· 

Ein Dauerstellen-Programm für die HAWs

150 Millionen Euro, 1300 unbefristete Wissenschaftlerjobs: Was die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften von Bund  und Ländern fordern – und wieso sie glauben, das Geld dringender als die Unis zu brauchen. Ein Interview mit HAW-Sprecher Jörg Bagdahn.

Jörg Bagdahn ist seit 2016 Präsident der Hochschule Anhalt und seit 2022 Sprecher der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Foto: Hochschule Anhalt.

Herr Bagdahn, die Hochschulen für angewandte Wissenschaft (HAW) in der Hochschulrektorenkonferenz verlangen von Bund und Ländern einen Zukunftsvertrag Forschung an HAW. Was hat es damit auf sich?

 

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat das BMBF aufgefordert, bis zum 30. September gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für ein Förderprogramm für mehr Dauerstellen in der Wissenschaft neben der Professur vorzulegen. Dieser Maßgabebeschluss basiert auf entsprechenden Ankündigungen im Ampel-Koalitionsvertrag. Mit unserem Vorschlag reagieren wir auf den Maßgabebeschluss, weil wir glauben, dass der Bedarf, wissenschaftliche Dauerstellen zu schaffen, an den HAWs besonders groß ist.

 

Was genau schlagen Sie vor?

 

Wichtig ist, dass Bund und Länder nicht kleinteilig einzelne und zeitlich befristete Projektideen fördern, sondern ähnlich wie beim bestehenden Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" die vorhandenen Strukturen langfristig unterstützen. Aber jetzt eben in der Forschung. Deshalb, so unser Konzept, sollten Bund und Länder auf jeden Euro Drittmittel, den HAWs für ihre Forschung einwerben, 20 Cent drauflegen. Bis zu einer Höhe von 150 Millionen Euro pro Jahr. Die HAWs müssten sich im Gegenzug verpflichten, nachweislich mindestens 75 Prozent der Programmmittel für den Aufbau von Dauerstellen einzusetzen. Rechnerisch entstünden so etwa 1300 Dauerstellen im wissenschaftlichen Bereich der HAWs.  

 

Werben die HAWs genug Drittmittel ein, um die von ihnen geforderte Kofinanzierung zu erzielen?

 

Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind zwei Jahre alt, aber sie belegen, dass es bei den Forschungs-Drittmitteln der HAWs eine steile Aufwärtskurve gibt. 2017 haben alle HAWs zusammen 606 Millionen Euro eingeworben, 2021 bereits 2021. Ein Plus von 47 Prozent in vier Jahren. Deutlich dynamischer als bei den Universitäten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

 

Aber von einem viel niedrigeren Level kommend.

 

Was auch kein Wunder ist. Die HAWs enthalten im Gegensatz zu den Universitäten derzeit faktisch überhaupt keine Grundfinanzierung für ihre Forschung. Der Hochschullehrerbund hat errechnet, dass pro Professur 0,34 Mitarbeiterstellen zur Verfügung stehen. Das begrenzt unsere Leistungsfähigkeit dramatisch und macht jedes Einwerben von Forschungsmitteln zu einem Kraftakt. Ein Kollege von mir hat es so formuliert: Wir brauchen weniger Mohrrüben und mehr Gras. Wir wollen die Dynamik der vergangenen Jahre fortsetzen, aber für diese Dynamik brauchen wir einen bestimmten Grad an Solidität.

 

"Bis wir in einer idealen Welt leben, in der für alle Belange
in Forschung und Wissenschaft ausreichend Geld vorhanden ist, müssen Bund und Länder priorisieren."

 

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat in seinem Maßgabebeschluss nichts von einer Exklusiv-Förderung für HAWs gesagt. Wie finden eigentlich die Universitäten, was Sie da fordern?

 

Als Sprecher der Mitgliedergruppe der HAWs in der Hochschulrektorenkonferenz spreche ich für die Interessen der HAWs. Das tun die Vertreter der Universitäten genauso. Ich stelle nicht in Abrede, dass es auch an den Universitäten Bedarfe gibt. Aber bis wir in einer idealen Welt leben, in der für alle Belange in Forschung und Wissenschaft ausreichend Geld vorhanden ist, müssen Bund und Länder priorisieren. Am Ende braucht es mutige politische Entscheidungen.  

 

In der realen Welt, in der wir leben, gibt es Signale, dass womöglich bis zum Ende der Legislaturperiode gar kein Geld mehr für ein solches Programm da sein wird, erst recht keine 150 Millionen Euro pro Jahr.

 

Es gibt aber die Vereinbarung im Koalitionsvertrag und den Maßgabebeschluss, auf beides werden wir weiter pochen. Aber natürlich ist allen Beteiligten klar, dass wir hier kein dünnes Brett bohren, sondern einen sehr dicken Balken. Wenn Sie sich anschauen, wie es mit der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) losging, entstanden die ersten Konzepte aus unserer HAW-Mitgliedergruppe heraus schon 2016, Stichwort „Deutsche Transfergemeinschaft“. Acht Jahre später befindet sich die Umsetzung auf der Zielgeraden. Soll heißen, wir bringen unseren Vorschlag aktuell mit Nachdruck ein, werden ihn aber auch unabhängig von der aktuellen Bundesregierung weiter verfolgen und vorantreiben.

 

Was in Ihrem Konzept gar nicht drin ist: Der Maßgabebeschluss besagt, das Programm solle die "Einführung moderner Governance-, Personal- und Organisationsstrukturen sowie Diversity an den geförderten Einrichtungen" unterstützen. Das wird über die von Ihnen favorisierten Pauschalen nicht gelingen. Und wie soll der Bund Landeshochschulen zu einem bestimmten Anteil von Dauerstellen verpflichten?

 

Das BMBF hat in verschiedenen Anhörungen Vertreterinnen und Vertreter von HAWs eingeladen, von Universitäten, von Gewerkschaften, von Forschungsorganisationen wie Fraunhofer und Max Planck. Am Ende wird es sicherlich so sein, dass jeder Vorschlag, der eingeht, in ein Gesamtkonzept einfließt, in dem dann auch die von Ihnen genannten Aspekte Berücksichtigung finden. Klar aber ist: Für uns wird kein Konzept akzeptabel sein, das nicht den Einstieg in eine Grundfinanzierung der HAW-Forschung vorsieht. Und damit das in der Debatte nicht vermischt wird: Anders als bei der DATI geht es hier nicht um Transfer, sondern allein um anwendungsorientierte Forschung.

 

In der Mitgliedergruppe und im HRK-Präsidium haben Sie Ihren Vorstoß schon im Mai beschlossen und danach ans BMBF und die Wissenschaftsministerien der Länder geschickt. Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?

 

Mit einigen Leitungen der Wisenschaftsministerien gab es Gespräche, die Bundesministerin hat sich ebenfalls bei mir gemeldet. Aus den Rückmeldungen hören wir aus verschiedenen Ministerien und von den hochschulpolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen, dass sie viel Sympathien für unseren Vorschlag haben. Jetzt müssen wir diese Sympathien in politisches Handeln überführen.



In eigener Sache: Bitte unterstützen Sie meine Arbeit hier im Blog

Zuletzt hat sich die Blogfinanzierung verbessert, besten Dank dafür! Bitte helfen Sie auch im Juni mit, damit alle Artikel weiter für alle kostenfrei zugänglich bleiben können. Mehr lesen...


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    D. Faber (Dienstag, 02 Juli 2024 20:25)

    Alles schön und gut, aber wer soll das bezahlen?

  • #2

    Günter Tolkiehn (Samstag, 17 August 2024 16:59)

    @ D. Faber: Mit allem Respekt für freie Meinungsäußerung, aber das ist nun wirklich eine dumme Frage. Das staatliche höhere Bildungssystem ist bekanntlich ein sehr gutes Geschäft. Allein durch die höheren Einkommenssteuern, die seine Absolventen aufgrund ihrer höheren Lebenseinkommen aufbringen, finanziert es sich bereits selbst und wirft dabei noch eine nennenswerte volkswirtschaftliche Rendite ab. Die Wirtschaft, die diese höheren Gehälter zahlt, tut das bekanntlich auch nicht uneigennützig, sondern profitiert dabei von der höheren Leistung der Hochschulabsolventen ebenfalls. Das verbessert ihre Wettbewerbsfähigkeit und dadurch grundsätzlich auch die Steuereinnahmen aus der Wirtschaft. Es versteht sich, dass auch die privaten Investitionen der Absolventen in ihre Bildung eine (private) Rendite und damit einen weiteren Beitrag zum gesamtgesellschftlichen Wohlstand abwerfen. Diesem komplexen System langfristiger Investitionen und Leistungen wird man durch Diskussion allein der kurz- und mittelfristigen staatlichen Kostenseite (oder anderer "Indikatoren" wie Publikationen, Anzahl der Absolventen, Drittmittel oder gar Unternehmensgründungen etc.) nicht gerecht.
    Die schwierigen politischen Fragen, von denen der Kollege Bagdahn völlig zu Recht einige anspricht, gehen dahin, wie die staatlichen Investitionen in die höhere Bildung so gestaltet und gesteuert und das höhere Bildungssystem organisatorisch immer wieder so angepasst werden kann, dass gesamtgesellschaftlich (und das bedeutet auch steuerlich) nachhaltig optimale Ergebnisse erreicht werden. Dabei spielen nicht nur Geld und gesetzliche Regulierung eine Rolle, sondern auch der Gegensatz zwischen individueller, selbstverwalteter Wissenschaftsfreiheit und der Vorstellung politisch gelenkter unternehmensförmig organisierter Hochschulen.