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Tenure Track, sechs Milliarden und ein weiter Flaschenhals

Was würde es eigentlich bedeuten, die Forderung nach mehr Dauerstellen in der Wissenschaft mit der Förderung des Gemeinwohls in Einklang zu bringen? Und wie realistisch wäre das? Ein Gastbeitrag von Oliver Günther.

Oliver Günther, Jahrgang 1961, ist Wirtschaftsinformatiker und seit 2012 Präsident der Universität Potsdam. Foto: Ernst Kaczynski.

DIE FRUSTRATION bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen ist nicht nur in Deutschland groß. Nach Promotion und Postdoczeit, die im Regelfall auf befristeten Arbeitsverträgen absolviert wurden, gibt es auch anderswo in der Welt nicht annähernd genügend Stellen, um allen wissenschaftlich Interessierten eine Dauerperspektive in der Wissenschaft anzubieten. Oft erfolgt der begehrte "Ruf" auf eine Professur – wenn überhaupt – erst jenseits der 40 Lenze, einem Alter also, in dem Familien- und Karriereplanung eigentlich schon weit gereift, wenn nicht abgeschlossen sein sollten. 

 

Die in Deutschland besonders extreme Unsicherheit zwischen Promotion und Professur war einer der Gründe, warum 2005 auch in der Bundesrepublik das international längst übliche Laufbahnsystem – das "Tenure-Track-System" – eingeführt wurde. Dabei bewirbt man sich schon kurz nach der Promotion auf eine Junior- oder Assistenzprofessur. Auch diese Stellen sind knapp, denn sie sind für frisch Promovierte ausgesprochen attraktiv. Sie bieten eine frühe Bindung an eine Hochschule, verbunden mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit auf Verstetigung. Wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit in Deutschland ist, wird man sehen. An meiner amerikanischen Alma Mater, der UC Berkeley, schaffen es etwa fünf von sechs Assistant Professors. Dies lässt sich freilich nur bedingt auf Deutschland übertragen, zumal hier im Streitfall die Verwaltungsgerichte das letzte Wort haben werden. 

 

Trotz zahlreicher Vorteile des Tenure-Track-Modells sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt, dass Neubesetzungen per Tenure-Track den Regelfall darstellen würden. Zahlreiche Professuren – bundesweit wohl mehr als die Hälfte – werden nach wie vor direkt auf Lebenszeit besetzt. Um in diesem klassischen Verfahren reüssieren zu können, müssen Bewerber eine Habilitation oder habilitationsadäquate Leistungen vorweisen.

 

Ein Pyrrhussieg für
jüngere Wissenschaftler

 

Soweit so gut – oder etwa nicht? Nun ja, die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) macht der Habilitation wohl endgültig den Garaus. Diese sieht nämlich bislang vor, dass Promovierte nach der Promotion nur noch höchstens vier Jahre befristet beschäftigt werden dürfen. Dies reicht für eine Habilitation nicht aus. Habilitieren könnte man also in Zukunft nur, indem man vor der Habilitation eine unbefristete Stelle ergattert, auf der man weiter forschen kann. Dies dürfte den Trend zu Tenure-Track deutlich beschleunigen.

 

Im Ergebnis würde durch die WissZeitVG-Reform zwar das Ziel erreicht, die Entscheidung über einen lebenslangen Verbleib in der Wissenschaft vorzuverlegen. Wer nicht rechtzeitig nach der Promotion eine Juniorprofessur oder eine Dauerstelle in einem Institut oder einer Hochschule erreicht, ist raus aus dem Spiel. Dass diese bittere Wahrheit, sollte es bei den vier Jahren in der Novelle bleiben, von vielen jüngeren Wissenschaftlern wohl als Pyrrhussieg empfunden und zu viel bösem Blut führen würde, kann nicht verwundern. Sie liegt allerdings in der einfachen Arithmetik begründet, wonach von den etwa 28.000 frisch Promovierten pro Jahr nur etwa 3.000, also knapp elf Prozent, eine Chance auf eine Dauerbeschäftigung in der Wissenschaft haben. 

 

Dieser Flaschenhals ließe sich nur auf zwei Arten ausweiten. Zum einen indem man weniger Leute promoviert. Dadurch würde das Verhältnis von Promovierenden zu Dauerstellen abgesenkt, was die Chancen auf einen Verbleib in der Wissenschaft erhöhen würde. Eine gewisse Absenkung wäre sicherlich sinnvoll, da wahrlich nicht alle Promotionen einen wirklichen Erkenntnisgewinn beinhalten. Gleichwohl würde dies bedeuten, dass weniger junge Menschen als heute überhaupt die Möglichkeit zur Promotion hätten, der Flaschenhals würde insofern nur nach vorne verlegt werden, nämlich auf den Wettbewerb um die knapperen Doktorandenstellen. 

 

Was mehr Dauerstellen die
Hochschulen auf Dauer kosten würden

 

Die andere Möglichkeit besteht darin, das Gesamtsystem besser auszufinanzieren. Wollte man zum Beispiel 20 statt elf Prozent der jährlich Promovierten in der Wissenschaft halten, würde dies pro Jahr etwa 2.600 Professuren oder Dauerstellen zusätzlich erfordern. Diese dürften im ersten Jahr mindestens 300 Millionen Euro mehr kosten, im zweiten Jahr 600 Millionen mehr und so weiter. Bis die ersten Stelleninhaber wieder ausscheiden und die Stellen für Nachwachsende freiwerden, müsste dieser Aufwuchs mindestens 20 Jahre anhalten. Und dann müssten sich immer noch 80 Prozent bald nach der Promotion aus der Wissenschaft verabschieden. Gleichwohl wäre ein solcher Aufwuchs natürlich ein bemerkenswertes Signal. Die dauerhaften Mehrkosten beliefen sich auf rund sechs Milliarden Euro pro Jahr. Derzeit wäre so etwas wohl nur über Studiengebühren zu finanzieren, für die es aber keine politischen Mehrheiten gibt (und die ich auch persönlich nicht befürworte). 

 

In der Gesamtschau sollte man das Ziel jeglicher Reform nicht aus dem Auge verlieren. Ihr Ziel sollte ja nicht sein, die Wünsche lautstarker gesellschaftlicher Gruppen zu erfüllen (auch wenn die politischen Realitäten eine andere Sprache sprechen). Ziel ist die Förderung des Gemeinwohls. Dem Gemeinwohl förderlich ist eine wissenschaftliche Personalstruktur, die es für die Besten nach wie vor attraktiv macht, in der Wissenschaft zu arbeiten, auch wenn dies mit einem harten Wettbewerb und gelegentlich auch mit materiellen Einbußen gegenüber einer Karriere in der Privatwirtschaft verbunden ist. Das deutsche System schneidet dabei im internationalen Wettbewerb gar nicht so schlecht ab wie manche Protagonisten nicht müde werden zu beteuern. 

 

Die großen Freiheiten, die man auf einer deutschen Professur nach wie vor genießt, kombiniert mit (gerade noch) einigermaßen wettbewerbsfähigen Gehältern und einer attraktiven Personalausstattung ziehen immer noch viele Höchstqualifizierte an. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass das so bleibt.


Wie kommen Sie darauf, Herr Günther?

 

Uni-Präsident Oliver Günther rechnet in einem Gastbeitrag aus, was es kosten würde, die Aussicht junger Doktorandenauf eine Dauerstelle auf eine Dauerstelle in der Wissenschaft zu verdoppeln. Im Podcast will Jan-Martin Wiarda es jetzt genau wissen. (12. Juni 2024) >>>



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Kommentare: 15
  • #1

    #IchBinTina (Mittwoch, 12 Juni 2024 08:56)

    Pu, ha.

    1.) Ziemlich unangenehm: Die Schlussfolgerung der Diskussion um die Arbeitsbedingungen der Nicht-Professor*innen soll sein, die Bedingungen für Professor*innen zu verbessern? Also die Personengruppe, der wir z.B. die deutlich zu hohe Zahl der Promovierenden, die nicht gut betreut werden und deswegen keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen können, verdanken? Zusammen mit den anderen strukturellen Problemen des Systems, wie z.B. geringem Erkenntnisgewinn durch die Tendenz zur Salami-Publikation? Das scheint mir eine massive Verengung der Perspektive zu sein, mit der die eigenen Privilegien abgesichert werden sollen.

    2.) Höchstqualifiziert ist nicht "Bestenauswahl": Wenn schon der Weg hin zur Höchstqualifikation sehr selektiv ist (Stichwort leaky pipeline), ist nicht sichergestellt, dass am Ende auch die Besten im Ziel ankommen. Professuren können dann schon immer noch mit formal qualifizierten Personen besetzt werden, aber die Wissenschaft insgesamt leidet langfristig.

  • #2

    Re: #IchBinTina (Mittwoch, 12 Juni 2024 11:39)


    Zu Einwand 1): Warum haben wir Professor*innen die vielen Promotionen zu verdanken? Ich denke, es wurde noch kaum mal jemand zur Promotion gezwungen, Stattdessen wollen unvermindert sehr viele Menschen promovieren und suchen dafür Betreuung. Sollen Professor*innen die also einfach mehr wegschicken? Und sind Professor*innen durch "schlechte Betreuung" dann schuld daran, dass keine wissenschaftliche Karriere möglich ist? Das mag es geben, aber die Stellen werden auch bei guter Betreuung nicht mehr.

    Zu Einwand 2). Den verstehe ich nicht. Die aktuelle Bestenauswahl ist nicht perfekt, keine Frage. Aber sie versagt auch nicht vollkommen (denke ich), und ist besser als Stellen zu verlosen. Was bedeutet dann der Nachsatz zu "formal qualifizierten Personen" - und worunter leidet dann die Wissenschaft? Formal ist faktisch jede(r) qualifiziert, der eine Promotion hat. Argumentieren Sie, dass die Bestenauswahl versagt und Professuren nur nach formalen Kriterien vergeben werden? Oder dass die Bestenauswahl viel zu selektiv ist?

    Beste Grüße,

  • #3

    Ralf Meyer (Mittwoch, 12 Juni 2024 12:23)

    Das WissZG gilt, soweit ich es bisher gehört habe, nur für Angestellte, nicht für Beamte. Stellen für Akademische Räte und Oberräte sowie Juniorprofessuren ohne Tenure Track über 3+3 Jahre und befristete Professuren sollten daher weiterhin möglich bleiben, egal wie das WissZG geändert wird.

  • #4

    Leif Johannsen (Mittwoch, 12 Juni 2024 12:35)

    "Dem Gemeinwohl förderlich ist eine wissenschaftliche Personalstruktur, die es für die Besten nach wie vor attraktiv macht, in der Wissenschaft zu arbeiten, auch wenn dies mit einem harten Wettbewerb und gelegentlich auch mit materiellen Einbußen gegenüber einer Karriere in der Privatwirtschaft verbunden ist".

    Ich denke obige Aussage stellt eine ziemlich "steile These" dar. Da haette ich doch gerne mal eine genauere Herleitung dieser Grundformel. Wie sieht denn diese Personalstruktur aus, bei der "die Besten" bei "hartem" Wettbewerb und "wenig" Geld es "attraktiv" finden, in der Wissenschaft zu arbeiten? Soll es bedeuten, dass jedem_er Professor_in ein kleines "Koenigreich" prekaer angestellter Mitarbeiter gestattet sein soll, wo er/sie ihren egozentrischen "power trip" ausleben koennen, als Kompensation fuer die obengenannten "Einbussen und Entbehrungen"? Und weshalb soll bzw. wie kann eine so geartete Personalstruktur dem "Gemeinwohl" foerderlich sein? Ich habe den Eindruck der Beitrag will den sichselbstdienenden Mythos unterfuettern, dass die bestehenden Personalstrukturen, und vorallem die "Bestenauslese", im deutschen Wissenschaftssystem das Beste des Machbaren darstellen, quasi alternativlos seien, und am besten unangetastet bleiben muessen. Man schneide damit ja im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht ab. Ich moechte dem die Frage entgegenstellen, wie das deutsche Wissenschaftssystem denn noch besser gemacht werden kann, damit es das weltbeste wird und insbesonders dem Gemeinwohl nutzt (damit jeder Obdachlose ein Heim bekommt und kein Kind in Armut aufwachsen muss)? Oder ist alles schon gut genug und man muss sich gesellschaftlich nicht mehr anstrengen solange "die Besten" ihre (Beamten-)Privilegien geniessen koennen, getragen von der breiten Masse der Bevoelkerung? Manoman, was sollen die in dem Gastbeitrag erwaehnten Platitueden bloss bewirken (ist das dog whistle Wissenschaftspolitik)?

  • #5

    Penny Worthless (Mittwoch, 12 Juni 2024 13:49)

    Man könnte auch daran erinnern, dass Profs jede:r für sich zu den 10% Bestverdienenden in Deutschland zählt. Mehr davon nur, um 20% der Promovierenden eine solche gutbezahlte Leitungsposition zu verschaffen?

  • #6

    @Penny (Donnerstag, 13 Juni 2024 00:06)


    Entfristete Mitarbeiter*innen wären nicht so viel billiger. TV-L E13 auf Erfahrungsstufe 6 sind aktuell über 6000 brutto; ein W2 Grundgehalt liegt bei 6400 Euro (in Berlin). Ja, man kann diese beiden Brutto-Gehälter nicht direkt vergleichen, und es gibt auch W3 mit Zulagen (es gibt aber auch E14 und E15 Stellen unterhalb einer Professur), aber der Unterschied ist nicht so gross, wie viele denken. Der interne Umrechnungfaktor liegt meines Wissens an den Unis so im Bereich 1.5 (also 1,5 WiMi umwandeln ergibt eine Professur).

  • #7

    #IchBinTina (Donnerstag, 13 Juni 2024 09:28)

    Zu #2: Ja, die Professor*innen sollen Promotionswillige wegschicken und nur in dem Ausmaß Betreuungszusagen abgeben, in dem sie eine gute Betreuung, d.h. die tatsächliche Qualifikation für das angestrebte inner- oder außerwissenschaftliche Berufsziel, gewährleisten können. Und sie sollen im Rahmen der Selbstverwaltung Strukturen schaffen, die gute Qualifikationsbedingungen für alle Promovierenden gewährleisten, statt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von gut betreuten Promovierenden in strukturierten Programmen und einen riesigen "grauen" Sektor von "Individualpromotionen" zu schaffen. Sie sollen z.B. auch nur dann eine Betreuungszusage abgeben dürfen, wenn sie die Finanzierung für einen ausreichenden Zeitraum gewährleisten können. Dadurch würde die Zahl der Promotionen automatisch sinken, aber eben auch die Zahl der Abbrüche. Was in jedem Fall unverantwortlich und der derzeitigen Professorenschaft zum Vorwurf zu machen ist, ist die weit verbreitete Praxis, Promovierende nur als billige Arbeitskräfte zu betrachten, die einem Professor oder einer Professorin als eine Form von Besitz ("Ausstattung") quasi zustehen.

    Zum zweiten Punkt: Wir wissen es schlicht nicht. Es kann auch sein, dass das System advers selektiv ist, also die Falschen auswählt: Nicht die besten Wissenschaffenden, sondern diejenigen, die das System am besten "spielen", z.B. indem sie sich in ihrer Arbeit nicht am Erkenntnisgewinn orientieren, sondern daran, was das für das eigene Fortkommen bedeutet. Wenn ich mir die derzeitige Generation der Hochschulrektor*innen ansehe, vermute ich adverse Selektion. Das liegt v.a. daran, dass ich mich eingehend mit der Problematik des Machtmissbrauchs in der Wissenschaft befassen musste und sehr viele Fälle benennen kann, in denen die Leitungen durch mangelnde Integrität aufgefallen sind. Potsdam ist eines dieser Beispiele, ich habe den vollständigen Bericht von Gercke Wollschläger gelesen. Deswegen fallen mir die "Sabine-Kunst"-Fälle (ausdrückliche Positionierung gegen die Entprekarisierung der Arbeitsbedingungen im "Mittelbau" und gleichzeitig eigenes Versagen bei Machtmissbrauch, im Fall von Frau Kunst am Institut für Geschichte) immer besonders auf: Hier treffen zwei aktuelle wissenschaftspolitische Diskussionen zum Reformbedarf zusammen.

  • #8

    Tobias Denskus (Donnerstag, 13 Juni 2024 09:46)

    Wer eine öffentliche Institution wie eine Uni leitet, der sollte sich vielleicht mal mit dem Begriff "Gemeinwohl" auseinandersetzen. Natuerlich tragen fest angestellte MitarbeiterInnen die diverse Daueraufgaben in Lehre, Verwaltung, Kommunikation & Forschung enorm zum Gemeinwohl bei. Menschen unterhalb der Professur zynisch zu Wasserträgerinnen des Gemeinwohls zu degradieren spricht Bände fuer die Art der "Fuehrung" die man ja bereits aus Potsdam kennt. Natuerlich soll Spitzenforschung statt finden-auch an Unis, aber die Realität ist doch längst eine andere: Gute Leute sollen gute Arbeit an der Uni leisten was auf 100% E-13 Stellen ja nun kein Hexenwerk ist und *ueberall sonst* im Öffentlichen Dienst funktioniert.

  • #9

    WillNichtProf (Donnerstag, 13 Juni 2024 10:02)

    Ging das irgendwie am Thema vorbei? Fokus nur auf Professur, dabei geht es doch darum, den Mittelbau zu stärken. Dauerstelle heißt ja nicht, daß es eine Professur werden muß.
    Für eine effiziente Forschung ist Personal notwendig, das eine gute Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, also Datenaufnahme, - Analyse und nachhaltige Faire) Speicherung sicherzustelle. Die wenigsten Professoren haben noch die Zeit, um wirklich dies zu gewährleisten, dafür benötigt es entsprechend zuverlässiges und gutes Personal, das auch langfristig verfügbar ist. Und hier hapert es. Da sollte man eher eine Rechnung aufstellen, was es kostet, daß solche essentiellen Aufgaben von Doktoranden und PostDocs übernommen werden, das Rad wegen kurzer Befristung stets neu erfunden wird, und eine nachhaltige Speicherung nicht erfolgt, weil wegen der kurzen Zeit der Fokus auf Veröffentlichungen liegen muß.
    Hier müssen Positionen geschaffen werden, durch die eine qualitativ hochwertige Forschung gewährleistet ist. Momentan kann man doch nur die Empfehlung aussprechen, entweder Deutschland oder die Wissenschaft zu verlassen.

  • #10

    Armin B. (Donnerstag, 13 Juni 2024 10:32)

    Auch nach vielen Jahren in der Wissenschaftsverwaltung ist die Selbstbezogenheit der Community ein Phänomen für mich. Es wird absehbar nicht mehr öffentliches Geld geben, weil andere gesellschaftliche Aufgaben die öffentlichen Haushalte ebenso belasten und in der öffentlichen Wahrnehmung wahrscheinlich einen großen Vorsprung gegenüber den "Elfenbeintürmen" besitzen, die häufig nur schwer artikulieren können oder wollen, was sie denn zur unmittelbaren Lösung großer Probleme leisten. Jede Verbesserung, die mir in den letzten Jahren unter die Augen gekommen ist, kostet Geld oder geht eben zu Lasten einer der unterschiedlichen Anspruchsgruppen im Wissenschaftssystem. Da die Politik absehbar nicht den Geldhahn über den Unis aufdrehen wird, um einen wirklich großen Wurf zu ermöglichen, sehe ich kommen, dass wir uns weiter im Kreis drehen werden und jeder Ansatz oder Kompromissvorschlag zerredet wird.

  • #11

    Nakamura (Donnerstag, 13 Juni 2024 22:39)

    Die Kosten der Entfristung werden hier drastisch überschätzt.
    Die Kosten für 2.600 neue Vollzeit-E13-Stellen betragen (pro Stelle 77.000 Euro Landesdurchschnittssatz Niedersachsen) 200 Mio Euro. Allein diese Kalkulation reduziert die Kosten um ein Drittel.

    Vor allem ist aber zu berücksichtigen, dass dadurch eben 2.600 Wissenschaftler:innen zusätzlich im System sind und auch forschen. Das senkt entsprechend den Bedarf von Forschungsarbeit durch befristet beschäftigte Wissenschaftler:innen, wenn man von einem konstanten Forschungsumfang ausgeht. Die Annahme dieser konstanten Forschung ist nötig, um die zusätzlichen Kosten für das bisherige Forschungsvolumen zu ermitteln. Denn ansonsten bedeuten die zusätzlichen Gelder, dass insgesamt in mehr Wissenschaft investiert wird und nicht in die Entfristung, was auch zu begrüßen wäre, aber mit der diskutierten Stellenproblematik nichts zu tun hat.

    Würde man diese Personen daher mit den Geldern dauerhaft finanzieren, mit denen man sonst die Nachfolgenden befristet finanziert hätte, wäre diese Entfristung zunächst fast kostenneutral bis auf die Erhöhung der Erfahrungsstufen, bis zum Ruhestand wären das vielleicht durchschnittlich monatlich ca. 900 Euro monatlich, also ca. 11.250 Euro pro Jahr und Person bis zum Ruhestand (anfangs weniger, dann mehr), sie würden also Mehrkosten von ca. 29 Mio. Euro pro Jahr erzeugen (ohne Berücksichtigung des eingesparten Overheads).
    Bei gleichbleibendem Forschungsumfang wären sodann für die Erhaltung des Forschungssystems nur noch 25.400 „neue“ Doktoranden erforderlich bzw. beschäftigbar.
    25.400 Promovierte brauchen für eine 20 %-Quote dauerhafter Beschäftigung nur noch 5.080 Stellen. Abzuziehen sind die 3000, die im jetzigen System schon regelmäßig mit Dauerstellen „versorgt“ sind. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass auf lange Sicht 1/20 der bereits neu entfristeten Wissenschaftler:innen wieder ausscheiden. Es kommen also noch von den 2.600 entfristeten Beschäftigten jährlich im Durchschnitt 130 freie Dauerstellen hinzu, so dass ohne zusätzliche Entfristungen 3.130 Personen dauerhaft beschäftigt werden können. Damit liegt der neue Bedarf, um die 20 %-Quote der 25.400 Doktoranden zu erfüllen, bei 1.950 Stellen, die zusätzlich zu entfristen wären mit zusätzlichen Kosten für Erfahrungsstufen-Steigerungen von jährlich durchschnittlich 21,9 MIo Euro.
    Folgt man dieser Logik weiter, sinken die zusätzlichen jährlichen Kosten nach 13 Jahren auf unter eine Mio Euro zu den bis dahin aufgelaufenen Gesamtkosten von ca. 114 Mio Euro jährlich (bei dann 17.929 Doktoranden; 82 zusätzliche Entfristungen für die 20 %-Quote).
    Zusätzlich sinken die Kosten, wenn darüber hinaus das Wissenschaftssystem in der Weise wachsen würde, dass neue Professuren geschaffen werden, da das bedeutet, dass der Zuwachs der Dauerstellen über die beschriebene Dynamik hinaus erhöht wird, was bedeutet, dass der Bedarf an Entfristungen sinkt, um die 20%-Quote zu erreichen.
    Man kann also sagen, durch eine Umschichtung der Forschungsgelder derart, dass etwa 36 % der Promotionsstellen in die Globalhaushalte der Universitäten umgeschichtet und zur Finanzierung von Dauerstellen verwendet werden, ließe sich dauerhaft und nur unter Kostenzuwachs hinsichtlich der Erfahrungsstufen im TV-L eine Übergangsquote von 20 % auf entfristete Beschäftigung in der Wissenschaft erreichen.

  • #12

    Gregor Kalinkat (Freitag, 14 Juni 2024 10:52)

    Was ich bei diesen Verteidigern des bisherigen Systems immer wieder bemerkenswert finde: sie nehmen nicht (oder kaum) wahr dass eine wissenschaftlich-akademische Karriere von vornherein (also auch schon vor der Promotion) eine große Zahl von exzellenten Kandidat*innen ausschließt. Wenn man auf allen Personalebenen Diversität möchte, wie immer wieder beteuert wird, muss man das System ändern damit die Karrierewege auch bspw für Menschen mit Einschränkungen oder Care-Verpflichtungen planbar und machbar werden (das Schlagwort leaky pipeline ist ja schon gefallen).

  • #13

    Idealist - Teil 1 (Samstag, 15 Juni 2024 13:55)

    Interessant, aber leider nur ein Statusbericht u irgendwie auch eine Selbstdarstellungs-Plattform für Herrn Günther. Von Lenker*innen im Hochschulbereich - also Politikern und wie hier Hochschulleitungen - erwarte ich mehr gestalterische Kraft.

    Vor allem fehlt aus meiner Sicht hier Verantwortung zu übernehmen sowohl als Präsident*in aber auch als Professor*in. Hochschulen sind Orte der Bildung, keine Kaderschmieden wo knallhart ausgesiebt werden muss u vermeintl. Verlierer produziert werden.

    Es ist fast schon amüsant, dass Lehrer*innen sich lt. Herrn Günther fortbilden u weiterentwickeln sollen, aber dies für Profs im Besonderen in Leitungsfunktionen nicht gilt. Einmal Professor wird da 20-30 Jahre nicht mehr hingeschaut. Sie hätten es an vielen Stellen bitter nötig.

    Etwa, wenn es darum geht den Nachwuchs im besten Fall nicht nur zu fordern (nicht selten auszunutzen), sondern als verantwortungsvolle Führungskräfte wie in anderen Berufsfeldern auch zu fördern; im Sinne einer angemessenen Personalentwicklung z.B. was Karrierewege inner-, aber ggf. auch außerhalb der Wissenschaft angeht. Viele WiMi dürften auch fein damit sein, wenn sie durch eine faire Bezahlung und Behandlung wertgeschätzt würden und wüssten, woran sie gemessen werden und was sie für berufliche Optionen haben. Projektarbeit in der Wissenschaft kann auch ohne den Titel ein durchaus guter Start ins Berufsleben sein. Interessant auch hier z.B., dass wissenschaftlich gebildeter Nachwuchs an HAW fehlt.

    Weiterbildungsbedarfe bestehen auch im Bereich der Auswahl der wiss. Mitarbeitenden oder im Berufungsgeschäft - es wäre gut hier dem eigenen wissenschaftlichen Metier zu vertrauen, es gibt hier ausreichend viele Studien, die zeigen, dass es viel zu viele blinde Flecken gibt bei Berücksichtigung von Diversitätsaspekten beispielsweise. Man muss auch kein großer Statistiker sein, um zu sehen, dass viele Gruppen in der Wissenschaft stark unterrepräsentiert sind. Frauen bspw. machen besseres Abitur sind am Ende bei den Professuren weiterhin stark unterrepräsentiert. Also muss doch an den Hochschulen nach wie vor etwas falsch laufen, dass sie davon abhält bis an die Spitze zu kommen, nicht wahr meine Herren.

    Ein weiterer Hebel sind klare und transparente Wege einschließlich fairer und messbarer Kriterien hin zur Professur. Hier müssen verbindliche Standards her, um endlich Günstlingswirtschaft und Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben. (…)

    (Fortsetzung unter Idealist Teil 2)

  • #14

    Idealist - Teil 2 (Samstag, 15 Juni 2024 13:56)

    Nicht zuletzt muss natürlich über Geld gesprochen werden. Amüsant auch, dass ein Wissenschaftsjournalist, der wohl als wichtig für das Gemeinwohl betrachtet werden muss und selbst um jeden Euro kämpft, Studiengebühren ins Feld führt, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern bzw. zu finanzieren - hier sogar kurz den objektiven Weg verlässt. Studiengebühren sind fast so wie der Schülerschaft der Unterstufe Geld abzunehmen, um dann die Oberstufe besuchen zu dürfen. Das kann doch nicht die Idee von Bildung sein.

    Hier muss, wird das Geld nicht mehr, eine faire Lasten- und Lohnverteilung her. Die These dürfte nicht gewagt sein, dass der akademische Mittelbau (also der wissenschaftliche Nachwuchs selbst, aber auch das wissenschaftsunterstützende Personal etwa im Forschungsservice) die Hochschulen zu einem Großteil am Laufen hält; sei es durch Lehre, wissenschaftliche Innovation mit Publikationen oder Forschungsprojekte und -gelder, die sie an Land ziehen. Die Erfolge heften sich nicht selten die Profs an Revers bzw. werden ihnen diese teils unberechtigt ausschließlich zugeschrieben.

    Nun sollten Rechenkünstler auch mal ausrechnen, wie hoch die Diskrepanz ist zwischen dem was ein WiMi im Vergleich zum Prof unter Berücksichtigung von Mittelausstattung, Pensionsansprüchen etc verdient. In keinem Berufsfeld dürfte der Unterschied so groß und damit so unfair sein. (Zudem sind die Gehälter von Profs sowie ihre Arbeitsbedingungen für die meisten Menschen in Deutschland traumhaft gut. Ein Vergleich mit den USA scheint hier wenig sinnvoll bzw. kann das wirklich abgehoben klingen). Setzen wir doch hier einmal an und finden Lösungen Leistung gerecht zu vergüten. Die Frage ist, ob wir uns bspw. die teuersten Wissenschaftler einkaufen müssen. Wie können flexible Gehaltsbestandteile der Prof.schaft genutzt werden, um den Nachwuchs zu fördern? Oder wie können aus einem Teil eingeworbener Drittmitteln Gemeinkosten werden, die zurück in die Nachwuchsförderung fließen? Nicht zuletzt muss das Steuer, also unser aller also Geld bei der Auszahlung an die Hochschulen an bestimmte Pflichten im Sinne der oben beschriebenen Hebel bei der Nachwuchsförderung geknüpft werden.

    Also kurzum Weiterbildung, Standards & Transparenz sowie eine faire Lasten- und Entlohnungsverteilung müssen her, sonst wird Wissenschaftssystem niemals fairer.

    Liebe Wissenschaftsministerinnen und -minister sowie -Politikerinnen und Politiker hier sind Sie vor allem gefragt. Hochschulleitungen sind Professorinnen und Professoren und werden vor allem von eben diesen ins Amt geholt. Die genannten Maßnahmen könnten (im Vergleich zur reinen Laufzeitendiskussion) wirklich wirkungsvoll, aber schmerzhaft vor allem für diesen Berufsstand werden. Deshalb werden diese Ideen von dort nicht kommen.

  • #15

    Eine Hanna (Dienstag, 18 Juni 2024 00:19)

    "Ziel ist die Förderung des Gemeinwohls. Dem Gemeinwohl förderlich ist eine wissenschaftliche Personalstruktur, die es für die Besten nach wie vor attraktiv macht, in der Wissenschaft zu arbeiten, auch wenn dies mit einem harten Wettbewerb und gelegentlich auch mit materiellen Einbußen gegenüber einer Karriere in der Privatwirtschaft verbunden ist."

    Es wurde schon in #4 gefragt, was Herr Günther unter Gemeinwohl versteht. Selbstverständlich müssen Universitäten dafür sorgen, am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein und Professuren mit Spitzenpersonal besetzen zu können.

    Gleichzeitig haben Universitäten aber auch den Auftrag, zigtausende Studierende auf hohem Niveau für den Arbeitsmarkt auszubilden. Dazu müssen Universitäten sicherstellen, dass das Mittelbaupersonal, das den größten Teil der Lehre abdeckt, eben auch möglichst gut qualifiziert ist und dass auch für dieses Personal gute Arbeitsbedingungen geboten werden. Wenn durch Befristung, 6+6-Jahresregel die Karriereaussichten für den Mittelbau aber sehr schlecht sind bzw. diese Personen alle Ressourcen auf Forschung, Drittmittel und Publikationen werfen müssen, um im Flaschenhalssystem eine Professur zu erlangen, haben sie als wichtige Multiplikatoren kaum Zeit für Lehre und Betreuung Studierender.

    Meine Gegenthese ist daher, dass durch die Transformation des Universitätskarrieresystems in ein Up-or-Out-System ohne nennenswerte Anerkennung von Lehrleistungen die Studienqualität und damit auch das Gemeinwohl leiden.

    Um die These zu belegen, müsste man damit beginnen, die faktische Qualität von Lehre (und nicht nur die studentische Zufriedenheit damit) zu messen. Ein Maßstab muss dabei sicherlich die Qualifizierung des Lehrpersonals sein. Und gerade dies besteht unterhalb der Professur leider oftmals nur aus wenig erfahrenen Doktoranden und wenigen Postdocs. Das System braucht gerade hier mehr erfahrenes, gut qualifiziertes Personal auch in fortgeschrittenen Karrierestufen unterhalb/neben der Professur, um die Studienqualität und damit das Gemeinwohl zu stärken.