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Jetzt oder nie

Vorstand statt Präsidentschaft, drei eigenständige Konferenzen, andere Abstimmungsmodalitäten: Die Kultusministerkonferenz steht vor einem grundsätzlichen Neuanfang. Scheitert die Reform, droht dem Ministerclub das Aus.

OFT HABE ICH hier im Blog geschrieben, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) sich verändern muss, um relevant zu bleiben. Jetzt gibt es gleich zwei Anlässe, diesen Satz zu revidieren. Richtig muss er lauten: Verändert sich die KMK jetzt nicht, könnte es sein, dass sie nicht mehr lange existiert. Zu extrem formuliert? Hoffentlich. Doch gibt es Leute in der KMK, die genau dieses befürchten  – und deshalb weitreichende Reformen diskutieren. Schon beim Treffen der Kultusminister Ende der Woche in Völklingen im Saarland werden sie teilweise auf dem Tisch liegen.

 

Anlass 1 ist das Erstarken von rechtsextremen und populistischen Parteien, das besonders bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September zu einem politischen Erdrutsch führen könnte. Mit einer, siehe die vorläufigen Ergebnisse der Europawahlen, inzwischen erschreckend hohen Wahrscheinlichkeit: In Sachsen (31,8 Prozent AfD, 12,6 Prozent BSW), Thüringen (30,7 Prozent AfD, 15,0 Prozent BSW) und etwas abgestuft in Brandenburg (27,5 Prozent AfD, 13,8 Prozent BSW) wird eine Regierungsbildung ohne eine dieser beiden Parteien rechnerisch immer schwieriger. Doch was machen AfD oder BSW, sollten sie etwa die für Bildung und/oder Wissenschaft zuständigen Landesminister stellen? 

 

Maximalen Krach könnten sie erzielen, wenn sie den Austritt ihres Bundeslandes aus der KMK erklärten. Der Applaus der Massen wäre ihnen erstmal sicher, denn wenig bundesdeutsche Institutionen haben einen derart ramponierten Ruf wie der Bildungsföderalismus. Meine regelmäßigen Leser wissen, dass ich das Kultusminister-Bashing in weiten Teilen unfair finde und Föderalismuskritiker noch nie eine realistisch-realisierbare Alternative präsentiert haben. Doch wäre diese zum Kaputtmachen des Bestehenden auch nicht nötig, das noch dazu derzeit denkbar einfach wäre: In Paragraph 6 des geltenden Länderabkommens zum KMK-Sekretariat heißt es nämlich: "Die Kündigung durch ein Land bewirkt, dass das Abkommen mit Wirkung für alle Länder außer Kraft tritt." Und weiter: "Tritt dieses Abkommen außer Kraft, so ist das Sekretariat aufzulösen." Also die Verwaltung der KMK, die zum Beispiel alle länderübergreifenden Vereinbarungen nachhalten soll.

 

Ein Kündigungsschreiben,
und das war's

 

Ein Kündigungsschreiben eines AfD-Kultusministers, und das war's. Zum Glück aber wohl nicht mehr lange: Aus der KMK ist zu hören, dass der Passus schon kurzfristig geändert werden könnte. Mit dem Ergebnis, dass auch 15, 14 oder 13 Länder weitermachen könnten. 

 

So wichtig das ist, es wäre nur ein erster Schritt. Denn das Imageproblem der KMK hing schon lange vor dem aktuellen Rechtsruck vor allem damit zusammen, dass sie sich allzu oft nicht auf weitreichende Reformen im Bildungssystem und erst recht nicht auf deren konsequente Umsetzung verständigen konnte und  stattdessen meist beim kleinsten gemeinsamen Nenner stehen blieb. Warum? Weil bei allen wichtigen Entscheidungen alle 16 Bundesländer Ja sagen müssen – und wenn nur eines nicht an Bord ist, der Beschluss durchfällt. Für die lähmende Wirkung des Einstimmigkeitsprinzips brauchte es insofern gar keine AfD und kein BSW, weshalb seine Abschaffung auch schon seit Jahren, allerdings bislang erfolglos, in der Bildungspolitik diskutiert wurde.

 

Das hat sich geändert: Die neuen Kultusminister-Koordinatorinnen von Union und SPD, Karin Prien aus Schleswig-Holstein und Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz, haben seit Jahresanfang mehrfach klargemacht, dass sie ran wollen an die Einstimmigkeit, und in der KMK einen entsprechenden Prüfauftrag initiiert. Jetzt kursieren unter den Kultusministern erste konkrete Überlegungen: (Fast) alle KMK-Entscheidungen könnten demzufolge künftig mit 13 zu drei Stimmen gültig sein, ein Quorum, das der Ministerclub bislang schon bei weniger zentralen Abstimmungen angewandt hat.

 

Die 13 Ja-Länder würden sich dann verpflichten, den gefassten Beschluss umzusetzen, die drei übrigen könnten, müssten aber nicht. Es wäre eine Koalition der Willigen im Bildungsföderalismus, die sich viele schon lange wünschen, die es bislang aber bei Bildungsstandards, noch einheitlicheren Abiturregeln oder anderen länderübergreifenden Vorgaben nicht gab. Auch mit dem Bund könnte sich die KMK leichter einigen, weil sie nicht mehr jedes Land mitnehmen müsste. Was heute, siehe oben, drängender erscheint als je zuvor. Aber eine schlagkräftigere KMK, die es herausschafft aus dem föderalen Klein-Klein, bräuchte es auch ohne die Gefahren von Rechts. Denn ohne sie wird es keinen Aufbruch im Bildungssystem geben.

 

Wie realistisch das Reden über ein solches Modell ist? Schwer zu sagen. Verfassungsrechtlich gesehen hatten KMK-Beschlüsse ohnehin nie eigene Wirkmacht, die bekamen sie nur durch absichernde Beschlüsse auf Ebene der Ministerpräsidenten und Landesparlamente. Umgekehrt hätte es schon eine hohe politische Symbolkraft, wenn 13 Kultusminister sich politisch zu weitreichenden gemeinsamen Initiativen verpflichten würden und dabei nicht von wenigen Bremsern aufgehalten werden könnten.

 

Die Blaupause der
"Strukturkommission II"

 

Anlass 2, warum die KMK nicht mehr lange existieren könnte, wenn die Kultusminister jetzt nicht handeln, ist demokratietheoretisch weniger dramatisch – aber kurzfristig sogar noch drängender. Hintergrund ist der zum 1. Juli geplante Start der neuen Wissenschaftsministerkonferenz, kurz "Wissenschafts-MK". Sie soll "innerhalb der KMK" gegründet werden, wie Kultus- und Wissenschaftsminister Ende 2023 vereinbart hatten. Abstrakt vereinbart hatten, denn jetzt, wo sich die Implikationen dieses Beschlusses zeigen, gibt es Aufregung und Ärger.

 

Diese Implikationen zeigt die aus mehreren Amtschefs bestehende "Strukturkommission II" in einem internen Konzept auf, das mir vorliegt, beim KMK-Treffen in Völklingen diskutiert werden und dort laut Beschlussvorschlag bereits in wesentlichen Teilen verabschiedet werden könnte. Was allerdings, wenn man sich unter Bildungsministern umhört, durchaus noch fraglich ist. Überschrift: "Eckpunktepapier zur zukünftigen Struktur der Kultusministerkonferenz (KMKhoch3)".

 

Es soll so etwas wie die Blaupause für die anstehende KMK-Großreform sein, bei der die Einrichtung einer Wissenschafts-MK nur ein, obgleich wichtiger, Schritt ist. Von einer "Neuausrichtung" und einer "neuen Architektur für die KMK" ist in dem Papier die Rede, von einer "strategisch veränderte(n) Aufstellung", die die "Schlagkraft der KMK in allen drei Kernbereichen – Bildung, Wissenschaft und Kultur – " erhöhen, die Entscheidungswege verkürzen, die Kommunikationsstrukturen optimieren und die "Flexibilität in der politischen Agenda" fördern werde.

 

Die wesentlichen Bestandteile
des Reformvorschlags 

 

o Drei eigenständig agierende Ministerkonferenzen innerhalb der KMK namens Bildungsministerkonferenz (Bildungs-MK), Wissenschaftsministerkonferenz Wissenschafts-MK) und Kulturministerkonferenz (Kultur-MK), wobei letztere bereits 2018 gegründet wurde und das Vorbild für die beiden neuen Runden darstellt.

 

o Die drei Konferenzen entscheiden selbst über ihre Binnenstruktur und die Gremien und Beratungsformate, die sie noch brauchen. Ziel: eine Beschränkung auf diejenigen Runden, die wirklich zur Erledigung der jeweiligen Aufgaben nötig sind.

 

o Einmal im Jahr treffen sich alle drei MKs bei der "Jahrestagung der Kultusministerkonferenz", um dort "ausschließlich bereichsübergreifende Materien von Bildung, Wissenschaft und Kultur" zu beraten. Ansonsten gibt es nur für bereichsübergreifende Angelegenheiten – das Konzept nennt als Beispiel die Lehrkräftebildung – noch bereichsübergreifende Gremien.

 

o Statt KMK-Präsidium würde es künftig einen KMK-Vorstand geben, bestehend aus den Vorsitzenden der drei Konferenzen, der sich mehrfach im Jahr trifft und "flexibel auf gemeinsame strategische und politische Themen reagieren" soll.

 

o Zur Koordination und Steuerung des KMK-Sekretariats würde eine "Verwaltungskommission" auf Staatssekretärsebene eingerichtet. Das Sekretariat würde allen drei Konferenzen nach deren Bedarf zuarbeiten.

 

Denkt man die vorgeschlagene Struktur zu Ende, wird schnell klar, wo der Konflikt liegt: Es gäbe keine KMK-Präsidentschaft mehr wie bislang. Sondern drei Vorsitzende, die gleichberechtigt den Vorstand bilden und jeweils für ihren Politikbereich die KMK in der Öffentlichkeit vertreten. Und: "Die Vertretung der Gesamt-KMK in der Öffentlichkeit erfolgt bei Bedarf gemeinschaftlich durch die drei Vorsitzenden der Ministerkonferenzen der KMK, weitere protokollarische Fragen werden separat geregelt." 

 

Die meisten Wissenschaftsminister wollen genau das, weil sie sich bislang meist von der Bildungsseite untergebuttert fühlten, die wie selbstverständlich den oder die KMK-Präsidentin stellte. Damit wäre es vorbei – was wiederum verschiedene Kultusminister:innen auf die Barrikaden treiben könnte. Eine solche Struktur, argumentieren einige zudem, passe nicht zum Reformziel, die KMK in der Öffentlichkeit einig und schlagkräftiger als bislang zu präsentieren.

 

Was passiert
in Völklingen?

 

Die große Frage ist: Was passiert beim KMK-Treffen in Völklingen? Fest steht: Die Fliehkräfte auf der Wissenschaftsseite sind gewaltig. Besteht die Bildungsseite auf einer Präsidentschaft wie bisher, könnte im schlimmsten Fall die bevorstehende Gründung der Wissenschafts-MK zugleich das Ende der bereichsübergreifenden Kultusministerkonferenz bedeuten. Noch vor wenigen Wochen, ist zu hören, hätte sich eine solche Zuspitzung auch in der KMK kaum einer vorstellen können. 

 

Genau die will die Strukturkommission mit ihrem Konzept offenbar verhindern – doch ist noch unklar, ob ihr Beschlussvorschlag es überhaupt zur Abstimmung schafft Ende der Woche. Eine Vertagung großer Teile ist denkbar, auch wenn die Wissenschafts-MK auf jeden Fall pünktlich kommen soll.

 

Im Vergleich zu der Präsidentschafts-/Vorstands-/Kommissionsfrage erscheinen da andere in ihrem Eckpunktepapier enthaltene Vorschläge fast schon vernachlässigbar. Etwa dass es beim Vorsitz von Bildungs- und Wissenschafts-MK bei dem von der bisherigen KMK-Präsidentschaft bekannten Rotationsprinzip bleiben soll, während die Kultur-MK sich seit ihrer Gründung am jeweiligen Vorsitzland der Ministerpräsidentenkonferenz ausrichtet.

 

Oder dass die Verwaltungskommission im Unterschied zu den MK-Vorsitzenden um "der notwendigen Expertise und Erfahrung" willen über mehrere Jahre hinweg besetzt werden und der Austausch ihrer einzelnen Mitglieder zeitversetzt erfolgen sollte. Wer genau zur Kommission gehören würde, da hält sich das Eckpunktepapier noch bedeckt. Denkbar wäre aber, erzählen manche in der KMK, dass sie sechs Mitglieder hätte: zwei Amtschefs pro Konferenz, und zwar aus den Ministerien, die jeweils A- und B-Seite koordinieren. Andere wollen, dass etwa auch das Land Berlin, offizieller Betreiber des KMK-Sekretariats, drinsäße. Für das KMK-Sekretariat würde die Verwaltungskommission in jedem Fall eine Zeitenwende bedeuten – denn seine noch ausstehende Umstrukturierung fände in äußerst enger politischer Begleitung statt.

 

Schließlich schlägt die Strukturkommission II ein "Kriterienraster" für die versprochene Verschlankung der KMK-Gremienstruktur vor, inklusive fünf Fragen, denen sich jedes bestehende und neue Gremien stellen soll. Die wichtigsten beiden: "Soll das Thema innerhalb der KMK wahrgenommen werden?" Und: "Wenn ja, was ist die effizienteste Bearbeitungsform?"

 

Ende der Woche im Saarland werden sich die Kultusminister freilich noch eine ganz andere Frage stellen müssen. Wollen sie, dass die KMK als Ganzes überlebt? Wenn ja, müssen sie möglichst bald entschieden handeln und dabei auch zum Abschneiden alter Zöpfe bereit sein. Die Chance ist da. Vielleicht zum letzten Mal. 



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Kommentare: 3
  • #1

    Bernfried Hassknecht (Montag, 10 Juni 2024 18:21)

    Bei allen Problemen des Bildungs-Föderalismus: Es wäre wirklich wichtig, wenn die Bundesländer eine Sicherung
    gegen ein Aus der KMK vereinbaren. Das wäre ein Muster
    gegen mögliche Querschläge einer in einem östlichen Bundesland durch die AFD. Ich finde es aber gar nicht in Ordnung, wenn bei der obigen Analyse AFD und BSW in einen Topf geworfen werden und letzterer Partei eine destruktive Bildungspolitik unterstellt wird.

  • #2

    Leif Johannsen (Dienstag, 11 Juni 2024 17:57)

    BSW und AFD haben es doch selbst in der Hand, ob sie in einen gemeinsamen Topf geworfen werden. Wie soll man es lesen, wenn ausschliesslich diese beiden Parteien einer Rede von Selenskyj im Bundestag fernbleiben. Reiner Zufall oder gemeinsames Signal? An einen Zufall denke ich nicht, eher daran, dass es einen gemeinsamen moderierenden Faktor gibt.

  • #3

    Ewald Bisky (Donnerstag, 13 Juni 2024 12:57)

    #2: Ich glaube, Sie irren mit Ihrer "zufälligen' Vermutung. Warum haben plötzlich alle - v.a. in den Medien der Berliner Blase - den Drang, die BSW abzukanzeln und mit der Alternative gegen D'land zu vergleichen. Es tut sich hoffentlich noch was in diesem Lande.