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Englisch zum Start, Deutsch zum Abschluss

Die Universität Magdeburg startet einen bilingualen Informatik-Studiengang. Mit dem Programm habe man es nicht nur auf internationale Bewerber abgesehen, sondern auf die Absolventen der 600 bilingualen Gymnasien in Deutschland, sagt Initiator Thomas Strothotte – und wirbt mit einer Vier-Tage-Uniwoche.

Thomas Strothotte, 64, ist Professor für Informatik an der Universität Magdeburg. Er war Rektor der Universitäten Rostock und Regensburg, außerdem Präsident der privaten Kühne Logistics University in Hamburg. Foto: privat.

Herr Strothotte, an der Universität Magdeburg starten Sie im kommenden Wintersemester einen bilingualen Bachelor-Studiengang Informatik und behaupten, er sei bundesweit etwas ganz Besonderes, wenn nicht sogar einmalig. Was macht Sie da so sicher?

 

Angesichts der vielen Informatik-Studiengänge, die es schon gibt, können wir mit einem neuen Angebot nur bestehen, wenn wir irgendetwas anders, interessanter, besser machen. Viele Hochschulen entscheiden sich für eine weitere Spezialisierung. Wir bauen einen Studiengang auf, der internationale Studierende mit wenig Deutschkenntnissen im Laufe von drei Jahren so weit bringt, dass sie nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich auf den deutschen Arbeitsmarkt oder ein rein deutschsprachiges Studium vorbereitet sind und mehr noch, auf die soziale Teilhabe in Deutschland. 

 

Ein Studiengang nur für ausländische Studierende? 

 

Gerade nicht! Bei den deutschen Studierenden haben wir es ebenfalls auf eine besondere Zielgruppe abgesehen: Absolventinnen und Absolventen der etwa 600 bilingualen Gymnasien in Deutschland – vor 20 Jahren waren es gerade mal 80. An denen mindestens zwei nichtsprachliche Fächer in einer Fremdsprache, meist auf Englisch, unterrichtet werden. Das kann Geografie sein, Geschichte, Biologie. Oder eben Informatik. Wer solch ein Gymnasium besucht hat, der ist auch offen für ein bilinguales Studium – sucht vielleicht sogar danach. Bislang jedoch endet die Bilingualität für die meisten nach der Schule, weil die aufbauenden Studiengänge fehlen. Das wollen wir ändern – zunächst für die Informatik, andere Fächer können folgen. Und parallel verhindern, dass wie so oft in englischsprachigen MINT-Studiengängen hauptsächlich ausländische Studierende zusammenkommen und dann unter sich bleiben – im schlimmsten Fall sozial isoliert.

 

Was erwarten Sie von Ihren internationalen Bewerbern an Vorkenntnissen in Deutsch?

 

Bei der Bewerbung: gar keine. Bis sie bei uns starten im Oktober, sollten Sie A1 erreicht haben, das entspricht 50 Stunden Unterricht und bedeutet nur, dass sie schon ein paar grundlegende Redewendungen beherrschen. Wir wollen die sprachliche Einstiegshürde bewusst möglichst niedrig halten und allein auf die akademische Qualifikation abheben. Unser Versprechen lautet, dass wir unsere Studierenden in den ersten zwei Jahren auf das B2-Niveau heben, also mit einer so hohen Sprachkompetenz versehen, dass sie typischerweise im letzten Studienjahr ausgewählte deutschsprachige Lehrveranstaltungen belegen können – und müssen. 

 

Nur wer B2 erreicht, bekommt den Abschluss?

 

Genauso ist es. Hier behandeln wir das Deutsche wie die Mathematik und alle anderen Lerninhalte unseres Informatik-Bachelorstudiengangs: Wer einen Abschluss will, muss sie beherrschen. Und damit die Studierenden von Anfang an integriert sind in der Universität und in der Stadt, müssen alle unsere Erstis im bilingualen Studiengang, deutsche wie internationale, gemeinsam einen Kurs für wissenschaftliches Englisch belegen – unabhängig von ihrem vorhandenen Kenntnisstand. 

 

"Internationale Erfahrungen zeigen, dass Schülerinnen
und Schüler, aber auch Studierende, die ihre Ausbildung in zwei Sprachen parallel absolvieren, tendenziell ein höheres Leistungsniveau erreichen."

 

Das heißt, es gibt einen Zweig für deutschsprachige Studierende und einen für internationale, und im Englischkurs treffen sie aufeinander?

 

Nicht nur dort. Aber im Prinzip haben Sie Recht: Der deutsche Zweig startet hauptsächlich mit deutschsprachigen Lehrveranstaltungen und nimmt im Laufe der Semester zunehmend englischsprachige dazu, beim internationalen Zweig ist es genau umgekehrt. Im letzten Jahr sind dann alle zusammen und vollkommen durchmischt. Das entspricht dem Prinzip einer Internationalisierung zu Hause für deutsche Studierende, die nicht zum Studieren ins Ausland gehen können oder wollen. Wobei wir auch ein Auslandssemester anbieten. 

 

Klingt ja alles nett und wohlüberlegt. Aber Hand aufs Herz: Ist das mehr als der Versuch einer weiteren ostdeutschen Hochschule, ihre Studienplätze, die sie mit deutschen Bewerbern nicht mehr vollbekommt, mit internationalen zu füllen? 

 

Jede Hochschule, egal wo, muss sich Gedanken machen, wo sie ihre künftigen Studierenden herbekommt. Wir wollten aber keine Notlösung erzeugen, sondern einen echten Mehrwert und eine Brücke zwischen deutschen und internationalen Studierenden. Internationale Erfahrungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, aber auch Studierende, die ihre Ausbildung in zwei Sprachen parallel absolvieren, tendenziell ein höheres Leistungsniveau erreichen. Und nach dem Studium können wir in Magdeburg hervorragende Jobaussichten bieten. Die Chipfabrik, die Intel hier baut, wird viele Mitarbeitende brauchen, die fließend zwischen den zwei Sprachen hin und herschalten können. 

 

Reicht das als Argument, um genug deutschsprachige Studierende an Bord zu holen? Die brauchen Sie zwangsläufig, damit nicht doch die Insel mit ausländischen Studierenden entsteht, die Sie unbedingt vermeiden wollen. 

 

Und weil wir das wissen, bleiben wir mit unserem Konzept nicht an der Stelle stehen, sondern führen eine weitere Neuerung ein. Eine Vier-Tage-Präsenzwoche. Was bedeutet, dass unseren bilingualen Erstis der Freitag grundsätzlich zur freien Verfügung steht, ohne Präsenz-Lehrveranstaltungen. Und am Montag fangen wir erst gegen Mittag an. Wenn wir als deutsche Zielgruppe die Absolventinnen und Absolventen der 600 bilingualen Gymnasien erreichen wollen, müssen wir weit über Sachsen-Anhalt hinausgehen und in ganz Deutschland werben. Und in der Folge ermöglichen, dass Studierende am Wochenende auch nach Hause fahren können, wenn sie aus Köln oder München kommen. 

 

Hört sich nach einem entspannten Studierendenleben an.

 

Von wegen. Sie müssen an den anderen Tagen entsprechend konzentrierter arbeiten. Außerdem geht es nicht um eine Verlängerung des Wochenendes, sondern um das Mehr an Flexibilität, das heute zu jedem modernen Studium gehören sollte. Die Studierenden können den Freitag für Praktika nutzen, Werkstudentenjobs – oder zur intensiven Nach- und Vorbereitung. Denn nochmal: So ein bilinguales Studium ist mehr als nur ein Ticken anspruchsvoller als ein rein deutschsprachiges Programm. Zu unserem Modell gehört außerdem, dass Sie ein Auslandssemester an der Memorial University of Newfoundland and Labrador in Kanada verbringen können, genau abgestimmt auf unseren Studiengang, so dass die Studierenden alle Kurse anerkannt bekommen. 

 

Apropos Kanada: Dort sind Sie geboren und aufgewachsen. Bilingualität gehört dort quasi zur Staatsräson, oder?

 

Kanada ist ein offiziell zweisprachiges Land, insofern kann man die dortige Situation mit der deutschen nicht wirklich vergleichen. Andererseits waren der englische und der französische Landesteil lange fast wie zwei eigene Gesellschaften, weshalb der damalige Premierminister Pierre Trudeau 1976 Bilingualität als Prinzip in den Schulen etabliert hat. Es gibt heute sehr viele englischsprachige Kinder, die auf Französisch eingeschult werden. Inzwischen haben sich mehrere Universitäten darauf spezialisiert, diese jungen Menschen mit eigenen bilingualen Studienangeboten abzuholen. Davon können wir uns viel abgucken. 

 

Bewerbungen für Ihren Studiengang sind noch bis zum 15. Juli möglich?

 

Genau. Wir bieten zunächst 50 Studienplätze an, jeweils 25 für beide Zweige. Die ausländischen Bewerber sind schon sehr zahlreich, für die deutschen Abiturienten beginnt die Bewerbungssaison gerade. Wir sind gespannt.



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Kommentare: 6
  • #1

    Tobias Schmauch (Mittwoch, 19 Juni 2024 17:25)

    Es ist schon interessant, in Wikipedia über den interviewten Kollegen nachzulesen.

  • #2

    R. Mautz (Sonntag, 23 Juni 2024 20:35)

    Die Ideen von Herrn Prof. Strothotte waren immer schon sehr erfrischend und innovativ. Es ist daher sehr schade, daß er wohl bald in den Ruhestand geht.

  • #3

    A. Schmidt (Dienstag, 25 Juni 2024 22:42)

    Ein ausgewiesener Sprachlehrexperte. A1 Niveau entspricht ein paar Redewendungen, für die man 50 Stunden Unterricht ansetzt. Die Studierenden werden es danken, spätestens im 3. Semester.

  • #4

    David J. Green (Freitag, 28 Juni 2024 09:07)

    Ein tatsächlich interessanter Ansatz: allerdings verstehe ich die Trennung der beiden Sprachschienen nicht, schließlich will man für diesen Studiengang gerade die einheimischen Studis gerade aus bilingualen Gymnasien rekrutieren. Allein durch ein verpflichtendes Wissenschaftsenglisch-Modul wird die angestrebte Integration der beiden Sprachschienen kaum zu verwirklichen sein: zumal das implizieren würde, dass selbst jene, die Englisch als Muttersprache sprechen, Wissenschaftsenglisch belegen müssten.
    Grundständige internationale Studiengänge stellen leider eine Catch 22-Situation dar: einerseits brauchen wir sie wirklich, wie im Artikel dargestellt, andererseits aber riechen sie stark nach dem Kaschieren von überschüssiger Lehrkapazität.
    Ansonsten: Leider muss ich feststellen, dass der Konstruktivitätsgrad bei den Kommentaren zu Ihren wertvollen Blogbeiträgen derzeit eher abnimmt, lieber Herr Wiarda.

  • #5

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 28 Juni 2024 10:07)

    Lieber Herr Green,

    leider haben Sie Recht, dass derzeit bei verschiedenen Themen mehr destruktive Kommentare unterwegs sind als sonst. Die veränderte Diskursatmosphäre in unserer Gesellschaft schlägt leider bis hier in den Blog durch, in dem ich mir kritische, aber wertschätzende Diskussionen wünsche. Und ich bin immer wieder mit der Frage konfrontiert, was ich als Meinungsäußerung noch freischalte und wo es Richtung Trollerei geht. Hin und wieder stelle ich Kommentare nur mit Bauchschmerzen frei. Hin und wieder geht mir auch etwas durch. Wie hier in der Kommentarspalte. Weshalb ich zwei Kommentare jetzt verborgen habe. Ich bitte um Entschuldigung!

    Und bitte alle Blogleser:innen: Leisten Sie Ihren Beitrag für eine inhaltlich spannende, argumentativ starke, persönlich aber nicht abwertende Debatte.

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #6

    Rosi Emmerlich (Samstag, 20 Juli 2024 13:53)

    Ich verstehe als aktive Studentin der Informatik nicht, was der Vorschlag von Herrn Strothotte für eine Vierstunden-Woche praktisch bringen soll. Jedenfalls werde ich wohl nicht, wie ursprünglich von mir beabsichtigt war, nach Magdeburg wechseln. Schade !