Das erklärte Ziel der Forschungsministerin ist, den Anteil der Forschungsausgaben am BIP auf 3,5 Prozent zu steigern. Doch die Erklärung allein reicht nicht, um die Illusion aufrechterhalten zu können, es sei noch erreichbar.
IST DAS NOCH Prinzip Hoffnung oder schon Prinzip "Nach mir die Sintflut"? Vergangene Woche hat die Bundesregierung den "Bundesbericht Forschung und Innovation 2024" beschlossen, eine 600-seitige Bestandsaufnahme der föderalen Forschungs- und Innovationspolitik.
Und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kommentierte: Die Investitionen in Forschung und Innovation von Staat, Wirtschaft und Hochschulen hätten 2022 (neuere Zahlen gibt es nicht) mit insgesamt 121,4 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. "Diese Investitionen sind zentral für Wachstum und Wohlstand. Deshalb halten wir an unserem ambitionierten Ziel fest, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 3,5 Prozent steigern zu wollen."
Nur trifft es "ambitioniert" leider längst nicht mehr. "Inzwischen völlig unrealistisch" ist die richtige Umschreibung. Zwar schaffte Deutschland 2022 3,13 Prozent. Doch auf genau diesen oder einen sehr ähnlichen Anteil kam die Bundesrepublik damit schon im sechsten Jahr. Absolut stiegen die Ausgaben, vor allem inflationsbedingt, aber die relative Dynamik zur Wirtschaftsleistung: gleich null.
Die Lücke von 0,4 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht ohne Berücksichtigung der Inflation rund 16,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, wovon der Staat etwa ein Drittel tragen müsste und die Wirtschaft den Rest. Zu schaffen wäre das bis 2025 nur noch mit einem beispiellosen F&E-Boom. Und nun setze man das in Relation zu den Streichdebatten in Bund und Ländern und den Warnungen vor einer Deindustrialisierung.
Die gerissenen 3,5 Prozent muss
dann jemand anderes rechtfertigen
All das ist der Volkswirtin Stark-Watzinger sicher bewusst. Allerdings weiß sie auch, dass der nächste Bundesbericht erst in zwei Jahren fällig ist, nach der Bundestagswahl, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach jemand anderes die gerissenen 3,5 Prozent wird rechtfertigen müssen.
Erstaunlich klar ist demgegenüber die Ansage, die von Stark-Watzingers FDP-Kollege Stephan Seiter, Sprecher seiner Bundestagsfraktion für Forschung, Technologie und Innovation, kommt. Die Investitionen reichten für die "Wirtschaftswende" nicht aus, sagt er. Erfindergeist brauche attraktive Bedingungen für Forschung, Innovation und Gründungen. "Dementgegen stehen aktuell überhöhte Erwartungen an Transferleistungen und Sozialausgaben, die sich Deutschland mit Blick auf seine Produktivität nicht mehr leisten kann." Bildung, Forschung und Infrastruktur sowie der Bürokratieabbau müssten daher in allen Bereichen im Haushalt priorisiert werden.
Es gäbe natürlich noch eine andere Alternative, die Seiter nicht erwähnt. Die Herausnahme von F&E und Bildung aus der Schuldenbremse. Viele in der Ampel finden das verlockend, außer die FDP. Allerdings müssten auch CDU/CSU mitmachen, um die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zu schaffen. Alles in allem wenig realistisch – und wahrscheinlich am Ende auch keine hilfreiche Idee. Denn bestünde eine echte Chance, an der Schuldenbremse herumzudoktern, würden andere Ressorts, allem voran Verteidigung, versuchen, ihre Ausgaben als mindestens genauso wichtige Zukunftsinvestitionen zu deklarieren. Und damit entweder die Debatte torpedieren oder die Schuldenbremse als Ganzes.
Und was ist mit der Kürzung von Transfer- oder Sozialleistungen, die FDP-Mann Seiter anregt? Sie wäre, Stichwort Rente mit 63, ökonomisch richtig – genau wie das ernsthafte Herangehen an alle möglichen Subventionen. Doch handelt es sich um politische Tabus schon aus Angst, siehe Bauernproteste, vor der Wut der Betroffenen und deren Instrumentalisierung durch Demokratiefeinde. Bliebe als F&E-Anreiz für die Wirtschaft – zumindest – der mutige Abbau von Bürokratie und forschungsfeindlichen Datenschutzregeln. Doch auch in der Hinsicht ist außer Rhetorik nicht viel zu sehen.
Also nichts außer Pessimismus? Sagen wir so: Mutig wäre, wenn die Bundesregierung sich in einem ersten Schritt mal ehrlich macht. Bald ist die Zeit dazu gekommen. Wenn Finanzminister Lindner den Haushaltsentwurf für 2025 auf den Tisch legt.
Dieser Kommentar erschien in einer kürzeren Fassung in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
In eigener Sache: Die Unterfinanzierung wächst
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Karl-Heinz Reith (Mittwoch, 29 Mai 2024 13:29)
Ich frage mich, wann endlich der Politik- und Medien-Unsinn aufhört, die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben für Forschung wie auch für Bildung am BIP zu messen. Sinkt in Krisenjahren das BIP, steigt automatisch der Anteil für die Forschung - auch ohne nur einen Euro-Zuwachs, unter Umständen sogar bei Ausgabenkürzungen. Dabei wäre gerade in Krisenjahren mehr Geld ür Forschung nötig.