Schon vor Veröffentlichung der IFG-Unterlagen durch das BMBF nahm der Druck auf Ministerin Stark-Watzinger in der Fördermittel-Affäre erneut zu. Im Mittelpunkt: eine am 10. Mai in Auftrag gegebene Liste – drei Tage vor dem Vorgang, der zur Entlassung von Staatssekretärin Döring führte.
ALS DAS BMBF die Unterlagen zum IFG-Antrag am späten Sonntagabend bei "FragDenStaat" hochlud, erzielte Niclas Füllkrug in Frankfurt am Main gerade den Ausgleich gegen die Schweiz. Ein erstaunlicher Arbeitseifer im Ministerium, nachdem die Übermittlung am späten Sonnabendnachmittag nach BMBF-Angaben noch an der Dateigröße gescheitert war. Wie praktisch, dass zumindest das Postfach der FAZ offenbar groß genug war, um – von wem auch immer – so rechtzeitig wesentliche, auch in der IFG-Antwort enthaltene Unterlagen zu erhalten, dass die Zeitung noch vor Sonntagabend einen detaillierten Bericht zu den Vorgängen im Ministerium seit Beginn der Förderaffäre veröffentlichen konnte.
Mit einer Schlussfolgerung, die im Ministerbüro Gefallen gefunden haben dürfte: Warum die geschasste BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring die rechtliche Prüfung, die sie am 13. Mai erbeten hatte und die nach ihrer Darstellung als Auftrag zur Überprüfung förderrechtlicher Konsequenzen missverstanden worden war, ein paar Tage später erneut beauftragt hatte, sei unklar, so die FAZ, aber: "Es gibt Vermutungen. Sie habe auf keinen Fall die inzwischen einkassierte förderrechtliche Prüfung offenbaren wollen."
Eine in den vergangenen Tagen auch direkt aus dem Ministerium kolportierte Vermutung, die Stark-Watzingers jüngste Verteidigungslinie stützen würde: dass es sich um zwei Vorgänge gehandelt habe. Den ersten mit dem Missverständnis – und den zweiten ein paar Tage später, von dem die Ministerin sehr wohl gewusst habe. Aber von dem ersten eben nicht – weil, so schwingt mit, die Staatssekretärin nicht wollte, dass sie es weiß? Das vermeintliche "Bauernopfer" Döring stünde dann in einem anderen Licht da, der von der Ministerin geäußerte Wunsch nach einem "personellen Neuanfang" ebenfalls.
An der turnusmäßigen ministeriellen Morgenlage am 13. Mai, die dem ersten telefonischen Auftrag Dörings vorausging, hatte die Ministerin tatsächlich nicht teilgenommen. Bei ihrem Auftritt vor der Bundespressekonferenz am Montag vergangener Woche hatte Stark-Watzinger auf Fragen, wann sie erstmals etwas von den Vorgängen erfahren hatte, hölzern auf ihre Erklärung zur Entlassung Dörings am Abend zuvor verwiesen, in der stand: "Am 11.06.2024 ist mir eine E-Mail aus der Fachebene meines Ministeriums zur Kenntnis gebracht worden, welche die Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichner des besagten offenen Briefes zum Gegenstand hat."
Was genau genommen nicht automatisch bedeutet, dass sie vorher gar nichts gewusst hat, weshalb der Erklärungsdruck auf Stark-Watzinger in den Tagen nach der Bundespressekonferenz dramatisch zunahm. Es folgte die BMBF-Darstellung mit den zwei getrennten Vorgängen.
Womöglich kommt es auf das Narrativ von den
zwei getrennten Vorgängen gar nicht mehr an
Nur dass es womöglich so, wie sich die öffentliche Berichterstattung seit Wochenanfang entwickelt hat, gar nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob das Narrativ von zwei völlig getrennten Vorgängen (die in Wirklichkeit aufeinander aufbauten) und der in solch einer brisanten Angelegenheit ohne Rückendeckung oder Wissen der Ministerin handelnden Staatssekretärin (was vielen BMBF-Kennern schwerfällt zu glauben) noch trägt.
Denn immer stärker und erst jetzt mit Einsicht der IFG-Mails rückt die Beauftragung einer Liste schon am 10. Mai in den Vordergrund, also vor der angeblichen Alleininitiative Dörings. Aber zwei Tage, nachdem Stark-Watzinger aufs Heftigste in der BILD die Unterzeichner eines Offenen Briefs gegen die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der FU Berlin durch die Polizei kritisiert hatte. Sie sei "fassungslos", ließ die Ministerin sich zitieren, gerade Professoren und Dozenten müssten "auf dem Boden des Grundgesetzes stehen." Ermittelt werden sollte, welche der Unterzeichner Fördermittel aus dem BMBF bezogen.
Ein "routinemäßiger Vorgang" zur Vorbereitung möglicher Presseanfragen, wie das Ministerium schon vor der IFG-Veröffentlichung sagte? Von wegen, protestieren Ministeriumsmitarbeiter, schon deshalb sei das unüblich, weil das Ministerium aus Datenschutzgründen grundsätzlich keine personenbezogenen Daten an die Presse herausgebe. Hingegen könnte eine solche Liste sehr wohl zur Vorbereitung möglicher förderrechtlicher Konsequenzen benutzt werden.
Das BMBF gibt an, die Ministerin habe auch an der Morgenlage im Ministerium vom 10. Mai nicht teilgenommen.
Der SPIEGEL schlussfolgerte am Montag: "Es ist nicht plausibel, dass Stark-Watzinger über diesen Vorgang nicht informiert war." Wie der SPIEGEL weiterschreibt, soll das Pressereferat noch einmal in der Fachabteilung nachgehakt haben – man benötige die Liste, um die Regierungspressekonferenz am 13. Mai vorzubereiten.
Ein Pressesprecher angeblich vor der Versetzung und Dörings hektische Kommunikation bei der KMK
Es gab seit über einer Woche Andeutungen von BMBF-Mitarbeitern, dass der Pressesprecher, der laut SPIEGEL die Liste mutmaßlich mit beauftragt haben soll, aus der Pressestelle anderswo ins Haus versetzt werden soll. Meine Anfrage nach seiner Versetzung ließ der Pressesprecher vergangene Woche unbeantwortet, die Pressestelle antwortete mir (angesichts der angeblich zu Presseauskunftszwecken angefertigten Liste nicht ohne Ironie): "Zu Personalangelegenheiten können wir keine Auskunft geben." So oder so: Ob ein Zusammenhang mit der Beauftragung der Liste besteht oder ob der Pressesprecher womöglich selbst und aus ganz anderen Gründen um Versetzung gebeten hat oder diese veranlasst wird, ist offen.
Das BMBF konterte nach Veröffentlichung des SPIEGEL-Artikels, dessen Vorwürfe seien "reine Spekulation und beruhen auf Unterstellungen und unwahren Tatsachenbehauptungen. Wir weisen die Darstellung entschieden zurück."
Der SPIEGEL ergänzte seinen Artikel später um den Hinweis, das BMBF zu den Berichten um den Pressesprecher um Stellungnahme gebeten zu haben, doch sei die Anfrage bis Montagmittag unbeantwortet geblieben. "Nach Veröffentlichung dieses Textes meldete sich eine Sprecherin des Ministeriums und teilte mit, dass der Pressesprecher am 10. Mai nicht im Dienst gewesen sei, die Liste nicht (mit-)beauftragt habe und auch nicht zum 1. Juli versetzt werde."
Dieselbe Replik aus dem Ministerium erhielt ich am Dienstag ebenfalls, und ebenfalls erst nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags, nachdem die Pressestelle meine Anfrage zuvor noch wie oben beschrieben beantwortet hatte.
Fest steht dagegen, worauf "FragDenStaat" bei seiner Analyse der Unterlagen am Montag hinwies, dass das Pressereferat grundsätzlich eng auch mit dem Ministerbüro zusammenarbeitet. Fest steht auch, dass man im Ministerium laut IFG-Unterlagen zusätzlich überprüfen ließ, welche der Briefunterzeichner als BMBF-Gutachter tätig waren.
Offen ist wiederum, welche Rolle Bettina Stark-Watzinger persönlich gespielt hat, bevor Staatssekretärin Döring in einer hausinternen Mail die Verantwortung für das (nach ihrer Darstellung) Missverständnis übernahm. Während der Sitzung der Kultusministerkonferenz im Saarland am vorvergangenen Freitagmorgen, berichten Teilnehmer, habe Döring mehrmals den Saal verlassen mit dem Hinweis, sie müsse eine wichtige E-Mail mit der Ministerin abstimmen.
Gegen 11 Uhr vormittags landete ihre Mail in den Briefkästen aller BMBF-Mitarbeiter. Offenbar handelte Döring in dem Glauben, damit sei die Sache ausgestanden, zumal der in den IFG-Unterlagen enthaltene Abschlussvermerk zum Prüfvorgang vom 24. Mai festhielt "Für zuwendungsrechtliche Schlussfolgerungen, die auch von der Hausleitung nicht erbeten waren, gibt es damit keinen Anlass."
Wie, von wem und wann die erste Prüfbitte gestoppt, dann als "Missverständnis" deklariert und insofern als gar nicht erteilt definiert wurde, geht aus den internen Mails allerdings gar nicht hervor. Döring gab an, sie habe dies persönlich getan, das BMBF schrieb den Schritt dagegen laut STERN einem Abteilungsleiter zu – was nach Regeln des Ministeriums aber von einem durch die Hausleitung ausgelösten Prüfauftrag gar nicht ginge.
Am vorvergangenen Sonntagabend jedenfalls verkündete Stark-Watzinger, der entstandene Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlern in das BMBF nachhaltig zu beschädigen. "Vor diesem Hintergrund und da ich im Prozess der Aufarbeitung zu der Überzeugung gelangt bin, dass ein personeller Neuanfang nötig ist", habe sie den Bundeskanzler um Dörings Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gebeten.
Heute Morgen nun verkündete die Ministerin in einem Interview mit der FAZ, es sei Transparenz geschaffen worden. Doch geht die Aufklärung der Affäre, die allerdings bislang mehr Fragen produziert hat als Antworten, weiter. Mittwoch soll Bettina Stark-Watzinger zunächst im Bundestagsforschungsausschuss auftreten, danach in der Regierungsbefragung. Noch ringen Regierung und Opposition darum, unter welcher Überschrift und mit welchem Fokus genau Stark-Watzinger zu der Affäre um die entlassene Staatssekretärin und die förderrechtliche Prüfung befragt werden soll.
Nachtrag:
Ein Hoffnungsschimmer am Ende: Während die ZEIT in einem lesenswerten Artikel vergangene Woche über ein Auseinanderfallen des BMBF in FDP-nahe Leute und den Rest der teilweise langjährigen Mitarbeiter berichtete, liefert die IFG-Beantwortung gleich zwei Beispiele aufrechten Beamtentums.
Erstens – bereits bekannt aus der Panorama-Recherche – wie die BMBF-Arbeitsebene der Hausleitung den Wind aus den Segeln nahm. So äußert sich eine stellvertretende Referatsleitung in einem Mailaustausch "etwas irritiert über die Prüfbitte", eine weitere Person wies früh darauf hin, dass das Ministerium "unabhängig vom Ergebnis einer rechtlichen Prüfung, keine unmittelbaren Handlungs- bzw. Einflussmöglichkeiten in (...) disziplinarrechtlicher Hinsicht" habe.
Zweitens: "Ist das wirklich nötig?", beantwortete ein Mitarbeiter des zwecks Listenerstellung einbezogenen Projektträgers den Auftrag. "Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, dass es unter den Kolleginnen und Kollegen großes Unwohlsein ausgelöst hat, Namen in Listen zu markieren." Viele der Unterzeichner hätten sich klar gegen Antisemitismus positioniert, "diesen verurteilt, sich nicht mit den Inhalten des Protestcamps solidarisiert, sondern haben vor allem den Polizeieinsatz kritisiert." Er sei kein Jurist, aber aus seiner Sicht sei das Statement im Offenen Brief absolut durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, "so dass ich mir nicht vorstellen kann, dass hier zuwendungsrechtliche Konsequenzen drohen." Die aufgebrachte Antwort aus dem Ministerium: "Ich finde diese Haltung sehr schwierig." Und: "Sie oder Ihre Kolleginnen und Kollegen unterstellen, dass wir mit diesen Informationen nicht ordentlich umgehen können."
Hinweis: Ich hatte zunächst geschrieben, dass Ministerin Stark-Watzinger am Mittwoch an der Regierungspressekonferenz teilnehmen soll. Tatsächlich handelt es sich um die Regierungsbefragung. Dies habe ich richtiggestellt und bitte den Fehler zu entschuldigen. Außerdem habe ich einen Satz insofern abgeändert, dass das BMBF angibt, die Ministerin habe auch an der Morgenlage vom 10. Mai nicht teilgenommen. An Stellen, an denen der SPIEGEL seinen von mir zitierten Artikel angepasst hat, habe ich dies ebenfalls getan.
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