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Reverse Engineering bei der DATI

Das Experiment der Pilot-Förderlinie ist gelungen: Die 20 ersten
DATI-"Innovationscommunities" verraten viel über die tatsächlichen Innovationsbedarfe. Ein Gastbeitrag von Hans-Hennig von Grünberg.

Hans-Hennig von Grünberg ist seit 2021 Professor für Wissens- und Technologietransfer an der Uni Potsdam. Zwischen 2009 und 2020 war er Präsident der Hochschule Niederrhein, außerdem Gründungs-mitglied und erster Vorsitzender der Hochschulallianz für den Mittelstand. Foto: STIFT | Susann Nürnberger. 

FÜR DEN DATI-PILOTEN "Innovationcommunities" wurden Ende Mai die Förderzusagen verschickt. 483 Allianzen von Machern, Nutzern, Entwicklern und Forschern hatten sich auf den Weg gemacht, vermittels ihrer Anträge den Begriff "Innovationscommunity" mit Leben zu füllen. 20 kamen schließlich an und lassen uns mit ihren Vorhaben erkennen, was mit diesem Wort gemeint sein könnte. Diese 20 Communities bekommen jeweils fünf Millionen Euro, um damit ihrerseits eine Kaskade von (Community)-Projekten für ihr Vorhaben anstoßen zu können.

 

Es gibt unter den 20 erfolgreichen Anträgen auch Vorhaben, wie man sie erwartet hatte. Zwei klassische Technologiepush-Projekte zum Beispiel, mit denen man das "Valley of Death" des Transfers überwinden oder neue Anwendergruppen finden will. Hinzu kommen Anträge, die sich um ein konkretes Innovationsvorhaben gebildet haben (Eigentumsrechte an Daten über Blockchain, neue Nutzungskonzepte für stillgelegte Bahnschienen, integrierte Lösungen im OP-Saal, Optimierung industrieller Produktionsprozesse mit KI und Datenintegration). Diese Form von Anträgen waren schon vor den DATI-Piloten aus der Forschungsförderung wohl bekannt. 

 

20 Communities,
vier Typen

 

Verblüffend neu hingegen ist, dass es bei den meisten Anträgen, die durchkamen, weniger um konkrete Vorhaben geht, sondern viel eher um neue Bündnisformen. Ich habe vier Arten von Bündnissen unter den 20 ausgewählten Communities identifizieren können. 

 

Bündnistyp 1 will bestehende Initiativen neu bündeln, um gemeinsam die Umsetzung von schon bekannten Lösungsideen durchzusetzen: ein Projekt zu Urban Health, drei Anträge im Bereich Pflege zur Integration sozio-technischer Systeme, zur Nutzung von digitalen Assistenzsystemen oder zur Optimierung von Verfahrensabläufen und schließlich zwei Projekte zur "Circular Economy" (Textil, Mehrwegsysteme). Man könnte sie "Umsetzungspush"-Projekte, nennen, die nicht viel mit F&E, dafür umso mehr mit Adaptierung und Implementierung zu tun haben. 

 

Der Bündnistyp 2 stellt das Bündnis als solches in den Vordergrund: eine zentrale Gemeinschaft zur Sammlung der Bürgerenergie-Communities oder ein Urban-Design-Projekt und weitere, die neue Impulse durch originelle Brückenschläge von Wissenschaft und Handwerk erwarten lassen (Wissenschaft plus Hörgeräteentwicklung; Wissenschaft plus Bauen in der Denkmalpflege). 

 

Beim Bündnistyp 3 handelt es sich um Zusammenschlüsse von Konkurrenten: In zwei Fällen haben sich Wettbewerber zum Aufbau einer gemeinsamen Plattform zusammengetan. So soll eine Art Amazon der Automatisierungstechnik entstehen und ein virtueller Umschlagplatz prozessualer Innovationen in den bremischen Häfen. 

 

Schließlich der Bündnistyp 4, hervorgebracht durch eine aktuelle Problemlage: ein Bündnis von Hochschule und Feuerwehr, was sich der Waldbrandbekämpfung durch einen verbesserten Innovationstransfer zwischen Wehr und Wald verschrieben hat. 

 

Drängender als die Suche nach Neuem
ist die Anpassung von schon Gefundenem

 

Nur in vier der 20 Vorhaben spielen Forschung und Entwicklung zusammen eine Rolle. Entwicklungsanteile gibt es in weiteren sechs Projekten. Zehn hingegen haben keinen nennenswerten F&E-Anteil. Drängender als die Suche nach Neuem ist wohl die An- und Einpassung von schon Gefundenem: In sechs Anträgen dominiert das Thema "Integration", also die Adaptierung von Partiallösungen und ihre Integration in ein Gesamtsystem. Und in 14 Projekten wurde hervorgehoben, dass man vorhandene Innovationen umsetzen, vor allem aber durchsetzen wolle. 

 

Das lehrt einen doch, was der eigentliche Bedarf im Lande ist: Ideen sind vorhanden, scheinen ausreichend beforscht und entwickelt zu sein. Jetzt geht es mehr um die Integration in Systemlösungen, um die Adaptierung, Implementierung und Durchsetzung von Innovationen. Man müsste eine derartige Analyse einmal für alle 483 eingereichten Skizzen durchführen, um die Bedarfslage noch besser benennen zu können.

 

Bemerkenswert erscheint mir die Förderidee dieser Ausschreibung auch deswegen, weil weniger der Technologiepush, dafür mehr die Forderung an die Wissenschaft, der Pull, gefördert werden soll. Man setzt nicht auf die Bringschuld der Wissenschaft, sondern auf eine Bereitstellungs-Schuld und die Hol-Motivation der späteren Nutzer. In acht Projekten stand solch ein Verständnis gegenüber der Wissenschaft im Vordergrund. 

 

35 Prozent HAWen sind
nur die halbe Wahrheit

 

Der Bad Wiesseer Kreis der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) hat nach Bekanntgabe der Förderentscheidungen in einer Pressemitteilung moniert, dass der Anteil der geförderten HAW unter den "Innovationscommunities", bezogen auf die Sprecherrolle, zu gering ausgefallen sei. Dass 35 Prozent aller Innovationscommunities von HAWen koordiniert werden, erscheint vor dem Hintergrund, dass als Antragsgruppen HAWen, kleine Unis und externe Gruppierungen gewünscht sind, allerdings dann doch ziemlich fair. Außerdem sind die 35 Prozent nur die halbe Wahrheit. An 70 Prozent aller geförderten Anträge ist eine HAW zumindest beteiligt – was die besondere Bedeutung dieses Hochschultyps für dieses Format eindrucksvoll bestätigt. 

 

Der Bad Wiesseer Kreis plädiert überdies für strengere Kriterien hinsichtlich der antragstellenden Organisationen und bei der Auswahl der Jurymitglieder, zu denen ich – Transparenzhinweis – selbst zählte, weshalb ich das nicht weiter kommentieren möchte. Der Kreis fragt weiter, ob man mit der lächerlich geringen Förderquote von vier Prozent nicht eher die Frustration fördere. Ja, das tut man! Und, ja, man wird irgendeine einschränkende Bedingung für die Antragstellung finden müssen, um zukünftig nicht wieder mit der absurd hohen Zahl von 483 Anträgen umgehen zu müssen. Aber schon der Name "DATI-Pilot" lässt doch erkennen: Diese Runde war als ein Experiment gedacht. Und das Wesen eines Experimentes ist es nun einmal, dass man seinen Ausgang nicht vorher kennt. 

 

Ich persönlich halte den Auftakt für geglückt. Wir haben bestätigt bekommen, dass wir ein Umsetzungs- und Integrationsdefizit haben und ein Beitrag der Wissenschaft zu dessen Beseitigung erwartet wird. Zu der Förderidee der "Innovationscommunities" gratulieren möchte ich dem BMBF aber aus einem anderen Grund. Nicht die Wissenschaft direkt, sondern die Erwartungen, die Forderungen an sie zu fördern: Dieses Reverse Engineering halte ich für originell und zukunftsweisend. Und dann mit der Fördersumme den Fordernden zu ermöglichen, in Form eigener Projekte Anreize zu setzen, die der Wissenschaft auf die Sprünge helfen: welch kühne Idee! 



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Kommentare: 6
  • #1

    Manfred Ronzheimer (Dienstag, 04 Juni 2024 10:10)

    Ich wunderte mich zuerst, woher hat der Mann diese detaillierten Kenntnisse, um zur Bildung von "Bündnistypen" vorzudringen? Dann gibt er zu, dass er selbst der Auswahl-Jury angehörte, also über Arkan-Wissen verfügt. Nach außen wird über dieses so toll gelungene Experiment wenig kommuniziert. Das BMBF stellt die Liste der 20 zwar online, beantwortet der Presse keine Fragen zur Jury. Die zweite DATI-Kommission - bzw die erste zur Gründung - hatte überhaupt nichts mit der inhaltlichen Auswahl zu tun. Vieles bleibt hier im Verborgenen, ist undurchsichtig. Die gesamte ministerielle DATI-Kommunikation ist aus Pressesicht eine einzige Katastrophe. Innovationskommunikation auf der Höhe der Zeit muss völlig anders aussehen. Das kommt davon, wenn man sich nur um die Wissenschaftskommunikation kümmert (und das auch nur halbherzig).

  • #2

    Leipziger (Mittwoch, 05 Juni 2024 07:25)

    @Ronzheimer Die Innovationskommunikation ist in Deutschland tatsächlich unterentwickelt.

    Aber das ist hier nicht das Kernproblem. Wichtiger ist, den geringen Innovationsgrad dieser Projekte zu thematisieren. Der Liste des BMBF (Fußnote 1 unten) entnimmt man Preziosen wie "Innovationen für die individuelle Hörgeräteversorgung". Beteiligt sind u.a. die "Europäische Union der Hörgeräteakustiker". Nun werden solche Innovationen, seit es Hörgeräte gibt, von der gewerblichen Wirtschaft finanziert. Was soll hier also anderes entstehen als ein Mitnahmeeffekt?

    Zum Vergleich: SPRIND kommuniziert wesentlich mehr, und multikanalig. Aber gerade wichtige Dinge bleiben auch dort intransparent. Sieht man genau hin, stellt man fest, daß auch hier die Innovationstiefe viel geringer ist als in der reißerischen Selbstvermarktung angegeben. Das Vorzeigeprojekt "Höhenwindrad" ist viel älter als SPRIND. Die gewerblichen Firmen Gicon und Max Bögl sind seit mehr als 10 Jahren an dem Thema dran (Fußnote 2 unten). SPRIND-Tochter Beventum ist dann auf den fahrenden Zug aufgesprungen und hat Gicon beauftragt, wie vorher das BMWK. SPRIND wurde aber nicht gegründet, um Fördermittel anderer Bundesministerien zu ersetzen, noch dazu für Themen die längst reife Unternehmen vorantreiben. Schon gar nicht sollte sich eine steuerfinanzierte Agentur mit fremden Federn schmücken (Fußnote 3).

    1. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/DATIpilot_Modul2_Auswahl2.pdf?__blob=publicationFile&v=1

    2.
    https://www.ardmediathek.de/video/tagesschau24/klimazeit-hohe-windraeder-klimakrise-und-kuestenschutz-billige-co2-zertifikate/tagesschau24/Y3JpZDovL3RhZ2Vzc2NoYXUuZGUvZmE0ZmI2NmEtMzNmYi00NzBjLWFlOTMtZmI0NTU4MmU2NGI4

    https://www.gicon.de/files/GICON-Gruppe/Downloads/GICONcret_Archiv/GICONcret_2023_2.pdf (Seite 14)

    https://www.mbrenewables.com/turmkonzept/

    3. Auf der SPRIND-Homepage taucht Gicon nur als Auftragnehmer für Windmessung auf; die komplette Vorgeschichte fehlt:

    https://www.sprind.org/de/projekte/beventum/

  • #3

    Norbert Esser (Mittwoch, 05 Juni 2024 09:04)

    "... man wird irgendeine einschränkende Bedingung für die Antragstellung finden müssen, um zukünftig nicht wieder mit der absurd hohen Zahl von 483 Anträgen umgehen zu müssen". Man darf gespannt sein, ob hierfür eine zufriedenstellend transparente Lösung gefunden wird. Dies gilt auch und besonders für das Begutachtungsverfahren.

    Es wird sich zeigen, welche "Quote" die HAW bei DATI erzielen werden. An Konkurrenz wird es nicht mangeln.

  • #4

    Georg Alt (Donnerstag, 06 Juni 2024 05:01)

    Ich kann mich den Vor-Kommentatoren nur anschließen. Als eine der einreichenden Organisationen waren wir - unabhängig von der letztlichen Ablehnung unserer Bewerbung - äußerst unzufrieden mit der fehlenden Kommunikation.
    Ebenso sind wir sehr verwundert, warum diese bereits erwähnten "Preziosen" vorgezogen wurden und wären sehr interessiert daran, inwieweit hier überhaupt "Soziale Innovationen" bzw. Bildungsthemen hier Zuschlag gefunden haben. (Schon beim Innovationssprint haben diese ja lediglich 5% ausgemacht...)

  • #5

    Hans Hennig von Grünberg (Donnerstag, 06 Juni 2024 10:50)

    Wenn Sie, lieber Herr Alt, die Liste der geförderten Projekte einmal durchschauen, werden Sie sehen, dass die soziale Innovation durchaus ihre angemessene Berücksichtigung gefunden hat. Dass mein eigenes, abgelehntes Projekt die geförderten lässig in den Schatten stellt, habe ich bisher bei jeder Ablehnung meiner Anträge durch das BMBF gedacht. Und es hat mich immer fürchterlich geärgert. Dass nur 4% der Anträge gefördert werden konnten und also 96% der Antragsteller enttäuscht wurden, ist nicht gut. Der Bad Wiesseer Kreis hat zurecht bemerkt, dass das nicht so bleiben kann.

  • #6

    Georg Alt (Sonntag, 09 Juni 2024 22:21)

    Lieber Herr Prof. von Grünberg, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Dass 4 der 20 Nominierten als soziale Innovationen (sowie weitere 4 als "Soz. & Tech. Innovation" - wie auch immer das definiert wird) gelten, ist natürlich erst einmal schön zu hören. Völlig intransparent ist m. E. nach, was das praktisch bedeutet und - für unseren Standort D., in dem Bildung nach wie vor die wichtigste Ressource ist - was hier dann der "Bildungsinnovation" zugerechnet werden kann (einmal von den Hochschulen/Studis als "Empfänger" abgesehen). Um hier einmal für "meinen" Sektor zu sprechen: in der frühkindlichen Bildung arbeiten in D rund 800.000 Menschen (rund 2% aller Erwerbstätigen) und dennoch werden wir hier, (nicht nur) was Innovationsförderung angeht, strukturell benachteiligt. Äußerst selten gibt es Fördermöglichkeiten wie diese, die ja zumeist technologischen Bereichen vorbehalten sind. Das ist nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für Kinder heute und künftige Generationen äußerst nachteilig. Liebe Grüße vom Tegernsee und Danke Ihnen trotzdem für Ihr Engagement in dieser Sache.