Die Hochschulrektorenkonferenz will die Geschlechtergerechtigkeit bei Berufungen erhöhen. Hat sie den richtigen Plan dafür?
Bild: Gerd Altmann / Pixabay.
ES WAR EIN EKLAT, von dem viele noch heute reden in der Hochschulrektorenkonferenz. Es war November 2022, die HRK tagte an der Universität Jena, und zur Abstimmung stand eine Tischvorlage, Arbeitstitel: "Stellungnahme der HRK zur Situation von Frauen auf Karrierewegen an deutschen Hochschulen". Eine Stunde lang reihte sich Wortmeldung an Wortmeldung, die Stimmung wurde Anwesenden zufolge immer hitziger. Eine Rektorin fühlte sich angesichts einiger der geäußerten Argumente ins 18. Jahrhundert zurückversetzt, eine andere zog für sich die Schlussfolgerung, dass die HRK soeben eindrucksvoll demonstriert habe, warum es den im Papier geforderten Kulturwandel so dringend bräuchte.
Am Ende ließ eine Mehrheit das Papier in der vorliegenden Form durchfallen. Die HRK verweigert sich zusätzlichen Gleichstellungsbemühungen? Um die ganze große Peinlichkeit zu vermeiden, einigte man sich mit Ach und Krach auf eine nachträgliche Bearbeitung des Papiers durch die HRK-Geschäftsstelle und seine spätere Veröffentlichung.
So wie der Eskalation auch insgesamt im Nachhinein womöglich ihr Gutes hatte: Ein halbes Jahr später, im Mai 2023, beschloss das HRK-Plenum, dass eine Kommission den Entwurf einer Selbstverpflichtung erarbeiten sollte. Wobei Walter Rosenthal, bei derselben Sitzung zum neuen HRK-Präsidenten gewählt, schon kurz danach klarmachte, wo für ihn die Grenze liege. Er sei kein Quotenbefürworter, sagte Rosenthal im Interview hier im Blog. "Denn wenn man Quoten schlicht herunterbricht auf die Entscheidung zwischen zwei Bewerbungen, können Entscheidungen, die nicht qualitätsbasiert sind, die Folge sein."
Wiederum ein Jahr später liegt die Selbstverpflichtung nun vor, Überschrift: "Auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei Berufungen", verabschiedet von der HRK-Mitgliederversammlung auf ihrer Sitzung in Fulda Mitte Mai. Am Montag hat Präsident Rosenthal ein Rundschreiben an alle Rektor:innen und Präsident:innen der HRK-Mitgliedshochschulen versandt. "Wir bitten Sie, uns den Beitritt Ihrer Hochschule in einer formlosen, schriftlichen Mitteilung zu erklären", heißt es darin.
"Gewillt, die noch
erforderlichen Schritte zu gehen"
Der Beschluss zur Selbstverpflichtung, so Rosenthal, benenne "konkrete Ziele und Handlungsfelder sowie Maßnahmen, die zur Verwirklichung eines institutionellen Kultur- und Strukturwandels zu mehr Geschlechtergerechtigkeit an Hochschulen beitragen können". Die in der HRK zusammengeschlossenen Hochschulen setzen somit ein deutliches Zeichen, "dass sie gewillt sind, die noch erforderlichen Schritte zu gehen, um über alle Fächer und Ebenen hinweg eine angemessene Repräsentation der Geschlechter zu erreichen und langfristig sicherzustellen."
Die fünf "konkreten Ziele" lauten: "Aktive Rekrutierung zur Erweiterung des Kandidat:innenpools", "geschlechtergerechte Berufungsverfahren", "Etablierung geschlechtergerechterer Vergütungsstrukturen", "institutionelle Verankerung von Gendersensibilisierung und Geschlechterkompetenz" und "institutionelles Monitoring".
Frauenanteil zwischen Erstimmatrikulation und Professuren in Deutschland
Zur weiteren Beruhigung und Befriedigung der im November 2022 aufgerissenen Konfliktlinien mag die Initiative beitragen, aber hilft eine Selbstverpflichtung in der vorliegenden Form auch tatsächlich "auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit" weiter?
Hoffnungsvoll stimmt, dass die HRK auf ihrer Website eine Liste der beigetretenen Hochschulen veröffentlichen wird. Was den Druck mitzumachen, deutlich erhöht. Auch müssen alle Hochschulen, die sich verpflichten, regelmäßig die bei von ihnen eingeführten Maßnahmen ("Instrumente"), sortiert nach den fünf Zielen, in eine ebenfalls öffentlich einsehbare Datenbank eintragen, die vom Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS geführt wird.
Eine Selbstverpflichtung muss
auch mal wehtun, um zu wirken
Allerdings beschreibt der HRK-Beschluss zwar einen "Instrumentenkasten" mit einem " Portfolio" möglicher Maßnahmen, formuliert aber keinerlei Mindeststandards von Verfahren, die überall gelten sollen. Besonders schwammig wird der Text dann ausgerechnet an der Stelle, wo es um den weiteren Umgang mit den Informationen geht, die von den Hochschulen geliefert werden. "Das CEWS soll beauftragt werden, die Maßnahmen in regelmäßigen Abständen auf Systemebene quantitativ und qualitativ auszuwerten."
Was bedeutet das? Sollen nur Analysen erstellt werden, die Auskunft darüber geben, wie viele Hochschulen ingesamt die Instrumente A, B oder C einsetzen? Oder müssen die Hochschulen auch regelmäßig Statistiken liefern, gern unterteilt nach Fachbereichen, wie sich bei ihnen das Gender Pay Gap entwickelt oder der Frauenanteil bei Bewerbungen oder Berufungen? Und werden diese Statistiken dann auch öffentlich gemacht und nebeneinander gestellt?
Hoffentlich letzteres. Denn dann und nur dann würde die Selbstverpflichtung potenziell auch mal wehtun. Genau das muss sie aber, um ihre Wirkung zu entfalten und mehr zu sein als eine Selbstberuhigung. Als Zwischenfazit bleibt: Die HRK ist seit Herbst 2022 einen Schritt vorangekommen. Wie weit er trägt, ist offen.
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Roland Wiedehopf (Samstag, 08 Juni 2024 14:11)
Die Frauenförderung ist nun mal kein Wunschkonzert. Wie gerade wieder bei einer SFB-Begutachtung erlebt, ist es ein zähes Geschäft. Was m.E. aber zählt, ist die zunehmende Verbesserung der Lage. Man muß auch mal zufrieden damit sein, wie es sich entwickelt.