Warum sich bei allem Applaus für die gemeinsame Initiative von inzwischen über 100 Organisationen bestimmte Fragen stellen. Ein Kommentar.
FAST WOLLTE MAN SICH die Augen reiben. Es dauerte nur ein paar Stunden, nachdem 94 Stiftungen, Verbände und Organisationen ihren Aufruf zu einem "Bildungsdialog für Deutschland" abgesetzt hatten, inklusive Vorschlägen zur Umsetzung, da erklärte die Kultusministerkonferenz schon "ihre grundsätzliche Bereitschaft", dabei mitzumachen: "Die KMK stellt sich dem Bildungsdialog." Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte schon vorher im Interview mit dem Schulportal erklärt, sie finde "das Engagement der zivilgesellschaftlichen Organisationen beeindruckend".
Ist das jetzt der Anfang, auf den viele gewartet haben, der "#NeustartBildungJetzt" – wie eine zivilgesellschaftliche Initiative im März 2023 hieß, auf welcher das jetzt vorgestellte Konzept aufbaut? Die Initiative hatte damals angesichts des in Abwesenheit fast aller Kultusminister abgehaltenen "Bildungsgipfels" Bettina Stark-Watzingers einen echten Nationalen Bildungsgipfel gefordert unter Beteiligung der Regierungschefs von Bund und Ländern, um "die Bildung endlich zur gemeinsamen Chef- und Chefinnensache zu erklären".
Der Nationale Bildungsgipfel blieb aus, aber die Mischung aus Konfrontation und Ratlosigkeit in den föderalen Bildungsdebatten wuchs weiter, komplettiert mit noch mehr schlechten Ergebnissen im IQB-Bildungsvergleich und bei PISA, begleitet von Bund-Länder-Verhandlungen um Startchancen-Programm und Digitalpakt, die mehr in einem Belauern und gegenseitigen Vorwürfen bestanden.
Hat der Leidensdruck bei den führenden Bildungspolitikern inzwischen einen solchen Level erreicht, dass sie den Aufruf der 94 Organisationen mit einem enthusiastischen "Ja, wir wollen" beantworten, erleichtert, von der Zivilgesellschaft aus der Selbstblockade geführt zu werden?
Die Verfahrenshoheit
der Kultusminister aushebeln?
Kaum. Vielmehr erinnern die Reaktionen der Kultusminister an einen routinierten Ausfallschritt, an ein freundlich formuliertes Abtropfen, ein "Vielen Dank für Ihre Nachricht, wir melden uns bei Ihnen."
Und das noch nicht einmal zu Unrecht. Denn so honorig die neue Initiative ist, so offenbart sie doch eine Reihe von Problemen. So betonen die Organisationen zwar, die Initiierung und Steuerung des verlangten Dialogprozesses solle durch die Länder erfolgen, doch ihre sehr konkrete Forderung nach neuen Gesprächsformaten spricht eine andere Sprache und führt zu der sehr grundsätzlichen Frage: Welche demokratische Legitimation haben allen voran privatrechtliche Stiftungen, staatlichen Entscheidungsprozessen einen bestimmten Rahmen geben zu wollen?
Eine Frage, die man nicht einfach so wegwischen sollte, denn bei aller berechtigten Kritik am föderalen System und seinen Organen wie der KMK: Genau die sind Teil eines demokratisch verfassten Gemeinwesens. Woran sich die nächste Frage anschließt, ob der vorgeschlagene Aufbau von Parallelstrukturen, etwa durch eine eigens eingerichtete "Geschäftsstelle von Politik und Gesellschaft", von Fachforen zu gemeinsam definierten Handlungsfeldern und von partizipativen Verfahren unter Einbeziehung auch von Kindern und Jugendlichen, nicht doch die Verfahrenshoheit der Kultusministerien und ihrer KMK aushebeln soll.
Das kann man wollen oder gut finden, doch wird sich die Kultusministerkonferenz auf verbindliche und womöglich dauerhafte Strukturen ebenso wenig einlassen, wie sie den in der vergangenen Legislaturperiode laut Koalitionsvertrag vorgesehenen Bildungsrat von Bund, Ländern und Kommunen wollte. Sie hat die Pläne nach vielen Gesprächen erst freundlich, dann sehr entschieden – abtropfen lassen.
Ein Neustart des Bildungssystems geht
nur über einen Neuanfang der KMK
Die im Aufruf genannte ebenfalls Alternative zur eigenständigen Geschäftsstelle, eine neue gemeinsame Stabsstelle der Kultusministerkonferenz und Jugend- und Familienministerkonferenz, klingt da schon realistischer und in der ressortübergreifenden Konzeption attraktiv, zumal KMK und JFMK vergangenes Jahr schon gemeinsam getagt haben. Und doch ist klar: Die einzige realistische Hoffnung auf einen – wie auch immer – gearteten Neustart des Bildungsföderalismus und damit des Bildungssystems insgesamt ist ein Neuanfang der KMK selbst. Der immerhin, siehe die angestoßenen Reformen, ist so wahrscheinlich wie lange nicht.
Natürlich wird selbst eine andere KMK viel langsamer, viel weniger entschieden und kaum so konzertiert mit dem Bund agieren, wie es sich die 94 Organisationen von ihrem Bildungsdialog erwarten. Doch stellt sich die da schon die nächste Frage, inwiefern nämlich letztere Erwartungen überhaupt berechtigt sind.
Es ist kein Zufall, dass die – inzwischen schon über – 100 Partner bewusst auf inhaltliche Forderungen verzichten und sich auf den Prozess konzentrieren. Sie tun das, Hand aufs Herz, nicht nur, weil sie den Bildungsdialog nicht vorbestimmen wollen. Sie tun es auch, weil die Initiative schon jetzt eine derart diverse Zusammenstellung ist, zwischen Ehrenamtlern und Verbandsfunktionären, zwischen Pädagogen, Eltern, Fachkräften und Stiftungsvorständen, dass sie ein inhaltlich konzises und doch geeintes Konzept für eine Bildungsrepublik kaum produzieren könnten.
Ob dann der Bildungsdialog mit seinen Formaten etwas Spitzeres, Entschiedeneres, vor allem aber Fokussierteres und damit Umsetzbares ergeben könnte? Fraglich. Die "komplexen Herausforderungen" bräuchten "integrative Lösungsansätze", ein Handeln "über alle Ebenen und Ressorts hinweg", heißt es in der Erklärung der 94.
Alle Fragen und Vorbehalte entwerten
die Initiative trotzdem nicht
Dass unterdessen die Bundesbildungsministerin den Aufruf toll findet, wundert auch wenig, fühlt sie sich doch so in ihrer grundsätzlichen Kritik an der Kultusministerkonferenz bestätigt und zugleich gestärkt für kommende Verhandlungsrunden mit den Ländern. Nebenbei mag ein bisschen Genugtuung dabei sein, nachdem die Kultusminister sie im März 2023 so haben auflaufen lassen. Immerhin tauscht man inzwischen Briefe zur damals von Stark-Watzinger angeregten "Taskforce Team Bildung" aus und will sich dazu einmal zusammensetzen.
Auf diesen Grad an Commitment, so ist zu fürchten, könnte es am Ende auch beim Bildungsdialog hinauslaufen. Denn an einer Stelle sind sich Bund und Länder vermutlich – leider – einig: In haushaltspolitisch so knappen Zeiten werden sie sich nicht mit teuren Forderungen vorführen lassen.
Entwertet all das die mit großem Aufwand und Engagement gestartete Initiative? Nein, denn sie hält die Debatte um den nötigen Bildungsaufbruch in Bewegung, sie lässt vor allem die Kultusminister nicht in Ruhe. Aber retten kann unser föderales Bildungssystem nur die Bildungspolitik selbst.
Dieser Kommentar erschien diese Woche zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.
In eigener Sache: Die Unterfinanzierung wächst
Leider war der April wirtschaftlich gesehen ein schlechter Monat für diesen Blog. Bitte helfen Sie durch Ihren Beitrag, dass er für alle kostenfrei zugänglich bleiben kann.
Kommentar schreiben
Lehrerkind (Samstag, 25 Mai 2024 20:50)
Die KMK wird nie einen Neuanfang starten. Die föderale Bildungspolitik ist gescheitert, und schon lange nicht mehr mit der Sache sondern nur noch mit ihrem Machterhalt befasst. Es wird Zeit, dass andere Akteure in Erscheinung treten und Verantwortung übernehmen.