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Neuanfang mit Fragezeichen

Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka hat seine Governance-Reform erfolgreich durchgebracht. Ein guter erster Schritt. Doch bis die von ihm beschworene Aufbruchstimmung die Forschungsgesellschaft wirklich erfasst, bleibt für ihn noch viel zu tun.

Bild: Foto Mecky / Pixabay.

FRAUNHOFER-PRÄSIDENT Holger Hanselka hat es geschafft. Die Mitgliederversammlung der Forschungsgesellschaft hat am Donnerstag umfangreiche Governance-Reformen durchgewinkt, die Hanselka öffentlich erstmals hier im Blog präsentiert hatte. Die Vorwürfe gegen seinen Vorgänger Reimund Neugebauer, gegen den die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt, waren ein wesentlicher Grund, warum der Senat als Aufsichtsorgan deutlich mehr Kontrollkompetenzen (und -verantwortung!) gegenüber dem Vorstand erhält. Ein Rechnungsprüfungsausschuss soll entstehen, ein Ausschuss für Vorstandscompliance und ein Normierungsausschuss, letzter um den Senat nach transparenten Regeln und Prozessen zu besetzen – damit sich da kein Präsident mehr einmischen kann.

 

Es bräuchte gar nicht mehr die ebenfalls beschlossene Abschaffung der Richtlinienkompetenz des Präsidenten, um zu erkennen: Mit der Reform schwächt Hanselka vor allem seine eigene Macht. Formal zumindest. Denn moralisch beansprucht er so eine Führungsrolle in der Zeit nach Neugebauer.

 

Leider jedoch gibt es ein paar Schönheitsfehler beim Neustart-Narrativ. Wie die Fraunhofer-Pressestelle bestätigte, wurde am Donnerstag der gesamte Vorstand von der Mitgliederversammlung entlastet, inklusive Elisabeth Ewen, Vorständin für Personal, Unternehmenskultur und Recht, die zu schon zu Neugebauers Zeiten Personalchefin war und als entsprechend umstritten gilt. Sie bleibt im Amt. Vielen Beobachtern innerhalb und außerhalb von Fraunhofer erscheint dies als schlechtes Omen dafür, ob Hanselka wirklich die Kraft hat, die alten Strukturen zu durchbrechen.

 

Das große Fraunhofer-Netzwerk als
Rezept gegen Good Old Boys?

 

Apropos alte Strukturen: Während viele in der Forschungsgesellschaft Neugebauer als Mitglied eines viel größeren Old Boys' Network beschreiben, das anders als Neugebauer größtenteils weiterwirke, äußerte sich Hanselka im Interview diesbezüglich zurückhaltend. "Natürlich gibt es immer Netzwerke von Menschen. Die kann, muss man aber nicht Seilschaften nennen", sagte er. Er wolle aber das große Netzwerk Fraunhofer "so offen und attraktiv machen, dass man dort mitspielen will und sich proaktiv einbringt".

 

Ist das noch visionär oder schon naiv? Und wie geht Hanselka mit der Tatsache um, dass an der Spitze des Fraunhofer-Senats mit Hildegard Müller eine Frau sitzt, die über Monate Reimund Neugebauer stützte und ihn noch als Eröffnungsredner zum Technischen Kongress der VDA einlud, als BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger und weitere Bundestagsabgeordnete wegen der Affäre bereits seinen Abtritt forderten? Wer das Interview mit Hanselka liest, erlebt Müller dort als Aufklärerin und Mitstreiterin für den Neustart.

 

Als Nachfolger des im vergangenen Herbst entlassenen Innovationsvorstands und Neugebauer-Vertrauten Alexander Kurz wählte der Fraunhofer-Senat am Mittwoch den derzeit  geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in Aachen, Constantin Häfner, dessen neu zugeschnittenes Ressort Forschung und Transfer umfassen soll. Was das für die Machttektonik bei Fraunhofer bedeutet? Man wird sehen.

 

Klar ist: Anders als Hanselka suggerieren möchte, ist die Forschungsorganisation bislang längst nicht überall von Aufbruchstimmung erfasst. Das Misstrauen, das sich in der Neugebauer-Ära auf allen Ebenen breitgemacht hatte, ist höchstens in Ansätzen gewichen. Und auch wenn Hanselka mit Nachdruck beschwört, es existiere keine ominöse Liste "von mehr als 20 Instituten, für die es Schließungspläne gebe", kursieren derlei Gerüche munter weiter – vielleicht auch weil Insider bei weit mehr als den zwei Instituten, deren Zukunft zur Disposition steht, grundsätzlichen Sanierungsbedarf sehen. Während es aus den beiden Instituten, dem INT (das in ein anderes integriert werden soll) und dem IMW (geplante Schließung) weiter offen Gegenwehr gibt – und Kritik an Hanselkas Vorgehen, das dieser als besonders transparent verstanden wissen möchte.

 

Von ausbleibenden Mitarbeiterbefragungen
und einer "modernen Feedback-Landschaft"

 

Unklar bleibt, warum Hanselka, der so auf Partizipation setzt, nicht eingeht auf Forderungen des Gesamtbetriebsrats, die unter Neugebauer letztmals 2015 stattgefundene Fraunhofer-weite Mitarbeiterbefragung endlich zu wiederholen. Ja, die Stimmung mag schlechter sein, als er es öffentlich einräumt, aber wenn er die Umfrage regelmäßig wiederholt, könnte sie zugleich den von ihm angestrebten Aufbruch begleiten.

 

Auf Anfrage heißt es dazu aus der Fraunhofer-Pressestelle, der Präsident plane "ergänzend zu den bestehenden Befragungselementen weitere gezielte Befragungen der Mitarbeitenden als wichtigen Baustein für die Weiterentwicklung von Fraunhofer und die Stärkung der gemeinsamen Kultur zu etablieren." Von einem "umfangreichen Feedbackinstrumentarium" ist die Rede, das "Befragungen mit Partizipations- und Mitgestaltungsformaten" kombiniere, Zielszenario sei "eine moderne Feedback-Landschaft". Puh. Auf Nachfrage kommt immerhin der Satz: "Dass ist in dem Instrumentarium auch einmal eine Fraunhofer-weite Befragung geben wird, schließen wir nicht aus. Wir prüfen, welche Instrumente am sinnvollsten sind."

 

Ein erster Schritt – oder mehr von der altbekannten Hinhaltetaktik? Ressortverantwortlich für die versprochene neue "Feedback-Landschaft" wäre übrigens die alte Personalvorständin Elisabeth Ewen.

 

Unterdessen steigt der finanzielle Druck auf Fraunhofer. Zwar hatte Hanselka Recht, als er im Interview sagte: "Es sind schwierige Zeiten, aber es ist auch ein Fraunhofer-Markt da draußen." Nur müssen die Institute richtig aufgestellt und organisiert sein, um in diesem Markt bestehen zu können. Und anders als in den vergangenen Jahren kann Fraunhofer nicht mehr mit Extra-Schlucken aus der staatlichen Pulle rechnen. Im Gegenteil: Statt Corona-Unterstützungsmillionen (deren Rückzahlung jetzt geprüft werden soll) stellen erste Finanzpolitiker intern sogar in Frage, ob es auf Dauer mit dem jährlichen Drei-Prozent-Budgetplus für die Forschungsorganisationen aus dem Pakt für Forschung und Innovation (PFI) weitergehen kann.

 

Holger Hanselka gilt als persönlich integer und hat in seinen zehn Jahren beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) den strategischen Turnaround bis hin zur erneuten Auszeichnung als Exzellenzuniversität geschafft. Man kann ihm zutrauen, dass er auch für Fraunhofer einen Plan hat und dass dieser Plan aus verschiedenen Etappen besteht, von denen wir bislang nur die ersten ein, zwei beobachten konnten. Nur muss ihm nach bald einem Jahr im Amt bewusst sein, dass er immer nur so viel Partizipation und Aufbruchstimmung beschwören sollte, wie er auch kurz- bis mittelfristig einlösen kann. Nein, nicht alles geht auf einmal. Aber fest steht: Da muss noch mehr kommen.



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Kommentare: 3
  • #1

    H. Schöbel (Freitag, 14 Juni 2024 09:51)

    Man kann der Fraunhofer-Leitung nur Erfolg wünschen bei der Reorganisation. Man sollte aber auch mal sagen, daß es Institute gibt, die völlig skandalfrei laufen. So hätte es sich bestimmt der Wissenschaftsorganisator Felix Klein vor mehr als 100 Jahren gewünscht. Auf dessen Betreiben war damals aus der geplanten Gauß-Weber-Gesellschaft die Fraunhofer-Organisation geworden.

  • #2

    Leo Kuhn (Freitag, 14 Juni 2024 14:19)

    Solange es nichts gegen Frau Ewen zu belegen gibt, wird sie bleiben. Und das gibt es nicht, außer dass sie schon bei Neugebauer war. Alles hat Elisabeth Ewen unter Neugebauer auch nicht kritiklos mit sich machen lassen. Besser in den Neuanfang investieren, was angesichts steigender Baustellen jedoch zunehmend steiniger wird.

  • #3

    Roman Held (Freitag, 14 Juni 2024 19:54)

    Wieder einmal ein gelungener Bericht mit kritischem Unterton.
    Ein richtiger und wichtiger erster weitreichender strategischer Schritt von Senat und Präsident, der damit nach 75 Jahren Fraunhofer eine neue Governance geschaffen hat. Ein dickes Ausrufezeichen dahinter! Das alleine reicht aber sicher noch nicht, um weitere Fraunhofer interne Probleme zu lösen. Es bleibt noch viel zu tun - hoffen wir mal, dass Frau Müller et al. den neuen Aufgaben als Aufsichtsgremium auch ernst nehmen. Die neue Governance muss aktiv gelebt werden und die Mitarbeitenden sofort mitgenommen werden. Momentan ist unklar, was diese Neuerungen für die Institute konkret bedeuten.