Warum ein Forschungsdatengesetz so, wie das BMBF es bislang plant, für die Wissenschaft kaum Fortschritte bringen würde: ein Interview mit Regina Riphahn und Rüdiger Bachmann.
Regina Riphahn (rechts), ist Professorin für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung an der FAU Erlangen-Nürnberg, ehemalige Vorsitzende
der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats und Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik. Rüdiger Bachmann (links) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an
der University of Notre Dame in Indiana und unter anderem Forschungsprofessor am Ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Fotos: Giulia
Iannicelli/privat.
Frau Riphahn, Herr Bachmann, Sie sind Mitglieder der Arbeitsgruppe "Datenzugang" des Vereins für Socialpolitik (VfS). Was ist das für ein Verein?
Regina Riphahn: Der Verein für Socialpolitik ist im deutschsprachigen Raum die größte Fachgesellschaft für Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen. Er hat etwa 3800 Mitglieder.
Rüdiger Bachmann: Und er ist international eine der ältesten wirtschaftswissenschaftlichen Fachgesellschaften überhaupt, wir sind gerade 150 Jahre geworden.
Die AG "Datenzugang" des VfS hat weniger Historie, ist aber im Augenblick besonders hörbar. So haben Sie sich gerade sehr deutlich zum BMBF-Eckpunktepapier des geplanten Forschungsdatengesetzes geäußert.
Riphahn: Die Gründung unserer AG Ende 2022 hing mit der Ankündigung des Forschungsdatengesetzes im Ampel-Koalitionsvertrag zusammen. Damals hatten wir die Hoffnung, dass mit dem Gesetz, mit der Gründung eines Dateninstituts und parallel der Umsetzung des European Data Governance Acts für die Forschung in Deutschland ein echter Schub entstehen könnte. Vieles davon hat sich seitdem aufgelöst, jetzt bleibt das Forschungsdatengesetz.
Wenn man die Stellungnahme Ihrer AG liest, klingt die allerdings so, als wäre auch diese Hoffnung zu großen Teilen der Enttäuschung gewichen.
Riphahn: Nein, erstens gibt es im Eckpunktepapier gute Ansätze und zweitens ist noch nichts beschlossen.
Wie würde ein Forschungsdatengesetz aussehen, wie es sich der VfS wünscht?
Bachmann: Ein gutes Gesetz muss unabhängige Forschung ermöglichen und nicht verhindern. Dafür braucht es den Zugang zu Daten: Daten über Personen, Privathaushalte, Firmen, Betriebe und viele mehr, die sich nicht an einem Ort befinden, sondern von unterschiedlichen Stellen und Institutionen erhoben werden. Und die bis auf wenige Ausnahmen bislang nicht miteinander verknüpft oder auch nur verknüpfbar sind. Doch gerade in ihrer Verknüpfung läge der große Mehrwert für die Forschung. Das Problem ist, dass je nach Datenquelle und Institution verschiedene gesetzliche Regelungen zum Datenschutz berührt werden, die einander teilweise widersprechen. Zurzeit sind dadurch für die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Deutschland ganze Forschungsfelder verschlossen. Das geht zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit. Ein Forschungsdatengesetz müsste hier eine durchgehend stimmige Rechtslage schaffen.
Wie meinen Sie das: "zulasten der Wettbewerbsfähigkeit"?
Riphahn: Forscherinnen und Forscher müssen dorthin gehen, wo sie die besten Bedingungen für ihre Arbeit finden. Ich empfehle manchen meiner Postdocs, für die Beantwortung bestimmter sozial- oder wirtschaftswissenschaftlicher Fragestellungen ins Ausland zu wechseln, weil ihnen in Deutschland dafür die Daten fehlen.
Bachmann: Die Ampel-Koalition hatte das Problem verstanden und daher das Forschungsdatengesetz in Aussicht gestellt. Doch die Eckpunkte, wie sie das BMBF vorgelegt hat, greifen viel zu kurz. Sie würden kaum zur Lösung beitragen.
"Wir hätten weiter Datensilos, die durch jeweils
eigene Gesetze voneinander abgeschottet werden"
Warum nicht?
Riphahn: Weil laut den Eckpunkten bestehende Gesetze nicht geändert werden sollen. Wenn aber ein Forschungsdatengesetz nur das auflistet, was rechtlich schon jetzt möglich ist, gibt es nichts Neues. Dann ergäben sich vielleicht ein paar neue Bezeichnungen, wie der Aufbau eines German Micro Data Centers (GMDC), aber wir hätten wenig gewonnen. Wir hätten weiter voneinander getrennte Datensilos, die durch jeweils eigene Gesetze voneinander abgeschottet werden.
Bachmann: Das meine ich mit Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite gibt es forschungsfreundliche Datenschutzregelungen zum Beispiel zu den Sozialversicherungsdaten, weshalb wir in Deutschland eine starke Arbeitsmarktforschung haben. Vollkommen anders sieht es bei den Daten etwa zur Bildung oder zu Firmen aus – mit der Folge, dass an solchen Stellen Forschung fast nicht möglich ist. Wir brauchen dringend eine Vereinheitlichung.
Riphahn: Es gibt Vorbilder dafür. Das Ende März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatennutzungsgesetz stellt die Gesundheitsforschung auf eine völlig neue Grundlage. Es überschreibt andere Gesetze. Dies ist eine Brücke, die sich auch für das Forschungsdatengesetz anbietet.
Von der auch der Erfolg eines German Micro Data Centers abhängt? Was genau soll das eigentlich sein?
Riphahn: Es soll die Daten aus den verschiedenen Feldern treuhänderisch zusammenbringen, also unter Beachtung der Schutzrechte der Betroffenen. Doch nach dem aktuellen Stand würde das Center nur die bereits vorhandenen Statistikdaten anbieten, und das auch noch voneinander getrennt. Wir brauchen aber das Zusammenspielen verschiedener Daten. Daten aus verschiedenen Quellen müssen für die Forschung miteinander verknüpfbar sein, erst dann gäbe es einen neuen Datenraum für die Forschung.
Sie wollen, dass die bestehenden Gesetze und Datenschutzregelungen durch das Forschungsdatengesetz überschrieben werden. Aber setzt da nicht die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) unüberwindbare Grenzen?
Bachmann: Ein definitives Nein! Es handelt sich, wie Sie sagen, um eine europäische Verordnung, und der Blick in andere europäische Länder, zum Beispiel nach Österreich, Frankreich, in die Niederlande oder nach Skandinavien, zeigt, welche großen Fortschritte in den vergangenen Jahren beim Datenzugang gemacht wurden. Konform mit der DSGVO. Österreich hat genau solch ein Mikrodatencenter eingerichtet, wo treuhänderisch die Daten so verknüpft werden, wie wir es fordern, anderswo gibt es ähnliche Arrangements. Während die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Deutschland hinterherhinkt und auch eine evidenzbasierte wissenschaftliche Politikberatung extrem erschwert wird – weil wir nie die Evidenz bekommen, die wir brauchen.
Und wie fällt der Vergleich mit den USA aus, wo Sie lehren, Herr Bachmann?
Bachmann: Da ist der Datenzugang noch viel großzügiger geregelt, weil das Verständnis von Staat und Gesellschaft ein anderes ist. Ich kann gut verstehen, wenn man sich darum die USA nicht als Vorbild nehmen will. Aber zur Kenntnis nehmen sollte man schon, dass etwa in der Coronakrise die US-Regierung sehr viel mehr wusste über den Zustand einzelner Firmen, Betriebe und Haushalte und daher die Hilfspakete deutlich zielgerichteter auf die tatsächlichen Bedürfnisse hin kalibrieren konnte. Deutschland musste stattdessen Gießkannenpolitik machen, was die überwiegend positiven Folgen der Rettungspakete nicht in Frage stellt. Aber man befand sich teilweise im Blindflug.
"Im Moment sagen die
Datenschützer im Zweifel Nein"
Riphahn: Im Moment ist es so, dass bei einem größeren Mikrozensus-Forschungsprojekt der Datenschutz in jedem Bundesland einzeln entscheiden muss, was erlaubt ist und was nicht. Hinzu kommt, dass viele vorhandene Regelungen so unspezifisch sind, dass die Datenschützer im Zweifel Nein sagen – aus Sorge, ihnen könnte ein Ja irgendwann um die Ohren fliegen. Hilfreich wäre es, wenn die Bundesländer wie beim Gesundheitsdatennutzungsgesetz die Zuständigkeiten untereinander koordinieren, sodass je nach Forschungsfeld und Datenquelle nur ein Datenschutzbeauftragter für alle entscheidet. Dafür bräuchte es die rechtlichen Möglichkeiten, inhaltliche Abstimmung und gegenseitiges Vertrauen.
Bachmann: Wir müssen außerdem über Ressourcen sprechen. Ein Mikrodatencenter muss personell adäquat ausgestaltet werden. Es braucht ein wissenschaftsnahes Direktorat, möglichst über eine Professur an eine Universität angebunden, dazu promovierte Mitarbeiter mit der nötigen Fachkenntnis. Wir reden nicht über viele Millionen, aber über die nötigen Voraussetzungen für gute Forschung und evidenzbasierte Politikberatung. Zu denen auch gehört, dass die Gebühren für die Datennutzung nicht prohibitiv hoch sein dürfen. Auch Masterstudierende und Doktoranden müssen sich den Zugang leisten können.
Riphahn: Es geht absolut in die falsche Richtung, wenn derzeit über eine drastische Gebührenerhöhung bei den Forschungsdatenzentren der statistischen Ämter diskutiert wird. Von einer Vervierfachung ist die Rede. Und gleichzeitig warten wir mitunter monatelang, weil die Verwaltung zu schwach besetzt ist, um Anträge zu bearbeiten, die dann auf eine Warteliste kommen. Womöglich bekommen Sie nach einem Vierteljahr nur die Rückmeldung, dass im Antrag eine Angabe fehlte. Wenn mit den Daten eine Bachelorarbeit geschrieben werden soll, geht das nicht.
Vorhin sprachen Sie davon, dass sich Ihre Hoffnungen in Bezug auf das ebenfalls im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehene Dateninstitut, nicht zu verwechseln mit dem Mikrodatencenter, bereits erledigt hätten. Wieso?
Riphahn: Weil das, was die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, nicht von den Interessen der Wissenschaft getrieben wird. Der verbesserte Datenzugang für die Forschung steht nicht im Vordergrund, stattdessen sollen Unternehmen und Startups Nutznießer sein.
Und was ist mit dem European Data Governance Act?
Riphahn: Der DGA war zentral für die Bereitstellung von Forschungsdaten in Österreich. In Deutschland hingegen kommt man den seit September 2023 bestehenden europarechtlichen Verpflichtungen einfach nicht nach. Die vom EU DGA vorgeschriebene zentrale Informationsstelle hätte z.B. mit dem Dateninstitut umgesetzt werden können.
Aber beim Forschungsdatengesetz, da kann es noch klappen?
Bachmann: Ja, weil unsere Bedenken und Warnungen auf der Fachebene in den Ministerien angekommen sind und verstanden wurden. Regina Riphahn hat als Vorsitzende des VfS hier bisher hervorragende Arbeit geleistet. Auch die Fraktionen im Bundestag hören uns zu. Sie verstehen, dass die deutsche Forschung im internationalen Vergleich benachteiligt ist. Aber ob die Koalition am Ende die Kraft hat, die nötigen Änderungen umzusetzen, das hängt vor allem von der Durchsetzungsfähigkeit von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ab, deren Ministerium die Federführung hat. Sie muss, weil so viele Gesetze und Ebenen berührt sind, über Parteien und Ministerien hinweg eine Abstimmung erreichen. Ob ihr das gelingt? Ich weiß es nicht.
Riphahn: Wichtig ist, dass man sich im BMBF jetzt nicht mit den Low Hanging Fruits zufrieden gibt. Wir brauchen einen großen Wurf. Ich bleibe optimistisch!
In eigener Sache: Die Unterfinanzierung wächst
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low hanging fruit (Freitag, 10 Mai 2024 12:48)
"Fruit" heißt hier "Obst" und hat in dieser Bedeutung keinen Plural.