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Gezielte Bildungsangebote statt gezielter Migrantenschelte

Ein aktueller OECD-Bericht erfasst das Potenzial von Einwanderung für die deutsche Wirtschaft – und die Herausforderungen. Die Zahlen zeigen, wie ein konstruktiver Umgang mit Einwanderern aussehen kann.

Titelseite des OECD-Länderberichts (Ausschnitt). Quelle: OECD.

DEUTSCHLAND nach den USA das Industrieland mit den meisten Einwanderern. 14 Millionen Menschen, die 2022 in der Bundesrepublik lebten, wurden im Ausland geboren.

 

Leider ist der öffentliche Diskurs in den vergangenen Jahren derart nach rechts verrutscht, dass Migration fast nur noch als Problem diskutiert wird. Obwohl ein am Donnerstag vorgestellter Länderbericht der OECD zu teilweise ganz anderen Ergebnissen kommt.

 

Die guten Nachrichten

 

Was manchen bereits in seinen Vorurteilen erschüttern mag: Die meisten Zugewanderten sind keineswegs Geflüchtete, sondern Bürger anderer EU-Länder. Deutschland investiere große Summen in die Integration, stellt die OECD fest. Und: "Es gibt Anzeichen dafür, dass sich diese hohen Investitionen bezahlt machen. Die Arbeitsmarktergebnisse von Migrant*innen sind gut im Vergleich zu anderen Ländern."

 

2022 habe ihre Erwerbstätigenquote in Deutschland ein Rekordhoch von 70 Prozent erreicht – deutlich höher als in den meisten anderen EU-Vergleichsländern. Insbesondere die umfassende Sprachförderung scheine sich positiv auszuwirken: "Die Sprachkenntnisse Eingewanderter haben sich in Deutschland stärker verbessert als in den meisten anderen EU-Ländern."

 

Bleiben wir bei den guten Nachrichten. Anfang der 2000er Jahre schnitten die Kinder von Einwanderern in Deutschland besonders schlecht ab beim internationalen Pisa-Test. Seitdem hat sich das Bild komplett gedreht. Im Vergleich zur Situation in vielen anderen Ländern, betont die OECD, kämen sie heute auf deutlich bessere Leistungen, woran auch Corona wenig geändert habe.

 

Insofern zeigt der Länderbericht eindrucksvoll, welches Potenzial für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Vielfalt die Einwanderer von heute und gestern für Deutschland bedeuten, und das inmitten von Fachkräftemangel und demografischer Alterung.

 

Die schmerzhaften Nachrichten

 

Umso schmerzhafter sind dafür andere Ergebnisse der Analyse. So hat es bei den selbst eingewanderten Kindern der ersten Generation seit 2012 einen regelrechten Pisa-Absturz gegeben, stärker als in anderen Ländern, sodass Deutschland eine Schlusslicht-Position unter wichtigen Zielländern von Einwanderern einnimmt.

 

Und ja, durch die vielen Geflüchteten ist der Anteil der frischen Einwanderer gestiegen, die im Alter zwischen 15 und 64 höchstens eine Grundschulbildung erreicht haben – auf inzwischen mehr als ein Sechstel (gegenüber knapp zehn Prozent im OECD-Schnitt).

 

Von ihnen hatte 2021 nur die Hälfte einen Job, und selbst nach fünf Jahren kann nur ein Fünftel halbwegs gut Deutsch. "Aufgrund ungünstiger Bedingungen in ihren Herkunftsländern hatten viele von ihnen vor der Migration nur begrenzte Bildungsmöglichkeiten und nur wenige setzen ihren Bildungsweg in Deutschland fort", warnt die OECD.

 

Aber selbst bei den hochgebildeten Geflüchteten herrscht Ernüchterung. Weniger als ein Drittel von ihnen arbeiten in Berufen, die ihren Qualifikationen entsprechen. "Die große Bedeutung, die in Deutschland formellen Befähigungsnachweisen beigemessen wird, erschwert Eingewanderten mit ausländischen Qualifikationen den Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten", kommentiert die OECD. Und das, obwohl sich bei der Anerkennung von Qualifikationen bemerkenswert viel getan in den vergangenen Jahren, wie der Bericht – wiederum sehr positiv – hervorhebt.

 

Was der OECD-Bericht bedeutet

 

Der Länderbericht bietet viele weitere Aha-Erlebnisse. Zum Beispiel, dass weibliche Geflüchtete und eingewanderte Mütter kleiner Kinder in Deutschland deutlich seltener einen Job finden als anderswo, laut OECD auch eine Folge des Verdrängungswettbewerbs angesichts der knappen Kitaplätze. Oder dass in Deutschland geborene Einwandererkinder zwar bei Pisa international gut da stehen, aber trotzdem mit die höchste Wahrscheinlichkeit haben, die Schule abzubrechen.

 

Oder dass ein Fünftel der Nicht-EU-Migranten und fast ein Viertel der Einwandererkinder den Eindruck haben, einer diskriminierten Gruppe anzugehören, aber das öffentliche Bewusstsein für dieses Problem im Vergleich zu anderen Ländern begrenzt ist, wie die OECD kritisiert.

 

Fest steht also: Die meisten Einwanderer wollen ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Aber längst nicht alle können. Gezielte Bildungsangebote statt gezielter Migrantenschelte, Abbau von Hürden statt neuer Stolpersteine müsste die konstruktive Antwort lauten. Nationale wie internationale Belege, dass eine solche Strategie funktioniert, liefert der Länderbericht zuhauf. Die Frage ist, wer sie im Augenblick hören will.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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