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Warum ich mich mit einer Einordnung schwergetan habe

Propalästinensische Protestcamps, Räumungen, ein Offener Brief und eine verunglückte öffentliche Debatte: Zeit für eine vorläufige Bilanz nach einer schwierigen Uni-Woche.

Bild: Gerd Altmann / Pixabay.

VIELLEICHT IST ES IHNEN AUFGEFALLEN: Ich habe mich bislang mit Kommentaren aus der so erregten Debatte um das geräumte propalästinensische Protestcamp an der FU Berlin und den offenen Unterstützungsbrief von Lehrenden herausgehalten. Nicht, weil mich die Debatte kaltlässt, sondern weil mich wundert, wie schnell und wie drastisch viele Akteure mit ihren Meinungen zur Stelle waren. Mit gegenseitigen Vorwürfen und Verurteilungen. Mit der offensichtlichen Überzeugung, dass jeweils ihre Sicht der Dinge die einzig angemessene und informierte sei, nur sie moralisch-ethisch wirklich vertretbar. Ich habe mich mit meiner Einordnung da deutlich schwerer getan. 

 

Ich fand die Räumung des Protestcamps nach allem, was mir zu Sachbeschädigungen und vorgetragenen Parolen berichtet wurde, gerechtfertigt. Wobei mich im Hinterkopf das Dilemma beschäftigte, wie das krasse Fehlverhalten von einigen (oder vielen) der anwesenden Demonstranten dazu führte, dass die übrigen ihren Protest auch nicht fortsetzen konnten. 

 

Ich fand den Offenen Brief der Lehrenden von ehrlicher Sorge um unseren politisch-demokratischen Diskurs geprägt und habe zugleich manche Formulierung darin ("unsere Studierenden in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern") als verunglückt, missverständlich und dem eigenen Anliegen abträglich empfunden. Zumal ich, siehe oben, bezweifle, dass das FU-Protestcamp der richtige Anlass und Gegenstand für den Aufruf war.  

 

Ich war überrumpelt angesichts der Tonalität von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzingers Äußerung in der BILD-Zeitung, nicht wegen ihrer „Fassungslosigkeit“ in Bezug auf den Offenen Brief, zu der sie jedes Recht hatte. Sondern weil sie rhetorisch in Frage stellte, dass die Unterstützenden des Offenen Briefs auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Ich war entsetzt von dem nachfolgenden, wahrhaft unsäglichen BILD-Pranger-Artikel ("Die UniversiTÄTER")

 

So konnte es
nicht weitergehen

 

Ich war erleichert, dass nach diesem so schlimmen journalistischen Ausfall so etwas wie Besinnung, ein Luftholen in der Debatte einzutreten schien. Dass es so nicht weitergehen konnte, haben offenbar viele gemerkt. Ich habe mich über die Erklärung der FU-Hochschulleitung gefreut, dass sie "die Diffamierung von einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unserer Universität" verurteilte und die Prüfung medienrechtlicher Schritte ankündigte. Weitere abgewogene Statements wie das mehrerer SPD-Bundestagsabgeordneter, die ich hier nur stellvertretend anführe, machen mir Hoffnung. Genau wie die selbstbewusste Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz vom Dienstag. Ich würde mir wünschen, dass auch in anderen, seröseren Zeitungen mancher Schaum vor dem Mund einer fragend-kritischen, aber auch selbstreflexiven Haltung weichen würde. 

 

Denn bei zwei Sachen bin tatsächlich auch ich mir total sicher. Erstens: Es ist nicht vorbei. Die Hochschulen werden in den nächsten Tagen und Wochen noch ordentlich durchgerüttelt werden durch Demos, Protestcamps und Besetzungen. Durch das, was die Hochschulrektoren in ihrer Erklärung als wissenschaftsgeleitete Diskussionen bezeichnen, und durch andere Aktionen, die, wie die HRK es ausdrückt, "sich nicht mehr im Rahmen der Gesetze und der Verfassung bewegen". Es ist gut, wenn die Rektoren sich dafür wappnen und von der Politik Vertrauen und Rückhalt einfordern. 

 

Weil es zweitens für mich keine Alternative gibt zu einem offenen, demokratischen, mitunter harten Diskurs. Ein Diskurs, zu dessen Leitplanken das Existenzrecht Israels, der entschiedene Kampf gegen Antisemitismus und das Benennen des Terrors der Hamas gehören. Und die Anerkennung, dass man die Bedeutung freier Rede und die Dimensionen von Unrecht und dessen Opfer thematisieren darf, unabhängig davon, wo sie leben. 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Katja Barbara Bär (Mittwoch, 15 Mai 2024 15:39)

    Danke für diesen Beitrag, der die Situation in meinem Augen gut einordnet. Und ich möchte noch einen Gedanken ergänzen: die Hochschulleitungen und die Kommunikation werden es nicht alleine richten können. Sie brauchen die Unterttsützung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die noch mehr Veranstaltungen anbieten müssen, die zu einer informierten, evidenzbasierten Debatte führen. Wir dürfen dies nicht aus Angst vor Sicherheitsrisiken und harten Auseinandersetzungen vermeiden. Aber es ist eine Herausforderungen, wenn die Taten des 7. Oktobers in der Diskussion geleugnet werden und von einer deutschen Verschwörung oder Medienverschwörung und Lügenpresse geredet wird. Im Umgang mit solchen Positionen sind nur wenige richtig gewappnet. Man darf es aber eben auch nicht stehen lassen.

  • #2

    Carsten v. Wissel (Mittwoch, 15 Mai 2024 16:28)

    Die Debatte verunglückt zu nennen, ist in meinen Augen fast noch ein Euphemismus.
    Unsäglich wäre das Adjektiv, das mir zu diesem Bild Geschmiere und abgeschwächt auch zur Einlassung der zuständigen Bundesministerien einfallen würde.
    Leider nur fand ich auch den 1. Offenen Brief der FU-Lehrenden nicht wirklich gut und im 2. Offenen Brief waren mir dann zu viele dabei, die ich noch von vor langer Zeit aus der unseligen FU-Politlagerkultur kenne.
    Am instruktivsten bisher fand ich den langen Mastodon-Thread, den Anatol Stefanowitsch vor ein paar Tagen gepostet hatte.
    Tenor: Man kann in einer Universität viel streiten, zu sagen, man wolle sein Kernanliegen mit niemandem diskutieren, habe dort allerdings keinen Platz.

  • #3

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 16 Mai 2024 13:06)

    Liebe Leser:innen,

    noch einmal die freundliche Erinnerung: Unter diesem Artikel kann nur mit Klarnamen kommentiert werden. Ich bitte um Verständnis!

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #4

    Josef König (Donnerstag, 16 Mai 2024 13:20)

    Lieber Jan-Martin,

    vielen herzlichen Dank für diese unaufgeregte und zugleich abwägende Äußerung, die zugleich die Unsicherheit in der Situation bezeugt.
    Wir leben leider in zu aufgeheizten Zeiten, und ich gewinne den Eindruck, dass jeder, ob kompetent oder nicht, glaubt zum Nahost-Konflikt etwas sagen zu müssen. Dieser ist aber so komplex, dass eine Einodnung selbst sehr kompetenten Menschen selten wirklich gelingt.

    Beste Grüße
    Josef