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Raus aus der Wissenschaft

Neue Daten der "nacaps"-Promovierendenbefragung zeigen: Der Anteil der Doktoranden, die ihre Zukunft in Hochschulen und Forschungsinstituten sehen, ist eingebrochen. Woran liegt das? Und  was folgt daraus?

Bild: Mohamed Hassan form PxHere.

EINE AKADEMISCHE KARRIERE wird für Promovierende an deutschen Hochschulen deutlich unattraktiver, zeigen neue "nacaps"-Auswertungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Die Abkürzung "nacaps" steht für "National Academics

Panel Study", es handelt sich um eine regelmäßig wiederholte, deutschlandweit repräsentative Längsschnittstudie über Promovierende und Promovierte. Die Ergebnisse lagen mir vorab vor und sind von Dienstagnachmittag an online abrufbar.

 

Befragt, in welchem Beschäftigungssektor sie nach Abschluss ihrer Dissertation arbeiten wollen, nannten 2021/22 nur noch 14 Prozent der Doktoranden die Hochschulen, ein Rückgang um acht Prozentpunkte gegenüber 2017/18. Weitere vier Prozent strebten 2021/22 eine Karriere an außeruniversitären Forschungseinrichtungen an, womit sich der Wert von 2017/18 sogar halbiert hat.

 

Die neuen "nacaps"-Ergebnisse passen zu den Zahlen einer anderen DZHW-Befragung, die im März Debatten in der Hochschulpolitik verursacht hatte. Laut "Barometer für die Wissenschaft", gaben darin 71 Prozent aller befristet beschäftigten Postdocs an, sie hätten in den vergangenen zwei Jahren ernsthaft den Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen. Und nur noch 16 Prozent der Promovierenden hatten als Berufsziel die Professur.

 

Wer in der Hochschulpolitik bislang noch bezweifelte, dass eine Nachwuchskrise in der deutschen Wissenschaft droht, bekommt durch die am Dienstag veröffentlichten "nacaps"-Daten ein weiteres Warnsignal – und das kurz bevor der BMBF-Entwurf einer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) abschließend im Bundestag verhandelt wird. Befragt wurden bei "nacaps" in jeder der bislang  drei Kohorten mindestens 15.000 Promovierende von über 60 Hochschulen.

 

"Der akademische Arbeitsmarkt
hat sich gedreht"

 

"Unsere Ergebnisse belegen, dass sich der akademische Arbeitsmarkt gedreht hat", sagt "nacaps"-Leiter Kolja Briedis. "Früher war es ein Arbeitgebermarkt. Jetzt ist es ein Arbeitnehmermarkt." Gerade der hohe Anteil befristeter Arbeitsverträge in der Wissenschaft werde von jungen Forschenden heute viel stärker als Problem thematisiert als vor einigen Jahren. "Sie können es sich leisten, weil in Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels genügend Alternativen da sind."

 

Abgenommen hat laut "nacaps" auch die Präferenz für den öffentlichen Dienst (acht Prozent statt elf vier Jahre zuvor). Interessanterweise stagniert zugleich aber der Anteil der Promovierenden, die in die Privatwirtschaft wollen (30 versus 29 Prozent). Stark gewachsen ist allein die Gruppe der Unentschlossenen (+12 Prozentpunkte auf 37 Prozent). Die Promovierenden halten sich ihre Entscheidung also offen – aus Unsicherheit oder weil sie das Gefühl haben, es sich leisten zu können?

 

DZHW-Forscher Briedis sagt: "Nicht nur die Initiative #IchBinHanna hat die Debatte über Wissenschaftskarrieren verändert, auch Fragen der mentalen Gesundheit, des Mobbing und der Machtverhältnisse und -abhängigkeiten spielen heute in der öffentlichen Wahrnehmung eine viel größere Rolle. All das führt dazu, dass sich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute viel mehr Gedanken darüber machen, ob sie unter den herrschenden Bedingungen wirklich in der Wissenschaft weitermachen wollen."

 

Der hohe Anteil an Unentschlossenen könnte freilich darauf hindeuten, dass die – potenziellen – Vorteile einer akademischen Karriere durchaus noch wahrgenommen werden: vor allem die Chance, in Forschung und Lehre der Neugier und den eigenen Interessen zu folgen. Aus Sicht von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftspolitik eine echte Chance – wenn sie durch Reformen eine echte Veränderungsbereitschaft signalisieren. "Im Augenblick aber", sagt Briedis, "erscheint vielen das Gras außerhalb der Wissenschaft grüner."

 

Längere Vertragslaufzeiten,
größere Stellenumfänge

 

Spannend ist, dass die Wahrnehmung einer mangelnden Attraktivität wissenschaftlicher Karrieren in der "nacaps"-Umfrage kontrastiert wird durch einige berichtete Verbesserungen, teilweise als Folge der letzten WissZeitVG-Novelle, wie bereits deren Evaluation vor zwei Jahren belegte. So sind die durchschnittlichen Vertragslaufzeiten zwischen 2017/18 und 2021/22 gestiegen. 66 (statt 65) Prozent liegen jetzt bei 24 bis 36 Monaten und 13 (statt neun) Prozent bei über drei Jahren. Und umgekehrt nur noch 20 Prozent unter zwei Jahre, ein Rückgang um fünf Prozentpunkte. "Das mag nach keinem wahnsinnig großen Effekt aussehen, ist aber durchaus eine nennenswerte Verschiebung", sagt Briedis. Denn ein größerer Anteil der verbleibenden Kurzzeitverträge seien insofern sinnvoll, weil sie der Überbrückung dienten. 

 

Gleichzeitig vergrößerte sich der Umfang der Promotionsstellen. Inzwischen haben 54 Prozent der Stellen mindestens einen Zwei-Drittel-Umfang (2017/18: 48 Prozent) und nur noch 27 (statt 38 Prozent) sind mit disziplinenübergreifend mit weniger als 50 Prozent dotiert.

 

Wie aber ist zu interpretieren, dass die Promovierenden 2021/22 deutlich mehr Zeit für ihre Dissertation aufwanden als vier Jahre zuvor? Konkret: 49 Prozent berichteten, sie säßen mehr als 30 Stunden pro Woche dran, sieben Prozentpunkte mehr als vier Jahre vorher, wobei der Zuwachs allein im Bereich zwischen 40 Stunden und mehr stattfand. Mehr Leistungsdruck? Oder ein vorübergehender Corona-Effekt, weil die Promovierenden mangels Freizeitalternativen und sozialer Kontakte mehr gearbeitet haben? Kolja Briedis sagt, womöglich spiegelten die Ergebnisse auch eine dauerhafte Veränderung der akademischen Arbeitswelt nach der Pandemie wider, "mit mehr Homeoffice, mehr digitalen Besprechungen und dadurch weniger Zeit, die etwa für Pendelei draufgeht".

 

Sicherlich drückt die gestiegene Arbeitszeit auch den starken Trend zu kumulativen Dissertationen aus, die über die gesamte Promotionszeit hinweg aufgrund mehrerer Publikationstermine einen hohen zeitlichen Aufwand erfordern. Inzwischen geben 39 Prozent der Promovierenden an, kumulativ zu promovieren, zehn Prozentpunkte mehr als 2017/18. Die klassische Monografie macht noch 47 Prozent aus, nach 51 Prozent vier Jahre zuvor. Was unter Qualitätsgesichtspunkten in jedem Fall positiv zu bewerten sein dürfte, bedeuten kumulative Promotionen doch, dass die einzelnen Bestandteile über ein unabhängiges Peer-Review-Verfahren laufen. Auch werden deutlich mehr Betreuungsvereinbarungen schriftlich fixiert.

 

Dass mit 16 Prozent inzwischen dreimal so viele Promovierende zwischen 2500 und 3000 Euro pro Monat verdienen und statt 19 nur noch 13 Prozent unter 1000 Euro, sieht dagegen nur auf den ersten Blick wie ein signifikanter Fortschritt aus. Nach Abzug der Inflation dürfte vom realen Zuwachs nicht mehr so viel übrig geblieben sein. 


Stimmen aus Hochschulen und Politik zu den neuen "nacaps"-Ergebnissen

"Ausufernde Befristung macht Wissenschaft als Beruf unattraktiv", kommentierte Amrei Bahr von der Initiative "#IchbinHanna" auf Anfrage. "Die Reform des WissZeitVG muss dem endlich ein Ende machen: mit einer Befristungshöchstquote und einer frühzeitigen Anschlusszusage".

 

Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Lambert T. Koch, sagte, erhalte die Ergebnisse "in der Tat für alarmierend Sie rufen Politik und Hochschulen zum raschen und konzertierten Handeln auf." Es gehe nicht nur um verlässlichere und attraktivere Karriereperspektiven, sondern auch um ein breiteres Spektrum an dauerhaften Beschäftigungsoptionen neben der Professur. Ein Maßnahmenpaket in diese Richtung umzusetzen, könne nur gelingen, wenn Bund und Länder rasch die gesetzgeberischen und finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen. "Wir haben keine Zeit mehr für ideologisches Geplänkel."

 

Die grüne Bundestagsabgeordnete Laura Kraft sagte, wenn Deutschland ein attraktiver Hochschulstandort bleiben solle, "müssen wir endlich für verlässlichere Beschäftigungsverhältnisse sorgen." Mit einer Reform des WissZeitVG allein sei es hierbei nicht getan. "Wir brauchen strukturelle und finanzielle Veränderungen im Hochschulsystem. Das wird eine Aufgabe der Politik für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus." Ein erster Schritt in die richtige Richtung könne das von uns Grünen mitinitiierte Bund-Länder-Programm für moderne Personalstrukturen sein. "Ich erwarte dazu ein entsprechendes Konzept bis spätestens September aus dem BMBF." Auch der Wissenschaftsrat erarbeitet gerade Vorschläge zu dem Thema. "Diese Expertise sollten wir nutzen."   

 

Krafts FDP-Kollege Stephan Seiter sagte, die Studienergebnisse stellten den Ländern ein schlechtes Zeugnis hinsichtlich ihrer Attraktivität als Arbeitgeber aus. "Landesregierungen in allen Bundesländern haben sich über Jahrzehnte hinweg vor der Frage gedrückt, welche Mittel sie den Hochschulen zur Gestaltung eines wirklich attraktiven Arbeitsumfeldes an die Hand geben möchten. Wenn Hochschulen mit der freien Wirtschaft mithalten sollen, müssen sie vor allem in der Personalentwicklung besser werden." Vielfach schienen Fakultäten in Fragen der Personalentwicklung am Anfang zu  stehen, fügte Seiter hinzu. "Die Versteifung auf das WissZeitVG verstellt den Blick für die Komplexität des

Problems und spielt Wissenschaftliches Personal und Hochschulleitungen gegeneinander aus."

 

"Alarmierend" nennt die "nacaps"-Ergebnisse auch die SPD-Wissenschaftspolitikerin Carolin Wagner. "Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen mit Beschäftigten aus der Wissenschaft, wie begeistert sie von ihrer Tätigkeit sind, aber wie ihnen die Arbeitsbedingungen immer schwerer zu schaffen machen." Viel zu lange habe sich die Academia darauf verlassen, dass sich immer wieder neue kluge Köpfe um befristete Stellen bemühten, so habe die Wissenschaft die Beschäftigungsrisiken auf den Schultern der ArbeitnehmerInnen belassen können. Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft müssten sich ändern, wenn Deutschland nicht an Innovationskraft nicht einbüßen wolle." Für mich als Bundespolitikerin macht das deutlich: Wir müssen den Beschäftigten mit der Reform des WissZeitVGs ganz stark entgegen kommen!" Und an die Länder appelliere sie: "Schafft mehr Dauerstellen an den Universitäten und haltet gutes Personal für Forschung und Lehre!"

 

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, betonte, die Hochschulen qualifizieren durch Studium und Promotion "nicht primär oder gar ausschließlich" für eine Laufbahn an Hochschulen. Jährlich würden knapp 30.000 Promotionen abgeschlossen, im Wissenschaftssystem disziplinübergreifend aber nur etwa 4.000 unbefristete Stellen neu besetzt. Die große Mehrheit der Doktoranden verlasse die Hochschulen nach dem erfolgreichen Abschluss der Promotion, um eine Tätigkeit in anderen Berufsfeldern der Gesellschaft, in Wirtschaft, Verwaltung oder auch in der forschenden Industrie aufzunehmen. "Das ist gesellschaftlich auch genau so gewünscht und systemisch notwendig." Die während der Promotionsphase erworbenen Kompetenzen und wissenschaftlichen Fertigkeiten qualifizierten für viele berufliche Aufgaben. "Daher ist den Hochschulen bewusst, dass sie auch in einem Wettbewerb mit Arbeitgebern außerhalb der Wissenschaft stehen." Ziel müsse es sein, attraktive Beschäftigungsverhältnisse und transparente Karrierewege an den Hochschulen zu gewährleisten. "Auf diesem Weg befinden sich viele Hochschulen bereits, etwa bezogen auf die Gestaltung der durchschnittlichen Vertragslaufzeiten, die zeitliche Erhöhung des Beschäftigungsumfangs oder die Entwicklung neuer Karrierepfade."




In eigener Sache

Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Bitte helfen Sie mit, damit er für alle offen bleibt.


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Kommentare: 16
  • #1

    Eine #ichbinhanna (Dienstag, 30 April 2024 16:16)

    "vor allem die Chance, in Forschung und Lehre der Neugier und den eigenen Interessen zu folgen"
    Das ist nicht richtig.
    Man ist durch Drittmittelgeber, Profs stark eingeschränkt, indem, was man überhaupt noch forschen kann. Siehe auch eines der letzten YT Videos von Sabine Hossenfelder, die das thematisiert.
    Hinzu kommt die reproducibility crisis. Jemand veröffentlicht Schrott, aber es gibt kein Geld, das zu korrigieren. Also glaube man in Zukunft einfach den Schrott.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 30 April 2024 16:21)

    Danke für Ihren Kommentar und den wichtigen Einwand. Deshalb hatte ich "potenziell" geschrieben. Beste Grüße!

  • #3

    Tobias Denskus (Dienstag, 30 April 2024 16:40)

    Das sind interessante Beobachtungen, aber droht wirklich eine "Nachwuchskrise in der deutschen Wissenschaft" im grösseren Umfang? Sicher, anekdotisch wird es im STEM Bereich Post-Doc Stellen geben die sich schwierig besetzen lassen oder in einem Graduiertenkolleg können nicht alle 6 2/3 Promotionsstellen vergeben werden, aber resultiert daraus eine Krise? Sicher, einige Unis werden sich anpassen muessen, weil die Zeiten wo man bei 50% Bezahlung 100% gearbeitet hat vorbei sind, aber gut, bewerben sich eben weniger Menschen und aus zwei 60% Stellen wird dann eine 100% Stelle oder so. Ich könnte mir eine Krise eher punktuell vorstellen: Auch mit einer 100% E-13-Stelle die ja oft als heiliger Anstellungsgral unterhalb der Professur im Raum steht kann man in den grossen, teuren Uni-Städten einfach nicht mehr viel reissen-und trotzdem sind auch London, Paris oder New York extremst beliebte Wissenschaftsstandorte, egal, wie "unbezahlbar" sie sind...es bleibt spannend...

  • #4

    Edith Riedel (Dienstag, 30 April 2024 17:10)

    Es ist halt einfach so, dass das System Universität weit mehr Promovierende ausbildet, als es hinterher unbefristet beschäftigen kann. Es ist daher nur folgerichtig (und auch wichtig und richtig!), dass ein Großteil der Promovierenden sich außerhalb der Akademia umschaut. Niemand, und am allerletzten die Promovierenden selbst, hat etwas davon, wenn Heerscharen von Wissenschaftler*innen sich von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangeln, in der Hoffnung, dass es dann doch irgendwann klappt mit einer Professur oder auch einer der raren unbefristeten Mittelbaustellen. Die reine Anzahl der Promovierenden, die (noch) eine wissenschaftliche Karriere anstreben, ist nicht besonders aussagekräftig. Viel interessanter ist ihre Qualität: sind es die besten Promovierenden, die eine Karriere in der Akademia anstreben, oder nicht? Im übrigen wird auch außerhalb der Universitäten und der außeruniversitären Forschungsinstitute viel geforscht, und das gar nicht mal schlecht. Ja, die Universitäten haben ein Nachwuchsproblem, aber kein quantitatives. Ob sie ein qualitatives Problem haben, müsste eine andere Studie klären.

  • #5

    Markus Pössel (Mittwoch, 01 Mai 2024 11:37)

    Sorry, aber das ist ein handwerklich absolut problematischer Umgang mit den Zahlen der Studie. Aus meiner Sicht so problematisch, dass Sie den Blogbeitrag zurückziehen oder zumindest massiv korrigieren sollten. Sie nennen selbst die Anzahl der Unentschlossenen, aber die hat es ja noch in einer wichtigen Weise in sich: Das sind ja nicht nur diejenigen, die unentschlossen sind, ob sie in der Wissenschaft bleiben wollen oder nicht, sondern auch diejenigen, die z.B. unentschlossen sind, ob sie am Ende an einer Universität oder einem Max-Planck-Institut landen wollen. In letzterer Gruppe sollten in den entsprechenden Fächern ehrlicherweise alle landen, die sagen "ich will 100% in der Forschung bleiben, aber ob mit einem Uni-Lehrstuhl oder einem Max-Planck-Job ist dann natürlich egal". Schon deswegen lässt die Kategorie "Sektorpräferenz" keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob sich die Zahl derer, die in der (akademischen) Wissenschaft bleiben wollen, überhaupt verändert hat.

    Noch deutlich problematischer ist, dass Sie einen Indikator, der an jener Stelle viel besser geeignet ist, komplett unter den Tisch fallen lassen. Die nacaps-Studie hat explizit nach der "Karriereintention Professur" gefragt [https://nacaps-datenportal.de/indikatoren/E2.html]. Bei jener Frage hat sich die Prozentzahl der "Ja"-Antworten nicht geändert. Ob 2017/2018, 2019/2020 oder jetzt die neueste Kohorte 2020/2021: Das solide "Ja, Professur!" liegt bei allen drei Befragungen beim gleichen Wert: 33%.

    Das dürfte für die Frage danach, wie viele Wissenschaftler*innen denn in der Wissenschaft bleiben wollen, der viel klarere Indikator sein als die unklaren Sektorpräferenzen. Sie ignorieren diese Frage aber in Ihrem Artikel komplett – und verkünden allein auf Basis der nicht aussagekräftigen Sektorpräferenzen eine Interpretation, die durch die Karriere-Intention-Frage doch recht deutlich widerlegt wird. Sehr schade!

  • #6

    Markus Pössel (Mittwoch, 01 Mai 2024 16:48)

    Ergänzend zu meinen Anmerkungen vorhin: Ich habe meine Kritik hier mal als eigenen Blogeintrag aufgeschrieben: https://scilogs.spektrum.de/relativ-einfach/laeuft-der-deutschen-wissenschaft-der-nachwuchs-davon/

  • #7

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 02 Mai 2024 08:31)

    Sehr geehrter Markus Pössel,

    auch wenn ich Kritik an meiner Arbeit sehr schätze, habe ich überlegt, ob ich Ihren Kommentar freischalte, weil er in einer Tonalität verfasst ist, wie ich sie in meinem Blog nicht haben möchte. Bitte unterlassen Sie künftig unsachliche Unterstellungen, von wegen ich hätte etwas "unter den Tisch fallen lassen" oder ich müsste irgendetwas "zurückziehen". Ich tue meine Arbeit als Journalist nach bestem Wissen und Gewissen, dabei muss ich in einem Artikel über eine Studie auch eine Auswahl treffen, in diesem Fall unter einer Vielzahl von Indikatoren. Ich habe mich dabei eng von dem Studienleiter Kolja Briedis beraten lassen, der übrigens meine Analyse, wie Sie vielleicht gelesen haben, teilt. Es ist gut und wichtig, dass es andere Sichtweisen gibt, und diese haben unter anderem Sie ja auch in Ihrem eigenen Blogartikel dargelegt. Auch wenn ich Ihre Argumentation meinerseits keineswegs für stichhaltig und erst recht nicht für zwingend erachte, habe ich sie mit Interesse gelesen. Was mir allerdings zunächst angesichts der Tonalität Ihrer Kritik hier nicht leicht fiel.

    Ich bitte weiterhin alle Leserinnen und Leser meines Blogs, bei Ihren Kommentaren einen untereinander wertschätzenden Umgang zu pflegen.

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #8

    Lehramtshannah (Donnerstag, 02 Mai 2024 12:59)

    @HRK-Präsident Rosenthal "Die große Mehrheit der Doktoranden verlasse die Hochschulen nach dem erfolgreichen Abschluss der Promotion, um eine Tätigkeit in anderen Berufsfeldern der Gesellschaft, in Wirtschaft, Verwaltung oder auch in der forschenden Industrie aufzunehmen."

    Das mag für viele Fächer zutreffen, auf Postdocs, die im Lehramt ihres Faches forschen und lehren, vermutlich weniger. Gerade im Lehramt werden mehr erfahrene Dozierende und Forschende auf Dauerstellen benötigt, um Lehrkräfte qualitativ auf hohem Niveau ausbilden und wissenschaftlich fundiert innovative Unterrichtsmethoden entwickeln und erforschen zu können. Das WissZVG-Personalkarrussell muss im Lehramt endlich gestoppt werden und es muss statt Hochdeputatsstellen auch im Lehramt wieder Forschung möglich sein, damit Studienqualität und Unterrichtsinnovation nicht weiter leiden. - Wenn die Geldmittel durch die Landesregierungen nicht erhöht werden, werden die Hochschulleitungen ihre Lehramtspostdocs wohl künftig schon nach spätestens 4 Jahren novelliertem WissZVG vor die Tür setzen. Wo bleibt der (Personal-)Plan fürs Lehramt?

  • #9

    Markus Pössel (Donnerstag, 02 Mai 2024 22:40)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,

    Ihre Kritik am Ton meines ersten Kommentars nehme ich zur Kenntnis. Dass Sie meine Einwände als bloßen Fall unterschiedlicher Interpretationen einordnen, kann ich nicht nachvollziehen.

    Sie selbst sind es, der die Prozentzahl zum Karriereziel Professur als relevante Information nennt, beim Vergleich mit der Barometer-Studie:
    "Und nur noch 16 Prozent der Promovierenden hatten als Berufsziel die Professur." Demnach ist jener Indikator also auch Ihrer Einschätzung nach für die Frage, um die es hier geht, relevant.

    Jene Nennung dient als einer von zwei Belegen für die Eingangsbehauptung des Absatzes: die nacaps-Zahlen "passen zu den Zahlen" der Barometer-Studie.

    Für genau jene Frage, Karriereziel Professur, gibt es Zahlen aus jeder der beiden Studien: 16% bei der Barometer-Studie, 33% bei acaps. Das sind 17 Prozentpunkte Unterschied. Die eine Zahl ist mehr als das Doppelte der zweiten. Weiter oben im Text konstatieren Sie bereits anhand eines deutlich geringeren Prozentpunkte-Unterschieds das "Einbrechen", das Kernthema Ihres Blogbeitrags ist. Die sich direkt entsprechenden Zahlen von acaps und Barometer-Studie sind den Kriterien nach, die Sie an jener anderen Stelle anlegen, deutlich unterschiedlich und passen also nicht zueinander.

    Nur dass Leser*innen Ihres Textes das alleine aus Ihrem Text nicht entnehmen können. Weil die Information zu jenen 33% aus acaps in Ihrem Text nicht vorkommt.

    Solche Probleme in den Bereich der kann-man-so-oder-so-sehen-Interpretationsfragen zu verweisen finde ich, gelinde gesagt, problematisch. Grundregeln für good-faith-Argumentationen wie "wenn ich eine Behauptung aufstelle und mir Informationen bekannt sind, die jener Behauptung widersprechen, darf ich jene Informationen nicht einfach weglassen" sollten breiter Konsens jenseits der legitimen Interpretations-Ambiguitäten sein.

    Mit den besten Grüßen,

    Markus Pössel






  • #10

    Leif Johannsen (Freitag, 03 Mai 2024 12:32)

    Zitzt: "Befragt, in welchem Beschäftigungssektor sie nach Abschluss ihrer Dissertation arbeiten wollen ..."

    Ich frage mich, ob diese Frage und die Antworten bzw. Anteile nicht ausschliesslich ein Ausdruck des Institutionstyps ist, an dem die Personen promovieren. Wenn ich an meine Promotionszeit (Uni) denke, dann waere es mir schwergefallen zu antworten, ich wuerde auf eine Festanstellung bei MPI, Fraunhofer, HaW, etc. hinarbeiten. Hatte doch keine Ahnung die wie Organisationen ticken.

    Weshalb wird bei diesen Fragen immer so getan, als wenn die Promovierenden einen umfassenden Ueberblick ueber das Wissenschaftssystem in Deutschland haben bzw. haetten. Ist imho voelliger Quatsch auf dieser Gundlage solche Fragen zu stellen.

    In der Mitte meiner Promotion aenderten sich ploetzlich durch die Einfuehrung der "12-Jahresregelung" die "Spielregeln". Woher haette ich das vorher wissen koennen?

    Privat wurde ich damals gefragt, ob ich "Professor" werden wolle. Mit der Frage konnte ich nie etwas anfangen, weil fuer mich der akademische Titel bzw. die organisatorische Funktion egal war. Ich wollte nur gute wissenschaftliche Arbeit machen, um einen Fortschritt in der Gesellschaft zu erreichen. Dass "Professor werden" letztlich mit "eine Festanstellung haben" (leider) gleichzusetzen war und ist, war mir nicht bewusst.

    Und in diesem Sinne finde ich es sehr erfreulich, wenn die Zahl derer, die sich nicht mehr mit der "Professur-Karotte" vor den "Karren spannen lassen", waechst. Hoffentlich ist die jetzige Generation der Promovierenden weniger naiv als ich es damals war, jedenfalls wuensche ich es ihnen sehr.

  • #11

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 06 Mai 2024 10:09)

    Liebe Leser:innen,

    kurz der Hinweis: Wegen verschiedener Trollattacken können derzeit leider nur namentlich eindeutig gekennzeichnete Kommentare veröffentlicht werden. Ich bedaure das sehr. Außerdem der Hinweis, dass ich zuletzt mehrere Kommentare nicht freischalten konnte.

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #12

    Matthias Köhler (Montag, 06 Mai 2024 11:09)

    Guten Morgen,
    ich kann die Schlussfolgerungen grundsätzlich nachvollziehen und habe grundsätzlich großen Respekt sowohl für die Arbeit von Ihnen, Herr Wiarda, wie für die von Kolja Briedis. Ich habe aber ebenso wie Markus Pössel große Probleme mit der Verwendung des Indikators „Karriereziele Promovierender“ aus der Nacaps-Umfrage. Die Daten im Datenportal für 2017/18 sind nämlich Antworten auf komplett andere Fragen als die für die zwei Folgejahrgänge. Das ergibt sich aus den ausführlichen Dokumentationen der Mirkodatensätze.
    2017/18 gab es die von Markus Pössel in seinem Blog bereits zitierten 8 Auswahloptionen für Karriereziele: Hochschulen [1], Öffentlich geförderte außeruniversitäre Forschungseinrichtungen [2], Sonstiger öffentlicher Dienst [3], Privatwirtschaft/Industrie, Privater Non-Profit-Sektor [5], Sonstiges [6], Ich bin noch unentschlossen. [7], Ich habe nicht vor, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. [8]
    Ab der folgenden Umfrage gibt es nur noch 5 Optionen für Karriereziele: Öffentlicher Dienst [1], Privatwirtschaft/Industrie [2], Privater Non-Profit-Sektor [3], Sonstiges [4], Ich bin noch unentschlossen. [5] Nur wer in Frage 1 „öffentlicher Dienst“ gewählt hat, wird in Frage 2 gefragt, ob er an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen bleiben möchte. M.a.W. nach der Absicht, in der Wissenschaft zu bleiben, werden nur noch diejenigen gefragt, die vorher angegeben hatten, dass Sie sich besonders für eine Karriere im öffentlichen Dienst interessieren. Im Datenportal sieht es aber so aus, als sei in allen Fällen die selbe Frage gestellt worden und als seien immer alle Optionen gleich und direkt zur Auswahl vorgeschlagen worden.
    Wenn also zwischen 2017/18 und den beiden folgenden Umfragen die Anzahl der unentschlossenen explodiert ist und die Anzahl derjenigen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben gesunken ist, liegt das wahrscheinlich zu einem großen Teil an der unterschiedlichen Fragestellung. Die Option einer wissenschaftlichen Karriere wurde ab 2019/20 verschachtelt als Unterkategorie von „öffentlicher Dienst“ abgefragt. In der ersten Umfrage wurden die Wissenschaftskarrieren viel direkter als Antwort vorgeschlagen. Dass für diese Frage alle Jahrgänge im Portal zusammen präsentiert werden, lädt m.E. Missverständnisse und Fehlinterpretationen ein, ich empfinde das als suboptimal. Die Schlussfolgerungen daraus sind ergo zumindest mit großer Vorsicht zu genießen.
    Beste Grüße
    Matthias Köhler (GRADE, Goethe-Uni)

  • #13

    Kolja Briedis (Montag, 06 Mai 2024 12:06)

    Guten Tag,
    als Projektleiter der Studie möchte ich gerne auf Folgendes hinweisen: In der Tat kann die Anpassung der Frage methodisch Auswirkungen haben und können sich die Ergebnisse dadurch verändern. Das halte ich auch in diesem Fall für möglich. Allerdings wurde die Kategorie "ich bin noch unentschlossen" stets gleich erfragt. Dass der Anteil hier so deutlich steigt, kann und wird sicherlich auch mit der veränderten Fragestellung bzw. den angepassten Antwortmöglichkeiten zusammenhängen. Allerdings gibt es auch veränderte Rahmenbedingungen, wenn man sich die Debatten über wissenschaftliche Karrieren ansieht. #ichbinhanna, das Thema Machtmissbrauch, ein sich umkehrender Arbeitsmarkt (zugunsten von Menschen, die eine Beschäftigung suchen/haben). Ich vermute hinter den veränderten Zahlen beides: Einerseits können sich die Zahlen auch aufgrund der Fragestellung verändert haben. Andererseits ist eine so große Veränderung nicht alleine darauf zurückzuführen - gerade vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen im Wissenschaftssystem. Auch die jüngste Wissenschaftsbefragung des DZHW hat ergeben, dass etliche der Promovierten, die noch in der Wissenschaft tätig sind, ernsthaft über einen Ausstieg nachdenken. Von daher hoffe ich darauf, dass wir - jenseits der Debatte, ob die Zahlen auf das Prozent genau stimmen - zukünftig darüber diskutieren und nachdenken, wie das Wissenschaftssystem zukünftig attraktiv bleibt/wird.

  • #14

    Matthias Köhler (Montag, 06 Mai 2024 13:24)

    Ich stimme zu, dass wahrscheinlich sowohl die Anpassung der Fragestellung als auch die genannten Veränderungen im Wissenschaftssystem die veränderten Angaben zu Karrierezielen beeinflussen. Ich stimme auch zu, dass wir uns um die Attraktivität wissenschaftlicher Karrieren Gedanken machen müssen. Bei den Karrierezielen in Nacaps ist aber doch auffällig, dass genau zu dem Zeitpunkt, als die Frage umgestellt wird (von Kohorte 17/18 auf 19/20) die Ergebnisse sich sehr stark verändern (Anteil unentschlossen steigt von 25 auf 37, Ziel Hochschulen und Forschungseinrichtungen sinkt von 30 auf 20). Anschließend, zwischen Kohorte 19/20 und 21/22 tut sich nur noch sehr wenig (unentschlossen bleibt bei 37, Karriereziel HS+Forschung sinkt noch leicht von 20 auf 18). Die zeitliche Koinzidenz ist doch bemerkenswert.
    Noch ein Detail: „Unentschlossen“ bei einer relativ unkonkreten Entscheidung wie der zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft ist m.E. durchaus etwas anderes als unentschlossen bei einer konkreteren Auswahl der Wahl zwischen Wissenschaft, nichtwissenschaftlicher Tätigkeit im öffentlichen Dienst und Privatwirtschaft. Daher wurde es für mich nicht in beiden Fällen wirklich gleich abgefragt. „Unentschlossen“ nach dem Fragebogen 2019/20 hat m.E. sehr wenig mit der Frage einer wissenschaftlichen Laufbahn zu tun: Die ist in den zugehörigen Auswahloptionen gar nicht enthalten (zumindest laut der Dokumentation, die mir vorliegt).
    Ich möchte die Leser*innen hier aber auch nicht endlos mit Detailfragen zu einem einzelnen Indikator aufhalten. Ich wäre bei der Interpretation etwas vorsichtiger. Wir sind uns aber einig, dass wir viele Gründe haben, zu diskutieren und nachzudenken, wie das Wissenschaftssystem zukünftig attraktiv bleibt/wird.

  • #15

    Gernot Haßknecht (Samstag, 11 Mai 2024 09:26)

    Bei den Querelen um die X-Initiative sollte sich jeder vernünftige Nachwuchs-Wissenschaftler bzw. jede Nachwuchs-Wissenschaftlerin ernsthaft überlegen, im
    System bleiben zu wollen.

  • #16

    Hermann H. Dieter (Freitag, 17 Mai 2024 12:47)

    Die Zahlen sind deutlich: Immer mehr, de facto je nach Fach allerdings schon immer 90% und mehr der wissenschaftlichen Absolventen bzw. als "wissenschaftstauglich" Geprüften, suchen ihre Berufsperspektive nicht im innovativ forschenden Wissenschaftsbetrieb. Sie sehen sie vielmehr in einer wissenschaftsbasierten Tätigkeit außerhalb dessen, meist im Land des eigenen Wohnsitzes, Deutsch(mutter)sprachler also meist in Deutschland. Mit "Ausstieg" hat das nichts zu tun, vielmehr mit der praktischen Umsetzung und gesellschaftlichen Weitergabe des Gelernten. Längst schon werden diese sogenannten "Aussteiger" in solchen Tätigkeiten viel dringender benötigt als auf irgendeiner perspektivlosen und dennoch immer wieder verlängerten Zeitvertragsstelle. Dennoch setzt der Betrieb weiterhin auf Englisch als einzig richtige und wissenschaftstaugliche Sprache! Wenigstens in der Lehre und im Promotions-/Prüfungsrecht müsste er sich längst (auch) um die wissenschaftliche Sprachfähigkeit seiner Absolventen (m/w/d) in der jeweiligen Landessprache kümmern. Dass dies nicht längst geschieht und erst recht nicht angesichts der längst eingetretenen Trendwende am Arbeitsmarkt ist vollkommen unverständlich und gesellschaftlich kontraproduktiv.