Der Potsdamer Uni-Präsident Oliver Günther argumentiert, deutlich mehr Dauerstellen in der Wissenschaft und damit deutlich bessere Karrierechancen würden viele Milliarden zusätzlich kosten. Das stimmt aber gar nicht. Eine Replik von Mathias Kuhnt.
Mathias Kuhnt ist Soziologe und an der TU Dresden tätig im Bereich Hochschulforschung und Soziale Netzwerkanalyse. Foto: privat.
ES IST ERFREULICH, nun auch von Herrn Günther wie von vielen anderen Hochschulleitungen das Eingeständnis zu hören, dass die Unsicherheit zwischen Promotion und Professur in Deutschland "besonders extrem" ist, weshalb der Frust von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland auch besonders groß ist. Und gut, dass auch Herr Günther diesen schlechten Berufsaussichten entgegenwirken möchte.
Dafür sieht er in seinem Gastbeitrag im Wiarda-Blog neben der Möglichkeit einer Reduktion von Promotionsstellen, auf die ich später noch eingehen werde, nur diejenige, den Hochschulen deutlich mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Er folgt damit der insbesondere bei Hochschulleitungen üblichen Argumentation: Wir würden mit Freude mehr Dauerstellen schaffen, wenn wir das dafür nötige zusätzliche Geld zur Verfügung gestellt bekämen. Man tut damit so, als wäre es ausreichend, einem dysfunktionalen einfach noch ein gutes System aufzupfropfen.
Auf dieser Basis berechnet Herr Günther, was es kosten würde, so viele zusätzliche Stellen zu schaffen, dass sich die Wahrscheinlichkeit, nach einer Promotion irgendwann eine Dauerstelle zu erreichen, verdoppeln würde, und kommt zu nicht unerklecklichen Summen.
Ein Dauerstellen-Modell, das ohne höhere Budgets
auskommt und nicht zu Personalabbau führt
Zufälligerweise führen auch Berechnungen, die Kollegen und ich kürzlich zur möglichen Ersetzung des Befristungsregimes durch ein Modell mit dauerhaften Dozentenstellen vorgelegt haben, zu dem, was Herr Günther anstrebt: zu einer Verdopplung der Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, nach der Promotionsphase eine Dauerstelle zu erreichen. Unser Modell kommt jedoch gänzlich ohne höhere Budgets für die Hochschulen aus – und es funktioniert, ohne das Personal im Universitätsbetrieb merklich zu reduzieren.
Auch wenn wir in unseren Berechnungen zum Status quo anders vorgegangen sind als Herr Günther, kommen wir zu einem sehr ähnlichen Ergebnis wie er: Die derzeitigen Chancen auf eine Dauerstelle in der Wissenschaft für Promovierende liegen bei zwölf Prozent. Viel wichtiger ist jedoch, wie sich diese Wahrscheinlichkeiten aufteilen. So liegt nach unseren Berechnungen die Wahrscheinlichkeit, nach einer Promotions- eine befristete Postdoc-Stelle anzutreten, bei 32 Prozent.
Das ist wenig dramatisch, weil Promovierte in vielen Berufen gut unterkommen. Doch auch die Wahrscheinlichkeit, nach einer befristeten Postdoc-Stelle irgendwann eine Dauerstelle zu ergattern, liegt bei nur 38 Prozent. Im Schnitt mehr als 60 Prozent des wissenschaftlichen Personals müssen also in einem Alter die Wissenschaft verlassen, das üblicherweise – wie Herr Günther im begleitenden Podcast richtig sagt – jenseits der 40 Lenze liegt und in dem sich die meisten auf Wissenschaft als Beruf festgelegt haben.
Angesichts dieser Lage wäre es essenziell, die Entscheidung über den Verbleib in der Wissenschaft nach vorn zu verschieben, also direkt nach der Promotion zu treffen. Allein durch diesen Schritt fielen zahlreiche dauerbefristete Arbeitsverhältnisse weg, die nach vielen Jahren dann doch irgendwann in der Sackgasse enden. Diese wegfallenden Stellen ließen sich zugleich verwenden, um den größten Teil des Aufwuchses an Dauerstellen zu finanzieren.
Dauerstellen, die kein
Selbstzweck sind
Solche Dauerstellen wären keineswegs ein Selbstzweck oder nur dazu da, das Personal glücklich zu machen. Sie sind notwendig, um weiterhin wirklich gutes Personal rekrutieren und mit hinreichender Kontinuität die Aufgaben der Hochschulen in Forschung, Lehre und Verwaltung erfüllen zu können. Momentan sind für diese Aufgaben in großem Ausmaß die Promovierenden zuständig: Zwei Drittel aller Beschäftigten im Mittelbau sind (noch) nicht promoviert, in einigen Disziplinen ist der Anteil sogar deutlich höher. Es ist kaum vermeidbar, dass diese Personen einen unverzichtbaren Anteil der Arbeit an den Hochschulen leisten, statt sich auf die Promotion zu konzentrieren.
In unseren Modellen für bessere Beschäftigungsverhältnisse reduzieren wir die Zahl der Promovierenden um knapp ein Drittel. Das mag viel klingen, doch Freya Gassmann hat gezeigt, dass sich in den vergangenen 20 Jahren die Menge der Beschäftigten im wissenschaftlichen Mittelbau verdoppelt hat, während die Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Promotionen stagniert. Das zentrale Ziel müsste also sein, Promovierende wirklich als solche zu beschäftigen, ihnen die Konzentration auf ihre wissenschaftliche Qualifikation zu ermöglichen und die sonstigen universitären Aufgaben auf dauerhaft beschäftigtes Personal zu verlagern.
Eben dies schlagen wir mit unseren Modellen vor. Wenn sich direkt nach der Promotion entscheidet, wer dauerhaft in der Wissenschaft beschäftigt wird, sind die Hochschulen zudem gezwungen, statt der bisher vorherrschenden Laissez-faire strukturiert die wissenschaftliche Karriere eines Teils der Promovierenden vorzubereiten. Die Erfolgsquote bei Promotionsabschlüssen dürfte damit deutlich wachsen und die Zahl der Promotionen entsprechend nicht sinken.
Ergänzend noch ein paar Worte zum Tenure-Track: Abgesehen davon, dass dieses Modell immer noch einen statistisch vernachlässigbaren Anteil der Stellen ausmacht, werden Juniorprofessuren ohne Tenure-Track auch genutzt, um über die Grenzen des WissZeitVG hinaus befristen zu können. Als Alternative haben wir einen konsequenten Tenure-Track berechnet, der gleich nach der Promotion beginnt und den generellen Weg zu einer Dauerstelle darstellt. Auch solche Personalstrukturen sind mit den vorhandenen Budgets umsetzbar, stellen eine deutliche Verbesserung der Karrierewege in der Wissenschaft dar und sind sogar mit dem alles in allem äußerst enttäuschenden Vorschlag für eine Novelle des WissZeitVG vereinbar.
Man kann es also nicht oft genug wiederholen – und mit unseren Berechnungen zeigen: Dauerhafte Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft nach der Promotion verstopfen keine Stellen, schließen nicht mehr Menschen als gegenwärtig von der Wissenschaft aus und kosten nicht mehr Geld.
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Leif Johannsen (Mittwoch, 26 Juni 2024 13:37)
Vielen Dank fuer diesen Beitrag!
Oliver Günther (Mittwoch, 26 Juni 2024 16:04)
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich bin auf Ihr Papier gespannt, aber gleich vorweg: Einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen unseren Kernaussagen sehe ich nicht. Wenn man 1/3 der jetzt verfügbaren Promotionsstellen in unbefristete Stellen ("Mittelbau" oder auch Professuren ohne Ausstattung) umwandelt, würde sich die Wahrscheinlichkeit, eine solche Dauerstelle zu bekommen, derzeit 12% mehr als verdoppeln. Dies gilt unter der wohl durchaus realistischen Annahme, dass die Verweildauer auf einer Dauerstelle etwa 6x so lang ist wie die auf einer Promotionsstelle. Der Haken ist, dass dann eben ca. 1/3 weniger Menschen bezahlt promovieren können. Das muss man gesellschaftlich diskutieren.
Korbinian Riedhammer (Mittwoch, 26 Juni 2024 17:08)
Vielen Dank für den Beitrag, und ich bin ebenso auf die Rechnungen gespannt. In er ganzen Diskussion kommt viel zu kurz, dass in weiten Teilen der Ingenieurswissenschaften die breite Mehrheit der Promovierenden auf Drittmitteln und zu 100% angestellt sind, während in den Natur- und Geisteswissenschaften Planstellen zu 50% und sogar weniger vergeben werden, wodurch das Verhältnis von Promovierenden zu Postdoc (hier sind auch in Geistes- und Naturwissenschaften 75-100% üblich) bzw. Entfristet (i.d.R. 100%) natürlich deutlich mit Bias versehen ist. Wollte man wirklich etwas für die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses erreichen, sollte man konsostent 100% einstellen und die Mindestbefristungsdauer auf einen (fördertechnisch) sinnvolle Länge wie 12 Monate setzen.
Mainz (Donnerstag, 27 Juni 2024 23:41)
Das Modell setzt auf einer Reihe eigentümlicher Vorannahmen auf - z. B. darauf, dass die Zahl der Promotionsstellen irgendwie fix sei. Davon kann in der "unternehmerischen" Universität und in unsicheren Zeiten aber keine Rede sein. Auch sind Dauerstellen bis zur Rente aufgrund der Tarifstruktur offenkundig kostenintensiver als Promotionsstellen. Da nun allenthalben (in manchen BL) Stellenpläne abgeschafft wurden und werden zugunsten sogenannter "Globalbudgets" geht der Weg eher in die umgekehrte Richtung: mehr Doktoranden, weniger Postdocs - und weniger Entfristung.
#IchBinTina (Freitag, 28 Juni 2024 18:43)
@Mainz: "Da nun allenthalben (in manchen BL) Stellenpläne abgeschafft wurden und werden zugunsten sogenannter "Globalbudgets" geht der Weg eher in die umgekehrte Richtung: mehr Doktoranden, weniger Postdocs - und weniger Entfristung."
Genau das! Die Fehlanreize durch die Globalhaushalte werden bislang viel zu wenig diskutiert, auch weil Daten fehlen. Rechtlich gesehen ist das - Ausnahme Stiftungsuniversitäten - eine Aufgabe der Fachaufsicht durch die Länder: Durch Fachaufsicht soll sichergestellt werden, dass die selbstverwalteten Organisationen Mittel zweckmäßig und nicht nur rechtmäßig verwenden. Aber die Länder machen es nicht und verstecken sich hinter dem Vorwand der Hochschulautonomie: Es gibt kaum Zielvereinbarungen, in denen die Mittelvergabe an "erfolgreich abgeschlossene Promotionen" geknüpft wird. Dazu kommt der Trend zu Stiftungsuniversitäten, z.B. in Nds: Da gibt es dann nicht mal mehr eine Fachaufsicht. Absolut verantwortungslos von den Ländern, da die Promovierenden um Millionenbeträge geschädigt werden. Wenn z.B. per Hochschulgesetz vorgesehen ist, dass ein Drittel der Arbeitszeit der eigenen Qualifikation vorbehalten sein soll, aber die Hochschule im Rahmen der Dienstaufsicht nicht Sorge dafür trägt, dass dieses Drittel auch wirklich genutzt werden kann, summiert sich der Schaden für den/die Promovierende/n und damit für das Land über den Verlauf einer regulären Promotionszeit schnell auf 60.000,- € bis 100.000,- €. Ich persönlich sehe das New Public Management nicht so kritisch, aber da es immer noch um öffentliche Mittel geht und es keine private Haftung für "schlechtes Wirtschaften" gibt, ist wirksame Aufsicht durch die Länder als Mittelgeber unverzichtbar. Im Moment haben wir eine Situation, die das Schlechteste aus beiden Welten vereint: Die Länder sollen zahlen, aber es fehlen die Governance-Strukturen, die in der freien Wirtschaft die Mittelverwendung im Sinne der Vermögensinhaber*innen sicherstellen, wie Aufsichtsräte. Die Hochschulräte erfüllen noch nicht einmal ansatzweise die gleiche Funktion, sondern sind durch die Rechtsprechung den Rektoraten nachgeordnet, weil die durch die akademische Selbstverwaltung legitimiert werden. Die akademische Selbstverwaltung ist aber aufgrund der Hochschullehrermehrheit durch die Professor*innen dominiert, so dass alle anderen "Statusgruppen" hintenüberfallen. Dadurch wird der Anteil von Studierenden und Promovierenden am Globalbudget (das "Stück vom Kuchen") ständig gestaucht, er müsste aber fix sein. Das hätte alles in der versprochenen "Montagehalle" mal aufgegriffen werden müssen - aber mittlerweile ist ja offensichtlich, dass das zumindest nicht mehr in dieser Legislaturperiode passieren wird.
Wolfgang Kühnel (Donnerstag, 08 August 2024 21:22)
Die Problematik als solche ist jedem bewusst, der längere Zeit im Wissenschaftsbereich tätig war. Aber die Lösungsvorschläge von Herrn Kuhnt kann ich nur mit ein paar dicken Fragezeichen versehen.
1. Es wird nie gesagt, wie man die Zeit- und Dauerstellen zählt. Nur relativ wenige Doktoranden- und Postdoktorandenstellen sind Landesstellen aus dem Etat der jeweiligen Hochschule. Die allermeisten sind drittmittelfinanziert, aber eben auch an zahlreichen Instituten außerhalb der Hochschulen. Da gibt es die Institute der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und vieles mehr. Die DFG finanziert Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs sowie Einzelprojekte. Etliche Stiftungen vergeben Promotionsstipendien, das ist ein weitgehend undurchschaubares Geflecht. Woher also kennt man die genauen Zahlen? Und wie will man alle diese Geldgeber dazu bewegen, 1/3 der Doktorandenstellen in Dauerstellen umzuwandeln? Darf die DFG da überhaupt mitmachen? Wie will man private Geldgeber kontrollieren, etwa die Telekom-Stiftung?
2. Dasselbe gilt für die Dauerstellen. Die gibt es eben auch an Max-Planck-Instituten, auch am DIPF und am IQB usw. An Hochschulen gibt es Dauerstellen für Fachbereichs-Manager, Studiengangs-Manager, Systembetreuer, Betreuung von wiss. Geräten, von Physik-Praktika, Chemie-Praktika, für andere Daueraufgaben in der Lehre usw.
3. Die Befristungen sind bei Doktorandenstellen keineswegs gleich. In Graduiertenkollegs sind das nur 2 Jahre mit einem Jahr Verlängerungs- möglichkeit. Assistentenstellen sind üblicherweise auf 3 Jahre befristet mit zwei Jahren Verlängerungsmöglichkeit. In vielen Lebensläufen steht aber drin, dass die Leute länger bis zur Promotion gebraucht haben. Zu berücksichtigen sind dann auswärtige Aufenthalte zwischendurch, je ein Jahr in einem anderen Erdteil. Das gilt besonders auch für Postdoktoranden. So frage ich mich, wie die in Prozenten angegebene "Chancen" überhaupt berechnet werden. Dass man für eine Dauerstelle sechsmal so lange kalkulieren sollte wie für eine Doktorandenstelle, ist auch nicht begründet. Das betrifft den Kommentar #2. Wer mit 25 Jahren seine Promotion in einem Graduiertenkolleg beginnt und nach 2 Jahren abgeschlossen hat, kann hinterher noch 40 Jahre auf einer Dauerstelle sitzen, ein Verhältnis von 20:1.
4. Klar ist: Wenn man die Zahl der Promotionsstellen reduziert, erhöht sich automatisch die Chance auf weiterführende Stellen, wenn deren Zahl nicht reduziert wird. Aber die Entscheidung über eine Dauerstelle direkt nach der Promotion zu fällen, war das System in der DDR. Da müsste man auch mal die Nachteile evaluieren statt sich rosarote Illusionen zu machen. Wer fällt diese Entscheidung, und wie geht das genau? Noch gibt es Kollegen aus der ehem. DDR, die berichten können.
5. Geradezu rührend naiv ist der Satz "... sind die Hochschulen zudem gezwungen, statt der bisher vorherrschenden Laissez-faire strukturiert die wissenschaftliche Karriere eines Teils der Promovierenden vorzubereiten." Die Hochschulen sind zu gar nichts gezwungen. Solange es mehr gute Bewerber um Stellen an Hochschulen gibt als Stellen da sind, gibt es keinen Handlungsbedarf. Man kann promovierte Leute auch aus dem Ausland holen, auch Zuwanderer kommen in Betracht. Man schreibt Dauerstellen einfach aus und sieht, wer sich bewirbt. Ein Mangel in manchen Fächern könnte gleichwohl entstehen.
6. Als gravierendsten Mangel an den Ausführungen von Herrn Kuhnt empfinde ich die pauschale "Über-einen-Kamm-Scheren" unabhängig von Fächern bzw. Fächergruppen. Mediziner, Juristen, Physiker, Ingenieure, Germanisten, Migrationsforscher, Didaktiker, Theologen, Historiker, Soziologen, Politikwissenschaftler -- jedes dieser Fächer hat eine eigene gewachsene "Fächerkultur", auch was die Karrieren betrifft. Jede Bürokratisierung mit pauschalen Regeln kann nur schlecht sein. Em Ende werden noch Quoten eingeführt oder andere wissenschaftsfremde Kriterien (in manchen Fächern auch politische, Stichwort: Wokeness, cancel culture).