen, simplifizierten Bild in die Ausbildung gegangen sind. Ich denke, jede*r sollte mittlerweile wissen, dass es nicht einfach nur um das "Lehren" geht, sondern die Aufgaben und Herausforderungen vielfältig sind. Leider scheint mir das auch bei Lehrer*innen im Beruf nicht immer der Fall zu sein: die Klage, dass alles - und insbesondere die Schüler*innen - immer schwieriger werden... nun ja. Wenn ich Soziale Arbeit studiere, sollte ich mich hinterher auch nicht über ein "schwieriges Klientel" beschweren.
    Aber strukturell vermisse ich leider an den Schulen (aus der Beobachtung als Elternteil) teilweise auch eine wirkliche Professionalität. Zu wenig Führung, zu wenig Moderation der Konflikte zwischen Lehrer*innen, zu wenig Schulung und Weiterentwicklung.

  • #4

    Benjamin Becker (Samstag, 04 Mai 2024 19:40)

    Ein wichtiger Beitrag zur rechten Zeit! Als jemand, der nach vorheriger mehrjähriger Tätigkeit außerhalb der Schule gerade den Vorbereitungsdienst nachgeholt hat, kann ich aus voller Überzeugung schreiben: es lohnt sich, ich habe es keinen Tag bereut – und gleichsam brauchen wir Veränderungen! Nicht, weil alles schrecklich wäre (das ist es nicht!), sondern weil sich die Welt und Schule verändert haben und stetig verändern. Und diese permanente Veränderung – mal ganz unabhängig von den strukturellen Rahmenbedingungen – ist gut und wichtig! Was bringt es, zu lamentieren, dass früher mehr ‚reiner Unterricht‘ war? Heute ist Schule viel komplexer, ganzheitlicher, auch wirksamer. Dies zu bewältigen, mit Freude und Engagement, braucht ein ganz neues Verständnis vom Lebens(!)-Raum Schule: strukturell wie gesellschaftlich im Sinne eines positiven Narrativs!

  • #5

    Jakob Wassink (Montag, 06 Mai 2024 17:27)

    Erst einmal vielen Dank für den Beitrag, der mich etwas ratlos zurücklässt.
    Erst einmal möchte ich @Lehrerkind zustimmen. Die schönsten Narrative und Imagekampagnen bringen nichts, wenn sich in der Realität nichts ändert. Man bekommt mit scharfem Blick schon den Eindruck, dass die Schulen das Sammelbecken für alle möglichen gesellschaftlichen Probleme sind, die dort von Menschen bearbeitet und idealerweise gelöst werden sollen, die dafür gar nicht die nötige Ausbidlung und zudem auch nicht die notwendigen Ressourcen haben.

    Ich glaube auch nicht, dass die Hinzunahme weiterer Themen in die erste (universitäre) Phase der Lehrerbildung hier abhilfe schafft. Das Lehramtsstudium ist in seinen heterogenen Anforderungen bereits maximal überladen und bereits jetzt eine "Stressresilienzprüfung" für alle angehenden Lehrkräfte. Früher gab es eine klare Trennung zwischen der theoretischen und praktischen Ausbildung. Diese Trennung hatte zur Folge, dass viele Hochschulabsolventinnen und Absolventen mit Beginn des Referendariats einem harten Realitätscheck unterzogen wurden und vielfach das Berufsziel aufgegeben haben. Diesem Umstand wollte man mit der Einführung von Bachelor und Master entgegen wirken. In vielen Bundesländern gibt es im Masterstudium mittlerweile ein verpflichtendes Praxissemester, in dem die Studierenden gleichzeitig an der Uni, in der Schule und den eigentlich das Referendariat begleitenden Zentren für schulpraktische Studien lernen müssen. Hat dieser strukturelle Flaschenhals seine Ziele also nicht erreicht? Dieser Eindruck drängt sich hier auf!

    Bevor hier eine weitere Zunahme der Komplexität gefordert wird, sollte man die Probleme bei den Ursachen anpacken und eine seriöse Aufgabenkritik im Bereich Schule vornehmen.