Während viele Hochschulen sich auf weniger Studierende einstellen, prognostiziert die KMK neue Erstsemester-Rekordzahlen Mitte der 30er Jahre. Ein Widerspruch? Nein. Aber eine strategische Botschaft.
Wird es an den Hochschulen wieder enger? Dafür müsste es unter anderem noch bunter werden – wie hier bei einer "Night of Science" an der Universität Stuttgart. Foto: this.is.seba, CC BY-SA 2.0 DEED.
"DEUTLICHER ANSTIEG der Studierendenzahlen bis 2035 erwartet", überschrieb die Kultusministerkonferenz (KMK) am Dienstagmorgen eine Pressemitteilung. Bis zu 526.200 Studienanfänger würden Mitte der nächsten Dekade prognostiziert, "etwa 7.500 mehr als im bisherigen Spitzenjahr 2011."
Mancher mag sich da zunächst die Augen reiben, berichten die Hochschulen doch derzeit eher von stagnierenden oder gar sinkenden Studierendenzahlen. Der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick sah Anfang dieses Jahres für die Hochschulen die Chance gekommen, "Fehlentwicklungen der Wachstumsperiode zu korrigieren, die Qualität der Lehre zu verbessern, den Anteil erfolgreicher Abschlüsse zu steigern und die Digitalisierung voranzutreiben". Während viele Rektorate vor allem die Angst umtreibt, die Finanzminister könnten einen etwaigen Schrumpfkurs ihrer Hochschulen als Chance begreifen, auch ihre Budgets schrumpfen zu lassen.
Wie passen da die neuen KMK-Zahlen hinein? Die Antwort: sehr gut. Denn die von den Kultus- bzw. Wissenschaftsministern beschlossene "Vorausberechnung der Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger 2023 bis 2035" geht für die nächsten Jahre ebenfalls von einem Rückgang der Erstsemester aus. Von 473.665 im Jahr 2022, die schon ein deutliches Minus gegenüber den Hochs der Zehnerjahre bedeuteten, bis runter auf 451.000. Besonders betroffen seien die Länder, in denen die Schulzeit bis zum Abitur wieder auf 13 Jahre verlängert werde – weil dort ein Abiturjahrgang teilweise oder vollständig ausfällt. Erst von 2027 an soll es dann allmählich wieder hochgehen.
Mit anderen Worten: Verhältnismäßig sicher ist eigentlich nur die bevorstehende weitere Abwärtsbewegung. Während je weiter die Prognose in die Zukunft reicht, die Ungenauigkeit zunimmt und von wichtigen Grundannahmen abhängt. Etwa davon, ob die Studierneigung unter Schulabgängern auf den erreichten Leveln verharrt. Auch sonst geht die KMK von stabilen Rahmenbedingungen aus (laut Methode der "Status-Quo-Vorausberechnung") und betont selbst, "dass künftige politische Entscheidungen, aber auch strukturelle Änderungen die tatsächliche Entwicklung der Zahlen beeinflussen können".
Empfänger sind die Haushaltspolitiker
in Bund und Ländern
Dass die Kultusminister ihrer Meldung dennoch das langfristig erwartete Plus voranstellen und nicht kurzfristige, aber umso gewissere Minus, deutet auf die erhofften Empfänger dieser Nachricht hin: die Haushaltspolitiker in Bund und Ländern. Doch ob die sich so vom kurzfristigen Trend ablenken lassen?
Spannend ist, dass die nichtstaatlichen Hochschulen, die in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gewachsen sind, zunächst unterdurchschnittlich schrumpfen sollen bei den Studienanfängern. In den Jahren von 2027 an aber würden dann laut KMK-Prognose die Hochschulen in Trägerschaft der Länder die steilere Wachstumskurve hinlegen. Auch das eine Annahme mit Voraussetzungen – denn dafür muss es den staatlichen Hochschulen unter anderem besser gelingen, sich auf Studierendengruppen abseits des soziodemographischen Mainstreams einzustellen. Auf solche mit Berufsqualifikation, solche mit Kindern und anderen Pflegeaufgaben, in mehr echten Teilzeit- und berufsbegleitenden Studiengängen.
Die Studienanfänger-Prognose beruht maßgeblich auf der vergangenen September von der KMK beschlossenen "Vorausberechnung der Zahl der Schüler/-innen- und Absolvierenden 2022 bis 2035". Sie spielt, für die staatlichen Hochschulen heruntergebrochen auf die einzelnen Bundesländer, eine wichtige Rolle für die Verteilung der Bundesmittel im Rahmen des "Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken".
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